Gibt es eine Änderung der Rechtsprechung zur Untreue bei Personenhandelsgesellschaften?[1]
I. Einführung
Die Untreue bei Personenhandelsgesellschaften ist in den letzten Jahren in den Fokus von Wissenschaft und Rechtsprechung gerückt. Die Thematik hat nicht nur dogmatische, sondern auch ausgesprochen große praktische Bedeutung, da die Gesellschaftsformen der OHG und KG – einschließlich der beliebten Sonderform der GmbH & Co. KG – im heutigen Wirtschaftsleben omnipräsent sind. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob durch Untreuehandlungen die Gesellschafter oder aber die Gesellschaften selbst geschädigt werden. Von Bedeutung ist dies zum einen für die Frage, wem und in welcher Höhe ein Nachteil entstanden ist. Und zum anderen für die Frage, wer strafantragsberechtigt ist. Dies ist vor allem für Familiengesellschaften wichtig, an denen ausschließlich Familienangehörige beteiligt sind, aber auch für Publikumsgesellschaften, bei denen eine Vielzahl von Anlegern als kapitalgebende Gesellschafter (Kommanditisten) beteiligt sind. So wird etwa bei einer Familien-KG eine Untreue nur auf Antrag verfolgt (vgl. § 266 Abs. 2 i.V.m. § 247 StGB). Strafantragsberechtigt ist nach § 77 Abs. 1 StGB allein der Verletzte. Sind die Gesellschafter die Verletzten, können nur sie einen Strafantrag stellen, ist die Gesellschaft als Verletzte anzusehen, steht ihr das Strafantragsrecht zu. Ebenso kann bei einer Publikums-KG – also z.B. bei geschlossenen Fonds (Alternativen Investmentfonds) der Immobilien-, Medien-, Film-, Schiffs-, Leasing-, Windkraft-, Solar- und Private Equity-Branche – hinsichtlich Untreuehandlungen nur der Verletzte einen Klageerzwingungsantrag nach § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO stellen.
II. Die traditionelle Sichtweise
Die Strafrechtsprechung geht bislang in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass es zwar eine Untreue zu Lasten von juristischen Personen gibt, nicht aber zu Lasten von Personenhandelsgesellschaften.[2] Hieran hält auch die Strafrechtswissenschaft[3] überwiegend fest.
Begründet wird diese Differenzierung damit, dass juristische Personen – wie natürliche Personen – eigenständige Rechtspersönlichkeiten und damit selbstständige Vermögensträger sind, so dass ihr Vermögen nicht nur für deren Organe, sondern auch für deren Anteilseigner rechtlich fremd ist. Dies gilt etwa für die AG, KGaA, GmbH – einschließlich der Einpersonen-GmbH, bei der zwar der geschäftsführende Gesellschafter alle Anteile hält, das GmbH-Vermögen aber für ihn dennoch fremd ist – sowie Limited und SE. Geschädigt wird durch Untreuehandlungen die juristische Person selbst. Nach h.M.[4] ist daher bei einer Untreue zu Lasten einer juristischen Person Verletzter i.S.d. § 77 Abs. 1 StGB und damit strafantragsberechtigt allein diese. Die Gesellschafter bzw. Aktionäre sind nur mittelbar verletzt und nicht strafantragsberechtigt. Angeführt wird hierfür, dass derjenige, der über eine haftungsbeschränkende Konstruktion am Wirtschaftsverkehr teilnimmt, um einen Durchgriff auf die eigene Person zu vermeiden, Anspruchsbeschränkungen gegen sich gelten lassen muss.[5] Diese Sichtweise ist im Hinblick auf die Rechtspersönlichkeit der juristischen Person konsequent. Sie wird in der Strafrechtswissenschaft aber z.T. dennoch kritisiert,[6] weil damit die „wahren“ Vermögensinhaber, die Anteilseigner, keinen Klageerzwingungsantrag stellen können.
Anders ist die Rechtslage bei Personenhandelsgesellschaften,[7] die – im Gegensatz zu natürlichen und juristischen Personen – keine Rechtspersönlichkeit besitzen. Nach der traditionellen Lehre von der individualistischen (oder gesellschaftrechtlichen) Gesamthand steht den Gesellschaftern hier das Gesellschaftsvermögen als „Objekt“ zur gesamten Hand zu.[8] Eine Kommanditgesellschaft komme als „verselbständigtes Gesamthandsvermögen“ einer juristischen Person zwar „sehr nahe“, besitze aber dennoch keine eigene Rechtspersönlichkeit.[9] Die Schädigung des Gesamthandsvermögens der Gesellschaft sei deswegen nur insoweit bedeutsam, als sie gleichzeitig das Vermögen der Gesellschafter „berührt“.[10] Konsequenz ist, dass es damit nur eine Untreue zum Nachteil der Gesellschafter geben kann. Verletzte und damit strafantragsberechtigt sind ausschließlich die Gesellschafter. Allerdings kann die Schadensberechnung sehr kompliziert sein, wenn einzelne Gesellschafter mit der Schädigung einverstanden waren, da ihr Einverständnis anteilig einen Nachteil ausschließt. In diesen Fällen ist im Hinblick auf die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Nachteilsberechnung[11] exakt zu ermitteln, wer in welcher Höhe einen Nachteil erlitten hat. Hierbei ist auf die Gesellschafteranteile im Verhältnis zur Gesamteinlage abzustellen.[12]
III. Die vordringende Auffassung
Die vordringende Auffassung will dagegen eine Untreue zu Lasten von Personenhandelsgesellschaften anerkennen.[13] Angeführt wird dafür, dass die Rechtsentwicklung im Gesellschaftsrecht schon lange vorangeschritten sei und das Strafrecht dies ignoriere. Denn bereits am 29.1.2001 hatte der II. Zivilsenat des BGH[14] ein „Jahrhunderturteil“ gefällt. Er entschied, dass die Außen-GbR Rechtsfähigkeit besitzt, soweit sie durch die Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründet (Ls. 1), und dass sie in diesem Rahmen zugleich im Zivilprozess aktiv und passiv parteifähig ist (Ls. 2). Damit folgte der Senat der Lehre von der kollektiven Einheit (oder Gruppenlehre), die zu Beginn der 1970er Jahre Werner Flume[15] – in Anknüpfung an einen von Otto v. Gierke bereits im 19. Jahrhundert entwickelten Ansatz – ausgearbeitet hatte.[16] Danach stellt die GbR zwar eine auf personenrechtlicher Verbundenheit beruhende Personenmehrheit dar, diese wird aber durch das Gesamthandsprinzip zu einer Personeneinheit. Die gesamthänderisch strukturierte GbR in Gestalt der gesellschaftsvertraglich zu einer „Gruppe“ verbundenen Gesellschafter bildet danach selbst ein Rechtssubjekt. Zuordnungssubjekt für das Gesamthandsvermögen sind daher nicht die Gesellschafter „in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit“, sondern dies ist die „Gesamthand“, die „Gruppe“. Im Schrifttum zum Gesellschaftsrecht hatte sich diese Auffassung bereits in den 1990er Jahren durchgesetzt.[17] Mit der Entscheidung des II. Zivilsenats fand die Diskussion um die Rechtsnatur der Gesamthand ihren Abschluss.
Dieser Paradigmenwechsel, mit der die Gesamthand „vom Objekt zum Subjekt“ wurde, hatte für das Gesellschaftsrecht gravierende Konsequenzen. Seitdem wird bei der Außen-GbR das Gesellschaftsvermögen der Gesellschaft selbst zugewiesen.[18] Auch bei den Personenhandelsgesellschaften (OHG und KG) hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Gesellschaften als eigenständige Rechtsträger selbst die Träger des Gesellschaftsvermögens sind.[19] Zuvor ging die Zivilrechtsprechung – wie bei der Außen-GbR – davon aus, dass Träger der im Namen einer Personenhandelsgesellschaft begründeten Rechte und Pflichten nicht ein von den Gesellschaftern verschiedenes Rechtssubjekt ist, sondern dass Träger allein die gesamthänderisch verbundenen Gesellschafter sind.[20] Damit wurde das Gesellschaftsvermögen allein den Gesellschaftern zugewiesen. Diese Sichtweise konnte aber schon vor der Änderung der Zivilrechtsprechung nicht überzeugen. Denn zentrale Vorschriften legen nahe, dass Personenhandelsgesellschaften eigenständige Rechtsträger sind, denen das Gesellschaftsvermögen selbst zugewiesen ist. So kann die Gesellschaft „Rechte“ erwerben (§ 124 Abs. 1 HGB), für die Zwangsvollstreckung ist ein gegen die „Gesellschaft“ (nicht die Gesellschafter) gerichteter Titel erforderlich (§ 124 Abs. 2 HGB), und im Fall der Liquidation ist das „verbleibende Vermögen der Gesellschaft“ anteilig unter die Gesellschafter zu verteilen (§ 155 Abs. 1 HGB).
Nach der im Strafrecht vordringenden Auffassung muss dieser Paradigmenwechsel auch für die Untreue Konsequenzen haben. Wenn den Gesellschaften das Gesellschaftsvermögen selbst zugewiesen ist, dann sei die Grundlage für die bisherige Differenzierung zwischen juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften entfallen. Für die Stellung als Verletzter sei auf die Vermögensinhaberschaft abzustellen. Deshalb müsse jetzt eine Untreue zu Lasten von Personenhandelsgesellschaften anerkannt werden. Hierfür lässt sich zudem anführen, dass die Berechnung des Nachteils in der Praxis erheblich einfacher würde,[21] da es der z.T. (sehr) komplizierten Feststellung des Nachteils der einzelnen Gesellschafter nicht mehr bedürfte.
Erheblich an Fahrt aufgenommen hat die Diskussion seit der „Hochseeschlepperentscheidung“ des 1. Strafsenats des BGH vom 10.7.2013.[22] Hierin hatte der Senat an der bisherigen höchstrichterlichen Strafrechtsprechung festgehalten. Karsten Schmidt, einer der profiliertesten Handels- und Gesellschaftsrechtler, wandte sich im Sommer 2014 in einem Aufsatz („Untreuestrafbarkeit bei der GmbH & Co. KG – kompliziert oder einfach?“[23]) gegen diese Entscheidung. Er konstatierte ein „bemerkenswertes Auseinandergehen“ der Vermögenszuordnung bei Personengesellschaften im Gesellschafts- und im Untreuestrafrecht und rief dazu auf, die bisherige Strafrechtsprechung grundsätzlich zu prüfen und den kollektiven Untreueschutz bei Eingriffen in Gesellschaftsvermögen auf eine „neue Grundlage“ zu stellen, mithin die Rechtsprechung zu ändern.
Der 1. Strafsenat des BGH war von dieser Kritik beeindruckt. Hatte er in einem Beschluss vom 23.2.2012[24] noch ausgeführt, er sehe „keine Veranlassung“, von der gefestigten Rechtsprechung der Strafsenate abzuweichen, hielt er in einem Urteil vom 9.8.2016[25] zwar daran fest, führte aber aus, dass die Rechtsprechung zur Untreue zu Lasten von Personenhandelsgesellschaften der gesellschaftsrechtlichen Rechtsstellung der Kommanditgesellschaft „möglicherweise nicht (mehr) vollständig gerecht werde“. Hierbei bezog er sich ausdrücklich auf die „bedenkenswerten Erwägungen“ von Karsten Schmidt. Diese Zweifel an der bisherigen Rechtsprechungslinie dürften maßgeblich auf Henning Radtke zurückzuführen sein, der seit Oktober 2012 dem 1. Strafsenat angehört. Bereits ein Jahr zuvor, am 19.6.2015, hatte Radtke[26] in einem Vortrag auf der NStZ-Jahrestagung 2015 der traditionellen Sichtweise zwar „ein gewisses Maß an Plausibilität“ bescheinigt, folgte aber u.a. unter Bezugnahme auf den Aufsatz von Karsten Schmidt der vordringenden Auffassung.
IV. Stellungnahme
Wie ist die Kontroverse zu entscheiden? M.E. ist aus mehreren Gründen an der traditionellen Sichtweise festzuhalten, so dass bei Untreuehandlungen zu Lasten von Personenhandelsgesellschaften weiterhin nur die Gesellschafter als Verletzte anzusehen sind.[27]
1. Fehlende Rechtspersönlichkeit
Erstens mag zwar anerkannt sein, dass Personengesellschaften, soweit sie durch die Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründen, Rechtsfähigkeit besitzen. Dennoch geht die im Gesellschaftsrecht ganz überwiegende Auffassung weiterhin davon aus, dass rechtsfähige Personengesellschaften über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen.[28] Der Charakter der (Außen-)GbR, OHG und KG als Schuldverhältnis der Gesellschafter mit gesamthänderisch strukturierter Organisation ist unverändert geblieben. Selbst wenn Personengesellschaften im Rechtsverkehr eigenständig auftreten können, sind sie – anders als Kapitalgesellschaften – keine juristischen Personen.
Zudem differenziert das gegenwärtige Recht eindeutig zwischen juristischen Personen „mit“ und rechtsfähigen Personengesellschaften „ohne“ Rechtspersönlichkeit. So unterscheidet § 14 Abs. 1 BGB zwischen natürlichen und juristischen Personen auf der einen, und rechtsfähigen Personengesellschaften auf der anderen Seite. Ebenso kann nach § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO ein Insolvenzverfahren über das Vermögen einer „Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit“ eröffnet werden, wozu nach dem erläuternden Klammerzusatz u.a. GbR, OHG und KG zählen. An dieser klaren Differenzierung ist – solange der Gesetzgeber sie nicht aufgibt – festzuhalten. Die Rechtspersönlichkeit und ihre wichtigste Ausprägung, die Rechtsfähigkeit, dürfen nicht gleichgesetzt werden.
Daher ist eine Personengesellschaft zwar aufgrund ihrer Rechtsfähigkeit zivilrechtlich Trägerin des Gesellschaftsvermögens, dies zwingt aber nicht dazu, sie aus Sicht des Strafrechts auch als die Verletzte einer Untreue anzusehen. Denn für die Stellung als Opfer einer Untreue ist die Rechtspersönlichkeit maßgebend.[29] Rechtspersönlichkeit besitzen bei rechtsfähigen Personengesellschaften aber allein die Gesellschafter. Soweit die Stellung als Opfer an die Vermögensträgerschaft geknüpft wird,[30] ist dem entgegenzusetzen, dass – zweitens (hierzu sogleich) – die personalistische Struktur von Personengesellschaften dafür spricht, bei Schädigungen des Gesellschaftsvermögens die Gesellschafter als die Untreueopfer anzusehen.
2. Personalistische Struktur
a) Grundstrukturen
Wie Karsten Schmidt[31] ausführt, liegt der „Unterschied zwischen personengesellschaftsrechtlich und körperschaftlich verfassten Rechtsträgern […] nicht in der Zuweisung des Gesellschaftsvermögens zur Gesellschaft oder zu den Gesellschaftern, sondern in der zugrunde liegenden Verbandsverfassung“. Diesbezüglich bestehen jedoch gravierende Unterschiede. Kapitalgesellschaften kennzeichnet die Trennung zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft, die mit der Eintragung im Handelsregister selbst zu einer (juristischen) Person wird; Kapitalgesellschaften sind durch die Fremdorganschaft geprägt; der Gesellschaftsvertrag ist durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss abänderbar; der Rückgang der Gesellschafterzahl lässt die Existenz der Gesellschaft unberührt, diese kann sogar als Einpersonen-Gesellschaft geführt werden.[32] Dagegen setzt eine Personengesellschaft das Vorhandensein von mindestens zwei Gesellschaftern voraus; es gilt zum einen der Grundsatz der Einstimmigkeit (der Gesellschaftsvertrag kann freilich abweichend Mehrheitsbeschlüsse vorsehen), und zum anderen der nicht dispositive Grundsatz der Selbstorganschaft; kennzeichnend ist im Übrigen die persönliche Bindung zwischen den Gesellschaftern, die gelockert, aber nicht beseitigt werden kann.[33] Kurzum: bei Personengesellschaften steht nicht wie bei Kapitalgesellschaften die kapitalmäßige Beteiligung im Vordergrund, sondern die gemeinsame Zweckverfolgung durch die einzelnen „Persönlichkeiten“. Daher rechtfertigt es bei Personengesellschaften die besondere Stellung der Gesellschafter, bei einer Schädigung des Gesellschaftsvermögens durch Untreuehandlungen allein die Gesellschafter als Opfer zu begreifen.
Fraglich ist allerdings, ob dies auch für die GmbH & Co. KG gilt. Denn im Gegensatz zur „klassischen“ KG, die aus mindestens zwei Personen (Komplementär und Kommanditist) besteht, kann hier (faktisch) eine Einpersonen-Gesellschaft vorliegen. Um eine „Einpersonen-GmbH und Co. KG“ handelt es sich dann, wenn eine natürliche Person eine Einpersonen-GmbH gründet, die als Komplementär der KG fungiert, und zugleich als Kommanditist der KG auftritt. Zudem kann bei einer GmbH & Co. KG als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH ein Nichtgesellschafter beschäftigt werden, so dass (faktisch) eine Fremdorganschaft bestehen kann. In diesen Fällen gleicht die GmbH & Co. KG (faktisch) einer Kapitalgesellschaft. Dennoch ist auch für die GmbH & Co. KG daran festzuhalten, dass nur die Gesellschafter Opfer einer Untreue sein können. Denn trotz allem handelt es sich rechtlich um eine Personengesellschaft, der die eigene Rechtspersönlichkeit fehlt.
b) Familiengesellschaften
Welche außerordentliche Bedeutung die personalistische Struktur hat, wird vor allem bei Familiengesellschaften sichtbar. Diese Gesellschaften werden in der Praxis regelmäßig in Form einer GbR oder – sofern die Haftung von Familienmitgliedern auf die Einlage beschränkt sein soll – einer KG bzw. GmbH & Co. KG geführt. Bei diesen Personen- bzw. Personenhandelsgesellschaften stehen die Familienmitglieder im Mittelpunkt. Das Gesellschafts-Konstrukt ist nur ein Vehikel, um gemeinsame Vermögenswerte zu erhalten sowie Steuervorteile zu nutzen.
Um eine solche Familiengesellschaft ging es in dem bereits erwähnten Fall, über den der 1. Strafsenat des BGH am 9.8.2016[34] entschied. Der Angeklagte, der seinem Vater als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH nachgefolgt war, hatte dem Vermögen der Familien-KG durch 567 Einzelhandlungen rund 5,4 Mio. € pflichtwidrig entnommen. Für die Strafzumessung hatte das LG Tübingen im Hinblick auf diejenigen Gesellschafter, die geschädigt worden waren, einen Nachteil im Umfang von 48 % der dem Gesellschaftsvermögen entzogenen Beträge zugrunde gelegt. Der Senat bestätigte nicht nur die Verurteilung wegen Untreue, sondern auch die Versagung der Strafmilderung nach § 46a StGB. Eine mögliche Strafmilderung war zu prüfen, weil der Angeklagte mit der Gesellschaft eine Rahmenvereinbarung abgeschlossen hatte, die zur Milderung der mit der Straftat verbundenen Folgen beitragen sollte.
Die Nichtanwendung des § 46a Nr. 2 StGB (Schadenswiedergutmachung) beanstandete der Senat nicht, weil es der wenigstens teilweisen Schadenswiedergutmachung gegenüber allen Geschädigten bedurft hätte.[35] Hieran fehlte es aber, da ein materieller Ausgleich gegenüber einem Familienstamm nicht stattgefunden hatte. Der Senat verlangte die Einbeziehung aller Gesellschafter, d.h. aller „Personen“. Würde man dagegen mit der vordringenden Auffassung die Gesellschaft als das Untreueopfer ansehen, hätte eine Schadenswiedergutmachung bejaht werden können, da es hierfür genügt, wenn nur ein Teil des Schadens wiedergutgemacht wird, das Opfer sich damit zufrieden gibt und den Täter von einer weiteren Haftung freistellt.[36] Dann könnte also der Untreuetäter über eine Vergleichsvereinbarung mit der Gesellschaft eine Strafmilderung erreichen, ohne dass den Interessen aller (Familien-)Gesellschafter entsprochen werden müsste. Damit würde aber der besonderen Stellung der Gesellschafter nicht Rechnung getragen.
Die Nichtheranziehung des § 46a Nr. 1 StGB (Täter-Opfer-Ausgleich) beanstandete der Senat gleichfalls nicht. Denn wesentlicher Inhalt der Rahmenvereinbarung sei die materielle Neuordnung, nicht die Wiederherstellung des Familienfriedens gewesen.[37] Betrachtet man die Gesellschafter als die Untreueopfer, überzeugt auch dies. Würde man dagegen auf die Gesellschaft abstellen, könnte ein immaterieller Ausgleich erfolgt sein, da der Angeklagte auf weitere Leistungen der Gesellschaft verzichtete und aus ihr ausschied. Für den Täter-Opfer-Ausgleich wäre es ausreichend, dass das Opfer die Leistung des Täters als „umfassenden, friedensstiftenden“ Ausgleich akzeptiert.[38]
Das Beispiel zeigt, dass es auch bei § 46a StGB im Hinblick auf die personalistische Struktur von Personengesellschaften – gerade bei Familiengesellschaften – sachgerecht ist, die Gesellschafter als Untreueopfer anzusehen und deren Einbeziehung in die Schadenswiedergutmachung bzw. den Täter-Opfer-Ausgleich zu verlangen. Sofern eine stärkere Ablösung von den Interessen der einzelnen Personen gewünscht ist, steht als Gesellschaftsform die GmbH zur Verfügung, die als juristische Person über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt. Wird eine GmbH geschädigt, genügt es für die Anwendung des § 46a StGB, dass mit der Gesellschaft erfolgreich Vergleichsverhandlungen geführt werden.
3. Personalistische Haftung
Drittens ist darauf hinzuweisen, dass Personenhandelsgesellschaften auch durch die personalistische Haftung geprägt sind. Die Zulassung einer Untreue zu Lasten der Gesellschaft wäre, worauf bereits Jürgen Seier hinwies, mit einer „nicht unerheblichen und bedenklichen Ausweitung der Strafbarkeit“ verbunden,[39] da dann das Gesellschaftsvermögen nicht mehr zur uneingeschränkten Disposition der Gesellschafter stünde. Denn in Bezug auf die GmbH als juristische Person folgen Rechtsprechung und überwiegendes Schrifttum[40] bekanntlich der Bestandssicherungstheorie (oder eingeschränkten Gesellschaftertheorie) und gehen davon aus, dass eine Einwilligung aller Gesellschafter einer GmbH bzw. des Alleingesellschafters bei einer Einpersonen-GmbH in eine Vermögensverschiebung, die das Stammkapital der Gesellschaft beeinträchtigt oder auf andere Weise ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet, unwirksam ist. Begründet wird dies damit, dass die GmbH als eigene Rechtspersönlichkeit am Geschäftsverkehr teilnimmt, eigenes Vermögen hat und das Stammkapital durch § 30 GmbHG insbesondere im Gläubigerinteresse erhalten wird. Der Bestand der GmbH ist daher vor den Gesellschaftern geschützt. Bei Personenhandelsgesellschaften bedarf es jedoch eines derartigen Bestandsschutzes nicht, da die vertretungsberechtigten Gesellschafter den Gläubigern gegenüber haften, und zwar persönlich, unmittelbar, unbeschränkt und auf das Ganze als Gesamtschuldner.[41]
Fraglich ist erneut, ob dies auch für die GmbH & Co. KG gilt. Denn bei ihr haftet die GmbH als Komplementärin zwar unbeschränkt mit ihrem gesamten Vermögen, aber infolge der Haftungsbeschränkung ist die Haftung wirtschaftlich betrachtet beschränkt. Damit gleicht die GmbH & Co. KG wiederum (faktisch) den Kapitalgesellschaften. Der Wirtschaftsverkehr trägt dem Umstand, dass keine natürliche Person unbeschränkt haftet, Rechnung, indem die GmbH & Co. KG weniger kreditwürdig ist. Aber auch dies ändert nichts daran, dass rechtlich eine personalistische Haftung besteht, es sich um eine Personenhandelsgesellschaft (und keine Kapitalgesellschaft) handelt.
4. Keine Abkehr des 1. Strafsenats von der Rechtsprechungslinie
Schließlich sei abschließend darauf hingewiesen, dass der 1. Strafsenat des BGH sich in seinem Urteil vom 9.8.2016 zwar kritisch zur bisherigen Rechtsprechung äußerte, die Zweifel aber offensichtlich nicht so stark waren, dass sie zur Aufgabe der bisherigen Rechtsprechungslinie zwangen. Denn dann hätten in dem Fall möglicherweise die Voraussetzungen des § 46a StGB vorgelegen, was im Hinblick auf die personalistische Struktur der Familien-KG nicht sachgerecht gewesen wäre.
V. Fazit
Eine Änderung der Rechtsprechung zur Untreue bei Personenhandelsgesellschaften ist nicht angezeigt, da dann der „personalistischen Rechtspersönlichkeits- und Haftungsstruktur“[42] dieser Gesellschaften nicht mehr Rechnung getragen würde. Erachtet man es weiterhin als richtig, dass nur die Gesellschafter Opfer einer Untreue sein können, hat dies folgende Konsequenzen:
- Schädigungen, denen ein Einverständnis aller Mitgesellschafter zugrunde liegt, sind straflos. Liegt ein Einverständnis von einem oder mehreren Gesellschaftern vor, scheidet insoweit eine Untreue aus. Ein Vermögensnachteil ist nur denjenigen Gesellschaftern entstanden, die mit der Schädigung nicht einverstanden waren. In diesen Fällen ist exakt zu ermitteln, wer in welcher Höhe benachteiligt wurde, wobei auf die Gesellschafteranteile im Verhältnis zur Gesamteinlage abzustellen ist.
- Bei einer Familien-KG ist die Strafverfolgung gemäß §§ 266 Abs. 2, 247 StGB vom Strafantrag eines Gesellschafters abhängig. Wird für den Untreuetäter eine Strafmilderung nach § 46a StGB angestrebt, ist in der Praxis darauf zu achten, dass alle Familienmitglieder in etwaige Vergleichsverhandlungen einbezogen werden.
- Bei einer Publikums-KG können Gesellschafter als Verletzte einen Klageerzwingungsantrag gemäß § 172 Abs. 2 Satz 1 StPO stellen.
- Vergreift sich der Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer Einpersonen-GmbH & Co. KG am Gesellschaftsvermögen, liegt in Bezug auf seine Kommanditisteneinlage eine straflose Selbstschädigung vor, dagegen in Bezug auf die persönlich haftende GmbH eine tatbestandsmäßige Fremdschädigung.[43]
[1] Druckfassung eines Vortrages, der auf dem Sommertreffen der WisteV am 23.9.2017 in Köln gehalten wurde.
[2] Vgl. BGHSt 34, 221 (222 f.); BGH NStZ 1987, 279; NJW 2003, 2996 (2999); NJW 2011, 3733; NStZ 2012, 151; NStZ 2013, 38; NJW 2013, 3590 (3593) – Hochseeschlepper; OLG Celle wistra 2014, 34; wohl (unausgesprochen) abweichend BGH NStZ 2004, 205 (5. Strafsenat); hierzu krit. Bittmann/Richter wistra 2005, 51 (52).
[3] Dierlamm, in MK-StGB, 2. Aufl. 2014, § 266 Rn. 201; Fischer, StGB, 64. Aufl. 2017, § 266 Rn. 113; Heger, in: Lackner/Kühl/Heger, 28. Aufl. 2014, § 266 Rn. 3; Jahn/Ziemann, in: Leitner/Rosenau (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2017, § 266 Rn. 45; Kindhäuser, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 266 Rn. 95; Perron, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 266 Rn. 39a; Schramm, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 5 B Rn. 33; Schünemann, in: LK-StGB, Bd. 9/1, 12. Aufl. 2012, § 266 Rn. 262; Wessing NZG 2014, 97; Wittig, in: Beck-OK-StGB, 36. Edition Stand 1.11.2017, § 266 Rn. 11.
[4] Zur AG: OLG Braunschweig wistra 1993, 31; OLG Frankfurt a.M. NJW 2011, 691 – Kirch/Deutsche Bank; zur GmbH: OLG Celle NJW 2007, 1223; OLG Stuttgart NJW 2001, 840; Esser, in: AnwK-StGB, 2. Aufl. 2015, § 266 Rn. 238; aA Seier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, 5/2 Rn. 13; Kindhäuser, in: NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 266 Rn. 129.
[5] OLG Frankfurt a.M. NJW 2011, 691.
[6] Schünemann, in LK-StGB, Bd. 9/1, 12. Aufl. 2012, § 266 Rn. 212: „kriminalpolitisch äußerst misslich“.
[7] Vgl. BGH NJW 2003, 2996 (2999); NJW 2011, 3733; NStZ 2013, 38; NJW 2013, 3590 (3593) – Hochseeschlepper; OLG Celle wistra 2014, 34.
[8] Seier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, 5/2 Rn. 362.
[9] BGH StV 1984, 119.
[10] BGHSt 34, 221 (222 f.) = BGH NJW 1987, 1710.
[11] BVerfGE 126, 170 = BVerfG NJW 2010, 3209 (3218).
[12] BGH NJW 2013, 3590 (3593) – Hochseeschlepper.
[13] Grunst BB 2001, 1537 (1538); Brand ZWH 2014, 23; Golombek WiJ 2014, 84 (93); monografisch Soyka, Untreue zum Nachteil von Personengesellschaften, 2008, S. 96 ff., 259 ff.; Brand Untreue und Bankrott in der KG und GmbH & Co KG, 2010, S. 210 ff.; Stölting, Das Tatbestandsmerkmal des fremden Vermögens bei der Untreue zum Nachteil von Personengesellschaften am Beispiel der GmbH & Co. KG, 2010, S. 88 f., 116 f., 126; vgl. auch bereits Richter GmbHR 1984, 137 (146); H. Schäfer NJW 1983, 2850 (2851).
[14] BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056.
[15]Flume ZHR 136 (1972), 177 ff.
[16] Schäfer, in: MK-BGB, Bd. 5, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 298.
[17] Schäfer, in: MK-BGB, Bd. 5, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 300.
[18] Vgl. nur Grunewald, Gesellschaftsrecht, 10. Aufl. 2017, Erster Teil Rn. 105.
[19] Vgl. zur OHG Roth, in: Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 124 HGB Rn. 3; über § 161 Abs. 2 HGB gilt dies ebenso für die KG.
[20] BGHZ 110, 127, 128 f. = BGH NJW 1990, 1181; BGHZ 34, 293 = BGH NJW 1961, 1022.
[21] Vgl. bereits Bittmann/Richter wistra 2005, 51 (54).
[22] BGH NJW 2013, 3590 m. Anm. Brand.
[23] Karsten Schmidt, JZ 2014, 878 ff.
[24] BGH NStZ 2013, 38.
[25] BGH ZWH 2017, 16 (Rn. 25) (= BGH BeckRS 2016, 15481; insoweit nicht abgedruckt in BGH wistra 2016, 486 ff.).
[26] Radtke NStZ 2016, 639 ff.
[27] Vgl. auch Waßmer, in: Graf/Jäger/Wittig (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2017, Rn. 63; ders. ZWH 2017, 20 ff.
[28] Vgl. nur Schäfer, in: MK-BGB, Bd. 5, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 308 m.w.N.
[29] Wessing NZG 2014, 97 (98).
[30] Brand NJW 2013, 3594.
[31] Karsten Schmidt, JZ 2014, 878 (881).
[32] Schäfer, in: MK-BGB, Bd. 5, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 295.
[33] Schäfer, in: MK-BGB, Bd. 5, 7. Aufl. 2017, § 705 Rn. 308 f.
[34] BGH ZWH 2017, 16 ff. (= BeckRS 2016, 15481 = wistra 2016, 486 ff.) m. Anm. Waßmer.
[35] BGH ZWH 2017, 16 (Rn. 17 ff.).
[36] Vgl. BGH NJW 2001, 2557 (2558).
[37] BGH ZWH 2017, 16 (Rn. 22 ff.).
[38] Vgl. BGH NStZ 2015, 263.
[39] Seier, in: Achenbach/Ransiek/Rönnau (Hrsg.), Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2015, 5/2 Rn. 364.
[40] Vgl. nur BGHSt 49, 147 (157 ff.) – Bremer Vulkan; BGHSt 55, 266 Rn. 34 – Trienekens; Waßmer, in: Graf/Jäger/Wittig (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 266 Rn. 148 m.w.N.
[41] Zur OHG Roth, in: Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 128 HGB Rn. 1.
[42] Schramm, in: Momsen/Grützner (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht, 2013, Teil 5 B Rn. 33.
[43] Vgl. BGH NStZ 1987, 279.