Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht
I. Strafprozessrecht
1. Entbindungsbefugnis des Verwalters von der Schweigepflicht des Berufsgeheimnisträgers bei Insolvenzen juristischer Personen – § 53 StPO
Soll der für die inzwischen insolvente GmbH tätige Berufsträger (Rechtsanwalt/Steuerberater/ Wirtschaftsprüfer) als Berufsgeheimnisträger in einem gegenüber dem ehemaligen Geschäftsführer geführten Strafverfahren als Zeuge aussagen, kann er von seiner Verschwiegenheitspflicht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO so lange allein durch eine entsprechende Erklärung des Insolvenzverwalters entbunden werden, wie der Berufsträger nicht zugleich auch vom beschuldigten Geschäftsführer persönlich mandatiert worden war und beide Beratungsverhältnisse untrennbar miteinander verbunden waren. In einem solchen (Ausnahme-)Fall des Doppelmandats ist dann eine Entpflichtung des Berufsgeheimnisträgers (nur) durch gemeinsame Erklärung von früheren Geschäftsführern und Insolvenzverwalter zulässig.
OLG Hamm, Beschluss vom 17.08.2017 – 4 Ws 130/17, ZInsO 2017, 2316.
Das OLG Hamm schließt sich mit seiner Entscheidung der aktuellen Rechtsprechung der überwiegenden Mehrzahl der Oberlandesgerichte an; vgl. etwa OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2009 – 1 Ws 289/09, ZInsO 2009, 2399, sowie OLG Köln, Beschluss vom 01.09.2015 – 2 Ws 544/15, ZInsO 2016, 157. Lediglich das OLG Zweibrücken ist – ohne überzeugende Begründung und unter Ignorieren der weiteren aktuellen Entscheidungen – anderer Auffassung; vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08. 12. 2016 – 1 Ws 334/16, ZInsO 2017, 441 m. abl. Anm. Weyand. Umfassend zu der Problematik s. im Übrigen Wick, ZWH 2017, 82.
2. Beschlagnahmefähigkeit von Buchführungsunterlagen beim Steuerberater – § 97 StPO
Durchsuchungen bei einem Berufsgeheimnisträger, der selbst keiner Straftat verdächtig ist, sind zulässig; der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet jedoch, in jedem Verfahrensstadium das jeweils schonendste Mittel anzuwenden. Buchführungsunterlagen des Beschuldigten, die sich im Büro des Steuerberaters befinden, unterliegen grds. der Beschlagnahme, wobei offenbleiben kann, ob die Unterlagen beschlagnahmefrei sind, wenn und soweit sie vom Steuerberater noch zur auftragsgemäßen Bearbeitung benötigt werden.
LG Halle, Beschluss vom 07.06.2017 – 2 Qs 1/2017, 2 Qs 2/2017, ZInsO 2017, 2178.
3. Erforderlicher Vortrag für die Verfahrensrüge der Verletzung des Beweisverwendungsverbots hinsichtlich der Auskünfte des Insolvenzschuldners – § 344 StPO
Nur solche Umstände können ganz ausnahmsweise zu einem strafprozessualen Verfahrenshindernis führen, deren (Nicht-)Vorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens tangiert. Ein etwaiger Verstoß gegen das Verwendungsverbot nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO hat kein Verfahrenshindernis zur Folge. Dessen mögliche Verletzung ist nur auf eine explizite Verfahrensrüge hin zu prüfen.
BGH, Beschluss vom 26.07.2017 – 3 StR 52/17, ZInsO 2017, 2314.
Eine zulässige Verfahrensrüge der Verletzung des Beweisverwendungsverbots aus § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO setzt nach allgemeiner Auffassung den Vortrag voraus, eine aufgrund der Verpflichtung aus § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO erteilte Auskunft sei ohne Zustimmung des Angeklagten verwendet worden; s. dazu bereits OLG Celle, Beschluss vom 19.12.2012 – 32 Ss 164/12, ZInsO 2013, 731 mit krit. Anm. Kemperdick, ZInsO 2013, 1116.
4. Reichweite des Verwendungsverbots – § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
Das Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO soll nach dem Gesetzeszweck nur demjenigen Schuldner zugutekommen, der seinen Pflichten im Insolvenzverfahren ohne Einschränkung nachkommt, der also eine umfassende Auskunft gemäß seiner Verpflichtung nach § 97 Abs. 1 Satz 1 InsO erteilt, die sich gem. § 97 Abs. 1 Satz 2 InsO auch auf eventuell begangene Straftaten zu beziehen hat. Straftaten beschönigend oder unvollständig darzustellen, ist dem Schuldner nicht gestattet. Zur Privilegierung auch solcher Schuldner, die ihren Pflichten nicht genügen und gegenüber dem Insolvenzverwalter falsch oder nur lückenhaft Auskunft erteilen, besteht deshalb kein Anlass.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016 – III-2 Ws 299/16, ZInsO 2017, 2271.
Zu der in jüngerer Vergangenheit in der Literatur heftig umstrittenen Problematik der Natur und der Reichweite des Verwendungsverbots nach § 97 Abs. 1 S. 3 InsO vgl. etwa Diversy, ZInsO 2005, 180; Püschel, FS der AG Strafrecht des DAV, 2009, 759; ders., ZInsO 2016, 262; Laroche, ZInsO 2015, 1469; Weyand, ZInsO 2015, 1948; Haarmeyer, ZInsO 2016, 545.
5. Kostentragungspflicht bei Beauftragung externer Dienstleister im Ermittlungsverfahren – § 465 StPO
Die bei Beauftragung eines Externen anfallenden entstehenden Kosten können dem Verurteilten als Verfahrenskosten nur dann auferlegt werden, wenn die Auftragsverteilung erfolgt, um spezifische Fragestellungen aufgrund des fachlichen Wissens des Beauftragten zu klären, und aufgrund entsprechender Erfahrungssätze verfahrenserhebliche Tatsachen zu ermitteln. Erforderlich hierfür ist stets eine selbstständige und eigenverantwortliche gutachterliche Stellungnahme zu konkret umschriebenen Beweisthemen.
LG Berlin, Beschluss vom 24.07.2017 – 511 Qs 50/17, n.v.
Das LG schließt sich mit seiner Entscheidung explizit der aktuellen Rechtsprechung des OLG Schleswig-Holstein an; vgl. OLG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 10.01.2017 – 2 Ws 441/16 (165/16), ZInsO 2017, 324.
II. Materielles Strafrecht
1. Strafgesetzbuch
Verjährungsunterbrechung durch Beauftragung eines Sachverständigen bei fahrlässiger Insolvenzverschleppung – § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB
Die strafrechtliche Verjährung wird nach § 78c Abs. 1 Nr. 3 StGB prinzipiell durch die Beauftragung eines Sachverständigen unterbrochen. Nicht jede Inanspruchnahme eines Gutachters erfüllt indes die Voraussetzungen einer „Beauftragung“ i.S.d. Bestimmung. Werden mehrere Sachverständigengutachten eingeholt, können diese jeweils nur dann verjährungsunterbrechende Wirkung entfalten, wenn entweder die Person des Sachverständigen ausgewechselt oder demselben Sachverständigen ein völlig neues Beweisthema aufgegeben wird; die Anordnung eines Ergänzungsgutachtens bzw. die Bitte um Klarstellung oder Erläuterung eines bereits erstatteten Gutachtens führen nicht zur erneuten Verjährungsunterbrechung.
BGH, Beschluss vom 10.08.2017 – 3 StR 227/17, ZInsO 2017, 2250.
2. Abgabenordnung
Steuerhinterziehung bei passivem Verhalten gegenüber dem Insolvenzverwalter – § 370 AO
Täter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist. Nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens obliegen die steuerlichen Erklärungspflichten nicht mehr dem Schuldner, sondern – abhängig von der Art des Insolvenzverfahrens – entweder dem Insolvenzverwalter oder dem Treuhänder. Zwar muss der Schuldner den Insolvenzverwalter bzw. den Treuhänder bei der Abgabe der Steuererklärungen unterstützen. Ein Verstoß gegen diese rein insolvenzrechtlich begründete Aufklärungs- und Mitwirkungspflicht ist aber strafrechtlich irrelevant.
BGH, Beschluss v. 10.08.2017 – 1 StR 573/16, ZInsO 2017, 2313.
III. Recht der Ordnungswidrigkeiten
Erzwingungshaft bei anhängigem Insolvenzverfahren – § 96 OWiG
Während der Dauer des Insolvenzverfahrens ist die Anordnung von Erzwingungshaft unzulässig.
LG Duisburg, Beschluss vom 04.06.2014 – 69 Qs-114 Js-OWi 56/13-7/14, ZInsO 2017, 1852.
IV. Entscheidung zum Zivilrecht mit strafrechtlichem Bezug
Vollstreckung von Zwangsgeldern gegen Organmitglied im Fall der Insolvenz – §§ 765a, 890 ZPO
Die Ordnungsmittel des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO dienen als zivilrechtliche Beugungsmittel präventiv der Verhinderung künftiger Zuwiderhandlungen; daneben stellen sie repressiv eine strafähnliche Sanktion für die Übertretung eines gerichtlichen Verbots dar. Das Verständnis der Ordnungsmittel des § 890 ZPO als Maßnahmen zur Beugung des Willens des Schuldners, die zugleich strafrechtliche Elemente enthalten, steht mit der Verfassung in Einklang, sofern der Grundsatz „nulla poena sine culpa“ gewahrt bleibt. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist der Beugezweck des Ordnungsmittels regelmäßig entfallen. Solange ein Sanktionsinteresse des Gläubigers besteht, darf die Vollstreckung jedoch fortgeführt werden.
BVerfG, Beschluss vom 09.05.2017 – 2 BvR 335/17, ZInsO 2017, 1795.