Folker Bittmann

Editorial

WiJ – Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V., dritte Ausgabe 2018

Mitten im Sommer, noch dazu in einem der (bisher) seltenen deutschen Sommer der Hochs – wen soll da schon die neue Ausgabe des WiJ interessieren? Strand, kalte Getränke, Party statt dröger Juristerei? Ein Blick auf den Inhalt zeigt geradezu elektrisierend das Gegenteil: Aktueller, kompakter und kompetenter kann kein Medium die gerade heiß (sic!) diskutierten brisantesten rechtlichen und rechtspolitischen Themen aufgreifen.

Sie, liebe Leserin, lieber Leser, haben sich bestimmt ebenfalls schon gewundert, wenn Sie in den letzten Wochen bei einer Behörde, einer Telefonzentrale eines Call-Centers oder großen Unternehmens anriefen und mindestens 60 Sekunden lang mit Belehrungen vollgeschwallt wurden, bevor Sie auch nur ein Wort von sich geben durften: Es grüßt die DSGVO – ein EU-Monstrum, das die Diskreditierung der grandiosen Friedensidee Europa mittels ausgreifender, allumfassender und kleinteiliger bürokratischer Gesinnung geradezu beispielhaft dokumentiert. Das schützenswerte Gut der Diskretion wird noch mehr als schon bisher zum Schimpfwort „ach Datenschutz“, von dem keiner mehr etwas hören will. Das erleichtert mental gerade denjenigen ihr Treiben, die ihren geschäftlichen Erfolg auf Datenmißbrauch stützen. Antje Klötzer-Assion befasst sich mit einem anderen, einem öffentlich-rechtlichen Aspekt von „big data“, der Neuregelung des hessischen Polizeigesetzes und desjenigen zum Verfassungsschutz. Beide stehen in einer Reihe ähnlicher Novellierungen in anderen Bundesländern und lehnen sich partiell an US-amerikanische Tendenzen zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung mittels Auswertung zahlreicher, durchaus auch zu ganz anderen Zwecken gesammelter Daten an. Abweichendes Verhalten als Verdachtsquelle – Zwang zur Konformität: ! oder ?

Es ist nur noch eine Frage der (kurzen) Zeit, wann das BMJV seinen Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Sanktionierung von Verbänden vorlegen wird. Im Vorfeld gibt es dazu bereits zahlreiche Veröffentlichungen und seit einigen Monaten neben einem Frankfurter auch einen Kölner Entwurf, jeweils erstellt von einer Gruppe von Wissenschaftlern und Praktikern. Nicht nur deren Erstellung selbst ist „verdienstvoll“, so Markus Rübenstahl im ersten Teils seines mit einer Kommentierung versehenen und daher sehr ausgreifenden WiJ-Beitrags, sondern auch dessen äußerst intensive Befassung mit den in Köln entwickelten Vorschlägen selbst. Nicht minder aktuell, ja geradezu spannend zu lesen sind die Ausführungen von Saleh R. Ihwas zum Darknet, einem allein schon für die eigene Bildung unverzichtbaren Überblick über dessen Funktionsweise, Technik, Anwendungsbereich, gesellschaftliche und politische Bedeutung – aber eben auch über die noch weitgehend ungeahnten Mißbrauchsmöglichkeiten (Neuland!), die der aktuelle, gerade mit langjährigen Freiheitsstrafen abgeschlossene Fall des Freiburger Kindesmißbrauchs einer breiteren Öffentlichkeit vor Augen führte. Ihwas zeigt auf, dass den Strafverfolgungsbehörden zwar nicht die Hände gebunden sind, aber keine den Spezifika des Darknets Rechnung tragenden Rechtsgrundlagen vorhanden sind.

Kritisch setzt sich Jörg Oesterle mit der Entscheidung des BVerfG zum Fall Jones Day/Volkswagen AG auseinander. Er zeigt auf, dass es keinen Grund gibt, das Halali auf Internal Investigations zu blasen. Den Ausführungen des BVerfG entnimmt er sogar eine Stärkung des Beschlagnahmeschutzes. Dieser habe sich jedoch im konkreten Fall nicht ausgewirkt, weil nicht die Verwertung von Unterlagen des Auftraggebers (VW) in Rede stand, sondern mit der Audi AG diejenigen eines Dritten („External Investigations“). Da es sich dabei jedoch um ein Tochterunternehmen handele, bestünde auch die Gefahr einer Verfolgung der Auftraggeberin als Mutterunternehmen wegen Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG, so dass Oesterle via § 148 StPO auch in concreto den Schutz vor Beschlagnahme befürwortet.

Es folgen die üblichen Rubriken. Ebenso ausführlich wie verläßlich stellen Raimund Weyand die aktuelle straf- und zivilrechtliche Judikatur zum deutschen Insolvenz(straf)recht und Carolina Keller Jupitz/Friedrich Frank schweizerische Entscheidungen zum Wirtschaftsstrafrecht sowie neue gesetzliche Entwicklungen vor. Über den 5. Kölner Insolvenzstrafrechtstag berichtet Raimund Weyand, über die Thuner Tagung „50 Jahre Zollunion“ Antje Klötzer-Assion. Den Abschluss bildet eine Rezension Julia Baedorfs, die das grundlegende Werk von Markus Rübenstahl/Jesco Idler zur „Tax Compliance“ vorstellt.

Wer trotzdem noch keine Leselust verspürt, wird die Lektüre bei wieder gemäßigten Temperaturen nachholen müssen, um sich nicht über eigene Wissenslücken ärgern zu müssen!

LOStA Folker Bittmann, Dessau-Roßlau

Autorinnen und Autoren

  • Folker Bittmann
    Nach dem ersten Staatsexamen 1980 in Heidelberg und dem zweiten 1985 in Stuttgart war LOStA a.d. Rechtsanwalt Folker Bittmann zunächst kurze Zeit Rechtsanwalt in Heidelberg. 1986 wechselte er zur Staatsanwaltschaft Darmstadt, 1987 zur Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main und übernahm dort nach gut einem halben Jahr ein insolvenzrechtliches Dezernat und 1992 zusätzlich die Koordination der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen, bevor ihm 1993 die Leitung der Wirtschafts- und Korruptionsabteilungen der Staatsanwaltschaft Halle übertragen wurde. Seit 2005 leitete er die Staatsanwaltschaft Dessau, seit 2007 Dessau-Roßlau. Seit Sommer 2018 ist er Rechtsanwalt bei verte|rechtsanwälte.

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    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

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  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung