Franziska Stapelberg

Schneider/Geckert, Verhaltensorientierte Compliance – Ansätze und Methoden für die betriebliche Praxis

Erich Schmidt Verlag, Berlin 2017, 211 S., ISBN 978-3-503-16667-1, EUR 34,95.

Aus Sicht der Rezensentin ist das von Schneider/Geckert 2017 veröffentlichte Werk „Verhaltensorientierte Compliance – Ansätze und Methoden für die betriebliche Praxis“ unter zweierlei Gesichtspunkten zu betrachten. Zum einen stellt es eine – grundsätzliche – Einführung in die spezifischen verhaltenswissenschaftlichen Ansätze insofern dar, als dass sie für die praktische Compliance im Unternehmen von Bedeutung sind.

Zum anderen richten sich die Autoren, auch nach eigenen Angaben, an „Praktiker“ im Sinne von – erfahrenen – Compliance Officern bzw. Compliance Managern sowie Mitarbeiter/innen von Compliance Abteilungen, welche gewillt sind, Compliance aus einer „erweiterten und veränderten Perspektive“ (S. 6) zu betrachten; diese ist vor allem eine außerhalb der Rechts- und/oder Wirtschaftswissenschaften. Mit dieser Darstellung der verhaltenswissenschaftlichen Perspektive zur Compliance wollen die Autoren auf die „bestehenden Fundamente aufbauen“ und diese „nicht einreißen“, sondern vielmehr den „weiteren Ausbau optimieren“ (S. 102). Das Einnehmen dieser Perspektive ermögliche der Compliance insofern bspw. eine „veränderte, bessere Wahrnehmung der Realität im Unternehmen“ (S. 164).

Hierzu führt das Werk der Autoren durch verschiedene verhaltenswissenschaftliche Aspekte bzw. über verschiedene verhaltenswissenschaftliche Betrachtungsebenen:

Im ersten Kapitel (S. 15 ff.) werden zunächst die „Grundlagen“ der Verhaltenswissenschaften dargestellt. Im Unterkapitel über die „Notwendigkeit der verhaltenswissenschaftlichen Perspektive“ für die Compliance (S. 17 ff.) wird zunächst dargestellt, was „die Verhaltenswissenschaft und die Compliance miteinander zu tun haben“ (S. 17). Hier wird in mehreren Abschnitten bspw. dargestellt, weshalb in der zunehmenden Komplexität der Wirtschaftswelt und ebenso aufgrund der Veränderungen von Mitarbeiter-Strukturen (so u.a. durch Internationalisierung) kein „one size fits all“-Umgang mit den Mitarbeitern des Unternehmens (mehr) möglich ist und sich dies – selbstverständlich – auch auf die Gestaltung der Compliance eines Unternehmens auswirkt (S. 20). Dem – möglicherweise – bestehenden Vorurteil des damit „weichen“ Ansatzes für die Compliance, die „eine eindeutige Position gegenüber der Einhaltung bzw. dem Verstoß der relevanten Gesetze und unternehmensinternen Vorgaben“ vertritt („Null-Toleranz-Politik“) wird im Abschnitt „Kuscheln statt prüfen? – Diskutieren statt umsetzen?“ (S. 18 f.) entgegen getreten. Denn die verhaltenswissenschaftliche Perspektive impliziere nicht, „dass Vorgaben aufgeweicht und Verstöße bagatellisiert“ würden, denn die „Ziele der Compliance“ änderten sich nicht, „allerdings die Wege zu ihrer Zielerreichung“ (S. 19). Im Anschluss werden im weiteren Kapitel „Ansprüche und Möglichkeiten“ (S. 33 ff.) erörtert, die mit der ´Empfehlung` „Nach der Lektüre“ (S. 37) schließen.

Im zweiten und ausführlichsten Teil des Werks (S. 39 bis 103) widmen sich die Autoren dem „Individuum“, wobei sich dieses auf den Leser als Compliance Officer bezieht. Es wird in den einzelnen Abschnitten eingegangen auf das „Individuum“ (S. 39 f.), „Person und Persönlichkeit“ (S. 40 ff.), „Intelligenz“ (S. 47 ff.), „Wahrnehmung“ (S. 52 ff.), „Wissen“ (S. 59 ff.), „Lernen“ (S. 65 ff.), „Motivation“ (S. 73 ff.) und „Handeln“ (S. 85 ff.) des Individuums bis hin zur „Diskrepanz zwischen Person und Situation“ (S. 92 ff.). Im letzten Unterkapitel wird „der Compliance Officer als Individuum“ (S. 97 ff.) behandelt, wobei die Autoren zunächst darauf eingehen, ob „die überwiegende Anzahl der Compliance Officer vergleichbare Merkmale“ besitzen, die „für die Berufsausübung von Relevanz“ sind, um trotz – zuvor dargestellter und betonter – Individualität des Einzelnen nun „allgemeine pauschalierende Ausführungen“ (S. 97) treffen zu können. Neben der „Homogenität“ aufgrund der Studienfächer wie insbesondere der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften (S. 98 f.), werden auch die „Sozialisation“ und ihre „Auswirkung auf die Tätigkeit“ als Compliance Officer (S. 99 f.) herangezogen.

Im dritten Kapitel (S. 105 ff.) werden aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht die „Gruppen“ betrachtet, wobei zum einen auf die Compliance Abteilung als Gruppe wie auch auf weitere Gruppen innerhalb und außerhalb des Unternehmens abgestellt wird. Auf die Definition der „Gruppen“ (S. 105 ff.) folgen die „Aspekte sozialer Gruppen“ (S. 107 ff.), die Darstellung von „geschlossenen Gruppen“ (S. 111 ff.) und die „Erfolgsfaktoren einer Gruppe“ (S. 119 ff.). Des Weiteren werden die „Kommunikation“ innerhalb einer Gruppe, wie auch „Gruppenkonflikte“ und „Macht“ innerhalb einer Gruppe betrachtet. Im Anschluss wird die Frage gestellt (und beantwortet), ob die „Compliance-Organisation“ eine „Gruppe“ (S. 144 ff.) im vorangestellten Sinne ist.

Im vierten Kapitel widmen sich die Autoren der „Organisation“ (S. 147 ff.) und damit dem Teil, „auf welchen sich Veröffentlichungen zur Compliance primär beziehen“ (S. 147). Ab hier „ändert sich die Perspektive des Buches (…), es erfolgt verstärkt der Übergang von der Beschreibung und Erklärung zur praktischen Umsetzung“ (S. 148). Im Unterkapitel „Kultur“ (S. 148 ff.) werden insbesondere „Unternehmens- und Compliance-Kultur“ betrachtet, das Unterkapitel „Ethik“ (S. 155 ff.) behandelt u.a. Wirtschaftsethik („Ethik für die Wirtschaft“, S. 157) und Ethik im Unternehmen. Im Abschnitt „Führungskonzepte und -stile“ (S. 164 ff.) werden „aus der Fülle der Konzepte, die die Betriebswirtschaft hervorgebracht hat“ (S. 165) einige vorgestellt, wobei für die Compliance insbesondere das der „wertorientierten Führung“ (S. 167) besprochen wird bzw. von Bedeutung ist. Das letzte Unterkapitel „Lernen im Unternehmen“ (S. 175 ff.) mündet im ausführlich dargestellten Vergleich der Compliance mit anderen Organisationen die eine „Null-Fehler-Politik verfolgen bzw. verfolgen müssen“, denn „bei allen Unterschieden – bspw. zu einem Krankenhaus – vertritt sicherlich auch die Compliance den Anspruch, dass keine Fehler bzw. Verstöße vorkommen“ (S. 184). Die Autoren ziehen hier anhand des Beispiels des von der Flugsicherheitsbehörde entwickelten „Cockpit- oder Crew Resource Management Program (CRM)“ die Parallele zum Umgang mit (Flug-)Unfällen, die aufgrund „mangelhafter Kommunikation und undurchsichtiger Entscheidungsprozesse“ letztlich vermeidbar gewesen wären.

Im letzten Kapitel „Eine wirksame Compliance“ (S. 187 ff.) betonen die Autoren nochmals den von ihnen erhobenen „Anspruch, mittels der verhaltenswissenschaftlichen Perspektive die Compliance wirksamer zu gestalten“ (S. 187). Der Leser soll „mit Hilfe der erläuterten Instrumente in dieser Lektüre (…) in der Lage sein, eigene Lösungen für den eigenen individuellen Kontext zu entwickeln“ (S. 189). Im Weiteren legen die Autoren u.a. Verhalten in den Bereichen „Legalität und Legitimität“ (S. 193 ff.) erklärend dar, insbesondere auch in ihren einzelnen Schnittmengen (Bsp. „Illegal und Illegitim“, S. 194 und „Legal und Illegitim“, S. 194 f.). Aus der Sicht von Compliance sollten „alle Handlungen des Unternehmens“ auf den ersten Blick `natürlich` in den Bereichen „legal und legitim“ (S. 191) erfolgen, was wiederum zur Folge hätte, dass damit die Aufgabe von Compliance schlicht auf Information und Beratung beschränkt bliebe (S. 193).

Ebensolche Schlussfolgerungen regen, nach Ansicht der Rezensentin, zum von den Autoren ´gewünschten´ Nachdenken an, immerhin beenden sie ihr Vorwort mit dem Zitat „Schließlich bereitet das Selbst-Denken in Vielfalt mehr Spaß als das Nach-Denken in Einfalt“ (S. 7; Hedtke,Wirtschaftssoziologie, Konstanz 2014, S. 12).

Insgesamt bieten die Ausführungen theoretischer bzw. verhaltenswissenschaftlicher Natur nicht durchweg eine ´leichte Lesbarkeit´. Das mag, dies sei zugestanden, jedoch auch daran liegen, dass Verantwortliche im Bereich Compliance zumeist in rechts- und/oder betriebswissenschaftlichen Kategorien bzw. Perspektiven denken, handeln und sich – gewohnheitsmäßig – auch diesbezüglichen Veröffentlichungen bzw. Neuerungen widmen. Positiv hervorzuheben ist, dass die Autoren durchweg eine bildliche Sprache verwenden und anhand vieler Beispiele erklären und verdeutlichen. Einige der Erläuterungen sind anhand von Abbildungen visualisiert.

Die Darstellungen aller Praxisbereiche, welche bspw. die Compliance im Allgemeinen, den Compliance Officer als Person oder in seiner Tätigkeit betreffen, zeugen, wie auch die Ausführungen zur Compliance Organisation, von großer Praxis und Erfahrung der Autoren in diesen Bereichen. Ebenso verhält es sich mit Aussagen zum Unternehmen als Ganzem, der Unternehmensleitung sowie dem Verhältnis von Compliance und Unternehmensleitung.

Nach Auffassung der Rezensentin ist das Werk von Schneider/Geckert sehr gut geeignet, die Einnahme einer neuen – verhaltenswissenschaftlichen – Perspektive zur „gewohnten“ Tätigkeit, in concreto der tagtäglichen Arbeit innerhalb oftmals gewachsener Compliance-Strukturen eines Unternehmens, anzuregen. Aus Sicht der Rezensentin betonen die Autoren richtigerweise dazu an diversen Stellen, dass das Buch „durchaus als `Appetitanreger´ verstanden werden darf (S. 37). Wiederkehrend weisen sie außerdem darauf hin, dass der Leser am Ende der Lektüre nur selbst beurteilen kann, ob die Verbindung der fachlichen Disziplinen gerechtfertigt ist, insbesondere da die abschließende Einschätzung und Bewertung ohnehin nur im praktischen Einsatz möglich sei (S. 17). Der Aussage, dass dem Leser – in Erwartung des selbst formulierten Anspruchs der Autoren – durch die Lektüre tatsächlich „Instrumente“ (S. 187), verstanden im `herkömmlichen` Sinne, an die Hand gegeben werden, kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden – dem Anspruch, nach der Lektüre eine `ganz andere´, also verhaltenswissenschaftliche, Perspektive in vielen Facetten auf die Compliance einnehmen zu können, dafür umso mehr.

Autorinnen und Autoren

  • Franziska Stapelberg
    Syndikusrechtsanwältin im Bereich Datenschutzrecht in Köln.

WiJ

  • Dr. Elias Schönborn , Jan Uwe Thiel

    Gesetzliche Regelungen zur Handy-Sicherstellung sind verfassungswidrig (Österreich)

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht