Dr. Matthias Brockhaus, Dr. Sebastian Maiß

Strafrechtliche Untreuerisiken wegen der Nicht-Geltendmachung zivilrechtlicher (Schadens-) Ersatzansprüche bei Bestehen einer „Schmiergeldabrede“

Zugleich Anmerkung zu BGH, Urteil vom 18.01.2018 – I ZR 150/15

I. Problemstellung

Der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in einer jüngst veröffentlichen Entscheidung vom 18.01.2018 die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast für Unternehmen, die aufgrund einer Schmiergeldabrede unwissend geschädigt worden sind, erleichtert. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen dürfte demnach in gleich oder ähnlich gelagerten Fällen, die im Hinblick auf die §§ 266, 299 StGB eine strafrechtliche Qualität aufweisen, künftig einfacher werden. Die während oder im Nachgang anhängiger Ermittlungsverfahren in der Praxis häufig anzutreffende Argumentation, die Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Ansprüche beanspruche erhebliche Ressourcen im Unternehmen und sei (zu) zeit- und kostenintensiv, dürfte demnach in den meisten Korruptionsfällen einer kritischen Prüfung nicht (mehr) Stand halten. Unternehmensverantwortliche werden diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Rahmen ihres unternehmerischen (Prognose-) Ermessens (§ 43 GmbH; §§ 76, 93 AktG) berücksichtigen müssen, um zugleich strafrechtlich relevante Untreuerisiken nach § 266 Abs. 1 StGB zu vermeiden. Im Zweifel wird dies dazu führen, dass unter Beachtung des zivilrechtlichen Verjährungseintritts spätestens mit Beendigung des Ermittlungsverfahrens oder den Ergebnissen einer internen Untersuchung zivilrechtliche (Schadens-) Ersatzansprüche geprüft und geltend gemacht werden müssen. Wird das unternehmerische Ermessen insoweit nicht sachgerecht ausgeübt, ist im Lichte der HSH-Nordbank-Entscheidung des 5. Strafsenates des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2016 zugleich und zwangsläufig der Untreuestraftatbestand tangiert. Dies ist eine äußerst problematische Entwicklung.

II. Sachverhalt und Entscheidungsgründe

1. Die Klägerin handelte mit Möbeln und vertrieb diese über eine Tochtergesellschaft aus Asien. Der Geschäftsführer dieser Tochtergesellschaft der Klägerin erteilte der Beklagten, einem Speditionsunternehmen, in den Jahren 1994 bis 2000 diverse Lieferaufträge. Die Beklagte überwies regelmäßig einen Teil der von der Klägerin an die Beklagte gezahlten Vergütung in einer Größenordnung von (zumindest) ca. 1,8 Mio. Euro an (Briefkasten-) Gesellschaften des Geschäftsführers des Hauptlieferanten.[1]

Die Klägerin machte in dem Zivilprozess geltend, der Geschäftsführer des Hauptlieferanten habe ohne ihr Wissen und ohne ihre Zustimmung mit der Beklagten eine Vereinbarung über eine Erhöhung der eigentlich geschuldeten Frachtvergütung (Nettofrachtrate) um einen bestimmten Aufschlag (Bruttofrachtrate) getroffen. Nach der Zahlung der Bruttofrachtmieten der Klägerin an die Beklagte habe diese den Aufschlag an den Geschäftsführer des Hauptlieferanten ausgekehrt. Dies habe dem alleinigen Zweck gedient, diesen zu motivieren, auch künftig Frachtaufträge mit der Klägerin zu generieren.[2]

2. In den Entscheidungsgründen stellt der 1. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zunächst erneut klar, dass nach § 826 BGB derjenige zum Schadensersatz verpflichtet ist, der einem anderen in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zufügt. Im Einklang mit der ständigen zivilrechtlichen Rechtsprechung stellt der Senat ferner fest, dass korruptive Vereinbarungen für die künftige Bevorzugung bei der Vergabe von Aufträgen, die Angestellte, Bevollmächtigte, Beauftragte und sonstige Vertreter einer Partei heimlich mit einer anderen Vertragspartei treffen, gegen die guten Sitten verstoßen und demnach nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig seien.[3] Überdies seien korruptive Abreden unter den Voraussetzungen des § 299 StGB mit Blick auf § 134 BGB nichtig.[4] Der BGH macht ferner deutlich, dass Schadensersatzansprüche in solchen Fällen nicht nur gegenüber Mitarbeitern und Beauftragten „als unmittelbaren Zahlungsempfängern“, sondern auch gegen den „diese Zahlung tätigenden Geschäftspartner“ bestünden.[5] In den weiteren Ausführungen behandelt der 1. Zivilsenat sodann sehr ausführlich die tatbestandlichen Voraussetzungen von Korruptionsabreden im Sinne des § 299 StGB.[6]

3. Mit der für die Praxis maßgeblichen Frage der Erfolgsaussichten einer solchen zivilgerichtlichen Klage befasst sich der BGH nachfolgend sehr detailliert unter den für die Praxis relevanten prozessualen Aspekten:

Es sei zunächst so, dass – im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Zivilsenate – die Klägerin für die Behauptung, die Beklagte habe mit dem Geschäftsführer des Hauptlieferanten eine für sie nachteilige Schmiergeldabrede getroffen, darlegungs- und beweisbelastet sei. Der Kläger trage grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen.[7] Der BGH lässt aber erkennen, dass aufgrund des Heimlichkeitscharakters von Schmiergeldabreden Klagen nach dieser Maßgabe regelmäßig scheitern müssen. Entsprechend soll es (vereinfachend) genügen, wenn (lediglich) „ausreichende Anhaltspunkte“[8] für eine solche Vereinbarung vorgetragen werden. Reicht der Vortrag des Klägers – wie hier – aus, so soll der Beklagte dann die sekundäre Darlegungs- und Beweislast für seine Behauptung tragen, dass eine solche Schmiergeldabrede nicht vorgelegen habe.[9]

Lässt sich der Anspruchsgegner hierzu nicht ein, gilt der Sachvortrag des Klägers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.[10] Aus diesem Wechselspiel zwischen primärer und sekundärer Beweislast folgt, dass ein durch eine Schmiergeldabrede geschädigtes Unternehmen zunächst aus allen ihr zur Verfügung stehenden Informationen Tatsachen vortragen muss, die einen Schadensersatz – sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach – begründen.

Die Begründung einer Schmiergeldabrede gleicht in der Praxis einem „Glasperlenspiel“, in der die zu einer Schmiergeldabrede führenden Indizien aufzureihen sind. Dies ist in der Sachverhaltsaufklärung häufig äußerst mühsam, da die an einer Schmiergeldabrede Beteiligten diese in den seltensten Fällen dokumentieren (z.B. durch E-Mails oder Vermerke auf Rechnungen). Gelingt es, entsprechenden Sachverhalt schlüssig vorzutragen, trägt der Anspruchsgegner die sekundäre Darlegungslast für das Nichtvorliegen einer Schmiergeldabrede. Lässt sich die zwischen den Beteiligten getroffene Schmiergeldabrede nach Zeitpunkt und Inhalt nicht näher konkretisieren, müssen die Indizien, die für und gegen ihre Annahme sprechen, in einer lückenlosen Gesamtwürdigung aller wesentlichen Umstände abgewogen werden.[11]

Gerade dann, wenn es um möglicherweise strafrechtlich relevantes Verhalten des Anspruchsgegners geht, stellt sich die Frage, ob die Unschuldsvermutung („nemo-tenetur se ipsum accusare“) an der prozessualen Wahrheitspflicht aus § 138 ZPO endet: Muss der Anspruchsgegner sich also auch dann zu dem Sachvortrag des Anspruchstellers (wahrheitsgemäß) einlassen, wenn er sich dadurch (strafrechtlich) selbst belasten würde und kann ein Schweigen zu seinen Lasten gehen?

Diese Frage ist in der Rechtsprechung und Literatur umstritten.[12] Die Zivilgerichte gehen davon aus, dass der Anspruchsgegner im Zivilprozess der Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) unterliegt und um einer ihn betreffenden (sekundären) Beweislast zu genügen, den Sachvortrag des Antragstellers in erheblicher Weise bestreiten muss (§ 138 Abs. 2, 3 ZPO). Sein Schweigerecht bleibt davon unberührt, geht dann aber zu seinen Lasten. Der BGH musste diese Streitfrage hier (leider) nicht entscheiden.

Nichtsdestotrotz führt diese von dem BGH vorgenommene Weiterentwicklung der Darlegungs- und Beweislast in Schadensersatzprozessen wegen Schmiergeldzahlungen zu einer Verbesserung der prozessualen Situation: Gelingt die Darlegung der für einen Schadensersatzanspruch erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen und bestreitet der Anspruchsgegner diese nicht oder nicht ausreichend, gilt der Sachvortrag des Anspruchsinhabers als zugestanden. Dann bedarf es keiner Beweiserhebung über diesen – insoweit unstreitigen – Sachverhalt, der in der Praxis häufig nur schwer zu führen ist.

Diese von dem Bundesgerichtshof aufgestellten prozessualen Grundsätze gelten auch für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen (ehemalige) Arbeitnehmer im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Ersatzansprüche gegen Arbeitnehmer wegen Schmiergeldzahlungen können im Übrigen nicht nur aus Deliktsrecht nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 299 StGB und § 826 BGB geltend gemacht werden, sondern empfangene Schmiergelder nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 667, 681, 687 Abs. 2 BGB durch den Arbeitgeber an ihn herausverlangt werden.[13] Der Vorteil dieses Herausgabeanspruchs ist, dass im Gegensatz zu dem Schadensersatzanspruch der Nachweis eines Schadens nicht zu führen ist.

III. Schlussfolgerungen aus der strafrechtlichen Perspektive

1. Allgemeine Bemerkungen

Dieses instruktive Urteil des Bundesgerichtshofs wird aufgrund der vorstehenden Ausführungen nicht nur von Zivilrechtlern mit Interesse aufgenommen werden, sondern hat zugleich erhebliche Auswirkungen für die strafrechtliche (Compliance-) Beratung von Unternehmen, die durch eine von Mitarbeitern oder Dritte getroffene Schmiergeldabrede geschädigt worden sind.

So stellt sich mit Abschluss einer internen Untersuchung oder spätestens mit Beendigung des Ermittlungs- beziehungsweise Strafverfahrens schon heute zwangsläufig und regelmäßig die Frage, ob Organmitglieder des Unternehmens (Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer) gehalten oder gar verpflichtet sind, etwaige (Schadens-)Ersatzansprüche zeitnah und substantiell zu prüfen sowie gerichtlich durchzusetzen. Diese Frage wird im Lichte der Entscheidung des 1. Zivilsenates künftig noch drängender.

Grundsätzlich ist anerkannt, dass die Nicht-Geltendmachung begründeter und werthaltiger Ansprüche mit der Folge eines Verjährungseintritts[14] oder die zögerliche Geltendmachung[15] den Straftatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB durch pflichtwidriges Unterlassen erfüllen kann. Dieser Befund ist ausweislich der wenigen Fundstellen in der Literatur und mangels einschlägiger strafgerichtlicher Entscheidungen indes nur sehr allgemein und pauschal gehalten[16] oder bezieht sich auf hier nicht relevante Sonderkonstellationen.[17] Insoweit hilft dies für die hier behandelte Thematik nicht weiter.

Richtigerweise wird sich die (Pflichtwidrigkeits-) Prüfung an allgemeinen gesellschaftsrechtlichen beziehungsweise zivilrechtlichen Vorgaben ausrichten müssen, die die strafrechtliche Risikobewertung unmittelbar beeinflussen. Denn Bestimmung des Umfangs und der Grenzen der (verletzten) Pflichten richten sich in beiden Tatbestandsalternativen des § 266 StGB nach dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis.[18]

2. Die zivilrechtliche Ermessensentscheidung am Maßstab der §§ 43, 76, 93 AktG (1. Prüfstufe)

Vorstandsmitglieder unterliegen gesellschaftsrechtlich den in §§ 76, 93 AktG umschriebenen Pflichten.[19] Demnach hat der Vorstand die Gesellschaft in eigener Verantwortung zu leiten, wobei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden ist. Eine Pflichtverletzung liegt allerdings dann nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG, sog. Business Judgement Rule).

Da die Unternehmensverantwortlichen die künftigen (finanziellen) Interessen nur auf Basis ihrer gegenwärtigen Informationen beurteilen können, steht diesen bei ihrer Entscheidung allerdings ein erheblicher Prognose- und Ermessensspielraum zu, wie der Bundesgerichtshof bereits in der grundlegenden Entscheidung „ARAG/Garmenbeck“ befunden hat.[20] Auch wenn sich diese Entscheidung bekanntlich (nur) zum Pflichtenmaßstab von Aufsichtsräten einer Aktiengesellschaft verhält, lassen sich aus der Entscheidung für die hier behandelte Thematik doch wesentliche Grundsätze zur Unternehmensführung ableiten.[21]

So hat die Unternehmensführung aufgrund ihrer eigenverantwortlichen Leitungsfunktion sowie ihrer „Treuhänderstellung“[22] zugleich die Pflicht, das Bestehen von (Schadens-) Ersatzansprüchen einer eigenverantwortlichen Prüfung zu unterziehen.[23] Sollte die Prüfung zu dem Ergebnis gelangen, dass eine Schadensersatzverpflichtung eines Betroffenen besteht, ist anhand einer „sorgfältigen und sachgerecht durchzuführenden Risikoanalyse“[24] zu prüfen, ob und inwieweit die gerichtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen zu einem Schadensausgleich führen kann.[25] Hierbei braucht keine Gewissheit zu bestehen, dass eine Klage tatsächlich zum Erfolg führt.[26]

Gelangt die Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Gesellschaft durchsetzbare Ansprüche hat, denen keine erheblichen Prozessrisiken entgegenstehen, müssen diese Ansprüche auch verfolgt werden.[27] Hier sind nur in (seltenen) Einzelfällen Ausnahmen denkbar, wenn etwa gewichtige Umstände im Interesse des Unternehmenswohls dagegen sprechen.[28] Gerechtfertigt kann dies etwa auch dann sein, wenn die Kosten anderenfalls höher wären als der zu erwartende Nutzen oder ein Imageschaden für die Gesellschaft zu befürchten ist.[29]

Nach Maßgabe dieser Grundsätze wird die vorerwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs das Ermessen der Geschäftsleitung weiter einschränken, in korruptionsrelevanten Sachverhalten von der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen Abstand zu nehmen. Klar dürfte sein, dass nach Bekanntwerden eines korruptionsrelevanten Sachverhaltes zu Lasten des Unternehmens (jedenfalls) eine Prüfpflicht besteht, die unter den abgeschwächten Voraussetzungen des 1. Zivilsenates regelmäßig eine Verpflichtung zur Geltendmachung beinhalten dürfte, wenn und soweit im Rahmen der weiterhin bestehenden primären Darlegungs- und Beweislast eine Indizienkette aufgereiht werden kann, die ausreichende Anhaltspunkte für eine Schmiergeldabrede bietet und hierfür auch geeignete Beweismittel zur Verfügung stehen.

3. Strafrechtliche Konsequenzen im Lichte der „HSH-Nordbank“-Rechtsprechung (vermeintlich 2. Prüfstufe).

Dieser Befund hat im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des 5. Strafsenates des Bundesgerichtshofs vom 12.10.2016 („HSH-Nordbank“)[30] unmittelbare Konsequenzen für die strafrechtliche Bewertung. Denn ausweislich dieser Entscheidung soll nunmehr jeder Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, der zugleich eine Hauptpflichtverletzung ist, per se eine pflichtwidrige Untreue begründen, mithin eine zusätzliche 2. Prüfung (auf rein strafrechtlicher Ebene) gänzlich entbehrlich machen. So ist der 5. Strafsenat der Auffassung, dass ein zusätzliches (strafrechtsspezifisches) Kriterium einer „gravierenden“ Pflichtverletzung (hier) keinen eigenständigen Aussagegehalt (mehr) habe, der über den anerkannten Ermessenspielraum bei unternehmerischen Entscheidungen hinausgehe.[31] Vielmehr sei die Business Judgement Rule (§ 93 Abs. 1 S. 2 AktG) schon „Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzungim Sinne des § 266 Abs. 1 StGB“.[32]

Die Konsequenzen dieser Entscheidung sind für die Prüfung, ob zivilrechtliche Schadensersatzansprüche geltend zu machen sind, erheblich. Originär zivilrechtlich relevanten Vorstandsentscheidungen haftet künftig immer ein etwaiger strafrechtlicher Makel an. Umgekehrt verlagert der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Auslegungsprobleme des Straftatbestandes der Untreue in das Gesellschafts- beziehungsweise Aktienrecht.[33] Letztlich wird damit ein gesellschaftsrechtlicher Verstoß einem strafrechtlichen Verstoß gleichgestellt, die unterschiedlichen Rechtsgebiete verschwimmen.

Bleibt nur noch die Frage nach dem Nachteil: Unstreitig dürfte sein, dass werthaltige Forderungen wie etwa Zahlungsansprüche und sonstige zivilrechtliche (Schadens-) Ersatzansprüche zum strafrechtlich geschützten Vermögen gehören[34] und dass das pflichtwidrige Unterlassen, solche Vermögenspositionen geltend zu machen, in der strafprozessualen Rechtswirklichkeit unter dem Gesichtspunkt der schadensgleichen Vermögensgefährdung geprüft werden dürfte.[35] Entsprechend weiter könnte von Seiten der Ermittlungsbehörden argumentiert werden, dass durch die pflichtwidrige Nicht-Geltendmachung werthaltiger (Schadensersatz-) Ansprüche auch bei einem durch die Schmiergeldabrede bereits (untreuerelevant und nicht durch Schadensersatzansprüche kompensierbar[36]) geschädigten Unternehmen eine neuerlicher Gefährdungsschaden im Sinne des § 266 StGB durch andere Personen (hier: Vorstandsmitglieder) eintritt.[37]

Wie all dies mit den erkennbaren Bemühungen des Bundesverfassungsgerichts, die Anwendbarkeit des Untreuestraftatbestandes (generell) zu begrenzen[38] und der ohnehin problematischen Entwicklung der Untreuerechtsprechung hin zum krass ausufernden Case-Law[39] vereinbar sein soll, bleibt äußerst fraglich. Die Problematik verschärft sich weiter, wenn der Bundesgerichtshof erkennbar keinerlei Anstrengungen unternimmt, eine Begrenzung an anderer Stelle (etwa auf der subjektiven Seite[40]) vorzunehmen, die dem Ultima-ratio-Gedanken angemessen wäre.

Bei nüchterner Betrachtung kann allerdings schon das Argument nicht ziehen, dass für das strafrechtsautonome Kriterium der „gravierenden Pflichtverletzung“ kein Platz mehr bliebe[41] bzw. ein „zweiter Evidenzfilter“ keine (Begrenzungs-) Funktion mehr haben könne.[42] So ist schon dogmatisch nicht nachvollziehbar (von der kriminologischen Notwendigkeit ganz zu schweigen), warum jeder zivilrechtlicher Ermessensfehlgebrauch im Sinne der §§ 43 GmbH, §§ 76, 93 AktG zugleich eine Strafbarkeit begründen soll. Ohne weiteres wäre es möglich, die – grundsätzlich anders gelagerte – strafrechtliche Bewertung etwa (kumulativ) von sachwidrigen Motiven und unter keinen Umständen mehr vertretbaren krassen (Fehl-) Entscheidungen im Einzelfall abhängig zu machen, die unter (bewusster) Verkennung interner Regeln (fehlende Transparenz) ergangen oder nicht ergangen sind.[43]

IV. Zusammenfassung

Die Auswirkungen des HSH-Nordbank-Urteils zeigen sich bei der Nicht-Geltendmachung von (Schadens-) Ersatzansprüchen in voller Schärfe. Das fehlende strafrechtliche Evidenz-Korrektiv führt in der Konsequenz dazu, dass jede im Sinne der §§ 43 GmbH, 76, 93 AktG „falsche“ zivilrechtliche (Nicht-) Entscheidung die Annahme eine strafrechtlichen (Untreue-) Anfangsverdachts per se begründen kann und wird. Das Risiko, dass ein Unternehmensverantwortlicher im Lichte der Entscheidung des 1. Zivilsenates bei im Nachhinein bekannt gewordenen Schmiergeldabreden eine „falsche“ Entscheidung trifft, wenn er auf die Geltendmachung von (Schadens-)Ersatzansprüchen verzichtet, ist signifikant gestiegen. In Verkennung der vereinfachten Anforderungen an die Darlegungslast führt letztlich jede Fehlentscheidung zu zivil- und strafrechtlichen Haftungsrisiken. „Untreue passt (eben doch) immer“.[44]

[1] BGH, Urt. v. 18.01.2018 – I ZR 150/15, BeckRS 2018, 1197, Rn. 1 ff.

[2] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 3.

[3] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 23.

[4] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 23.

[5] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 23.

[6] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 24.

[7] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 26 mit Verweis u.a. auf BGH NJW 2000, 2669, 2672; sowie div. weitere zivilrechtliche Rspr. und Lit.

[8] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn 26 unter Bezugnahme auf BGH NJW 2004, 3423, 3425 (bezogen allerdings auf eine gänzlich andere Sachverhaltskonstellation).

[9] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 28 und 30 m.w.N.

[10] BGH BeckRS 2018, 1197, Rn. 30.

[11] BGH NStZ 2014, 323 (allerdings aus strafprozessualer Sicht).

[12] Für eine wahrheitsgemäße Einlassungspflicht: OLG Zweibrücken BeckRS 2009, 10754; LG Karlsruhe BeckRS 2010, 10943; insgesamt und auch zu anderen Auffassungen von Selle in: BeckOK- ZPO, § 138 Rn. 29-31.1.

[13] BAG, Urt. v. 26.02.1971, 3 AZR 97/70; LAG München BeckRS 2012, 72251.

[14] Fischer, StGB, 65. Aufl. 2018, § 266 Rn. 157; Böttger in: ders. (Hrsg.), Wirtschaftsstrafrecht in der Praxis, 2. Aufl. 2015, Kap. 3 Rn. 146.

[15] Esser in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, StGB, 2. Aufl. 2015, § 266 Rn. 143.

[16] Heger in: Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 266 Rn. 6; Fischer, § 266 Rn. 157; Kindhäuser in: ders./Neumann/Paeffgen, StGB, 5. Aufl. 2017, § 266 Rn. 91 mit einer im Ergebnis nicht überzeugenden Differenzierung zwischen Verzicht (dann Untreue) und Verjährenlassen einer Forderung (dann keine Untreue) im Fall des Missbrauchstatbestandes; dagegen auch: Dierlamm in: Münchener Kommentar, StGB, 2. Aufl. 2014, § 266 Rn. 138.

[17] BGH NJW 1983, 461 (offen gelassen beim Verjährenlassen einer Forderung eines Mandanten durch einen Rechtsanwalt); vgl. hierzu auch Schünemann in: Leipziger Praxiskommentar/Sonderband Untreue – § 266 StGB, 2017, § 266 Rn. 127 mit Verweis auf RGSt 11, 412, 413 a.E.

[18] Böttger in: Wirtschafstrafrecht, Kap. 3 Rn. 38 ff; instruktiv hierzu mit einem Meinungsstand Schünemann in: Leipziger Kommentar/Sonderband, § 266 Rn. 109 ff; s. auch: BGH NStZ 2017, 227, 229 f. (HSH-Nordbank) zu §§ 76, 82, 93 AktG (s. auch unten).

[19] Die Grundsätze sind für die Geschäftsführer einer GmbH entsprechend anzuwenden.

[20] BGH NJW 1997, 1926 ff. Nähere (ältere) zivilgerichtliche Entscheidungen zu der Frage, ob eine Pflicht zur Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft besteht, gibt es nur vereinzelt: So Gloeckner/Racky in: Knierim/Rübenstahl/Tsambikakis, Internal Investigations, 2. Aufl. 2016, Kap. 20 Rn. 21 (Fn. 15) mit Verweis auf KG GmbHR 1959, 257 (zur rechtzeitigen Geltendmachung von Ansprüchen und der Verhinderung eines Verjährungseintrittes bei Geschäftsführern einer GmbH sowie BGH WM 1982, 532 f. zur Pflichtverletzung eines Vorstandsmitglieds, der ohne Anhörung des Aufsichtsrates auf eine Forderung der Gesellschaft verzichtet hat).

[21] So auch Gloeckner/Racky in: Internal Investigations, Kap. 20 Rn. 21 ff. m.w.N..

[22] So auch Gloeckner/Racky in: Internal Investigations, Kap. 20 Rn. 22.

[23] So auch Gloeckner/Racky in: Internal Investigations, Kap. 20 Rn. 21.

[24] BGH NJW 1997, 1926.

[25] Näher dazu Gloeckner/Racky, in: Internal Investigations, Kap. 20 Rn. 21 ff.

[26] Gloeckner/Racky in: Internal Investigations, Kap. 20 Rn. 21.

[27] Gloeckner/Racky in: Internal Investigations, Kap. 20 Rn. 21.

[28] Gloeckner/Racky in:Internal Investigations, Kap. 20 Rn. 21.

[29] Michalski/Haas/Ziemons, GmbHG, 2. Aufl. 2010, § 43 Rn. 77.

[30] BGH NStZ 2017, 227 ff. mit Anm. Zimmermann WiJ 2018, 25, 28 f.

[31] BGH NStZ 2017, 227, 230 unter Bezugnahme auf BGHSt 50, 331, 336 („Mannesmann“) und BGH NJW 2016, 2585, 2591.

[32] BGH NStZ 2017, 227, 230.

[33] Ottow WiJ 2017, 52, 53.

[34] Gaede in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, StGB, 2. Aufl. 2015, § 263 Rn. 70 sowie ebd. Esser, § 266 Rn. 165 zum herrschenden rechtlich-wirtschaftlichen Vermögensbegriff.

[35] Fischer, § 266 Rn. 157; s. auch Kindhäuser in: ders/Neumann/Paeffgen, § 263 Rn. mit Verweis auch auf OLG Celle NJW 1974, 615; s. auch BGH, Urteil v. 12.12.2003, Az.: 3 StR 146/13 Rn. 14.

[36] Fischer, § 266 Rn. 168.

[37] Bittmann NZWist 2014, 129, 135.

[38] BVerfG NJW 2010, 3209 ff.; 2013, 365 ff.

[39] Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 3 Rn. 8.

[40] Entsprechend der allgemeinen Restriktionsbemühungen auf Vorsatzebene in Fallgruppen, die wie hier eine schadensgleiche Vermögensgefährdung betreffen: Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 3 Rn. 84; Esser in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, StGB, 2. Aufl. 2015, § 266 Rn. 225 ff.; Fischer, § 266 Rn. 177 ff.

[41] BGH NStZ 2017, 227, 233 mit Anm. Becker mit Verweis auf BGHZ 135, 244, 253 f.; Schünemann in: Leipziger Kommentar / Sonderausgabe, § 266 Rn. 117.

[42] BGH NStZ 2017, 227, 233 mit Anm. Becker mit Verweis auf BGHZ 135, 244, 253 f.; a.A. Ottow, WiJ 2017, 52, 53.

[43] Vgl. etwa den Kriterienkatalog in der Sponsoring-Entscheidung: BGHSt 47, 187, 194 ff; s. auch Zimmermann WiJ 2018, 25, 29, der in diesem Sinne zutreffend für eine strafrechtliche Begrenzung auf „besonders schwerwiegende aktienrechtliche Pflichtverletzungen“ plädiert mit dem zusätzlichen Hinweis auf die bereits im Aktienrecht getroffene Begrenzung auf als „grob“ definierte Pflichtenverstöße, s. hierzu auch Ottow WiJ 2017, 52, 58 f.

[44] Ransiek ZStW 116, 2004, 634, 635, näher hierzu Böttger, Wirtschaftsstrafrecht, Kap. 3 Rn. 1 ff.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Matthias Brockhaus
    Dr. Matthias Brockhaus ist Partner und Fachanwalt für Strafrecht in der ausschließlich auf das Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei VBB Rechtsanwälte. Der Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der Verteidigung von Individualpersonen und Unternehmen in allen Bereichen des Wirtschafts-, Steuer- und Medizinstrafrechts sowie der Compliance-Beratung. Er ist überwiegend am Standort Essen tätig. Für die WisteV ist er als Regionalleiter Westen aktiv. Daneben ist er alsehrenamtlicher Anwaltsrichter in der 2. Kammer des Anwaltsgerichts Düsseldorf tätig.
  • Dr. Sebastian Maiß
    Dr. Sebastian Maiß berät seine Mandanten seit vielen Jahren in allen Fragestellungen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts sowie der angrenzenden Rechtsgebiete. Ein Schwerpunkt stellt die laufende rechtliche Beratung von Unternehmen an der Schnitstelle zum Strafrecht dar: Er unterstützt Unternehmen bei der Implementierung und Durchführung von Compliance-Systemen sowie internen Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung von Straftaten und der konsequenten Verfolgung von Schadensersatzansprüchen.

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  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

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