Mag. Katrin Ehrbar, Dr. Marcus Januschke, MBA

WisteV-Länderbericht Österreich

I. Disziplinarrecht

9 RAO; § 2 RL-BA 1977 (= § 17 RL-BA 2015); Art XIV RL-BA 1977 (= § 58 RL-BA 2015); Art 1.5 CCBE­Berufsregeln – Androhung nicht sachbezogener Maßnahmen (Strafanzeige); grenzüberschreitende anwaltliche Tätigkeit

Die Drohung mit einer Strafanzeige ist nur dann zulässig, wenn der Rechtsanwalt nach sorgfältiger Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass das Verhalten des Gegners strafgesetzwidrig ist und ein durchsetzbarer Anspruch vorliegt.

Im Fall grenzüberschreitender Tätigkeit iSv Art 1.5 Berufsregeln der europäischen Rechtsanwälte (CCBE) unterstehen Rechtsanwälte zusätzlich auch diesen Berufsregeln. Bei Kollision der insoweit kumulativ geltenden Normen hat sich der Rechtsanwalt an die strengere der beiden Regeln zu halten.

OGH 20. 9. 2016, 20 Os 6/16g

Sachverhalt:

Der beschuldigte Rechtsanwalt hatte mit Schreiben vom 24. 3. 2015 gegenüber einer AG mit Sitz in der Schweiz die Geltendmachung einer Forderung von € 13.952,90 sA für Marketing- und Dienstleistungen unter Setzung einer dreitägigen Zahlungsfrist mit der Ankündigung verbunden, für den Fall, dass ein Mandant weiterhin von der AG über deren Zahlungsbereitschaft getäuscht und die Forderung nicht fristgerecht bezahlt werde, Betrugsanzeige zu erstatten.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde hierfür eine Geldbuße in Höhe von € 3.500,- verhängt und dabei erschwerend die Ankündigung einer Strafanzeige (statt etwa einer Zivilklage) mit größerem Beunruhigungspotential, als mildernd die disziplinäre Unbescholtenheit und die „wahrheitsgemäße Verantwortung“ des Disziplinarbeschuldigten gewertet.

Der OGH gab der Berufung nicht Folge.

Aus den Gründen:

Die mit dem Einwand fehlender inländischer Disziplinargerichtsbarkeit begründete Rechtsrüge (Z 9 lit a) verkennt grundlegend, dass das inkriminierte Schreiben durch einen österreichischen Rechtsanwalt, versendet wurde. Das begründet jedenfalls die Kognition der (ober)österreichischen Standesgerichtsbarkeit (Lehner in Engelhart et al RAO9 DSt § 10 Rz 2). Es geht nämlich bei der disziplinären Beurteilung des fallgegenständlichen Briefs keineswegs um das Recht auf freie Berufsausübung bei einer grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit, konkret die Benachteiligung aufgrund Agierens in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es ist nicht ersichtlich, warum die disziplinäre Verantwortlichkeit davon abhängen soll, ob sich der Adressat der Drohung im Ausland oder im Inland befindet. Dies ergibt sich auch aus der in Art XIV RL-BA 1977, nunmehr in § 58 RL-BA 2015 normierten Verbindlichkeit der RL für alle in Österreich niedergelassenen Rechtsanwälte, mit der in Abs 2 der zweitgenannten Bestimmung normierten Ergänzung, wonach diese im Fall deren grenzüberschreitender Tätigkeit iSv Art 1.5 Berufsregeln der europäischen Rechtsanwälte (CCBE) zusätzlich auch diesen Berufsregeln unterstehen. Bei Kollision der insoweit kumulativ geltenden Normen hat sich der Rechtsanwalt an die strengere der beiden Regeln zu halten und kann sich nicht auf günstigere Regelungen in den Berufsregeln der europäischen Rechtsanwälte oder des Staats, in welchem er tätig ist, oder umgekehrt seines Heimatstaats berufen (Engelhart in Engelhart et al, RAO9 RL-BA 1977 Art XIV Rz 4; AnwBl 2010/8241).

Zu tragen kommen bei einer grenzüberschreitenden Tätigkeit auch unmittelbare Auswirkungen auf Ehre und Ansehen des Stands der österreichischen Rechtsanwaltschaft gemäß den Grundprinzipien der Berufsausübung in § 1 RL-BA 2015, dessen Schutz die Standesregeln   bezwecken. Damit verfehlen die Ausführungen der Berufung zum in der Schweiz geltenden Berufsrecht ihr Ziel.

Der festgestellten Tatsachengrundlage zufolge wurden dem Disziplinarbeschuldigten vor seinem an die Anspruchsgegnerin gerichteten Schreiben vom 24. 3. 2015 diverse Informationen seines Klienten im Wesentlichen über dessen Geschäftsbeziehung mit der Anspruchsgegnerin, so das erfolgte Erbringen von Designerleistungen, die offene Bezahlung der im Februar(!) 2015 in Rechnung gestellten Honorare, ebenso der Bestand von Auffassungsunterschieden über die Basis der Honorierung, nicht aber irgendwelche Informationen eines von der Anspruchsgegnerin gesetzten, den strafrechtlichen Tatbestand eines Betrugs erfüllen den Verhaltens (was jedenfalls Täuschung vor Leistungserbringung vorausgesetzt hätte) mitgeteilt (ES 5). Trotzdem schrieb der Disziplinarbeschuldigte: „Sollte mein Mandant weiterhin von ihnen über ihre Zahlungsbereitschaft getäuscht werden und das Geld nicht fristgerecht auf meinem Konto eingehen, so wird mein Mandant noch vor Ostern Betrugsanzeige bei den Strafbehörden erstatten“ (ES 6). Der vorgelegte Schriftverkehr aus dem Frühjahr 2016 vermag für den lnformationsstand im März 2015 nichts auszusagen.

Die Drohung mit einer Strafanzeige ist disziplinarrechtlich gesehen nur dann zulässig, wenn ein Rechtsanwalt nach sorgfältiger Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass das Verhalten des Gegners strafgesetzwidrig ist und ein durchsetzbarer Anspruch vorliegt (vgl 20 Os 7/14 a; RIS-Justiz RS0056214; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 9 RAO Rz 15, § 2 RL-BA Rz 2). Da dem Disziplinarbeschuldigten den Konstatierungen zufolge keine einen konkreten Betrugsverdacht rechtfertigende Information vorlag und er dennoch in seinem Schreiben eine Betrugsanzeige für den Fall der nicht binnen drei(!) Tagen erfolgenden Erfüllung des allein zivilrechtlich begründeten Zahlungsverlangens unter Bezug auf rund eineinhalb Monate offene Rechnungen ankündigte, hat er den disziplinären Verstoß einer Anwendung unzulässiger Druckmittel gem § 2 RL-BA 1977 zu verantworten. Mangels zum Zeitpunkt des Schreibens gegebener strafrechtlicher Indikation liegt die Unzulässigkeit der Vertretungshandlung im Fehlen jeder Sachbezogenheit zum angedrohten Vorgehen für die allein zivilrechtliche Forderungsbetreibung.

Den Überlegungen des Berufungswerbers zu den unterschiedlichen Formulierungen der RL-BA 1977 und der RL-BA 2015 genügt der Hinweis auf die Übergangsbestimmung des § 59 Abs 3 RL-BA 2015 (Anordnung der Weitergeltung der früheren Rechtslage für bis 31. 12. 2015 verwirklichte Sachverhalte).

Im Übrigen änderte die Neuformulierung in § 17 RL-BA 2015 mit der Umschreibung des Mangels am Vorliegen einer Mittel-Zweck-Relation als nicht sachbezogene Maßnahme gegenüber dem Terminus des sachlich nicht gerechtfertigten Druckmittels in § 2 RL-BA 1977 nichts am Beurteilungsmaßstab.

Anmerkung:

Es ist gefestigte standesrechtliche Judikatur, dass der Rechtsanwalt vor Drohung mit einer Strafanzeige sorgfältig zu prüfen hat, ob Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten des Gegners vorliegen. Daran ändert auch die geringfügig geänderte Formulierung von § 17 RL-BA 2015 (Verbot, „nichtsachbezogene Maßnahmen anzukündigen oder anzuwenden“) gegenüber dem bisherigen § 2 RL-BA 1977 nichts (Verbot, „sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel anzukündigen oder anzuwenden“). Dies hat der OGH mit der vorliegenden Entscheidung nun klargestellt.

Dass bei grenzüberschreitender anwaltlicher Tätigkeit stets das Standesrecht beider Staaten einzuhalten ist, wird oft übersehen, gewinnt aber zunehmend an Bedeutung. Auch damit setzt der OGH die bisherige Judikatur der OBDK fort (etwa 3 Bkd 3/13 AnwBI 2013, 727).

(Michael Buresch, AnwBl 2017,103)

II. Aus der aktuellen Rechtsprechung

1. Zusammentreffen von Verbrechen nach StGB und Finanzdelikten nach FinStrG

ZWF 2017/34

  • 22 Abs 1 FinStrG

OGH 13.3.2017, 13 Os 10/116a

Das Zusammentreffen des Verbrechens der Untreue (§ 153 Abs 1 und 2 Fall 2 StGB [aF]) mit Finanz delikten darf zufolge des Gebots zur separaten Sanktionierung gem § 22 Abs 1 FinStrG bei der Strafbemessung nicht als erschwerend gewertet werden. Die Finanzvergehen sind in die Strafbemessung nach dem StGB ebenso wenig miteinzubeziehen wie das Verbrechen nach dem StGB in jene nach dem FinStrG.

(Rainer Brandl/Roman Leitner, ZWF 3/2017)

2. Zurechnung der Handlungen von Mitarbeitern

ZWF 2017/ 35

  • 35 Abs. l lit a FinStrG

EuGH 25. 1. 2017,C-679/15,Ultra -Brag

Für abgabenrechtliche Zwecke muss sich der Arbeitgeber auch das Verhalten seiner Mitarbeiter zurechnen lassen, die unter Beachtung des Rahmens der ihnen von ihrem Arbeitgeber übertragenen Aufgaben und damit im Rahmen ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs im Namen und für Rechnung ihres Arbeitgebers den Grund für das vorschriftswidrige Verbringen von Waren gesetzt haben.

(Rainer Brandl/Roman Leitner, ZWF 3/2017)

3. § 281 Abs. 1 Z 9 lit a StPO (§ 65 StGB): Ausländisches Recht als Gegenstand von Feststellungen

= EvBl-LS 2017/15

Hängt die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon ab, dass die Tat nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht und die Strafbarkeit nicht durch Erledigung des Strafanspruchs im Ausland erloschen ist (§ 65 Abs 1, 3 und 4 StGB), bedarf es „entsprechender – hier fehlender – Konstatierungen, die es ermöglichen, die Strafbarkeit der vorgeworfenen Handlung im Tatortstaat zu beurteilen (vgl RIS-Justiz RS0092377)“.

OGH 7.9.2016, 15 Os 42/16 i.

4. § 44 Abs. 2 StGB (§ 27 StGB):

Ausschluss von Gewerbeausübung kann bedingt nachgesehen werden = EvBl-LS 2017/16

Beim Ausschluss von der Ausübung eines Gewerbes nach § 13 Abs 1 GewO 1994 handelt es sich um eine Rechtsfolge, die nach § 44 Abs 2 StGB bedingt nachgesehen werden kann.

OGH 3.10.2016, 17 Os 10/16y.

5. § 5 Abs. 3 StPO (§ 133 Abs 5 StPO):

Tatprovokation = EvBl 2017/27

Eine unzulässige, ein Verfolgungshindernis darstellende polizeiliche Tatprovokation liegt nur vor, wenn sich die beteiligten Polizeibeamten nicht auf eine weitgehend passive Strafermittlung beschränken, sondern die betroffene Person derart beeinflussen, dass diese zur Begehung einer Straftat verleitet wird, die sie andernfalls nicht begangen hätte.

OGH 15. 11. 2016, 11 Os 102/16h

6. § 167 Abs 2 Z 2 StGB(§ 1444 ABGB):

Tätige Reue = EvBl 2017/28

Gänzlicher oder teilweiser Verzicht auf Schadensgutmachung ist nur dann Grundlage für die Annahme tätiger Reue, wenn der Täter dem Geschädigten den Ersatz des ganzen Schadens realistisch anbietet und der Geschädigte iS eines freiwilligen und schenkungsweisen Schulderlasses daraufhin einen Verzicht erkläre.

OGH 15.11.2016, 11 Os 97/16y

Jus-Extra OGH-St 5099 = EvBl 2017/28 S 181 – EvBl 2017,181 = ZWF 2017/16 S 81 – ZWF 2017,81 = JSt‑LS 2017/29 S 161 – JSt‑LS 2017,161 = AnwBl 2017,285 = RZ 2017,108 EÜ69 – RZ 2017 EÜ69 = RZ 2017/5 S 119 – RZ 2017,119 = AnwBl 2017,339

Aus der Entscheidung:

“Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin H***** wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 14. Juni 2016, GZ 23 Hv 38/16k-15, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Eilmsteiner zu Recht erkannt:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Martin H***** ist schuldig, er hat von April 2011 bis 22. Juli 2013 in O***** seine ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis, als Bankangestellter über das Vermögen der R***** W***** eGen (mbH) zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch der Vollmachtgeberin einen 300.000 Euro übersteigenden Vermögensschaden zugefügt, indem er unter Umgehung des internen Kontrollsystems und unter Missachtung von Dienstanweisungen in unzähligen Angriffen Bartransaktionen von Kunden fingierte und willkürlich Buchungen vom Hauptbuchkonto Nr ***** auf eigene Kreditkartenkonten sowie auf von ihm verwendete (stillgelegte) Kundenkonten lautend auf Anabela C***** und Gregor G***** vornahm, wodurch der R***** W***** eGen (mbH) ein Vermögensnachteil in Höhe von 939.034,98 Euro zugefügt wurde.

Er hat hiedurch das Verbrechen der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB begangen und wird hiefür nach dem zweiten Strafsatz des § 153 Abs 3 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt.

Gemäß § 43a Abs 4 StGB wird ein Strafteil von 20 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

Gemäß §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Strafverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Martin H***** von dem wider ihn mit Anklageschrift vom 6. Mai 2016 erhobenen Vorwurf, er habe von April 2011 bis 22. Juli 2013 in O***** seine ihm durch Rechtsgeschäft eingeräumte Befugnis als Bankangestellter über das Vermögen der R***** W***** eGen (mbH) zu verfügen, wissentlich missbraucht und dadurch der Vollmachtgeberin einen 300.000 Euro übersteigenden Vermögensschaden zugefügt, indem er unter Umgehung des internen Kontrollsystems und unter Missachtung von Dienstanweisungen in unzähligen Angriffen Bartransaktionen von Kunden fingierte und willkürlich Buchungen vom Hauptbuchkonto Nr ***** auf eigene Kreditkartenkonten sowie auf von ihm verwendete (stillgelegte) Kundenkonten lautend auf Anabela C***** und Gregor G***** vornahm, wodurch der R***** W***** eGen (mbH) ein Vermögensnachteil in Höhe von 939.034,98 Euro zugefügt wurde, gemäß § 259 Z 3 StPO (verfehlt auch von der rechtlichen Kategorie; vgl Lendl, WK-StPO § 259 Rz 1) freigesprochen.

Nach den Feststellungen hat der bis zu seiner Entlassung am 22. Juli 2013 bei der Geschädigten im Privatkundenbereich beschäftigte Angeklagte den Tatbestand durch die im Spruch geschilderten Verhaltensweisen zwar in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt. Bereits vor Kenntnis der Behörde (§ 151 Abs 3 StPO) von seinem Verschulden verpflichtete er sich indes zur Gutmachung des aus seiner Tat entstandenen Schadens, indem er am 23. Juli 2013 bzw am 30. Oktober 2013 eine Vereinbarung abschloss, wonach er einen (nach Leistung von Rückzahlungen verbliebenen, rechnerisch nicht nachvollziehbaren) Schaden in der Höhe von (letztlich) 864.157,62 Euro durch Zahlung von monatlichen Raten in der Höhe von jeweils 300 Euro beginnend ab 1. September 2013 sowie durch eine weitere Zahlung von 60.000 Euro bis zum 31. Dezember 2018 wiedergutmachen werde. Überdies stimmte er zu, ab 1. Jänner 2019 mit der R***** W***** eGen (mbH) – bei sonstiger sofortiger Fälligkeit der Gesamtforderung – eine neue Rückzahlungsvereinbarung zu treffen und sämtliche in seinen Verfügungsbereich kommenden Vermögenswerte und Ansprüche gegen Wettbüros und sonstige Dritte an die Geschädigte zu zedieren. Dadurch sollte der Geschädigten ermöglicht werden, die Ratenzahlung an die aktuelle Einkommens- und Vermögenslage des Angeklagten anzupassen (US 4). Im Fall des Nichtzustandekommens einer solchen Vereinbarung sollte die ursprünglich vereinbarte Ratenzahlung fortgesetzt werden (US 5).

Ausgehend davon sah das Erstgericht den Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue (§ 167 Abs 1 StGB) verwirklicht.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die aus Z 9 lit b (richtig Z 9 lit a; vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 562) des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.

Sie zeigt – wie auch die Stellungnahme der Generalprokuratur – zutreffend auf, dass dem Erstgericht auf Basis der getroffenen Feststellungen ein in der Annahme tätiger Reue (§ 167 Abs 1 StGB) bestehender Rechtsfehler (Z 9 lit a) unterlaufen ist.

Die Befreiung eines Täters von der Strafbarkeit eines reuefähigen Delikts tritt – neben bereits erfolgter vollständiger Schadensgutmachung – dann ein, wenn er sich vor Kenntnis der Behörden von seinem Verschulden freiwillig verpflichtet, dem Geschädigten binnen einer bestimmten Zeit vollständige Schadensgutmachung zu leisten. Hält der Täter seine Verpflichtung nicht ein, lebt die Strafbarkeit wieder auf (§ 167 Abs 2 Z 2 StGB).

Eine vertragliche Zusage befreit den Täter aber nur dann, wenn durch die dem Betrag nach fixierte Gutmachung bis zum vereinbarten Endtermin realistischer Weise vollständige Schadensgutmachung erreicht werden kann.

Die festgestellte Verpflichtung des Martin H*****, den Schaden durch Leistung von 2.881 monatlichen Raten zu 300 Euro, also nach Ablauf von 240 Jahren, gutzumachen, genügt zur Annahme tätiger Reue schon deshalb nicht, weil aufgrund der (notorischen) durchschnittlichen Lebensdauer eines Menschen feststeht, dass der Angeklagte bis zu seinem Ableben allein durch Leistung der vereinbarten Raten keine vollständige Schadensgutmachung leisten kann. Demzufolge erlischt auch seine Strafbarkeit nicht. Die bei Einhaltung der Verpflichtung allein mögliche Gutmachung eines Teils des Schadens kann nur als Milderungsgrund gewertet werden.

Die vertragliche Zusage des Angeklagten, die Raten einkommensabhängig zu erhöhen sowie bis 31. Dezember 2018 eine zusätzliche Zahlung von 60.000 Euro zu leisten und jene, bei sonstiger sofortiger Fälligkeit der Gesamtforderung eine neue Rückzahlungsvereinbarung zu treffen, genügt den Erfordernissen zur Annahme tätiger Reue ebenso wenig.

Ein gänzlicher oder teilweiser Verzicht auf Schadensgutmachung wäre (nur) dann Grundlage für die Annahme tätiger Reue, wenn der Täter dem Geschädigten (unter den weiteren Voraussetzungen des § 167 StGB) den Ersatz des ganzen Schadens realistisch anbietet und der Geschädigte im Sinne eines freiwilligen und schenkungsweisen Schulderlasses (§ 1444 ABGB) daraufhin einen Verzicht erklärt (RIS-Justiz RS0095360 [T2]; Kirchbacher in WK2 StGB § 167 Rz 76). Die hier konstatierte Verpflichtung, den durch die Untreuetaten herbeigeführten und noch nicht beglichenen Schaden in 240 Jahren vollständig gutzumachen, kann vom Angeklagten nicht erfüllt werden, sodass die Frage eines allfälligen – nach den Feststellungen im Übrigen gerade nicht vorliegenden – Verzichts der Geschädigten auf einen Teil der Forderung von vornherein dahin stehen kann.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher das angefochtene Urteil aufzuheben.

Da das Erstgericht die für eine Entscheidung in der Sache selbst erforderlichen Feststellungen getroffen hat (US 2 bis 5), weder der Angeklagte in seiner Gegenausführung zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Mängel oder erhebliche Bedenken (Z 2 bis 5a des § 281 Abs 1 StPO) behauptet noch eine amtswegige Prüfung durch den Obersten Gerichtshof derartiges ergeben hat (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 415), war die Basis für die abschließende rechtliche Beurteilung des vom Erstgericht mit Freispruch erledigten Sachverhalts durch einen Schuldspruch wegen des Verbrechens der Untreue nach § 153 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB gegeben.

Bei der zufolge dieser Entscheidung notwendig gewordenen Strafbemessung war erschwerend der lange Tatzeitraum und die mehrfache Überschreitung der Wertgrenze des § 153 Abs 3 zweiter Fall StGB, mildernd dagegen der bisher ordentliche Lebenswandel, die teilweise Schadensgutmachung, das reumütige Geständnis und der Beitrag zur Wahrheitsfindung.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände und der in § 32 StGB bezeichneten allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung sowie generalpräventiver Erfordernisse im besonders sensiblen Bereich von Bankgeschäften entspricht eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten der personalen Täterschuld und dem sozialen Störwert des begangenen Verbrechens. Da die Taten von Martin H***** unter dem Einfluss einer Spielsucht begangen wurden, die von ihm bereits durch therapeutische Maßnahmen bekämpft wurde, besteht aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er keine weiteren strafbaren Handlungen mehr begehen wird, sodass ein Strafteil von 20 Monaten gemäß § 43a Abs 4 StGB unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen werden konnte.

Die Kostenersatzpflicht des Angeklagten beruht auf §§ 389 Abs 1, 390a Abs 1 StPO.“

7. Art 6 EMRK (Art 90 Abs 2 B-VG; § 295 StGB):

Kein Zwang zur Selbstbelastung durch § 295 StGB = EvBl-LS 2017/23

Aus dem Verbot eines Zwangs zur Selbstbelastung folgt die Obliegenheit der Strafverfolgungsbehörden einen Beschuldigten zu überführen, ohne auf Beweismittel zu­ rückzugreifen, die durch Zwangs- oder Druckmittel ohne den Willen des Beschuldigten erlangt wurden. Verboten ist nur der Zwang zur aktiven Mitwirkung an der Schaffung von Beweisen gegen sich selbst, nicht aber die Verwertung von Material, das unabhängig vom Willen des Beschuldigten bereits eigenständig existiert.

OGH 11. 10. 2016, 11 Os 60/16g, 118/16 m.

8. Betrug; Täuschung; Vermögensschaden; Vortat

ZWF 2017 / 25

  • § 28, 133, 146 StGB

OGH 15.2.2017, 15 Os 47/ 16 z; RIS-Justiz RS011/258

Täuschungshandlungen zur Sicherung oder Deckung zuvor vom selben Täter begangener Vermögensstraftaten erfüllen nicht zusätzlich den Betrugstatbestand, soweit der Vermögensschaden bereits durch die Vortat verursacht wurde. Wird jedoch durch die Täuschung ein Dritter geschädigt oder der durch die Vortat eingetretene Vermögensschaden auf einen Dritten überwälzt, ist der Täter auch wegen Betrugs strafbar.

Entscheidungstexte

15 Os 47/16z

Entscheidungstext OGH 15.02.2017 15 Os 47/16z

Beisatz: Hier: Veruntreuung von Mineralölprodukten durch einen Tankwagenfahrer. (T1)

Beisatz: Für die Beurteilung, ob der Schaden zunächst beim verkaufenden Großhändler oder bereits beim sodann über die Menge des abgelieferten Treibstoffs getäuschten Käufer eintrat, ist der aus der zivilrechtlichen Vereinbarung über die Vertragserfüllung ableitbare Gefahrenübergang maßgeblich. (T2)

Beisatz: Im Fall des ursprünglichen Schadenseintritts bei den Mineralölgroßhändlern und der zeitlich nachgelagerten Schadensüberwälzung auf die belieferten Kunden durch deren spätere Zahlung eines nicht der tatsächlichen Lieferung entsprechenden Preises direkt an die Mineralölgroßhändler ist weder ausdrückliche oder stillschweigende Subsidiarität noch Konsumtion anzunehmen. (T3)

9. Betrug; Konkurrenz

ZWF 2017 / 26

  • § 146, 153d StGB

OGH 26. I. 2017, 12 Os 103/ 16p; RIS-Justiz RS0131254

Die Tatbestände des Betrugs und des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter- Urlaubs- und Abfertigungskasse stehen zueinander im Verhältnis echter Konkurrenz.

(Mario Schmieder/ Norbert Wess, ZWF 3/2017)

10. Verbandsverantwortlichkeit; Bereicherung

ZWF 2017 / 30

  • 3 Abs 1 Z 1 VbVG

OGH 28. 2. 2017, 11 Os 10/16d; RIS-Justiz RS0131245

Eine Straftat wird jedenfalls dann zugunsten des Verbandes begangen, wenn dieser durch die Tat bereichert wurde, sich einen Aufwand erspart hat, sonst einen (selbst bloß mittelbaren) wirtschaftlichen Vorteil erlangt hat oder einer dieser Erfolge hätte eintreten sollen.

(Mario Schmieder/ Norbert Wess, ZWF 3/2017)

11. Sicherstellung; Ausfolgerung; Verfügungsmacht

ZWF 2017 / 28

  • 114 Abs 2 StPO

OGH 23. 2. 2017, 2 Ob 46116b; RIS-Justiz RS0131296

In § 114 Abs 2 StPO sollte den Strafbehörden keine diffizile Unterscheidung zwischen Eigentum, Besitz oder bloßer Innehabung, zB aufgrund von Verwahrungspflichten oder Ähnlichem iSd ABGB, aufgetragen, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass die sichergestellten Gegenstände grundsätzlich der Person zurückzustellen sind, bei der sie sichergestellt wurden, die also zu diesem Zeitpunkt – aus welchem Grund immer – deren Inhaber war.

(Mario Schmieder/ Norbert Wess, ZWF 3/2017)

12. Bewilligung; Durchsuchung; Zeitpunkt der Entscheidung

ZWF 2017 / 27

  • § 89, 117 Z 2, II 9, 120 StPO

OGH 22. 2. 2017, 13 Os 67/ 16a; RJS-Justiz RS0131252

Die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Bewilligung einer Durchsuchung durch das Beschwerdegericht hat sich auf den Zeitpunkt der Entscheidung durch das Erstgericht zu beziehen (Ex­ ante-Perspektive). Nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Umstände, die aus späterer Sicht zur Annahme führen, es fehle an einer Durchsuchungsvoraussetzung, machen die seinerzeitige Entscheidung nicht rechtswidrig.

(Mario Schmieder/ Norbert Wess, ZWF 3/2017)

13. § 1 Abs 2 GRBG ( § 363a Abs 1 StPO)

ZWF 2017/15

Kein höchstgerichtlicher Grundrechtsschutz bei Entscheidungen über bedingte Entlassung

Gemäß § 1 Abs 1 GRBG steht wegen Verletzung des Grundrechts auf persönliche Freiheit durch eine strafgerichtliche Entscheidung oder Verfügung nach Erschöpfung des Instanzenzugs Grundrechtsbeschwerde an den OGH zu. Für den Vollzug von Freiheitsstrafen und vorbeugenden Maßnahmen wegen gerichtlich strafbarer Handlungen schließt § 1 Abs 2 GRBG die Grundrechtsbeschwerde und damit auch den dazu subsidiären Erneuerungsantrag ausdrücklich aus. Damit ist bei Vollzug von Freiheitsstrafen ein Grundrechtsschutz durch den OGH gesetzlich nicht vorgesehen.

OGH 13. 12. 2016, 11 Os 133/161 = EvBI-LS 2017/55

14. § 282 Abs 1 StPO

ZWF 2017 / 16

Rechtsfehlerhafte Subsumtion ohne Beschwer nicht bekämpfbar

Wird durch die vom Angeklagten angestrebte Beurteilung eines Teils der dem Verbrechen des Suchtgifthandel s nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG subsumierten Suchtgifte nach § 27 Abs 1 Z 1 SMG die rechtliche Unterstellung nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG nicht berührt, wird dessen Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu seinen Gunsten ausgeführt, weil zu seinem Nachteil ein zusätzliches Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach§ 27 Abs 1 Z 1 SMG anzunehmen wäre.

OGH 18. 1. 2017, 15 Os 92/ 161 = EvBI-LS 2017/56.

15. §§ 37 Abs 2, 485 Abs 1 Z 1 StPO

ZWF 2017/37 (4/2017 ZWF)

Zuständigkeit; Sachverhalt; Verdachtslage

Bezugspunkt sowohl der örtlichen als auch der sachlichen Zuständigkeitsprüfung ist der von der Anklage vorgegebene Prozessgegenstand (Sachverhalt). Ist für die örtliche Zuständigkeit die Subsumtion der unter Anklage gestellten Tat maßgeblich, ist der Einzelrichter nicht an die rechtliche Beurteilung der Staatsanwaltschaft gebunden, sondern hat diese selbständig anhand der Verdachtslage (iS eines Anschuldigungsbeweises) vorzunehmen, wie sie sich aus dem Strafantrag in Verbindung mit dem Inhalt der Ermittlungsakten ergibt.

OGH 4.4.2017, 14 Ns 14/17 w; RIS- Justiz RS0131309

16. Art 6 EMRK; § 126 Abs 5 StPO

ZWF 2017/39 (4/2017 ZWF)

Das in § 126 Abs 5 Satz 1 StPO enthaltene Vorschlagsrecht gewährt dem Beschuldigten kein subjektives Recht auf Bestellung der als besser qualifizierten genannten Person zum Sachverständigen.

OGH 6.3.2017, 17 Os 19/16x; RIS-Justiz RS0131300

Autorinnen und Autoren

  • Mag. Katrin Ehrbar
    RA Mag. Katrin Ehrbar verfügt über jahrelange Erfahrung in der Führung auch sehr komplexer, grenzüberschreitender, multijurisdiktioneller, strafrechtlicher und zivilrechtlicher Prozesse. Sie hat in den renommierten Wirtschaftsgroßkanzleien DLA Piper Weiss Tessbach und Wolf Theiss viele Jahre bekannte Wirtschaftsstrafcausen betreut und sich 2009 mit einer Rechtsanwaltskanzlei, spezialisiert auf Wirtschaftsstrafrecht, selbständig gemacht.
  • Dr. Marcus Januschke, MBA
    RA Dr. Marcus Januschke, MBA, ist als selbständiger Rechtsanwalt in Wien tätig und auf das Rechtsgebiet Strafrecht spezialisiert. Als Strafverteidiger deckt er sämtliche Bereiche des Strafrechts ab. Im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts betreut er Einzelpersonen und Unternehmen, wobei er hierbei vielfältige Erfahrung in Individualverfahren wie auch in Großverfahren hat.

WiJ

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Internationales Strafrecht, EU, Rechtshilfe, Auslandsbezüge

  • Dr. Mayeul Hièramente

    Svenja Jutta Luise Karl, Die Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen. Kritik und Verbesserungsvorschläge unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens.

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)