Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht
I. Strafprozessrecht
1. Ort der Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände: keine Bringschuld der Ermittlungsbehörden – §§ 94, 95 StPO
Das aufgrund einer strafprozessualen Beschlagnahme entstandene öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis verpflichtet die Strafverfolgungsbehörden nicht, sichergestellte Gegenstände zum jeweils Berechtigten zurückzubringen.
OLG Schleswig, Urteil vom 21.12.2017 – 11 U 68/17, ZInsO 2018, 330.
Die Entscheidung entspricht der bereits seit geraumer Zeit vom BGH vertretenen Meinung; vgl. schon BGH, Urteil vom 03.02.2005 – III ZR 271/04, wistra 2005, 271 mit zust. Anm. Weyand, INF 2005, 250. Krit. zu der Auffassung der Zivilgerichte Rathgeber, FD-StrafR 2018, 400739.
2. Rechtswidrigkeit einer Durchsuchung und Beschlagnahme aufgrund nicht verwendbarer Auskünfte des Schuldners – § 102 StPO; § 97 Abs. 1 S. 3 InsO
Aus der Regelung des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO folgt, dass die Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen wie z.B. eine Durchsuchung oder Beschlagnahme nicht auf einen Verdacht gestützt werden kann, der sich auf Auskünfte des Schuldners gründet, die aufgrund des dort geregelten Offenbarungszwangs erlangt wurden. Die gilt auch für Auskünfte, zu denen der Schuldner aufgrund eines gerichtlichen Beschluss gegenüber einem Sachverständigen verpflichtet worden ist. Für diesen Fall findet insoweit § 97 Abs. 1 InsO analog Anwendung. Unterfallen Angaben des Beschuldigten im Insolvenzverfahren dem Verwendungsverbot des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO, so können sie nicht – wie hier geschehen – zur Begründung eines Anfangsverdachts herangezogen werden können.
LG Münster, Beschluss vom 31 08.2017 – 12 Qs-45 Js 916/16-25/17, ZInsO 2017, 2443.
Die Frage des Umfangs des „Insolvenzgeheimnisses“ und die Folgen etwaiger Verletzungen ist unverändert Gegenstand kontroverser Diskussionen, vgl. etwa Diversy, ZInsO 2005, 180; Püschel, FS der AG Strafrecht des DAV, 2009, 759; ders., ZInsO 2016, 262; Laroche, ZInsO 2015, 1469; Weyand, ZInsO 2015, 1948; Haarmeyer, ZInsO 2016, 545. Aus der jüngeren Rechtsprechung s. etwa BGH, Beschluss vom 26.07.2017 – 3 StR 52/17, ZInsO 2017, 2314 sowie OLG Düsseldorf, Beschluss vom 01.06.2016 – III-2 Ws 299/16, ZInsO 2017, 2271.
3. Anforderung an einen Vermögensarrest nach neuem Recht – § 111e StPO
Die Anordnung eines Vermögensarrestes steht auch nach dem seit dem 01.07.207 geltenden Recht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen der Strafverfolgungsbehörden. Liegt allerdings ein dringender Verdacht vor, dass es am Ende des Verfahrens zu einer Einziehung von Wertersatz kommt, so soll ein Vermögensarrest angeordnet werden. Ein Arrest ist weiterhin nur zulässig, wenn die Sicherung der Vollstreckung der Einziehung dies erfordert. Eine Notwendigkeit für die Sicherung der Vollstreckung, dass also die Vollstreckung ohne den Arrest gefährdet sein muss, gibt der Gesetzeswortlaut jedoch nicht her. Stets ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Abwägung des Sicherungsbedürfnisses der Allgemeinheit gegen das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 14 Abs. 1 GG vorzunehmen. Die beiden Sicherungsinstrumente des Vermögensarrests nach der StPO und des steuerlichen Arrests (§ 324 AO) stehen gleichrangig nebeneinander.
OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.12.2017 – 1 Ws 163/17, NJW 2017, 3731 mit Anm. Gubitz/Molkentin = StRR 2018, 14 mit Anm. Deutscher.
Zu der wohl ersten zum neuen Recht ergangenen obergerichtlichen Entscheidung s. auch Greier, jurisPR-StrafR 25/2017 Anm. 1, sowie ausführlich Bittmann, ZInsO 2018, 370. Zum Verhältnis des § 342 AO zum strafrechtlichen Vermögensarrest vgl. umfassend Wengenroth, PStR 2017, 310 sowie Madauß, NZWiSt 2018, 28.
4. Anfangsverdacht bei anonymer Anzeige – § 152 StPO
Anonyme Anzeigen rechtfertigen regelmäßig keinen Anfangsverdacht. Bei der Abwägung, ob in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingegriffen werden darf, ist im Übrigen auch die Unschuldsvermutung sorgfältig zu beachten.
LG Augsburg, Beschluss vom 28.08.2017 – 1 Qs 339/17, NJW-Spezial 2017, 762.
Zu der Entscheidung s. zust. David Püschel, FD-StrafR 2017, 398360.
5. Verschlechterungsverbot bei Vermögensabschöpfung – § 331 StPO, § 73c StGB
73c StGB n.F. findet auf bereits laufende Strafverfahren Anwendung, soweit nicht vor dem 01.07.2017 eine Entscheidung über die Anordnung des Verfalls oder des Verfalls des Wertersatzes ergangen ist. Das Verbot der reformatio in peius erfasst „Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat.“ Hierzu gehört auch die Anordnung der Einziehung von Taterträgen.
OLG Zweibrücken, Beschluss vom 06.11.2017 – 1 OLG 2 Ss 65/17, ZInsO 2018, 728.
6. Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters in die Strafakte des Schuldners – § 475 StPO
Muss der Schuldner dem Insolvenzverwalter mögliche Auskünfte über die gegebenenfalls zu erwartende Schadensersatzansprüche wegen begangener Straftaten erteilen, sind diese Informationen dem Insolvenzverwalter gegenüber von vornherein nicht schutzwürdig. Der Insolvenzverwalter kann daher nach § 475 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StPO für diesen Fall auch vollständige Einsicht in die Strafakten verlangen.
AG Kiel, Beschluss vom 06.10.2017 – 43 Gs 4159/17, ZInsO 2017, 2450.
II. Materielles Strafrecht
1. Verjährungsunterbrechung gegenüber faktischem Geschäftsführer – §§ 14, 78c StGB
Benennt ein Durchsuchungsbeschluss lediglich den formellen Geschäftsführer, unterbricht er die Verjährung in Bezug auf einen faktischen Geschäftsführer nicht.
BGH, Beschluss vom 26.10.2017 – 1 StR 279/17, ZInsO 2018, 244.
Zu der Entscheidung s. Roth, PStR 2018, 31.
2. Prozessbetrug im Insolvenzeröffnungsverfahren; Konkurrenz zum Bankrott – §§ 263, 283 StGB
Der Tatbestand des Bankrotts wird nicht durch den Tatbestand des Betrugs verdrängt oder umgekehrt. Das wäre nur dann der Fall, wenn der Unrechtsgehalt einer Handlung durch einen von mehreren dem Wortlaut nach anwendbaren Straftatbeständen erschöpfend erfasst wird. Maßgebend für die insoweit vorzunehmende Beurteilung sind die Rechtsgüter, gegen die sich der Angriff des Täters richtet und die Tatbestände, die das Gesetz zu ihrem Schutz aufstellt. Während § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB die vollständige Erfassung des pfändbaren Schuldnervermögens im Interesse der Gläubiger schützt, bezweckt § 263 StGB ausschließlich den Vermögensschutz der einzelnen Vermögensinhaber. Eine Betrugshandlung iSd § 263 StGB kann im Prozessverkehr jeder Art begangen werden, also auch im Eröffnungsverfahren nach den § 11 ff. InsO, da der Insolvenzschuldner gegenüber dem Insolvenzgericht zu wahrheitsgemäßen Auskünften und Angaben verpflichtet ist.
BGH, Beschluss vom 24.08.2017 – 1 StR 625/16, ZInsO 2018, 324.
3. Verschweigen von Einkünften in der Wohlverhaltensphase – §§ 266, 283 StGB.
Gibt der Schuldner Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit, die er in der Wohlverhaltenszeit erzielt hat, gegenüber dem Treuhänder nicht an, scheidet eine Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 StGB) oder Bankrott (§ 283 StGB) aus.
AG Bremerhaven, Beschluss 14.08.2017 – 21 Ls 770 Js 58028/15, InsBüro 2018, 120
4. Kognitionspflicht des Gerichts; Abgrenzung der fahrlässigen zur bedingt vorsätzlichen Insolvenzverschleppung – § 15a InsO; § 264 StPO
Das Gericht muss das von der Anklage umfasste Tatgeschehen – gegebenenfalls unter Erfüllung seiner Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 StPO – bei seiner Urteilsfindung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend prüfen. Bei Anzeichen einer Krise hat der Geschäftsführer einer Gesellschaft die Pflicht, sich durch Aufstellung eines Vermögensstatus einen Überblick über den Vermögensstand zu verschaffen und notfalls unter fachkundiger Prüfung zu entscheiden, ob eine positive Fortbestehungsprognose besteht. Verschafft sich der Geschäftsführer trotz Anzeichen einer Krise keine Informationen über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft weiß er deshalb nicht um deren Überschuldung, kann dies den Tatbestand der – bedingt – vorsätzlichen Insolvenzverschleppung erfüllen.
BGH, Urteil vom 23.08.2017 – 2 StR 456/16, ZInsO 2018, 709.
III. Recht der Ordnungswidrigkeiten
Erzwingungshaft nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Betroffenen – § 96 OWiG
Die Durchführung eines Insolvenz- bzw. Restschuldbefreiungsverfahrens steht der Anordnung von Erzwingungshaft gemäß § 96 Abs. 1 OWiG nicht entgegen. Erzwingungshaft kann auch dann verhängt werden, wenn dem Betroffenen nur unter den Pfändungs- bzw. Haftungsgrenzen der §§ 850 – 852 ZPO, §§ 36, 287 Abs. 2 InsO liegende Einkünfte zur Verfügung stehen.
AG Bamberg, Beschluss vom 14.09.2017 – 23 OWi 708/17, ZInsO 2017, 2701.
Zu der Entscheidung s. die Anm. von Hölken, jurisPR-InsR 24/2017 Anm. 5.
IV. Zivilrechtliche Entscheidungen mit strafrechtlicher Relevanz
1. Ende der „Bugwellentheorie“ – § 17 Abs. 2 InsO; § 64 S. 1 GmbHG
Einen vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO aufgestellten Liquiditätsstatus, der auf den Angaben aus der Buchhaltung des Schuldners beruht, kann der Geschäftsführer nicht mit der pauschalen Behauptung bestreiten, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt worden. Er hat vielmehr im Einzelnen vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, welche der in den Liquiditätsstatus eingestellten Verbindlichkeiten trotz entsprechender Verbuchung zu den angegebenen Zeitpunkten nicht fällig und eingefordert gewesen sein sollen. Bei der Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO anhand einer Liquiditätsbilanz sind auch die innerhalb von drei Wochen nach dem Stichtag fällig werdenden und eingeforderten Verbindlichkeiten (so genannte Passiva II) einzubeziehen. Anderenfalls würde dem Schuldner ermöglicht, mit neu hinzukommenden Mitteln lediglich Altverbindlichkeiten zu begleichen und damit eine unter Umständen erhebliche Unterdeckung dauerhaft vor sich herzuschieben, die am Ende des Dreiwochenzeitraums sogar noch größer sein könnte als zu Beginn.
BGH, Urteil vom 19.12.2017 – II ZR 88/16, ZInsO 2018, 381.
Krit. zu der „Bugwellentheorie“ Gehrlein, ZInsO 2018, 354, 361, sowie Bittmann, in: Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 11 Rn. 92 f. S. im Übrigen ablehnend bereits Krauß, ZInsO 2016, 2361. Der 1. Strafsenat hatte die Bugwellenrechtsprechung aus strafrechtlicher Sicht bereits verworfen, vgl. BGH, Beschluss vom 21.08.2013 – 1 StR 665/12, ZInsO 2013, 2107 m. Anm. Richter, NZWiSt 2014, 34. Speziell zu der Entscheidung unter strafrechtlichen Aspekten s. Brand, ZinsO 2018, sowie Richter, ZWH 2018, 124. ZU den zivilrechtlichen Implikationen s. Mylich, ZIP 2018, 514, Münnich, GmbHR 2018, 306, sowie Höltken, jurisPR-InsR 8/2018 Anm. 1.
2. Versicherung des Geschäftsführers über Nichtvorliegen von Bestellungshindernissen unter Einschluss – § 6 GmbHG
Bei der Anmeldung der Gesellschaft nach § 8 GmbHG oder einer Änderung in der Person des Geschäftsführers nach § 39 GmbHG muss sich die Versicherung des Geschäftsführers seit dem 12.04.2017 auch auf die neuen Tatbestände des § 265c StGB (Sportwettenbetrug) und des § 265d StGB (Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben) beziehen. Einer besonderen Erwähnung des § 265e StGB bedarf es dagegen nicht.
OLG Oldenburg, Beschluss vom 08.01.2018, 12 W 126/17, ZInsO 2018, 824. Zu der abzulehnenden Entschiedung s. kritisch Hippeli, jurisPR-HAGesR 2/2018 Anm. 5 sowie Wachter, GmbHR 2018, 311.