Thomas Fischer/Elisa Hoven/ Hans-Peter Huber/Rolf Raum/ Thomas Rönnau/Frank Saliger/ Gerson Trüg, (Hrsg.): Dogmatik und Praxis des strafrechtlichen Vermögensschadens
Nomos-Verlag, Baden-Baden 2015, 386 S., ISBN 978-3-8487-2400-0, 89 €
Die „Elite der Rechtswissenschaft (jedenfalls betreffend die Dogmatik des Vermögensschadens)“ – so Peter Noll, Vorsitzender Richter am OLG München über die anderen Teilnehmer (S. 313) hatte sich am 23. und 24.5.2015 in Baden-Baden zu einem Workshop zusammengefunden, der für den Nomos-Verlag Anlaß war, eine von Thomas Fischer und Elisa Hoven betreute neue Buchreihe über „Baden-Badener Strafrechtsgespräche“ zu eröffnen, deren 1. Band sowohl die gehaltenen 25 Referate als auch die nachfolgenden Diskussionen (lesbar und gut verständlich aufbereitet von Christian Liebhart, Wissenschaftlichen Mitarbeiter am BVerfG) über das Verständnis des strafrechtlichen Vermögensbegriffs dokumentiert. Richter, Verteidiger und Professoren betrachteten das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln, aber durchweg mit Bezug auf praxisrelevante Konstellationen. Das ist ein Wert an sich – so wie jeder vertiefte Kontakt zwischen Wissenschaft und Praxis.
Zur Sprache kamen die „großen“, die fallgruppenübergreifenden Themen (Saliger, S. 15 ff.; Rönnau, S. 31 ff., Raum, S. 43 ff., Fischer, S. 51 ff.): Was bedeutet Schaden? Ist er objektiv, subjektiv oder in einer Mischung aus beidem zu bestimmen? Ist nur die Substanz geschützt oder auch die Disposition? Worin liegt der Unterschied zwischen Eigentums- und Vermögensdelikten? Welchen Einfluss entfalten normative Regeln? Genießt rechtlich missbilligtes, speziell allein illegal handelbares Gut, strafrechtlichen Vermögensschutz? Wie ist dem Verfassungsrecht Rechnung zu tragen (Krehl, S. 133 ff.), insbesondere dem Verschleifungsverbot? Aus praktischer Sicht stellen sich zudem Probleme der Handhabbarkeit: Wie weit bedarf es der Quantifizierung des Schadens? Wie ist mit nicht aufklärbaren tatsächlichen Unsicherheiten, wie mit Grenzen der Erkenntnisfähigkeit umzugehen (Noll, S. 313 ff.)? Was lässt sich aus dem Bilanzrecht übertragen (Kempf, S. 325 ff)?
Teils sind Vorträge unmittelbar diesen Fragen gewidmet, teils durchziehen sie die einzelnen Referate, insbesondere die fallgruppenbezogenen (Schlösser, S. 89 ff.: Zweckverfehlung; Piel, S. 109 ff.: Risikogeschäfte; Kudlich, S. 123 ff.: Individueller Schadenseinschlag; Kubiciel, S. 153 ff.: Vermögensschaden bei Personengesellschaften; Hamm, S. 167 ff.: Konzernuntreue; Perron, S. 189 ff., und Hoven, S. 201 ff.: Schwarze Kassen; Trüg, S. 217 ff., und Radtke, S. 231 ff.: Schneeballsysteme; Hellmann, S. 245 ff., und Gaede, S. 257 ff.: Vertragsärzte-Betrug; Becker, S. 273 ff.: Sportwetten; Ransiek, S. 285 ff., und Gercke, S. 299 ff.: Anstellungsbetrug), aber auch die einzelthemenorientierten (Schünemann, S. 61 ff.: Identität des Schadensbegriffs bei § 263 und § 266 StGB?); Hefendehl, S. 77 ff., und Salditt, S. 99 ff.: Gefährdung und Exspektanzen; Waßmer, S. 175 ff.: Kompensation).
Nachfolgende Beispiele können weder vollständig sein noch wirklich repräsentativ:
Während Saliger (S. 28) in jeder Normativierung des Schadensbegriffs einen Wandel zu einem Delikt gegen den bloßen Willen des Vermögensinhabers und damit eine systemwidrige Gleichstellung mit den Eigentumsdelikten sieht, die er überdies für verfassungswidrig hält, stellt sich für Rönnau allein die Frage, „wieviel an Recht nimmt man bei der Wertbestimmung mit hinein“ (S. 371), gepaart mit dem Bedauern (S. 34 ff.), dass es beginnend bei Wach 1908 noch nicht gelungen sei, einen einheitlichen Vermögensbegriff (für Vermögens- und Eigentumsdelikte unter Einschluss der Dispositionsbefugnis) zu definieren, aber anerkennend, dass Kindhäuser im NK diesem Erfolg mit seinem funktionalen Vermögensbegriff am nächsten gekommen sei. Der Klassifizierung des intersubjektiven Schadensbegriffs als „normativ“ seitens Saligers (S. 28, 344), widersprach Hefendehl (S. 347) energisch: Die Wertbestimmung in Gestalt eines Vertrages zwischen zwei Personen sei gerade Ausdruck der Marktwirtschaft. Dass im Rahmen der Untreue eine intersubjektive Wertbestimmung zwischen dem Treupflichtigem und einem außenstehenden Dritten jedenfalls keine Anerkennung zu Lasten des betreuten Vermögens finden kann, verdeutlichte Waßmer (S. 348) mit einem schlagenden Beispiel: Wenn etwas für 50.000 € gekauft werden sollte, aber als Kaufpreis 100.000 € akzeptiert wurden, könne ein Nachteil jedenfalls nicht unter Hinweis auf die vereinbarte Wertbestimmung verneint werden.
Ein aus der Tat erwachsener Gegenanspruch ist jedenfalls schon dann nicht geeignet, den Vermögensabfluss zu kompensieren, wenn er nicht erfüllt werden soll (Krehl, S. 148). Auf eine juristische Grenze verwies Fischer (S. 362): Die Erfüllung einer erpresserischen Forderung aus Gesellschaftsmitteln werde nicht von der Vermeidung des Verrats korruptiver Praktiken des Vorstands kompensiert.
Der von Saliger (S. 21) aufgeworfenen und tendentiell in ersterem Sinne beantworteten Frage, ob nur wirtschaftliche Werte oder auch andere Freiheitsbetätigungen geschützt seien, stellte Rönnau (S. 34) die Differenzierung zwischen Eigentum als gegenständlicher Freiheit und Vermögen als Wertsummenschutz an die Seite, während Kubiciel (S. 164) auch in Vermögen eine über den (Tausch-)Wert hinausgehende Freiheitssphäre verkörpert sieht, so dass es nur der Rechtsträger sein könne, der über die Verwendung zu bestimmen habe. Den Vermögenswert der (von ihm „unselbständig“ genannten) Dispositionsbefugnis, nach Fischer (S. 350) der „Kern“ des Wertes, stellt allerdings auch Saliger nicht in Abrede (SSW-StGB, 3. Aufl., § 266 StGB, Rn. 1).
In der Kontroverse, ob die anfänglichen Rückzahlungen in einem Schneeballsystem tatbestandlich relevant (so Trüg, S. 217 ff.) oder lediglich bei der Strafzumessung (mildernd) zu berücksichtigen sind (so Radtke (S. 231 ff.), verwies Hellmann (S. 368) auf das Synallagma: Wer statt „Anlage“ „Nicht-Anlage“ erhalte, bekomme im Austauschverhältnis nichts. Er unterstützte damit die von Radtke verteidigte Rechtsprechung des BGH.
In ihren Referaten bezweifelten Ransiek (S. 285 ff.) und Gercke (S. 299 ff.) nicht nur (mit gewissen Unterschieden in Details), ob die unterschiedliche Rechtsprechung zum Anstellungbetrug im Arbeitsverhältnis einerseits und bei Beamten andererseits gerechtfertigt sei, sondern stellten zudem in Frage, dass die Auffassung des BGH zu beidem nach den grundlegenden Entscheidungen des BVerfG zur Untreue (BVerfGE 126, 170 ff.) und zum Betrug (BVerfGE 130, 1 ff.) aufrechterhalten werden könne. Zumindest für Umstände, die sich nicht leistungsmindernd auswirkten, dürfe das zu verneinen sein. Für leistungsbezogene Aspekte sei die Rechtsprechung des BAG zu berücksichtigen, derzufolge Minderleistungen nicht zur Rückforderung gezahlten Lohns führe. Es ist allerdings offen, ob wirklich ein Wertungswiderspruch besteht zwischen dem (anfänglichen) Vortäuschen voller Leistungsfähigkeit und der Verweigerung nachträglicher Rückforderung eines Teils der für die volle Leistung versprochenen und erbrachten Gegenleistung.
Beim Risiokogeschäft ist nicht auf den negativen, sondern auf den (ex ante) offenen Ausgang abzustellen, Saliger (S. 357).
Während Schünemann (S. 361) in der Rechtsprechung zur Konzernuntreue nichts anderes als die Anerkennung der eingeschränkten Gesellschaftertheorie sieht, wittert Trüg (S. 361 f.) in ihr einen Verstoß gegen das Verschleifungsverbot. Gegen dessen extensive Interpretation sprachen sich Hefendehl (S. 357) und Rönnau (S. 357 unter Berufung auf Krell) aus.
Die Übersicht und die Beispiele belegen, dass die Themen, die gegenwärtig Rechtsprechung und Schrifttum beschäftigen, durchweg erörtert wurden. Die in zwei Tagen abgehandelte weite Spanne bedingt allerdings eine Beschränkung auf Schlaglichter, die manchmal die eigenen beruflichen oder sonstigen Interessen(schwerpunkte) nicht verleugnen. Die jeweiligen Leitentscheidungen sind durchweg angeführt, sonstige Nachweise in unterschiedlichem Umfang. Der Tagungsband ist von vorn herein nicht darauf angelegt, dem Leser vertiefende Lektüre zu ersparen, ist aber als Einstieg hilfreich und bietet einen verläßlichen Überblick über die aktuell diskutierten Aspekte als solche. Dem Leser, der sein Verständnis für die erörterten Themen vertiefen möchte, wäre es entgegengekommen, die Diskussion der jeweiligen Referate direkt im Anschluß zu dokumentieren (anstatt in einem Gesamtblock am Ende des Bandes).
Zwei unwidersprochen gebliebene wesentliche Ergebnisse verdienen besonderer Hervorhebung:
Der Vermögensschaden kann nicht bilanzrechtsakzessorisch bestimmt werden. Möglich ist aber vielfach eine Orientierung am Bilanzrecht, zumindest kennt es geeignete Instrumente (Hefendehl, Kempf, Radtke).
Das Erfordernis der Quantifizierung darf nicht mit der Neigung zu Scheingenauigkeit (über)interpretiert werden (Noll, auch Becker und Schünemann). Stattdessen ist tendentell mehr Wert auf die Tat an sich (der Auflehnung wider das Recht) als auf den Schaden (als Folge des Rechtsbruchs) zu legen (Raum, S. 47).