Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. Wirksame Entbindung von beruflicher Schweigepflicht – §§ 53, 55 StPO

Die Erklärung des aktuell vertretungsberechtigten Organs einer juristischen Person ist grundsätzlich ausreichend, um einen als Zeugen zu vernehmenden Berufsgeheimnisträger, welcher für die juristische Person tätig war, von seiner Verschwiegenheitspflicht im Sinne des § 53 Abs. 2 S. 1 StPO wirksam zu entbinden. Ein vorgebliches Doppelmandat des als Zeugen zu vernehmenden Berufsgeheimnisträgers, zum einen zu der juristischen Person und zum anderen zu dem angeklagten früheren Geschäftsführer (oder der sonst vertretungsberechtigten Person), welches unter Umständen eine zusätzliche Schweigepflichtentbindung durch den angeklagten Geschäftsführer erforderlich machen kann, ist von dem Zeugen, der sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, glaubhaft zu machen.

OLG Hamm, Beschluss vom 27.02.2018 – 4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152.

Zu der immer noch stark umstrittenen Rechtsfrage, wer Berufsgeheimnisträger – zumal im Falle der Insolvenz – wirksam von der beruflichen Verschwiegenheitsverpflichtung entbinden kann, vgl. aus der aktuellen Rechtsprechung OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2009 – 1 Ws 289/09, ZInsO 2009, 2399, OLG Köln, Beschluss vom 01.09.2015 – III-2 Ws 544/15, ZInsO 2016, 157 mit zust. Anm. Kirsch, NZWiSt 2016, 287, OLG Hamm, Beschluss vom 17.08.2017 – 4 Ws 130/17, ZInsO 2017, 2316, einerseits, OLG Zweibrücken, Beschluss vom 08.12.2016 – 1 Ws 334/16, ZInsO 2017, 443 mit abl. Anm. Weyand sowie mit Anm. Raschke, NZWiSt 2017, 226 andererseits. Die nunmehr auch vom OLG Hamm nach dem vorstehend erwähnten Beschluss vom 17.08.2017 erneut bestätigte Auffassung, es komme lediglich auf eine Befreiungserklärung des aktuell vertretungsberechtigten Organs bzw. des Insolvenzverwalters einer juristischen Person an, dürfte zwischenzeitlich als h.M. anzusehen sein; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. 2017, § 53 Rn. 46a f. einerseits, Eschelbach, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 3. Aufl. 2018, § 53 Rn. 44 andererseits. Umfassend zu der Problematik s. im Übrigen Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, Wick, ZWH 2017, 82 sowie jüngst aus Verteidigersicht Köllner/Mück, NZI 2018, 341.

2. Datenbeschlagnahme nach Erledigung durch Löschung der Daten bei Komplettspiegelung von Datenträgern – §§ 94, 98 StPO

Jedenfalls in Fällen der Komplettspiegelung von Datenträgern steht ein so weitreichender Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Raum, dass die Rechtmäßigkeit der Datenbeschlagnahme auch nach deren Erledigung durch Löschung der Daten entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO gerichtlich überprüfbar ist. An der für Beschlagnahmeanordnungen nach § 94 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StPO erforderlichen Beweisbedeutung fehlt es, sobald mit hinreichender Sicherheit abzusehen ist, dass es zu keinem Gerichtsverfahren gegen den Beschuldigten oder gegen mit ihm bzw. dem beschlagnahmten Gegenstand in Verbindung zu bringende Dritte kommen wird.

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 22.12.2017 – 18 Qs 49/17, NJW-Spezial 2018, 154.

Im verfahrensgegenständlichen Fall wurde um die Datensicherung der internen Festplatte eines Notebooks und einer weiteren externen Festplatte gestritten.

3. Unverhältnismäßigkeit einer Wohnungsdurchsuchung bei Verdacht der Insolvenzverschleppung – § 102 StPO

Die Anordnung einer Durchsuchung bei einem Beschuldigten nach § 102 StPO erfordert den konkreten Verdacht, dass eine Straftat begangen wurde; vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen reichen in diesem Zusammenhang nicht aus. Eine Durchsuchung darf daher nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind. Angesichts der Erheblichkeit des Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen durch eine Durchsuchungsmaßnahme ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in besonderem Maße zu beachten. Naheliegende grundrechtsschonende andere Ermittlungsmaßnahmen, wie etwa Feststellungen zur Finanzlage des insolventen Unternehmens durch Einsichtnahme in Schuldnerverzeichnisse bzw. in über den BAnz zugängliche Jahresabschlüsse, dürfen daher ohne greifbare Gründe nicht unterbleiben oder zurückgestellt werden.

BVerfG, Beschluss vom 10.01.2018 – 2 BvR 2993/14, ZInsO 2018, 705.

4. Beschleunigungsgebot in Haftsachen – § 120 StPO

Der Bundesgerichtshof hat das Beschleunigungsgebot in Haftsachen eigenständig – unter den spezifischen Bedingungen des Revisionsverfahrens – zu wahren; er ist nicht gehalten, Einzelheiten zum internen Arbeitsablauf des Senats den mit der Haftkontrolle befassten Gerichten mitzuteilen.

BGH, Beschluss vom 24.01.2018 – 1 StR 36/17, NJW 2018, 1984

Der 1. Strafsenat befasst sich in dem Beschluss ausführlich und mit deutlichen Worten („… Es bedarf dabei keines weiteren Eingehens auf die (teilweise kleinteiligen) Erwägungen des Kammergerichts. …“ ) mit einer Entscheidung des KG, Beschluss vom 17.01.2018 – 4 Ws 149/17, 4 Ws 150/17, StraFo 2018, 151, durch die zwei Haftbefehle aufgehoben wurden, weil der BGH das Revisionsverfahren nicht hinreichend gefördert habe; zu dieser Entscheidung sowie zu dem Beschluss des OLG Frankfurt/Main vom 03.02.2016 – 1 Ws 186/15, n.v. (juris), mit dem gleichfalls ein Haftbefehl wegen vorgeblich unzureichender Förderung der Sache durch den BGH aufgehoben worden war, s. umfassend Fischer, StraFo 2018, 133.

II. Materielles Strafrecht

1. Stellung als Vertretungsorgan einer juristischen Person und Schuldnereigenschaft als besondere persönliche Merkmale beim Bankrott und der Insolvenzverschleppung – § 283 StGB, § 15a InsO,

Die Vorschrift des § 15a Abs. 4 InsO richtet sich allein an Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person oder an deren Abwickler und ist daher als echtes Sonderdelikt anzusehen. Dies gilt gleichfalls für den Tatbestand des § 283 StGB, der die Schuldnereigenschaft voraussetzt. Bei einem Gehilfen, der nicht selbst diese Sondereigenschaften innehat, ist eine Strafe zwingend nach § 28 Abs. 1 iVm § 49 Abs. 1 StGB zu mildern.

BGH, Beschluss vom 21.03.2018 – 1 StR 423/17, ZInsO 2018, 1147.

2. Vermögensabschöpfung und Rückwirkungsverbot – §§ 73 ff. StGB

Die Regelung des § 316h Satz 1 EGStGB, wonach die §§ 73 ff. n.F. rückwirkend anzuwenden sind, verstößt nicht gegen das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG, weil die Einziehung keine „Strafe“ darstellt.

LG Berlin, Beschluss vom 08.11.2017 – 526 KLs 244 Js 863/14 (10/16), wistra 2018, 184.

Die gegenteilige Auffassung vertreten jedoch das OLG Zweibrücken in seinem Beschluss vom 06.11.2017 – 1 OLG 2 Ss 65/17, ZInsO 2018, 728, sowie das LG Kaiserslautern im Urteil vom 20.09.2017 – 7 KLs 6052 Js 8343/16 (3), wistra 2018, 94 mit zust. Anm. Reichling, wistra 2018, 139 = NZWiSt 2018, 149 mit zweifelnder Anm. Rebell-Houben; der Entscheidung zustimmend jedoch Beukelmann, NJW-Spezial 2018, 56. Krit. hierzu indes Weidemann, PStR 2018, 57, sowie Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61 Aufl. 2018, Art. 316h EGStGB Rn. 2 m.w.N. Das OLG Köln (Beschluss vom 23.01.2018 – III-1 RVs 274/17, StraFo 2018, 204) lehnt die Auffassung des LG Kaiserslautern mittlerweile explizit ab. Insgesamt krit. zur gesetzlichen Neuregelung der Einziehung, insbesondere zur Anordnung der rückwirkenden Anwendung durch Art. 316h EStGB, s. jüngst Hennecke, NZWiSt 2018, 121.

3. Schutzbereich des Betrugstatbestandes – § 263 StGB

Die Rechtsordnung kennt im Bereich der Vermögensdelikte allgemein kein wegen seiner Herkunft, Entstehung oder Verwendung schlechthin schutzunwürdiges Vermögen.

BGH, Beschluss vom 11.04.2018 – 5 StR H 595/17, NStZ-RR 2018, 221

Im dem zugrundeliegenden Verfahren hatte der Beschuldigte entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nach Überzeugung der Kammer keine islamistisch motivierten Anschläge geplant, sondern lediglich den Versuch unternommen, unter Vorspiegelung seiner diesbezüglichen Bereitschaft Geldbeträge von Angehörigen des IS zu erlangen, weswegen eine – nunmehr rkr. – Verurteilung wegen versuchten Betruges erfolgt war. Die Entscheidung entspricht der bisherigen Rechtsprechung, vgl. bereits BGH, Urteil vom 17.11.1955 – 3 StR 234/55, BGHSt 8, 254, 256; s. auch BGH, Urteil vom 26.10.1998 – 5 StR 746/97, wistra 1999, 103, sowie zuletzt BGH, Urteil vom 16.08.2017 – 2 StR 335/17, wistra 2018, 41; s. hierzu auch Merkel, jurisPR-StrafR 2/2018 Anm. 4.

III. Zivilrechtliche Entscheidungen mit strafrechtlicher Relevanz

1. Erbringung erlaubnispflichtiger Zahlungsdienste als Zahlungsinstitut – §§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 8 Abs. 1 S. 1 ZAG a.F., § 823 Abs. 2 BGB

Erlaubnispflichtige Zahlungsdienste als Zahlungsinstitut erbringt allein derjenige, der „als Unternehmen“ handeln will. In dieser Weise wird nur aktiv, wer sein Unternehmen auf eigene Gefahr und Kosten selbständig leitet.

BGH, Urteil vom 16.01.2018 – VI ZR 474/16, ZInsO 2018, 928.

Die Entscheidung folgt der Rechtsprechung des 5. Strafsenats, s. BGH, Beschluss vom 28.10.2015 – 5 StR 189/15, wistra 2016, 81. S. hierzu Weiß, wistra 2016, 160, sowie Venn, ZWH 2016, 206.

2. Keine Amtspflichtverletzung bei vertretbarer Verfahrenseinleitung durch die Staatsanwaltschaft – § 834 BGB; § 152 StPO

Im Amtshaftungsprozess unterliegen staatsanwaltschaftliche Maßnahmen, bei denen ein Beurteilungsspielraum des Entscheidungsträgers besteht, nur einer eingeschränkten richterlichen Kontrolle. Sie können nicht auf ihre Richtigkeit, sondern nur auf ihre Vertretbarkeit überprüft werden. Das Legalitätsprinzip begründet nicht nur die Kompetenz der Staatsanwaltschaft zur Einleitung von Ermittlungen, sondern statuiert unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen einen Verfolgungszwang. Der Staatsanwaltschaft ist bei der hier anzustellenden Prüfung, ob zureichende tatsächliche Anhaltspunkte in Bezug auf strafbares Verhalten vorliegen, ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen.

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 08.02.2018 – 1 U 112/17, n.v.

In der entschiedenen Sache hatte ein früherer DFB-Präsident Schadenersatzansprüche wegen einer angeblich pflichtwidrigen Verfahrenseinleitung geltend gemacht. Gegen das klageabweisende Urteil wurde Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt (Aktenzeichen des BGH: III ZR 68/18). Vgl. weiter zu der Entscheidung o.V., PStR 2018, 134.

3. Vollziehungsfrist bei der Vollziehung des Vermögensarrestes durch Eintragung einer Sicherungshypothek – § 111e StPO; § 929 Abs. 2 ZPO

Für den Antrag des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen auf Eintragung einer Sicherungshypothek (§ 111f Abs. 2 StPO, § 928, § 932 ZPO) zur Vollziehung des Vermögensarrestes (§111e StPO) gilt nicht die Vollziehungsfrist von einem Monat (§ 929 Abs. 2 ZPO).

OLG Celle, Beschluss vom 19.03.2018 – 18 W 20/18, ZInsO 2018, 1263.

Mit diesem Beschluss hat sich ein OLG erstmals mit den Voraussetzungen der Eintragung einer Sicherungshypothek aus Anlass eines Steuerstrafverfahrens nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung am 01.07.2017 befasst. Vgl. zu der Entscheidung die krit. Ausführungen von Johann, PStR 2018, 146.

IV. Finanzgerichtliche Entscheidung mit strafrechtlicher Relevanz

Haftung des für die Buchführung Verantwortlichen – § 35 AO

Organisiert der Mitarbeiter einer GmbH die Buchhaltung des Unternehmens und beteiligt er sich am Abschluss von einzelnen Verträgen, genügt dies nicht ohne Weiteres, um ihn als faktischen Geschäftsführer in Haftung für Steuerschulden zu nehmen. Dies gilt auch dann, wenn ihm darüber hinaus Vollmacht für das Geschäftskonto erteilt worden ist.

FG Köln, Beschluss vom 15.12.2017 – 13 V 2969/17, ZInsO 2018, 737.

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Elias Schönborn , Jan Uwe Thiel

    Gesetzliche Regelungen zur Handy-Sicherstellung sind verfassungswidrig (Österreich)

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht