Dr. Laura Görtz

BGH: Implementierung und Optimierung eines Compliance-Management-Systems kann Geldbuße nach § 30 OWiG mindern

Anmerkung zu BGH, Urteil vom 09.05.2017 – 1 StR 265/16 = BGH wistra 2017, 390 ff.

1. Für die Bemessung einer Geldbuße nach § 30 Abs. 1 OWiG ist von Bedeutung, inwieweit das betroffene Unternehmen seiner Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein „effizientes“ Compliance-Management-System installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt ist.

2. Bei der Bemessung der Geldbuße kann zudem eine Rolle spielen, ob das Unternehmen in der Folge des aufgedeckten Normverstoßes seine entsprechenden Regelungen optimiert und seine betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.

(Leitsätze der Verfasserin)

I. Rechtliche Einordnung der Entscheidung

Der BGH geht in seiner Entscheidung vom 09.05.2017 davon aus, dass dem Unternehmen im konkreten Fall die „Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden“[1], oblag und es dieser Pflicht nachkommt, indem es „ein effizientes Compliance-Management installiert“[2]. Diese Aussage ist keinesfalls selbstverständlich, denn die Frage, ob eine (mittelbare) Rechtspflicht zu Compliance-Maßnahmen besteht ist auch in der Literatur nicht unumstritten.[3]

1. Zivilrechtliche Haftung von Unternehmensverantwortlichen

Den größten Impuls seitens der Rechtsprechung setzte hierzu 2013 das LG München I mit der sog. Siemens/Neubürger-Entscheidung.[4] Das LG München I urteilte, dass Vorstandsmitglieder ein Unternehmen so organisieren und beaufsichtigen müssen, dass keine Gesetzesverstöße begangen werden. Dieser Pflicht genüge ein Vorstand „bei entsprechender Gefährdungslage nur dann, wenn er eine auf Schadensprävention und Risikokontrolle angelegte Compliance-Organisation einrichtet. Entscheidend für den Umfang im Einzelnen sind dabei Art, Größe und Organisation des Unternehmens, die zu beachtenden Vorschriften, die geografische Präsenz wie auch Verdachtsfälle aus der Vergangenheit.“[5] Das LG München I ließ dabei offen, ob sich diese Pflicht aus der allgemeinen Leitungsverantwortung des Vorstands gem. §§ 76 Abs. 1, 93 Abs. 1 AktG[6] oder aus der Organisationspflicht des § 91 Abs. 2 AktG herleitet.[7] Verletzen Vorstandsmitglieder ihre Pflicht zur Einrichtung eines Compliance-Management-System, so können sie sich gem. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG schadensersatzpflichtig machen.

2. Ordnungswidrigkeitenrechtliche Bebußung

Neben dieser zivilrechtlichen Komponente können gegen Unternehmensverantwortliche auch Geldbußen wegen einer Verletzung der Aufsichtspflicht gem. § 130 OWiG verhangen werden, wenn sie Aufsichtsmaßnahmen unterlassen und eine betriebsbezogene Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen wird, die durch die „gehörige Aufsicht“ verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre.

Die Verletzung der Aufsichtspflicht ist zugleich der praktisch bedeutsamste Fall einer Pflichtverletzung, die als Anknüpfungspunkt für die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße gem. § 30 OWiG dient.[8] Denn der Täter einer Anknüpfungstat des § 30 OWiG muss eine im Gesetz näher definierte Leitungsperson sein. Betriebsbezogene Gesetzesverstöße werden jedoch oftmals von Mitarbeitern begangen, die – mangels Leitungsposition – nicht in den Kreis der tauglichen Täter des § 30 OWiG einzuordnen sind. Teilweise ist auch der Nachweis einer vermuteten Beteiligung schwer zu führen. § 130 OWiG dient nun als „Transmissionsriemen“[9] zur Schließung dieser „Sanktionslücke“[10]: Bezugstat ist nicht die von dem Mitarbeiter begangene Tat, sondern die Aufsichtspflichtverletzung gem. § 130 OWiG des Betriebsinhabers bzw. der gem. § 9 OWiG dem Betriebsinhaber gleichgestellten Vertreter und Organe.

3. Zumessung der Unternehmensgeldbuße

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 09.05.2017 als Ausgangspunkt für die Bemessung des Ahndungsteils der Unternehmensgeldbuße auf die Tat der Leitungsperson abgestellt. Dabei bestimme die Schuld der Leitungsperson auch gegenüber dem Unternehmen den Umfang der Vorwerfbarkeit und sei „Grundlage für die Bemessung des Bußgeldes“.[11] Damit stellt der BGH auf eine entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG bei der Zumessung von Geldbußen gegenüber Unternehmen ab. Nach § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG ist Grundlage für die Zumessung der Geldbuße gegenüber natürlichen Personen die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft. Die entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG auf die Unternehmensgeldbuße entspricht der mittlerweile überwiegenden Meinung in der Literatur.[12]

In der Literatur werden jedoch seit längerem auch „überindividuelle Kriterien“[13], die sich nicht an der Anknüpfungstat, sondern an dem Unternehmenshandeln orientieren, für die Bemessung von Unternehmensgeldbußen gefordert. Damit sind in der Regel Kriterien zur Beurteilung eines Compliance-Management-Systems gemeint.[14]

In der Begründung der 8. GWB-Novelle hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Erhöhung des Bußgeldhöchstmaßes in § 30 OWiG erklärt, dass ein effektives Compliance-Management-System als unternehmensbezogener Umstand bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden kann. In welchem Maße dies erfolgt, müssten die Behörden und Gerichte im Einzelfall beurteilen.[15] Die Entscheidung des BGH vom 09.05.2017 macht einen ersten Schritt in diese Richtung.

II. Das Urteil des BGH

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Jahre 2001 verkaufte ein deutsches Rüstungsunternehmen 24 Panzerhaubitzen an den griechischen Staat. Über eine Beratungsgesellschaft zahlte das Rüstungsunternehmen – als Provisionen verdeckt – Bestechungsgelder an den damaligen griechischen Verteidigungsminister. Der Angeklagte war ein leitender Angestellter des im Verfahren nebenbeteiligten Rüstungsunternehmens. Er gab die Provisionsrechnung der Beratungsgesellschaft in Höhe von ca. EUR 1,6 Mio. zur Zahlung frei. Die Rechnung wurde beglichen und entgegen § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG als Betriebsausgabe steuerlich in Abzug gebracht. Hierdurch entstand dem Rüstungsunternehmen ein nicht gerechtfertigter Steuervorteil. Das LG München I verurteilte den Angeklagten in der Vorinstanz wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung und verhängte gegen das Rüstungsunternehmen eine Geldbuße gem. § 30 OWiG.

Der BGH beschäftigte sich im Revisionsverfahren u.a. mit der Frage, ob Ermittlungen ausländischer Behörden eine Tatentdeckung i. S. d. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO darstellen können und somit zum Ausschluss einer strafbefreienden Selbstanzeige führen, was er im konkreten Fall bejahte. Auch befasste er sich mit der Frage, ob die Beteiligung an einer Bestechung eine Garantenpflicht für die Erfüllung steuerlicher Pflichten auslösen kann, was er verneinte.

Für die Compliance-Praxis ist das obiter dictum des BGH zur Bemessung der Unternehmensgeldbuße von zentraler Bedeutung: Demnach ist für die Bemessung der Geldbuße von Bedeutung, „inwieweit die Nebenbeteiligte ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt sein muss […]. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob die Nebenbeteiligte in der Folge dieses Verfahrens entsprechende Regelungen optimiert und ihre betriebsinternen Abläufe so gestaltet hat, dass vergleichbare Normverletzungen zukünftig jedenfalls deutlich erschwert werden.“

III. Anmerkungen

1. Zweckmäßigkeit der Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldbemessung

Ein derartiges Signal aus der Rechtsprechung ist in der Praxis lange erwartet worden. Die Literatur geht schon seit längerem überwiegend davon aus, dass Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldbemessung zu berücksichtigen sind.[16] Neben den allgemeinen Zumessungskriterien der Unternehmensgeldbuße aus § 17 OWiG müssten – wie oben bereits angeklungen – auch unternehmensbezogene Kriterien bei der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung finden.[17] So ist eine kriminogene oder erkannt fehlerhafte Unternehmensstruktur bußgelderhöhend zu berücksichtigen, während dem entgegenwirkende, effektive Compliance-Maßnahmen sich mildernd auswirken müssen.[18] Ebenso kann die Häufigkeit gleichartiger Verstöße in dem Unternehmen[19] und die fehlerhafte Auswahl von Unternehmensverantwortlichen[20] eine Rolle spielen.

Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Einführung der Unternehmensgeldbuße soll diese verhindern, dass die Vorteile kriminellen Handelns bei dem Unternehmen verbleiben, ohne dass es Sanktionsmöglichkeiten ausgesetzt ist.[21] Die Unternehmensgeldbuße stellt die Bebußung einer überpersonalen Einheit dar. Diese muss sich die Tat des Bezugstäters als eigene zurechnen lassen.[22] So wie das Unternehmen auf wirtschaftlichem Gebiet Vorteile aus dem Handeln der Unternehmensverantwortlichen zieht, muss es auch für etwaige Gefahren haften, die aus der wirtschaftlichen Betätigung entstehen. Das Unternehmen soll nicht bessergestellt sein als z. B. ein Einzelunternehmer, dessen unternehmerisches Handeln sich strafrechtlich zurechenbar bewerten lässt.[23]

In präventiver Hinsicht soll demnach verdeutlicht werden, dass nachteilige Folgen von Normverstößen nicht nur – möglicherweise identifizierbare – Personen treffen können, sondern auch das Unternehmen an sich. Die Unternehmensgeldbuße richtet sich gegen die „organisierte Unverantwortlichkeit“.[24] Unternehmen sollen daraus den Schluss ziehen, dass Maßnahmen zu ergreifen sind, die Straftaten und Ordnungswidrigkeiten verhindern. Dieser gesetzgeberische Zweck würde konterkariert, wenn ein Unternehmen, das umfangreiche Compliance-Maßnahmen unternimmt, bei der Bußgeldbemessung mit einem Unternehmen, das keine Compliance-Maßnahmen unternimmt oder Gesetzesverstößen gar Vorschub leistet, gleichgestellt würde.

2. Implementierung eines Compliance-Management-Systems

a) Keine gesetzlichen Vorgaben zur Effektivität eines Compliance-Management-Systems

Der BGH hält in seiner Entscheidung fest, dass ein „effizientes Compliance-Management“, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt ist, zu einer Bußgeldminderung führen kann. Compliance-Maßnahmen bieten somit die Möglichkeit einer „Compliance Defence“. Waren Behörden und Gerichte bereits in der Vergangenheit aufgeschlossen für eine Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen bei der Bußgeldbemessung, ist diese Vorgehensweise nun höchstrichterlich bestätigt.

Es drängt sich allerdings die Frage auf, ob bei der Bußgeldbemessung tatsächlich die Effizienz von Compliance-Maßnahmen im Sinne eines möglichst günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnisses zwischen den Compliance-Maßnahmen und den erzielten Ergebnissen berücksichtigt werden soll. Naheliegend ist, dass der BGH hier auf die Effektivität der Compliance-Maßnahmen, also die Wirksamkeit zur Zielerreichung, abstellt. Denn es scheint, als wolle er ein Unternehmen belohnen, das wirksame Maßnahmen einführt und nicht ein solches, das weitgehend das Kosten-Nutzen-Verhältnis betrachtet.

Gesetzliche Vorgaben, an denen die Effektivität eines Compliance-Management-Systems gemessen wird, bestehen in Deutschland nicht. Es existieren – abgesehen von einzelnen branchenspezifischen Regelungen wie etwa § 25a KWG – keine Vorgaben, aus welchen Komponenten ein Compliance-Management-System bestehen soll.

b) Ansätze in anglo-amerikanischen Rechtsordnungen

Eine Orientierungshilfe oder auch ein Vorbild für eine deutsche Regelung könnten die in anglo-amerikanischen Rechtsordnungen niedergelegten Grundsätze bieten. So enthält etwa der UK Bribery Act des Vereinigten Königreiches einen Katalog von Compliance-Maßnahmen, deren Einhaltung zu einer Haftungsbegrenzung führen kann. Der UK Bribery Act sieht vor, dass ein Unternehmen, das über sog. adequate procedures zur Verhinderung von Bestechungstaten verfügt und diese Abläufe nachweisen kann, nicht zur Verantwortung gezogen wird.[25] Als Anhaltspunkte für das Vorhandensein von adequate procedures werden folgende Instrumentarien beschrieben: Analyse der Risiken des Unternehmens, Verpflichtung der Mitarbeiter zu präventiven Maßnahmen im Rahmen von praxistauglichen Richtlinien und Handlungsanweisungen, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Geschäftspartnern, Implementierung und Effektivierung eines Compliance-Programms sowie dessen Überwachung und regelmäßige (externe) Überprüfung.[26]

Auch die Federal Sentencing Guidelines for Organizations des US-amerikanischen Rechts definieren Merkmale eines wirksamen Compliance-Managament-Systems, wie z. B. das Bestehen eines Verhaltenskodex, die Überwachung der Implementierung und der Effektivität des Compliance-Systems durch die Unternehmensführung oder auch Compliance-Schulungen von Mitarbeitern.[27] Im Sinne der Rechtssicherheit wäre es wünschenswert, dass auch in Deutschland entsprechende Orientierungspunkte gesetzlich fixiert werden.[28]

c) IDW Prüfungsstandard 980

Eine Orientierung kann auch der durch das Institut der Wirtschaftsprüfer veröffentlichte Prüfungsstandard 980 bieten. Er dient als Grundlage für die freiwillige Prüfung der Existenz der wesentlichen Elemente eines Compliance-Management-Systems durch Wirtschaftsprüfer. Der Prüfungsstandard basiert auf sieben Grundelementen (Compliance-Kultur, -Ziele, -Programm, -Organisation, -Kommunikation, -Überwachung und -Verbesserung). Eine positive Prüfung des Compliance-Management-Systems kann bei einer Verteidigung gegen eine Unternehmensgeldbuße oder Schadensersatzansprüche hilfreich sein.[29] Die vereinzelt in der Literatur umschriebene pauschale Enthaftungswirkung[30] besteht jedoch nicht.[31] Führungspersonen werden sich oder das Unternehmen nicht mit dem pauschalen Verweis auf eine standardisierte Prüfung exkulpieren können. Entscheidend ist vielmehr, wie sie mit rechtlichen Risiken im Einzelfall umgehen.[32] In Bezug auf den Prüfungsstandard 980 wird u.a. kritisiert, dass er nicht alle Risiken abdeckt.[33] Zudem ist fraglich, ob eine Prüfung betriebswirtschaftlicher Abläufe dazu geeignet ist, den Umgang mit rechtlichen Risiken zu evaluieren. Letztendlich besteht für eine pauschale zivilrechtliche oder ordnungswidrigkeitenrechtliche Enthaftung aufgrund einer positiven Prüfung schlicht keinerlei gesetzliche Grundlage.

d) Rückschaufehler

aa) Veränderung der „best practice“

Problematisch ist, dass Gerichte und Behörden regelmäßig ex ante über die Frage, ob ein effektives Compliance-Management-System bestand, entscheiden werden. Im vorliegenden Fall hat der BGH im Jahre 2017 dem Landgericht München I aufgegeben zu berücksichtigen, ob Ende der 1990er/Anfang der 2000er Jahre ein effektive Compliance-Management-System bei dem Rüstungsunternehmen bestand. Ein Compliance-System also, das vor der großen, öffentlichen Compliance-Diskussion Mitte/Ende der 2000er Jahre bestand. Dies birgt die Gefahr eines Rückschaufehlers.[34] Behörden und Gerichte könnten vom aktuellen Stand der „best practice“ zum Umgang mit Risiken auf mangelnde Compliance-Maßnahmen in der Vergangenheit schließen.

In den kommenden Jahren ist weiterhin mit erheblichen Veränderung der „best practice“ und einer Steigerung der Intensität von Compliance-Maßnahmen zu rechnen. Zum einen wird Legal Tech weiter reifen und sich verstärkt verbreiten. Zum anderen werden gerade kleinere und mittlere Unternehmen Compliance-Management-Systeme einrichten und weiter ausbauen. In beiden Bereichen ist die Compliance-Landschaft bereits heute eine gänzlich andere als vor 5 Jahren. Derartige Aspekte müssen Behörden und Gerichte in Zukunft bei der Bußgeldbemessung berücksichtigen.

bb) Veränderung von Risiken

Auch die Risiken, welche Unternehmen bei dem Aufbau ihres Compliance-Management-Systems in den Blick nehmen, verändern sich im Laufe der Zeit. Dies gilt z.B. für Länderrisiken. Hatte sich die Türkei 2012 zu einem nach dem Corruption Perceptions Index von Transparency International „less corrupt“ Land entwickelt, liegt sie heute wieder eindeutig im „more corrupt“ Bereich. Politische Krisen in einem Tätigkeitsgebiet oder einer Nachbarregion können sowohl die tatsächlichen Risiken erheblich verändern, als auch nur zu einer stark veränderten Wahrnehmung von Risiken führen.

Ebenso passen sich die Methoden von Straftätern den bekannten Präventionsmaßnahmen an. Dies gilt etwa für die Methoden zur Geldwäsche, die sich stets neu an dem aktuellen Standard der Geldwäscheprävention und den damit verbundenen Entdeckungsrisiken ausrichten. Ein heute unter Fachleuten allgemein bekannter Weg zur Einschleusung illegaler Mittel in den Wirtschaftskreislauf, muss vor 2 Jahren noch nicht „erfunden“ gewesen sein. Diese Dynamik in der Risikoeinschätzung birgt ebenfalls die Gefahr eines Rückschaufehlers.

Es besteht die Möglichkeit alle Schritte zum Aufbau und zur Erweiterung eines Compliance-Management-Systems von der Risikoanalyse über die Implementierung neuer Prozesse bis hin zur Evaluierung und Überwachung zu dokumentieren. Mit dieser Entwicklungsdokumentation kann später dargelegt werden, dass das Compliance-Management-System immer der aktuellen „best practice“ entsprach.

3. Optimierung des Compliance-Management-Systems

Die Entscheidung des BGH bedeutet jedoch nicht nur eine Rückschau auf das Compliance-System in der Vergangenheit, sondern auch, dass Compliance-Maßnahmen als Folge des aufgedeckten Normverstoßes zugunsten des Unternehmens bei der Bußgeldbemessung berücksichtigt werden können. Dieser Teil des obiter dictums wird in der Literatur teilweise mit der Selbstreinigung nach § 125 GWB verglichen.[35] § 125 GWB sieht jedoch neben der Optimierung von Compliance-Maßnahmen auch einen Schadensausgleich sowie eine interne Ermittlung und Kooperation mit den Behörden vor. So weit ist der BGH in seiner Entscheidung vom 09.05.2017 nicht gegangen. Dennoch wird es regelmäßig erforderlich sein, die Gründe für den Compliance-Verstoß intern zu ermitteln, um das Compliance-Management-System hierauf anzupassen und ggf. rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen einzuleiten.

[1] BGH wistra 2017, 390, 399.

[2] BGH wistra 2017, 390, 399.

[3] Siehe zum Streitstand: Hauschka/Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, 3. Aufl. 2016, § 1 Rn. 30 ff.

[4] LG München I NZG 2014, 345 ff.

[5] LG München I NZG 2014, 345, Ls.

[6] So die h.M. Fleischer NZG 2014, 321, 322; Hopt/Roth in: Hopt/Wiedemann (Hrsg.), Großkommentar zum Aktiengesetz, 5. Aufl. 2015, § 93 Rn. 186; Koch in: Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 12. Aufl. 2016, § 93 Rn. 12.

[7] LG München I NZG 2014, 345, 346.

[8] Achenbach NZWiSt 2012, 321, 323; Eidam wistra 2003, 447, 453; Helmrich wistra 2010, 331, 332; Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 30 Rn. 92.

[9] Többens NStZ 1999, 1, 8.

[10] Achenbach NZWiSt 2012, 321, 323.

[11] BGH wistra 2017, 390, 399.

[12] Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl. 2016, § 30 Rn. 41; Göhler-Gürtler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 17. Aufl. 2017, § 30 Rn. 36a; Lemke/Mosbacher, Ordnungswidrigkeitengesetz, 2. Aufl. 2008, § 30 Rn. 63; Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 30 Rn. 134 m. z. w. N.; Wegner wistra 2000, 361, 362 m. z. w. N.; a.A. Korte NStZ 2001, 582, 584.

[13] Wegner wistra 2000, 361, 363.

[14] Moosmayer/Gropp-Stadler NZWiSt 2012, 241, 242; Wegner wistra 2000, 361, 368.

[15] BT-Drucks. 17/11053, S. 21.

[16] Immenga/Mestmäcker-Dannecker/Biermann, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 81 GWB Rn. 458; Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 30 Rn. 137; Wegner, Die Systematik der Zumessung unternehmensbezogener Geldbußen, Diss. Osnabrück 2000, S. 93.

[17] So Göhler-Gürtler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 17. Aufl. 2017, § 30 Rn. 36a; Wegner, Die Systematik der Zumessung unternehmensbezogener Geldbußen, Diss. Osnabrück 2000, S. 93 m. z. w. N.

[18] Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 30 Rn. 137; Wegner, Die Systematik der Zumessung unternehmensbezogener Geldbußen, Diss. Osnabrück 2000, S. 93.

[19] Brender, Die Neuregelung der Verbandstäterschaft im Ordnungswidrigkeitenrecht, Diss. Freiburg 1989, S. 159.

[20] Wegner, Die Systematik der Zumessung unternehmensbezogener Geldbußen, Diss. Osnabrück 2000, S. 93.

[21] BT-Drucks. 5/1269, S. 59; Wieser, Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 131. Aktualisierung, Stand 01. Januar 2014, § 30 Rn. 1.

[22] So zumindest, wenn man der Lehre von der organschaftlichen Verbandstäterschaft folgt, siehe hierzu Rogall in: Karlsruher Kommentar zum OWiG, 4. Aufl. 2014, § 30 Rn. 8 m. w. N.

[23] BT-Drucks. 5/1269, S. 59; Ransiek, Unternehmensstrafrecht – Strafrecht, Verfassungsrecht, Regelungsalternativen, Habil. Heidelberg 1996, S. 111; Tiedemann NJW 1988, 1169, 1170.

[24] Der vielfach zitierte Begriff, so Joecks in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl. 2017, Vorb. § 25 Rn. 18 m. z. N., wurde im Deutschen wohl zuerst von Ostermeyer ZRP 1971, 75, 76 genutzt. Dieser entnimmt ihn Charles Wright Mills Werk „The Power Elite“, in dem die These vertreten wird, die amerikanische „Elite“ könne ihre Macht aufgrund eines Systems der organized irresponsibility“ erhalten.

[25] Scheint NJW-Spezial 2011, 440; Hugger/Röhrich BB 2010, 2643, 2645.

[26] Deister/Geier CCZ 2011, 12, 16 f.; Hugger/Röhrich BB 2010, 2643, 2645 f.; Pörnbacher/Mark NZG 2010, 1372, 1375.

[27] Hopson/Graham Koehler CCZ 2008, 208 ff.

[28] So auch Moosmayer/Gropp-Stadler NZWiSt 2012, 241, 242.

[29] Böttcher NZG 2011, 1054, 1056 f.; Fleischer in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 150a.

[30] Gelhausen/Wermelt CCZ 2010, 2018, 212 f.; in Bezug auf das Ordnungswidrigkeitenrecht: Handel DStR 2017, 1945, 1948 f.

[31]   So auch mit ausführlicher Begründung: Böttcher NZG 2011, 1054 ff.; Fleischer in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 43 Rn. 150a; Rieder/Falge BB 2013, 778 ff.

[32] Böttcher NZG 2011, 1054, 1058.

[33] Böttcher NZG 2011, 1054, 1057; vgl. Horney/Kuhlmann CCZ 2010, 192, 195.

[34] Jenne/Martens CCZ 2017, 285, 287.

[35] Jenne/Martens CCZ 2017, 285, 287.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Laura Görtz
    Dr. Laura Görtz ist Rechtsanwältin bei CMS Hasche Sigle in Frankfurt. Sie ist spezialisiert auf Compliance, Internal Investigations und Wirtschaftsstrafrecht. Sie unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung und Implementierung von Compliance-Management-Systemen, konzeptioniert und begleitet unternehmensinterne Ermittlungen und übernimmt die präventive Beratung ebenso wie die Vertretung von Unternehmen in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

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  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

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    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung