Minoggio, Unternehmensverteidigung – Vertretung in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren
ZAP-Verlag, 3. Auflage 2015, 656 S., 129 Euro.
Zwar hat sich die Initiative eines „echten“ deutschen Unternehmensstrafrechts bisher nicht durchsetzen können und die entsprechende Diskussion ist noch in vollem Gang. Gleichwohl können juristische Personen in mannigfacher Hinsicht – auch indirekt – von straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verfahren betroffen sein. So haben verschiedene Schwerpunktstaatsanwaltschaften etwa die Vermögensabschöpfung mittels Unternehmensgeldbußen als äußerst einträgliches Instrument entdeckt. Neben den vielfältigen Sanktionsrisiken muss die Strategie bei der (straf-)rechtlichen Beratung von Unternehmen noch zahlreiche weitere Aspekte im Blick behalten, etwa das Risiko von Image-Schäden und etwaige verwaltungsrechtliche Nebenfolgen.
Nach den ersten beiden Auflagen aus den Jahren 2005 und 2010 (damals noch unter dem Titel „Firmenverteidigung“) liefert Dr. Ingo Minoggio, der über langjährige Erfahrung in der Strafverteidigung und der wirtschaftsstrafrechtlichen Beratung verfügt, nunmehr eine weitere überarbeitete und aktualisierte Fassung seines wirtschaftsstrafrechtlichen Praxishandbuchs. Erklärtes Ziel des Werks ist „ein einseitiger – die Rechtslage objektiv darstellender (!) – Blick in die Verteidigung eines Unternehmens“. Zu diesem Zweck sollen „die praktischen Abläufe eines Straf- und OWi-Verfahrens aus dem Blickwinkel des Unternehmens“ dargestellt werden. Auf den insgesamt 656 Seiten, aufgeteilt in 13 Kapitel, geht der Autor jedoch über diesen selbstgesteckten Anspruch hinaus.
Minoggio beginnt mit grundsätzlichen Ausführungen zu den Besonderheiten eines Wirtschaftsstrafverfahrens (§ 2) wobei er als Auslöser exemplarische Konstellationen aus dem Wirtschaftsleben anführt und u.a. die Diskussion um die Einführung eines Unternehmensstrafrechts in Deutschland nachzeichnet. Zudem weist der Autor darauf hin, dass der Arbeit im Ermittlungsverfahren bei wirtschaftsstrafrechtlichen Sachverhalten eine noch wesentlich größere Rolle zukommt als in der übrigen Verteidigungspraxis.
Bei der Darstellung der Risikosituation des Unternehmens im Strafverfahren (§ 3) liegt der Schwerpunkt auf dem Verfall. Dabei wird naturgemäß noch die zum Zeitpunkt der Bearbeitung gültige Rechtslage zugrunde gelegt, da die zwischenzeitliche Neufassung der §§ 73 ff. StGB erst durch Gesetz vom 13.04.2017 und mit Wirkung vom 01.07.2017 erfolgte. In einem kurzen Abschnitt geht der Autor auf weitere „förmliche Sanktionsrisiken“ (Korruptionsregister, Zuverlässigkeit etc.) ein, um sich sodann der von ihm sog. „Verfahrensstrafe“, also den außerprozessualen Folgen für Unternehmen zu befassen. Die klassische Unternehmensgeldbuße gemäß § 30 OWiG wird dagegen in diesem Kapitel gar nicht erwähnt, sondern erst im Rahmen der Erörterungen zum Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 7) behandelt. Es folgt eine gesonderte Darstellung der Verfahrensposition des Unternehmens (§ 4) beginnend mit den Rechten als Nebenbeteiligte und außerhalb der Nebenbeteiligung. Eher unvermittelt folgt dann ein Überblick zum EG-Kartellbußverfahren, das den Schwerpunkt dieses Kapitels darstellt.
Im Folgenden geht Minoggio zur Erläuterung der tatsächlichen Unternehmensverteidigung über, beginnend mit deren Organisation (§ 5) – wobei er auch auf die Rolle von Syndikus und Rechtsabteilung eingeht – sowie der Unternehmensverteidigung in den einzelnen Verfahrensabschnitten (§ 6). Ergänzt um Fallbeispiele werden in diesem zentralen Abschnitt des Handbuchs zunächst grundlegende prozessuale (u.a. Selbstbelastungsfreiheit, Zeugenstellung und Beschlagnahmeschutz) aber auch handwerkliche (z.B. Unternehmensstellungnahme, Pressearbeit) Aspekte behandelt („B. Grundsätzliches für alle Verfahrensstadien“). Es folgen dezidierte Ausführungen für die einzelnen Verfahrensabschnitte. Getreu der zu Beginn des Werks vorgenommenen Gewichtung legt der Autor besonderen Wert auf eine möglichst früh beginnende Verteidigung im Ermittlungsverfahren (C.). Hier befasst er sich – neben „klassischen“ Aspekten wie Akteneinsicht, Durchsuchung und Beschlagnahme sowie Verteidigung gegen vorläufige Vermögenssicherungsmaßnahmen – auch mit Themen wie „Verteidigung gegenüber der Fachbehörde“ (II.), „Richtiger Zeitpunkt für Verteidigungsvorbringen“ (IV.) und „Beauftragung eigener Sachverständiger“ (VII.). Es finden sich viele praxisnahe Handlungsempfehlungen für den Verteidiger. Im Folgenden werden Chancen für die Verteidigung im Zwischenverfahren (D.), in der Hauptverhandlung (E.), bei Berufung und Revision (F.) sowie im selbständigen Einziehungsverfahren und Nachverfahren (G.) aufgezeigt.
Es folgen Erläuterungen zum – für Unternehmen immens bedeutsamen – Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 7). Nach der Darstellung von zentralen Normen zu Unternehmensgeldbuße (§ 30 OWiG), Verfall (§ 29a OWiG) und Aufsichtspflichtverletzung (§§ 9, 130 OWiG) werden Besonderheiten der Verteidigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren aufgezeigt, und zwar sowohl im Verwaltungs- als auch im gerichtlichen Verfahren. Auch bei der Darstellung von arbeitsrechtlichen Aspekten im Straf- oder Ordnungswidrigkeitenverfahren (§ 8) bleibt der Autor konsequent beim Blickwinkel des Unternehmens, z.B. soweit es um den Umgang mit Whistleblowern oder die Übernahme von Verfahrenskosten, Geldstrafen und Geldbußen durch das Unternehmen geht.
Die nachfolgenden Kapitel befassen sich im weiteren Sinne mit Compliance. Dazu gehören Präventionsmaßnahmen zur Minimierung des Strafverfolgungsrisikos (§ 9), mithin Compliance-Systeme als „ein probates Mittel […], das Risiko strafbaren oder ordnungswidrigen Verhaltens zu verringern.“ (C. IV.) sowie der Abschluss speziell auf das Unternehmen zugeschnittener Versicherungen (D.). Unter „Das Unternehmen als Ziel von Mitarbeiterverfehlungen“ (§ 10) findet sich ein „Überblick über die Möglichkeiten zum Schutz des Unternehmens vor schädigenden Handlungen durch Mitarbeiter und zu Maßnahmen zur Schadensbegrenzung“. Inhaltlich ergänzen die Abschnitte „Prävention“ (B.) und „Maßnahmen nach Mitarbeiterstraftaten“ (C.) die im vorigen Kapitel gemachten Ausführungen zu Compliance-Systemen. Dass auch aus Verteidigersicht die Strafanzeige „als taktisches Mittel eingesetzt werden [kann], um die eigene Position des Unternehmens zu verbessern“ erläutert Minoggio im Kapitel „ Die eigene Strafanzeige als unternehmenspolitische Waffe (§ 11). Auch das aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum stammende Instrument der sog. Internal Investigations wird behandelt unter „Unternehmenseigene Ermittlungen bei Strafverdacht“ (§ 12). Der Autor – der auch Mitherausgeber eines Buches zu unternehmenseigenen Ermittlungen ist – befasst sich nach einer Begriffsbestimmung (B.) mit den Themen „Gründe für eine unternehmenseigene Untersuchung“ (C.), „Auftraggeber und notwendige Begrenzung der unternehmenseigenen Untersuchung“ (D.), „Die Zusammenstellung des Untersuchungsteams“ (E.), „Zusammenarbeit mit Strafverfolgern“ (F.) und „Die Durchführung der unternehmenseigenen Ermittlungen“ (G.). Zum Ende des Handbuchs finden sich „Zusammenfassende Aussagen zur Unternehmensverteidigung“ (§ 13).
Minoggio erfasst und erläutert gesamtheitlich die Risiken und Herausforderungen, die für Unternehmen mit straf- bzw. ordnungsrechtlichen Ermittlungsverfahren einhergehen. Dies sind zum einen materielle (z.B. Verfall und Einziehung gemäß §§ 73 ff. StGB, Verbandsgeldbuße i.S.d. § 30 OWiG) und sonstige förmliche Sanktionsrisiken wie die Auflösung gemäß § 62 GmbHG / § 396 AktG (vgl. § 3 Rn. 62), Eintragungen in Korruptionsregister u.a. nach § 21 SchwArbG (vgl. § 3 Rn. 64) sowie mittelbar die Amtsunfähigkeit eines Organs nach § 6 Abs. 2 GmbHG / § 76 Abs. 3 S. 3 AktG (vgl. § 3 Rn. 68 ff.). Es bleibt jedoch gerade nicht bei der eingangs angekündigten objektiven Darstellung der Rechtslage, sondern wird um zahlreiche Aspekte ergänzt. So widmet sich Minoggio u.a. auch informellen Konsequenzen für Unternehmen, etwa der sog. „Verfahrensstrafe“, also dem durch ein Strafverfahren gegen Verantwortliche des Unternehmens erzeugten Reputationsschaden (vgl. § 3 Rn. 74 ff.). Auch inhaltlich findet keine Beschränkung auf die reine Erläuterung der Rechtslage statt.
In der Gesamtschau handelt es sich um ein umfassendes Werk, das einen ganz eigenen Wert für Juristen auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts besitzt. Minoggio pflegt einen erfrischend lebendigen Schreibstil und lässt an vielen Stellen seines Handbuchs eigene umfangreiche Erfahrungen aus diversen Verfahren durchscheinen. Dies bringt es mit sich, dass häufig fast unbemerkt von einem Thema auf ein anderes übergegangen wird oder unerwartet umfangreiche Ausführungen gemacht werden. Leicht gewöhnungsbedürftig ist hingegen die Gliederung des Werks, die teilweise mit kreativen Zwischenüberschriften aufwartet. Diese werden vom Autor mitunter ganz bewusst eingesetzt, auch um zu „provozieren“ (so etwa in § 2 Rn. 97). Zum schnellen Nachschlagen ist das Werk nur bedingt geeignet, es erschließt sich am besten beim Lesen längerer Passagen. Der inhaltlich profunden Darstellung tut dies jedoch keinen Abbruch. Diese wird durch viele praxisnahe Fallbeispiele und Handlungsempfehlungen ergänzt, an denen sich die langjährige Erfahrung des Autors ebenso ablesen lässt wie an dem gezeigten Verständnis für die außerjuristischen Belange betroffener Unternehmen, etwa zur Gefahr eines Reputationsschadens infolge von Ermittlungsverfahren oder zur Blockade des operativen Geschäfts durch strafprozessuale Maßnahmen.
Ausweislich dem Vorwort zur 1. Auflage aus dem Jahr 2005 richtet sich das Handbuch insbesondere Syndikusanwälte, Unternehmensjuristen und Strafverteidiger/-innen. Dies dürfte nach wie vor die hauptsächliche Zielgruppe sein. Die aktuelle Auflage steht unter dem Eindruck einer seitdem weiter gestiegenen Bedeutung des Wirtschaftsstrafrechts und gleichzeitig neuer – noch weitgehend ungeregelter – Entwicklungen: „Wenn staatliche Ermittlungen bei Straftatverdacht mittlerweile geradezu outgesourct werden und unternehmenseigene Untersuchungen über Monate und Jahre teilweise mit Millionenaufwand stattfinden, verlangt das ein erheblich höheres Maß an Sachkenntnis – die dadurch erschwert wird, dass der Gesetzgeber untätig bleibt und Rechtsprechung sowie Literatur naturgemäß Jahre für wenigstens grobe Rahmenbedingungen benötigen.“ Zur entsprechenden Erweiterung der Sachkenntnis ist das vorliegende Werk zweifellos bestens geeignet.