Detlev Stoffels

Andreas Armborst, Jihadi Violence – A study of al-Qaeda´s media

Schriftenreihe des Max-Plank-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht; Kriminologische Forschungsberichte; Herausgegeben von Hans-Jörg Albrecht und Günther Kaiser; Band K 159; Dunker & Humblot, Berlin 2013, 266 Seiten, 35,00 Euro

I.

Der Autor hat mit diesem Buch ein kriminologisches Werk geschaffen. Die Kriminologie lehnt sich, themenbezogen mal stark oder mal weniger stark an andere Wissenschaften an, beispielsweise wie hier, an die Soziologie. Die Soziologie ist im Übrigen auch die Fachrichtung, an die die Kriminologie im anglo-amerikanischen Raum angegliedert ist. Bei uns dagegen findet sie sich in den juristischen Fakultäten wieder.

Da der Autor ein international vielbeachtetes Thema in seinem englischsprachigen Werk aufnimmt, greift er auf internationale Erkenntnisse der Kriminologie und der Soziologie zurück, weniger auf Erkenntnisse der Rechtswissenschaft. Man könnte also sagen, es handelt sich um eine kriminologisch-soziologische Studie, weniger um eine juristische.

Der geneigte Leser dieser Veröffentlichung dürfte aber eher einen juristischen-anwaltlichen Sachverstand besitzen und weniger Erkenntnisse der Soziologie zu seinem Wissensbestand zählen. All die, die zudem in Bielefeld Jura studiert haben und die Möglichkeit hatten, in die Vorlesung eines Niklas Luhmann hereinzuhören, wissen, dass die Soziologie schwer zugänglich sein kann, wenn man sich nicht mit ihren Begrifflichkeiten intensiv auseinandersetzt.

Eine intensive Auseinandersetzung mit kriminologisch-soziologischen Begrifflichkeiten oder Methoden soll nicht der Gegenstand der Rezension sein. Uns geht es darum, einen Blick in die Studie zu werfen und die Erkenntnisse, die der Autor vorhält darzustellen und weniger den soziologisch-kriminologischen Weg dorthin.

II.

Dem tagespolitisch Interessierten ist bewusst, dass es fast schon zu spät ist, sich mit Namen wie Al Qaida, Begriffen wie Jihadismus, Islamismus oder Salafismus näher auseinanderzusetzen und das Wissen in Bezug auf diese zeitgemäßen Phänomene zu vertiefen.

Hier zu unterstützen ist jedoch nicht die Zielsetzung dieses Buches, wenngleich einige Begriffe erläutert und vor allem eingeordnet werden. Diese Studie leistet mehr. Sie zeigt den wissenschaftlichen Weg, der zur Definition der Begriffe und deren Einordnung in die Begriffswelt des Islam führt.

Dieses Buch beschreibt die Erforschung der jihadistischen Gewalt, wie sie begründet wird, aus welchen Quellen sie gespeist wird, wie sich ihr Begriff von Begriffsdefinitionen Anderer unterscheidet und in welchem Verhältnis sie zu anderen Strömungen aus der Islamischen Welt steht und stellt die Ergebnisse der Forschung vor.

III.

Wozu bedarf es einer weiteren Studie über Terrorismus und Jihadismus, wenn bereits eine Vielzahl von Denkfabriken eine Vielzahl von tiefschürfende bis fragwürdige Studien über dieses Thema veröffentlicht haben? Um nicht den Eindruck zu erwecken, diesem Überfluss lediglich eine weitere Studie hinzuzufügen, hat der Autor vier zusätzliche akademische Punkte zur Beschreibung der politischen Gewalt des Jihadismus in seine Studie aufgenommen: zum ersten bietet die Studie eine Definition des Terrorismus, die einige der grundlegenden Probleme überprüft, auf die die Wissenschaft traf; zweitens liest die Studie einige der wertvollsten akademischen Schriften über die Jihad Bewegung in ein Profil des Jihadismus ein, um so die Terminologie zu standardisieren und einen kurzen aber umfassenden Überblick über widersprüchliche Informationen zu geben; drittens wird in der Studie ein methodologischer Ansatz vorgestellt, der den Inhalt der Ideologie beschreiben hilft und viertens wurden zwei verschiedene Arten der jihadistischen Medien verglichen: die ideologischen Statements der Al Qaida Central sowie die Veröffentlichungen zur Übernahme der Verantwortung für terroristische und militärischen Angriffe  durch jihadistische Gruppen im Irak.

Dabei stellt diese Studie die Frage in den Vordergrund, wie jihadistische Medien die Anwendung der Gewalt sowohl in der Theorie (Ideologie), als auch in der Praxis als notwendig und legitim darstellen und sie für die jihadistische Bewegung instrumentalisieren.

Der Autor beginnt damit, den Gegenstand seiner Untersuchung in den ersten beiden Kapiteln seiner Arbeit zu definieren. So beschreibt er zunächst, die zentralen Begrifflichkeiten in der Studie, also politische ( inklusive terroristische ) Gewalt und jihadistische Gewalt.

Im anschließenden empirischen Teil seiner Arbeit in insgesamt fünf Kapiteln, stellt der Autor die Methode seiner Datenerhebung und Forschung dar, gefolgt von einem Abriss über die Ideologie des Jihadismus.

Im umfangreichsten Kapitel seiner Arbeit bildet der Autor Al Qaidas Ideologie aus ihren eigenen Medien heraus ab. indem er die Erzählungen, Fragen und Probleme beschreibt, die in Al Qaidas Medien dargestellt werden.

Schließlich beschreibt er konkret den Jihadismus im Irak und schließt eine Zusammenfassung und einen Ausblick sowie eine wertende Betrachtung an.

Es folgt neben einer Bibliographie mit einem Annex, in dem sich Informationen über das Programm Leximancer befinden, aber auch Textbeispiele von AQ statements.

Last but not least verweist eine „List of Figures“ und eine „List of Tables“ auf die Seiten, auf denen Abbildungen bzw. Tabellen in dem Buch zu finden sind.

V.

Vergleicht man Terrorismus mit anderen Formen der allgemeinen Kriminalität, so erkennt man in ihm drei Besonderheiten:

Terroristische Gewalt wird als gerechte, aber ungesetzliche Reaktion, die aufgrund moralischer Empörung der Individuen gegen wahrgenommene Ungerechtigkeit eingesetzt wird, gesehen.

Die terroristische Gewalt zielt auf stellvertretende Ziele ab und nicht auf die, die unmittelbar für die begangene Ungerechtigkeit verantwortlich sind. Schließlich mag der Täter eines terroristischen Verbrechens selbst niemals Ungerechtigkeit erlitten haben, sondern handelt nur für eine Institution oder Person, deren Normen oder Moralvorstellungen verletzt wurden. Dies kann dazu führen, dass der Täter niemals Opfer einer ihn motivierenden Straftat war, noch das Opfer des terroristischen Aktes jemals die Moralvorstellungen anderer verletzt hat. Solche Täter-Opfer-Konstellationen findet man schwerlich bei herkömmlichen Gewalttaten.

Jihadistischer Fundamentalismus wird durch drei Elemente charakterisiert: es handelt sich um islamischen Aktivismus, unterscheidet sich jedoch von anderen Formen des islamischen Aktivismus, da er eine Lehre des Jihadismus entwickelt hat, die sich von neuen juristischen Interpretationen des Jihad und des internationalen islamischen ( theologischen ) Rechts unterscheidet. Zudem setzt der Jihadismus die lange Tradition der jihadistischen Kriegsführung fort. Unter islamischem Aktivismus wiederum versteht man die Verbreitung all dessen, was den Islam ausmacht, also u. a. Glauben, Recht und Politik, wobei auch der islamische Aktivismus unterteilt werden kann in Islamismus, islamischer Nationalismus und islamischer Fundamentalismus.

Während religiöser Fundamentalismus und islamischer Aktivismus im Allgemeinen nicht notwendigerweise mit Gewalt oder gar terroristischem Aktivismus verbunden sind, ist dies beim Jihadismus der Fall.

Der Autor zeigt 13 grundlegende Charakteristika des Jihadismus auf und stellt sie in einer Grafik ( Figure 1 ) dar, wobei er sie in einem 180 Grad Schema den Charakteristika des Jihad´s als eine Militärdoktrin, des Jihad´s als eine theologische Lehre und dem politischen islamischen Aktivismus zuordnet.

So wird deutlich, dass der Jihadismus sich in der militärischen Abgrenzung auch gegen Zivilisten wendet und seine Lehre sich an Handelnde außerhalb des staatlichen Gefüges richtet. Der Jihadismus im Gegensatz zum Jihad als theologische Doktrin sieht militärische Gewalt als Mittel vor und nicht als ultima Ratio

Das hier präsentierte Profil des Jihadismus ist das Ergebnis einer ausführlichen Literaturrecherche des Autors zu dem Thema und verwertet insbesondere orientalische- , aber auch soziologische Studien.

Da das zentrale Anliegen der Studie die systematische Beschreiben der Erwartungen und der Begründung der Jihadistischen Bewegung für die Anwendung von Gewalt in ihrer Ideologie und ihren Medien ist, bedürfen diese Medien einer systematischen Untersuchung, wobei diese Studie sich einem Mix aus vier verwandten Methoden bedient: Diskurs, Interpretationsschemata ( „frames“, Rahmen ), Inhaltsanalyse und „grounded theory“ ( die in deutscher Übersetzung am Ehesten mit „gegenstandsbezogener Theoriebildung“ übersetzt werden kann ).  Für den soziologisch interessierten Leser bedarf dieses Kapitel einer besonderen Beachtung.

Auf der Grundlage der herangezogenen Daten wird im folgenden Kapitel die Ideologie des Jihadismus beschrieben.

Dabei geht der Autor von den Themen aus, die er in der politischen Kommunikation der Al Qaida

vorfindet. Nach einem in den Vorkapiteln beschriebenen System hat er insgesamt 31 Stellungnahmen mit insgesamt 178.000 Wörtern erfasst und die Begrifflichkeiten, die in diesen Stellungnahmen auftauchen, kategorisiert. Dabei hat er  thematische Kategorien für die Worte erfasst, die er ins Verhältnis zu der Anzahl der Wörter insgesamt setzt, siehe Figure No 3 ).

Einige der 31 Texte hat der Autor im Annex der Studie abgedruckt.

Als Beispiel hier ein Nachdruck eines der kürzeren Texte, belassen in der abgedruckten Sprache:

Text segment No. 32:

Appeal to apostates (AYL, May 22, 2008, 123)

As for the hypocrites and apostates, I tell them: Anyone who reverts to Islam, repents, and declares the truth, God will forgive him. This will be better for him in his religious and worldly affairs, But a person who insists on slandering religion and calling Jihad terrorism, by way of deploring it, and championing the apostate rulers against the Muslims, be it by his hand, tongue, or pen, then this person has no right to live on this earth, after showing his unbelief in the Creator of this earth. This person should write his will and only blame himself.“

Als Ergebnis der Auswertung stellt der Autor fest, dass der Jihadismus einerseits zu viele vernünftige politische Forderungen enthält, als dass man ihn als reinen politischen Fanatismus bezeichnen könnte.

Andererseits stellt er zu viele fanatische religiöse Forderungen, als dass man ihn als vernünftig bezeichnen könnte.

Falls die Revolution in der arabischen Welt gelingen sollte würde dies nach Ansicht des Autors nur dann unter der Beteiligung der AQ gelingen können, sofern diese sich reformieren könnte. Sofern ihr das nicht gelingt, wird sie als irrelevante soziale Bewegung enden.

Es sei die Aufgabe der moderaten Islamisten dafür zu sorgen, dass diese Ideologie obsolet wird.

Abschließend muß man aus der Perspektive des Jahres 2017 hinzufügen, dass AQ und der Jihadismus sich nicht von selbst auflösen, sondern zur Zeit nur mit massiver militärischer Gewalt zurückgedrängt werden können, ohne sie dabei vollständig auszuschalten.

Möglicherweise wird die Zeit das Ergebnis dieses Buches wiederlegen.

Autorinnen und Autoren

  • Detlev Stoffels
    Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in Paderborn und Seniorpartner in der Kanzlei Toeterloeh44, Kattelmann Gelhard Stoffels Süsselbeck Niermann. Sein Tätigkeitsgebiet umfasst das nationale und internationale Strafrecht. Seit 2006 ist er als Strafverteidiger am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zugelassen; er ist Vize-Präsident der International Criminal Defence Lawyers Germany e.V. (ICDL).

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)