Dr. RichardBley

Michael Müller: Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht

Duncker & Humblot 2014, 229 Seiten, ISBN 978-3-428-14479-2, 74,90 Euro.

Das Steuerstrafrecht gehört zum wissenschaftlichen ‚Hochreck’ für jeden Strafverteidiger, der auch steuerliche Beratungen leistet. Nicht zuletzt gibt es einige Kollegen, die sich ausschließlich auf das Steuerstrafrecht spezialisiert haben. Dies liegt, neben den Verdienstmöglichkeiten, an der notwendigen umfangreichen Sachkenntnis nicht nur des Strafrechts, sondern auch des Steuerrechts.

Genau an dieser Schnittstelle zwischen Steuerrecht und Strafrecht liegt die Möglichkeit der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht. In der anwaltlichen Beratung hat die Entscheidung, eine Selbstanzeige durchzuführen, einen auch im Verhältnis zu anderen Aufgaben, stark erhöhten Aufwandspegel zur Folge. So schnell wie möglich müssen möglichst vollständig Unterlagen herbeigeschafft werden und jede Woche (manchmal jeder Tag) Verzögerung kann bedeuten, dass aus dem Ziel der Straflosigkeit des Mandanten (welches oft nur unter großem finanziellen Aufwand erreicht werden kann) dann doch nichts wird.

So stellt denn auch regelmäßig die missglückte Selbstanzeige eine ‚hervorragende’ Grundlage für die dann folgende Strafverfolgung dar. Gerade der Fall Ulli Hoeneß zeigt deutlich, dass auch mit großem Aufwand, nicht zuletzt wegen des immensen Zeitdrucks, erhebliche Fehler geschehen können.

Wissenschaftlich wurde das Thema der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht bisher – verglichen mit seiner Wichtigkeit – etwas stiefmütterlich betrachtet. Meistens geschah dies im Rahmen von polithematischen Aufarbeitungen des Steuerstrafrechts insgesamt. Daneben gibt es einige wenige Arbeiten, die aber eher praktisch orientiert sind. Nun liegt die monographische Darstellung des Selbstanzeigerechts von Michael Müller vor. Die Darstellung war bereits vorher bei Professor Hans Kudlich (Universität Erlangen-Nürnberg) als Dissertation im Jahre 2014 zugelassen worden.

Die Arbeit gliedert sich in zwei Teile: Zunächst wird die Rechtslage vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz von 2011 dargestellt. Es folgt dann eine Darstellung der aktuellen Rechtslage (bis 2014), die unter der Berücksichtigung der bisher doch eher deskriptiven Darstellungen sehr umfassend ist.

Eine solche Aufarbeitung, wo also zunächst die alte Rechtslage dargestellt wird, ist sinnvoll: Zum einen gilt das Altrecht unter gewissen Umständen fort, zum anderen kann nur so der historische Kontext, einschließlich der Frage, wieso das Recht zur Selbstanzeige überhaupt geschaffen wurde, insgesamt dargestellt werden. Viele Formulierungen im aktuellen Recht werden erst durch die Bezugnahme des historischen Kontexts überhaupt verständlich.

Bereits zu Anfang der Arbeit werden, sozusagen als Epilog, die Probleme, die der Ankauf der sogenannten ‚Steuerdaten-CDs’ (vor allem durch das Land NRW) mit sich brachte, wissenschaftlich reflektiert und aufgearbeitet. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vor allem die Entscheidung BVerfG, NStZ 2011, 103 vom 09.11.2010), wird dabei – durchaus praxisnah – in den Mittelpunkt der Argumentation gestellt. Dabei stellt sich der Autor auf den auch durch das Bundesverfassungsgericht vertretenen Standpunkt, dass ein grundsätzliches Verwertungsverbot nicht in Frage kommt, auch wenn durch den Ankauf der CDs die Glaubwürdigkeit des Staates grundsätzlich in Frage gestellt wird.

Darüber hinaus erörtert Müller aber die Frage, ob sich die Ankäufer selbst nach § 17 UWG und nach § 266 StGB (‚Haushaltsuntreue’) strafbar gemacht haben und bejaht dies mit guten Gründen. Der dadurch entstehende scheinbare Widerspruch zwischen dem Nichtbestehen eines Verwertungsverbots und der Strafbarkeit der Mitarbeiter der Steuerverwaltung wird dadurch ‚gelöst’, dass der Zweck des § 17 UWG und des § 266 StGB gerade nicht im Schutz des Steuerflüchtlings besteht, sich der Steuerhinterziehungstäter also gerade nicht auf die Rechtsverletzung der Beamten berufen kann. Dies entspricht im Wesentlichen der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts in der bereits zitierten Entscheidung und ist insoweit folgerichtig. Trotzdem darf man sich natürlich fragen, was von einem ‚Rechtsstaat’ noch bleibt, wenn den Behörden Anreize gesetzt werden, dem Recht eben nicht mehr zu folgen. Die Konsequenzen aus diesem Widerspruch sieht man, wenn Mitarbeiter der Finanzverwaltung durch Schweizer Behörden ‚ausspioniert’ werden, wie es gerade diskutiert wurde.

Müller schlägt hierzu vor, dass ein erweiterter Informationsaustausch zwischen den Ländern erzielt werden sollte, da nur so die Integrität des Staates wiederhergestellt werden könne.

Nach dieser einleitenden Frage, die das Recht zur Selbstanzeige nur indirekt betrifft, aber praxisnah aufgearbeitet wird, geht der Autor auf die historische Entwicklung des Selbstanzeigerechts seit seiner Einführung im Jahre 1919 (Reichsabgabenordnung) ein. Insbesondere die Frage nach den – erst zögerlich entstehenden – Sperrgründen für eine Selbstanzeige wird hier ausführlich erörtert.

Auf den Zweck der Straffreiheit durch die Selbstanzeige wird im Zuge der Aufarbeitung der Selbstanzeige § 371 AO (1977) ausführlich eingegangen, ohne allerdings zu weitschweifig zu werden. Der Autor kommt hier zu dem Schluss, dass durch die Straffreiheit bei einer Selbstanzeige die Rückkehr in die Steuerehrlichkeit gefördert werden soll. Dies begründe sich vor allem darin, dass eine Rückkehr in die Steuerehrlichkeit sehr viel schwerer möglich sei, als bei anderen Wirtschaftsdelikten. So kann ein Betrüger einfach aufhören und muss im Normalfall zur Rückkehr in die Ehrlichkeit keine neuen Straftaten begehen. Bei der Steuerhinterziehung ist dies jedoch oft nicht möglich, vor allem, wenn es sich um undeklariertes Vermögen handelt. Eine offene nachträgliche Deklarierung derartiger Vermögenswerte ist häufig nur möglich, wenn gleichzeitig für die Vorjahre eine Steuerhinterziehung eingeräumt wird. Nicht näher eingegangen wird hier allerdings auf den Umstand, dass die Selbstanzeige auch dann möglich ist, wenn es sich um Einmaldelikte handelt, wie zum Beispiel bei einer nichtdeklarierten, aber vereinnahmten Umsatzsteuer.

Auch der Hinweis auf die fiskalischen Interessen des Staats (die auch vom BGH durchaus angeführt werden) kann insoweit nicht vollständig überzeugen, da diese den Interessen eines Betrugsopfers durchaus entsprechen und nicht zu ersehen ist, warum der Staat und seine Fiskalpolitik hier privilegiert werden sollen. Der Autor zieht aus seinem Zwischenergebnis Schlussfolgerungen für die grundsätzliche Frage, ob die Selbstanzeige ‚im Zweifel’ eher extensiv oder restriktiv ausgelegt soll und kommt insofern zum Schluss, dass zum Schutze des § 370 AO die Straffreiheit bei einer Selbstanzeige als Ausnahmefall nur restriktiv interpretiert werden soll. Aus hiesiger Sicht ist das gefundene Ergebnis alles andere als zwingend: Ebenso gut könnte man die Sperrgründe (um die geht es hier ja eigentlich) des § 371 AO als Ausnahme zum Regelfall, nämlich der Straffreiheit nach einer Selbstanzeige betrachten.

Der Autor greift in seiner Darstellung immer wieder auf den Fall ‚Hoeneß’ zurück und rechtfertigt gegen Ende seiner Darstellung (S. 199ff.) auch das vom LG München gefundene Ergebnis. Während durchaus viele Aspekte des Verfahrens (unter anderem die missglückte Selbstanzeige und der Umstand, dass ohne diese Selbstanzeige vermutlich überhaupt kein Strafverfahren gegen Hoeneß durchgeführt worden wäre) aufgeführt werden, kommt der Autor dagegen nicht auf die – zugegeben spekulativen – ungeschriebenen Gründe der gefundenen Strafe zurück: Zumindest der Prominentenstatus und die lokalen Gepflogenheiten der Höhe des Strafausspruchs sind hier zu nennen.

Im weiteren Verlauf der Monografie wird auch die Frage der Zulässigkeit von Teilselbstanzeigen – vor allem nach altem Recht – umfassend erörtert. Hierzu gehört auch das Wechselspiel zwischen der durchaus interpretationsfähigen Entscheidung des BGH vom 20. Mai 2010 und der mehr oder weniger parallel laufenden Gesetzgebungsmaschine, die im Ergebnis das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, welches am 03. Mai 2011 in Kraft trat, zur Folge hatte.

In der Folge wird auf die durchaus umstrittene Frage des Begriffs des ‚Täters’ (im Gegensatz zum Teilnehmer) das erste Mal Bezug genommen. Diese Frage wird ja gerade bei der Interpretation des neugeschaffenen § 398a AO virulent, da der dort vorzufindende Gesetzestext in einer wörtlichen Interpretation im Einzelfall zu unhaltbaren Ergebnissen führen kann und die Rechtsanwender demzufolge gezwungen sind, den Wortlaut der Vorschriften so umzuinterpretieren, dass das gefundene Ergebnis erträglich erscheint. Auf dieses Problem geht dann auch der Autor umfassend ein.

Die neue Rechtslage bei der Selbstanzeige nach der Einführung des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes von 2011 wird ebenfalls umfassend erörtert. Dabei bleiben Fragen zum Täterbegriff ebenso wenig offen wie zum Tatbegriff im Rahmen des § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO (50.000 EUR je Tat: was bedeutet das im Einzelnen).

Zusammenfassung:

Die aufgezeigten Themen der Monografie sind nicht abschließend, sondern exemplarisch zu verstehen. Nahezu jedes bekannte Problem bei der Selbstanzeige wird in der Arbeit zumindest angesprochen und einer durchweg lesbaren Lösung zugeführt.

Die Sorgfalt des Autors dieser Arbeit hätte sich der Rezensent auch bei der Leistung des Gesetzgebers gewünscht. Speziell die Rechtslage seit 2011 lässt viele Fragen offen: Einfache Rechtsbegriffe und –unterschiede, wie Täter und Teilnehmer oder auch die Frage nach dem Tatbegriff wurden schlicht ignoriert. Umso verdienstvoller ist die Leistung des Autors Michael Müller in diesem Zusammenhang.

Die Arbeit überzeugt in mehrfacher Hinsicht: Zum einen ist sie formal logisch aufgebaut und einfach lesbar, so dass auch ein Neueinsteiger in das Thema ‚Selbstanzeige’ hier einen guten Überblick in den Rechtsstand bis in das Jahr 2014 hinein erhalten kann. Zum anderen überzeugt die Dichte, mit der juristische Themen aufgearbeitet wurden.

Die Arbeit heißt vollständig: ‚Die Selbstanzeige im Steuerstrafrecht (vor und nach dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (2011) mit besonderem Augenmerk auf den neu geschaffenen Sperrgrund gemäß §§ 371 Abs. 2 Nr. 3 AO, 398a AO‘. Normalerweise bedeutet das, dass die Arbeit nur hinsichtlich des Untertitels überhaupt brauchbar ist (so jedenfalls die bisherige Erfahrung des Unterzeichners mit Arbeiten dieser Art). In der vorliegenden Arbeit ist dies glücklicherweise nicht der Fall, da auch über andere Problemfelder der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht umfassend referiert wird. Diese durch den Titel offenkundig zu Tage tretende Bescheidenheit der Arbeit zeigt sich auch in der immer fundierten Argumentation.

Man muss nicht mit allen Ergebnissen dieser Arbeit im Einzelfall einverstanden sein, der Autor versetzt einen jedoch in die Lage, auch zu anderen Ergebnissen zu kommen und die Recherche in dieser Arbeit als ersten ‚Steinbruch’ zu nutzen. Die Arbeit ist damit vielleicht kein ‚Muss’ als Lektüre für jede zu erstattende Selbstanzeige, sie stellt aber einen hervorragenden Einstieg dar und ist als solche, aber auch als Startpunkt eigener wissenschaftlicher Recherche uneingeschränkt zu empfehlen, wobei sie allerdings – wie bei Monografien im Duncker & Humblot Verlag leider üblich – im Verhältnis zum Umfang (226 Seiten) nicht ganz preiswert (74,90 EUR) ist.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. RichardBley
    Dr. Richard Bley ist seit 2009 mit Kanzleisitz in Essen als selbständiger Strafverteidiger tätig und war zwischen 2001 und 2009 als Strafverteidiger in einer angesehenen Strafrechtsboutique angestellt. Seine Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung