Dr. Ulrich Leimenstoll

Marcus Loose: Das Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung gemäß § 266a Abs. 2 StGB

Duncker & Humblot, Strafrechtliche Abhandlungen, Neue Folge, Band 275, Berlin 2017; 259 S., 74,90 Euro

I. Der § 266a StGB spielt nicht nur in der beruflichen Praxis des im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts tätigen Juristen eine gewichtige Rolle, er ist auch Gegenstand einer intensiven rechtswissenschaftlichen Debatte. Obgleich das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen (Abs. 1) und das Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen (Abs. 2) zur Sozialversicherung häufig „Hand in Hand“ gehen, wird die im Jahr 2004 eingeführte Regelung des § 266a Abs. 2 StGB im bisherigen Schrifttum allerdings eher „stiefmütterlich“ behandelt. Auch die höchstrichterliche und obergerichtliche Judikatur hierzu ist bisher recht übersichtlich. Die Arbeit von Loose bemüht sich erstmalig um eine monographische Untersuchung und Aufarbeitung der vielfältigen Anwendungsprobleme dieser aus Sicht vieler Kritiker „alles andere als geglückten“ (so etwa Rönnau/Kirch-Heim, wistra 2005, 321, 326) Vorschrift.

II. In der Einleitung seines Werkes führt der Autor den Leser in die Thematik ein und zeigt den Gang seiner Untersuchung auf (S. 21 ff.). Er erläutert, dass der Gesetzgeber die neue Regelung des § 266a Abs. 2 StGB strukturell an den § 370 Abs. 1 AO angelehnt habe, der ein über das schlichte Nichtzahlen hinausgehendes Unrechtselement verlange. Das Tatbestandsmerkmal des „Vorenthaltens“ von Beiträgen sei hingegen aus § 266a Abs. 1 StGB übernommen worden – anstatt auf ein „Verkürzen“ im Sinne von § 370 Abs. 1 AO abzustellen. Seine Untersuchung widme sich der Fragestellung, ob die hieraus resultierenden Auslegungs- und Anwendungsprobleme de lege lata zu lösen oder nur durch eine Gesetzesreform zu beheben seien.

III. Im ersten Teil der Arbeit (S. 25 – 65) erfolgt zunächst eine Darstellung der Entstehungsgeschichte sowie der gesetzgeberischen Beweggründe für die konkrete Ausgestaltung des § 266a Abs. 2 StGB. Loose beleuchtet die Rechtslage vor der Neufassung der Vorschrift (S. 25 ff.) und den nur lückenhaften Schutz der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung durch § 263 Abs. 1 StGB (S. 27 ff.).

Durch die neu geschaffene gesonderte Strafandrohung für das Vorenthalten von Arbeitgeberbeiträgen würden diese Lücken teilweise geschlossen, allerdings noch kein umfassender Schutz des Sozialversicherungsaufkommens herbeigeführt (S. 31 ff.). Grund hierfür sei zum einen die Anlehnung an § 370 Abs. 1 AO; das deutsche Strafrecht kenne keine Strafbewehrung der schlichten Nichtbezahlung eigener Verbindlichkeiten, weshalb nur bei Hinzutreten besonderer unrechtsqualifizierender Elemente eine strafrechtliche Ahndung möglich sei (S. 31 – 40). Zudem werde durch die in § 111 Abs. 1 S. 2 SGB IV und § 209 Abs. 1 S. 2 SGB VII verankerte sog. „Putzfrauenklausel“ der Anwendungsbereich des § 266a Abs. 2 StGB eingeschränkt. Wegen der kürzlichen Änderung des Rentenversicherungsrechts sei in den betreffenden Konstellationen aber nunmehr regelmäßig § 266a Abs. 1 StGB anwendbar, so dass bei Verstößen zumindest keine gänzliche Straffreiheit gegeben sei (S. 41 – 54).

Auch durch den Vorrang des § 266a StGB als Spezialtatbestand gegenüber § 263 StGB werde der erreichte umfassendere Schutz des Sozialversicherungsaufkommens nicht in Frage gestellt, da eine Qualifikation im Falle gewerbsmäßigen Handels verzichtbar (S. 58 – 61) und ein Rückgriff auf §§ 263 Abs.1, Abs. 2, 22 StGB nicht versagt sei, um auch den bloßen Versuch mit Strafe zu ahnden (S. 55 – 57).

Zum Abschluss des ersten Hauptteils unterbreitet der Autor einen Reformvorschlag für eine alternative Ausgestaltung des § 266a StGB. Eine einheitliche, strukturell an § 370 Abs. 1 AO angelehnte Regelung solle sowohl das betrugsähnliche Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen als auch von Arbeitgeberbeiträgen erfassen. Diese solle durch einen Ordnungswidrigkeitentatbestand ergänzt werden, der das schlichte Nichtabführen von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung erfasst (S. 63 – 65). Das überzeugt nicht nur wegen des Hinweises auf die Rechtslage im Steuerstrafrecht. Beispielsweise zwischen der gezielten Verschleierung illegaler Beschäftigung und der bloßen Nichtabführung oder nicht rechtzeitigen Abführung der Beiträge in der wirtschaftlichen Krise besteht – auch dann, wenn keine Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Beitragsabführung anzunehmen ist – ein erheblicher qualitativer Unterschied. Strafrecht muss ultima ratio bleiben.

IV. Im zweiten Teil des Werkes bietet der Autor einen „Überblick über den Tatbestand des § 266a Abs. 2 StGB“ (S. 66 – 113). Das beinhaltet Ausführungen zur praktischen Bedeutung, zum Schutzgut, zum Deliktscharakter und den Tatbestandsvoraussetzungen.

Auch wenn § 266a Abs. 1 StGB in den Statistiken – nicht zuletzt wegen häufig mangelnder Differenzierung – dominiere, sei die praktische Bedeutung des § 266a Abs. 2 StGB nicht zu unterschätzen, zumal die Vorschrift Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB sei (S. 66 – 70).

Die Vorschrift sei dem Schutz des Interesses der Solidargemeinschaft an der Sicherstellung des Sozialversicherungsaufkommens und des Vermögens der jeweiligen Sozialversicherungsträger zu dienen bestimmt. Nicht zu den Schutzgütern zu zählen seien dagegen die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer, der Schutz des Wettbewerbs und die Interessen von Konkurrenten; insoweit entfalte die Vorschrift allenfalls einen bloßen Schutzreflex (S. 70 – 77).

Hinsichtlich des Deliktscharakters stellt der Autor zunächst die unterschiedlichen in der Literatur vertretenen Auffassungen sowie die (nicht ganz eindeutige) Positionierung des Bundesgerichtshofs in seiner bisherigen Rechtsprechung dar, der zuletzt Abs. 2 Nr. 1 als Erfolgsdelikt und Abs. 2 Nr. 2 als „echtes Unterlassungsdelikt im Sinne eines schlichten Untätigkeitsdelikts“ angesehen habe. Im Anschluss begründet Loose seine Auffassung, dass beide Alternativen als Erfolgsdelikte zu betrachten seien, weil das „Vorenthalten“ sinnvollerweise nur als Erfolg der jeweiligen Hinterziehungshandlung verstanden werden könne. Nr. 1 sei dabei als Begehungsdelikt anzusehen, Nr. 2 hingegen als Unterlassungsdelikt (S. 77 – 86).

V. Den inhaltlichen Schwerpunkt seiner Arbeit hat der Autor den spezifischen Anwendungsproblemen des § 266a Abs. 2 StGB gewidmet, die im dritten Teil der Monographie abgehandelt werden (S. 114 – 233).

Dabei setzt er sich zunächst vertieft mit der Auslegung des Begriffs des „Vorenthaltens“ auseinander. Wegen der abweichenden Tatbestandsstruktur könne die herrschende Auffassung zu § 266a Abs. 1 StGB, die dort von einem schlichten Nichtabführen (als Unterlassen ohne Erfolgskomponente) ausgehe, nicht auf Abs. 2 übertragen werden, der einen konkreten Vorenthaltungserfolg voraussetze. Eine „gespaltene“ Auslegung innerhalb des § 266a StGB könne dadurch vermieden werden, dass man auch Abs. 1 als Erfolgsdelikt anerkenne – was auch in Fällen der Bezahlung der Arbeitnehmeranteile durch Dritte und insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Verjährung zu sachgerechten Ergebnissen führe (S. 114 – 126).

In Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre vertritt Loose, dass zwischen dem Taterfolg des Vorenthaltens und der Tathandlung ein Kausalzusammenhang (im Sinne der conditio-sine-qua-non-Formel) erforderlich sei. Hiergegen vorgebrachte Beweis- und Rechtsanwendungsprobleme könnten nicht überzeugen, weil in der Praxis der bloße Einwand, dass die Beiträge auch bei Erfüllung der Erklärungspflichten vorenthalten worden wären, regelmäßig als Schutzbehauptung zurückzuweisen sei. Ein vom Bundesgerichtshof für ausreichend erachteter „funktionaler Zusammenhang“, dessen konkrete Gestalt ohnehin weitgehend offenbleibe, sei angesichts des klaren Wortlauts der Norm („dadurch“) abzulehnen. Über einen Kausalzusammenhang hinausgehende zusätzliche Erfordernisse, die teilweise verlangt würden – wie etwa ein „verfügungsadäquates Verhalten“ der Vollstreckungsbehörde oder ein Abstellen auf den Zeitpunkt der „hypothetischen Vollstreckung“ –, seien ebenfalls abzulehnen (S. 126 – 142).

Im Anschluss setzt der Autor sich mit der Fragestellung auseinander, inwieweit die bei Abs. 1 anerkannten (Ausschluss-)Gründe der Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit auch auf eine mögliche Strafbarkeit nach Abs. 2 übertragen werden können. Er vertritt die Auffassung, dass allenfalls die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit einer ordnungsgemäßen Meldung an die Sozialversicherungsträger den Täter ohne weiteres entlasten könne, weil Tathandlung allein die Meldepflichtverletzung sei. Die Unmöglichkeit der Beitragsabführung im Zeitpunkt der Fälligkeit lasse weder die Tathandlung noch den Taterfolg entfallen; es könne dadurch allerdings an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen beiden fehlen, was (entgegen der h.M.) ebenfalls zum Tatbestandsausschluss führe. Dieser könne auch durch die Grundsätze der „omissia libera in causa bzw. omittendo“ nicht überwunden werden. Insoweit stehe die unterschiedliche Tatbestandsstruktur de lege lata einer einheitlichen Lösung in Bezug auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile entgegen, auch wenn eine solche sachgerecht und wünschenswert erscheine (S. 142 – 164).

Überzeugend lehnt Loose es ab, den Verjährungsbeginn an das Erlöschen der Beitragspflicht zu koppeln. Diese von der herrschenden Meinung zu § 266 Abs. 2 Nr. 2 (wie auch zu Abs. 1) vertretene Position führe nicht nur zu einer nicht zu rechtfertigenden Verjährungsdauer von bis zu 35 Jahren, sondern auch zu Wertungswidersprüchen (im Vergleich zum Steuerstrafrecht) und gravierenden Ungleichbehandlungen von Vertretern juristischer Personen und Einzelunternehmern. Da sowohl § 266a Abs. 2 Nr. 1 als auch Nr. 2 als Erfolgsdelikte einzuordnen seien, beginne die Verjährung mit dem vollständigen Eintreten des Vorenthaltungserfolges im Fälligkeitszeitpunkt zu laufen und trete dementsprechend gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre später ein. Wertungswidersprüche könnten dadurch vermieden werden, dass man (entgegen der derzeitigen h.M.) auch § 266a Abs. 1 StGB als Erfolgsdelikt anerkenne, was auch dort zu sachgerechten Ergebnissen bei der Verjährung führen würde (S. 165 – 189).

Zum Abschluss des Hauptteils seiner Arbeit setzt der Autor sich kritisch mit der Selbstanzeige gemäß § 266 Abs. 6 StGB auseinander. Dieser missglückten Regelung verbleibe – insbesondere wegen der strengen Fristen (auch mit Blick auf frühere Beitragsvorenthaltungen) – de lege lata in der Praxis faktisch überhaupt kein Anwendungsbereich im Bereich des Abs. 2. Versuche einer erweiternden Auslegung seien deshalb abzulehnen, weil damit die Grenzen zulässiger Auslegung gesprengt würden, da der Gesetzgeber bewusst strengere Anforderungen als in § 371 AO geschaffen habe. Die beitragsstrafrechtliche Selbstanzeige bedürfe daher einer gesetzlichen Reform; die bislang in der Literatur hierzu unterbreiteten Vorschläge einer an § 371 AO angelehnten Neuregelung seien aber (mit Blick auf eine regelmäßig verbleibende Strafbarkeit nach Abs. 1) abzulehnen. Loose schlägt auch insoweit – wie bei seinem Reformvorschlag für eine alternative Ausgestaltung des § 266a StGB (erster Teil) – eine Differenzierung vor: In Fällen einer betrugsähnlichen Nicht- oder Fehlinformation der Einzugsstelle biete sich eine an § 371 AO angelehnte Regelung an; in Fällen schlichter Nichtzahlung erscheine es dagegen ausgewogen und sachgerecht, der Nachzahlung der vorenthaltenen Beiträge (Var. 1) oder der Anzeige der Nachzahlungsbereitschaft und Nachzahlung innerhalb einer von der Einzugsstelle bestimmten Frist (Var. 2) eine strafbefreiende Wirkung zuzuerkennen. Eine derartige Regelung diene zum einen fiskalischen Interessen und honoriere zum anderen die Rückkehr des Täters in die Beitragsehrlichkeit. Eine ähnliche Regelung existiere bereits im österreichischen Recht (S. 190 – 230).

VI. Die Arbeit von Loose, der die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zu Beginn des Schlussteils noch einmal kompakt zusammenfasst, schließt eine Lücke in der literarischen Aufarbeitung der Anwendungsprobleme des § 266 Abs. 2 StGB. Das mit dem Dissertationspreis der Alfred Teves-Stiftung ausgezeichnete Werk bietet einen guten, auch für den Praktiker hilfreichen Überblick über den aktuellen Stand der Rechtsprechung sowie der rechtswissenschaftlichen Diskussion. Sowohl bei der Beurteilung der Rechtslage de lege lata als auch den Vorschlägen für eine Neuregelung de lege ferenda zeigt sich, dass der Autor nicht nur über fundierte rechtstheoretische Kenntnisse verfügt, sondern auch die Auswirkungen und Probleme in der Anwendungspraxis im Blick hat und diesen mit einem guten Gespür Rechnung trägt. Das Werk bietet zudem – etwa im Bereich der Verjährung oder der Selbstanzeige – vielversprechende Ansätze, um auch bei der Anwendung des § 266 Abs. 1 StGB zu sachgerechteren Ergebnissen zu kommen, als dies bei Zugrundelegung der (bisher) herrschenden Meinung der Fall ist. Es bleibt zu hoffen, dass diese Vorschläge und Anregungen auf fruchtbaren Boden fallen.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Ulrich Leimenstoll
    Rechtsanwalt Dr. Ulrich Leimenstoll ist Rechtsanwalt der Kanzlei Gercke | Wollschläger, Köln. Er ist Fachanwalt für Strafrecht.

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