BGH, Beschluss vom 15.03.2017 – 4 StR 472/16

Gegenstand der Urteilsanmerkung ist ein Beschluss des 4. Strafsenats des BGH zur Bestimmung der Höhe des Vermögensschadens bei einem Anlagebetrug. Nach den getroffenen Feststellungen liegt ein Vermögensschaden in voller Höhe des Anlagebetrages nur dann vor, wenn der Täter von Anfang an keine Anlage tätigen und das Geld nicht zurückzahlen will. Hat er lediglich die Absicht, die zugesagten Anlagegeschäfte nicht vorzunehmen und das Geld bei fortbestehender Rückzahlungsbereitschaft anderweitig zu verwenden, kommt es darauf an, ob und inwieweit der Rückzahlungsanspruch dadurch entwertet wird.

I. Sachverhalt

Anfang des Jahres 2006 trat der frühere Mitangeklagte R. an den Angeklagten mit der Bitte heran, bei ihm Gelder des K. e.V. anlegen zu dürfen. Der Angeklagte versprach R. daraufhin bewusst wahrheitswidrig, er könne diese Gelder bis zum 1. Oktober 2006 verdoppeln. Beide vereinbarten, dass der Angeklagte mit den Geldern eine Kapitalanlage in der Form eines Aktienkaufs tätigt, wobei er selbst Inhaber der Aktien werden sollte. Dem Angeklagten war bewusst, dass er R. mit dieser Vereinbarung täuschte. Diesem war zwar bekannt, dass die Anlage bei dem Angeklagten mit einem Risiko verbunden war. Insoweit nahm er auch einen eventuellen Totalverlust in Kauf. Er vertraute aber darauf, dass der Angeklagte tatsächlich eine Kapitalanlage in der Form eines Aktienerwerbs vornehmen werde. Die in Aussicht gestellten Renditen und Kursgewinne hielt er für möglich. Basierend auf dieser Vereinbarung überließ R. dem Angeklagten in der Zeit vom 24. Februar 2006 bis zum 15. August 2006 in neun Teilbeträgen insgesamt 180.500 Euro. Wie von Anfang an beabsichtigt, verwendete der Angeklagte mindestens die Hälfte der Gelder für seinen Lebensunterhalt und tätigte entgegen der Zusicherung in der Vereinbarung keine Kapitalanlage. Die andere Hälfte der Gelder übergab er – seinem Tatplan entsprechend – dem Zeugen Re., ohne dass dabei eine Kapitalanlage vereinbart war. Im Oktober 2006 trat ein „Totalverlust“ ein. Der Angeklagte erbrachte keine der versprochenen Zahlungen. Zugriffsmöglichkeiten auf von ihm erworbene Aktien bestanden nicht. Das Landgericht ist der Auffassung, dass dem K. e.V. deshalb ein (tatbestandlicher) Schaden in Höhe von 180.500 Euro entstanden sei.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.

II. Entscheidungsgründe

Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe einen Vermögensschaden in Höhe von 180.500 Euro verursacht, wird von den Feststellungen nicht getragen. Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Vermögensverfügung, also der Vergleich des Vermögenswerts unmittelbar vor und nach der Verfügung. Spätere Entwicklungen berühren den tatbestandlichen Schaden nicht. Diese haben nach st. Rechtsprechung nur noch für die Strafzumessung Bedeutung[1]. Übergibt der Getäuschte dem Täter später zurückzuzahlende Gelder, damit dieser davon Aktien kauft und Spekulationsgeschäfte vornimmt, an deren Ertrag der Getäuschte teilhaben soll, liegt ein Vermögensschaden in voller Höhe vor, wenn der Täter von Anfang an keine Anlage tätigen und das Geld nicht zurückzahlen will[2]. Hat er lediglich die Absicht, die zugesagten Anlagegeschäfte nicht vorzunehmen und das Geld bei fortbestehender Rückzahlungsbereitschaft anderweitig zu verwenden, kommt es darauf an, ob und inwieweit der Rückzahlungsanspruch dadurch entwertet wird. Ein eventueller Minderwert ist dabei nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu beurteilen und der Vermögensschaden unter Berücksichtigung banküblicher Bewertungsansätze konkret festzustellen und zu beziffern[3].

Hier ergeben die Urteilsgründe nicht, dass im Zeitpunkt der täuschungsbedingten Vermögensverfügungen keinerlei Aussicht auf eine auch nur teilweise Rückzahlung durch den Angeklagten bestand und der erworbene Gegenanspruch deshalb wirtschaftlich vollständig wertlos war. Der Umstand, dass im Oktober 2006 tatsächlich ein „Totalverlust“ eintrat, hat dafür lediglich einen Indizwert. Dass der Angeklagte von Anfang an nicht nur die Absicht hatte, keine der Vereinbarung entsprechende Anlagen zu tätigen, sondern auch keinerlei Rückzahlungen leisten wollte, hat das Landgericht nicht festgestellt. Zwar wird der Eintritt eines tatbestandlichen Schadens hier bereits dadurch hinreichend belegt, dass der Angeklagte – seinem Tatplan entsprechend – mindestens die Hälfte der Gelder für private Zwecke verwandte. Um von einer völligen Wertlosigkeit des vertraglichen Rückzahlungsanspruchs ausgehen zu können, hätte es aber auch der näheren Darlegung bedurft, was aus dem Geld werden sollte, welches der Angeklagte dem Zeugen Re. übergab. Allein der Umstand, dass dabei keine den vertraglichen Vorgaben entsprechende Kapitalanlage vereinbart wurde, belegt lediglich, dass der Angeklagte auch insoweit abredewidrig handelte. Dass auch dieser Teil des Geldes als verloren anzusehen war, weil keine Aussicht auf eine zumindest teilweise Rückzahlung bestand, ergibt sich daraus noch nicht.

Da aufgrund der getroffenen Feststellungen sicher davon auszugehen ist, dass ein tatbestandlicher Vermögensschaden entstanden ist, hat der Rechtsfehler keine Auswirkungen auf den Bestand des Schuldspruchs.[4] Es besteht jedoch die Möglichkeit, dass das Landgericht von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist, sodass der Ausspruch über die Einzelstrafe aufzuheben ist. Dies entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage. Die Kompensationsentscheidung, die keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, wird hierdurch nicht berührt. Daher wird die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

III. Anmerkung

Auch diese Entscheidung des 4. Strafsenats des BGH verdeutlicht, dass bei der Bestimmung des Vermögensschadens sehr sorgfältig festgestellt werden muss, welche Motivation ein Täter zum Zeitpunkt einer Betrugsstraftat hatte und wie zu diesem Zeitpunkt sich seine wirtschaftliche Situation darstellte. Dabei sollte sich immer wieder vergegenwärtigt werden, dass der Betrug eine Vermögensstraftat ist und nicht jede Täuschung per se, sondern nur eine vermögensschädigende Täuschung von strafrechtlicher Relevanz ist.

Eine Täuschung über innere Tatsachen ist stets schwer nachzuvollziehen, da sich hierbei um psychische Zustände wie Absichten, Motive, Überzeugungen, Kenntnisse und Vorstellungen handelt. Diese psychischen Realitäten sind nur in ihren Auswirkungen wahrnehmbar und/oder beweisbar und beziehen sich häufig auf Zukünftiges. Der Rückschluss von objektivierbaren Tatsachen auf die innere Einstellung des Handelnden wird – wie auch diese Entscheidung zeigt – nicht immer mit hinreichender Sorgfältigkeit von den Ermittlungsbehörden ermittelt oder in den Entscheidungsgründen herausgearbeitet.

[1] BGH, NStZ 2016, 674, 675; BGHSt 3, 99, 102; BGH WM 2016, 1785, 1786.

[2] BGH, Urteil vom 23. November 1983 – 3 StR 300/83; Satzger in SSWStGB, 3. Aufl., § 263 Rn. 271.

[3] BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010 – 2 BvR 2559/08 u.a., BVerfGE 126, 170, 229 zu § 266 StGB; Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 2 BvR 2500/09 u.a., BVerfGE 130, 1, 47 zu § 263 StGB.

[4] BGH, NStZ-RR 2016, 205, 207; NStZ 2016, 343, 344 mwN.

WiJ

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