Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. Feststellung des staatlichen Rechtserwerbs hinsichtlich Anordnung des dinglichen Arrests zur Rückgewinnungshilfe – § 111i StPO

Der zur Rückgewinnung angeordnete und vollzogene strafprozessuale dingliche Arrest und die hierauf beruhenden Pfändungsmaßnahmen sind auch unter Berücksichtigung der Vorschriften den staatlichen Auffangerwerb mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das arretierte Vermögen aufzuheben. Von einem Vorrang des Insolvenzverfahrens in diesem Sinne geht (inzwischen) auch § 111i StPO aus.

LG Duisburg, Beschluss vom 02.05.2018 – 34 Qs 3/17, ZInsO 2018, 1478.

S. zu der Entscheidung ausführlich Wegner, PStR 2018, 195. Vgl. zudem erschöpfend bereits OLG Nürnberg, Beschluss vom 08.11.2013 – 2 Ws 508/13, ZInsO 2014, 96; hierzu Bittmann, ZInsO 2014, 2024, sowie – aus Sicht der Kreditinstitute – Obermüller, ZInsO 2014, 2401.

II. Materielles Strafrecht

1. Berufstypische Handlungen und strafbare Beihilfe – § 27 StGB

Als Beihilfe im Sinne des § 27 StGB ist jede Handlung anzusehen, die die Herbeiführung des Taterfolgs des Haupttäters objektiv fördert, ohne dass sie für den Erfolg selbst ursächlich sein muss; es genügt die Unterstützung bei einer vorbereitenden Handlung. Gehilfenvorsatz liegt vor, wenn der Gehilfe die Haupttat in ihren wesentlichen Merkmalen kennt und in dem Bewusstsein handelt, durch sein Verhalten das Vorhaben des Haupttäters zu fördern; Einzelheiten der Haupttat braucht er nicht zu kennen. Auch berufstypische Handlungen – wie Beratungs- oder Unterstützungshandlungen von Rechtsanwälten, Steuerberatern und Bankmitarbeitern – können eine strafbare Beihilfe darstellen, wobei es bei einer derartigen an sich neutralen Handlung stets einer wertenden Betrachtung bedarf.

BGH, Urteil vom 19.12.2017 – 1 StR 56/17, wistra 2018, 342 = ZInsO 2018, 1956

Der 1. Strafsenat hat mit dem jetzt vorliegenden Urteil die bisherigen Leitlinien des BGH (grundlegend BGH, Urteil vom 01.08.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340; zuvor bereits BGH, Beschluss vom 20.09.1999 – 5 StR 729/98, wistra 1999, 459; s. weiter BGH, Urteil vom 18.06.2003 – 5 StR 489/02, wistra 2003, 385; BGH, Urteil vom 22.01.2014, wistra 2014, 176; vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 03.12.2010 – 1 Ws 146/10, ZInsO 2011, 288) zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit bestätigt (s. zuvor BGH, Beschluss vom 21.12.2016 – 1 StR 112/16, ZInsO 2017, 832; allg. und umfassend zu der Problematik vgl. Heuking/v. Coelln, WiJ 2017, 157).

2. Untreue durch leitende Bankmitarbeiter wegen vorschriftswidriger Vergabe ungesicherter Darlehen; Sal. Oppenheim jr. & Cie. KGaA – § 266 StGB

Die Strafzumessung ist Sache des Tatgerichts; eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle durch das Revisionsgericht ist daher ausgeschlossen. Organisationsmängel in einem Unternehmen oder einer Gesellschaft können strafmildernd wirken, wenn dadurch ein Täter in die Lage versetzt wird, sein Vorhaben ohne die an sich vorgesehene und gebotene Kontrolle umzusetzen. Die sorgfältige Planung einer Straftat und vor der eigentlichen Tat unternommene zielgerichtete Verschleierungshandlungen können bei der Strafzumessung zum Nachteil des Angeklagten gewertet werden. Die vom BGH zum Tatbestand der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) entwickelten Grundsätze bzgl. der Bedeutung des Hinterziehungsbetrags sind auf Fälle der Untreue (§ 266 StGB) nicht in gleicher Weise anzuwenden, weil der Untreuetatbestand mit seinen abstrakt-generellen Tatbestandsmerkmalen auf ganz unterschiedliche Lebenssachverhalte im Wirtschaftsleben Anwendung finden kann, sodass sich die in Betracht kommenden Fallgestaltungen einer generalisierenden Betrachtung entziehen.

BGH, Urteil vom 14.03.2018 – 2 StR 416/16, ZInsO 2018, 1469 = StraFo 2018, 306.

3. Untreue eines Unternehmensorgans bei Verstößen gegen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie durch ungerechtfertigte Bevorzugung eines Betriebsratsvorsitzenden – § 266 StGB

Einen durch den Untreuetatbestand strafbewehrten Grundsatz, wonach Vergütungserhöhungen durch den Sparsamkeitsgrundsatz gehindert sind, wenn der Betreffende auch zu den ursprünglich vereinbarten und für das Unternehmen günstigeren Bedingungen seine Leistungen zu erbringen hat, kennt das deutsche Recht nicht. Eine pflichtwidrige Verletzung des Sparsamkeitsgebots, welches lediglich den äußeren Begrenzungsrahmen des dem Unternehmer bei seinen Entscheidungen eingeräum­ten weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraums dar­stellt, liegt regelmäßig erst vor, wenn eine sachlich nicht gerechtfertigte und damit unangemessene Gegenleistung gewährt wird. Verstöße gegen das BetrVG für sich genommen keine Pflichtverletzung im Sinne des Untreuetatbestands zu begründen, weil dessen Vorschriften lediglich dem Schutz des Betriebsrats und damit der Beschäftigten dienen und keinen vermögensschützenden Charakter haben. Erwägungen, einem Betriebsratsvorsitzenden mit zusätzlichen Zahlungen einen Anreiz zu bieten, die übrigen Betriebsräte „unter der Decke“ zu halten, stellen indes keinen beachtlichen Belang des Unternehmenswohls dar.

BGH, Beschluss vom 20.06.2018 – 4 StR 561/17, ZInsO 2018, 1792.

4. Feststellung der Zahlungsunfähigkeit für strafrechtliche Zwecke – § 283 StGB, §§ 15a, 17 InsO

Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit erfolgt i.d.R. durch die betriebswirtschaftliche Methode, die eine stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten einerseits und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig herbeizuschaffenden Mittel andererseits voraussetzt; Zahlungsunfähigkeit kann überdies auch durch wirtschaftskriminalistische Beweisanzeichen belegt werden. Zur Abgrenzung von der bloßen Zahlungsstockung ist bei Anwendung der betriebswirtschaftlichen Methode zusätzlich eine Prognose dahin gehend erforderlich, ob innerhalb einer Dreiwochenfrist mit der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit hinreichend sicher zu rechnen ist.

BGH, Beschluss vom 12.04.2018 – 5 StR 538/17, ZInsO 2018, 1410.

5. Feststellung der Zahlungsunfähigkeit für strafrechtliche Zwecke – § 283 StGB, §§ 15a, 17 InsO

Rechtskräftig titulierte Forderungen sind stets als fällige Verbindlichkeiten zu berücksichtigen; auf die materielle Richtigkeit der zugrunde liegenden Urteile kommt es im Hinblick auf das Krisenmerkmal nicht an. Dem Vorhandensein von Vermögen kommt für die Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit als Geldilliquidität allein im Rahmen der Prognose über die kurzfristig mögliche Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit Bedeutung zu.

BGH, Beschluss vom 10.07.2018 – 1 StR 605/16, ZInsO 2018, 1953.

Der 1. Strafsenat übernimmt in der Entscheidung überdies die unter Ziffer 3 dargestellte Auffassung, nach der die Zahlungsunfähigkeit alternativ nach der betriebswirtschaftlichen und nach der wirtschaftskriminalistischen Methode festgestellt werden kann. Umfassend und aktuell zu diesem Thema vgl. Waßmer, ZInsO 2018, 1585.

6. Manipulation von Jahresabschlüssen für den Börsengang eines Unternehmens – § 331 HGB, § 263 StGB

Nicht jede Verletzung von Rechnungslegungsvorschriften führt zu einer Verletzung von § 331 HGB, vielmehr muss es sich um eine solche handeln, die die Interessen der Gläubiger, der Arbeitnehmer oder der Gesellschafter berührt. Die Darstellung im Jahresabschluss muss der objektiven Sachlage entsprechen, auf die subjektive Vorstellung des Handelnden kommt es nicht an. Die unrichtige Wiedergabe beschränkt sich nicht auf unwahre Angaben; unrichtig können nicht nur Aussagen über Tatsachen, sondern auch – evtl. auf zutreffenden Tatsachen beruhende – Schlussfolgerungen, wie Bewertungen, Schätzungen und Prognosen, sein. Die unzutreffende Buchung von Eigenkapital betrifft das gesamte Bilanzergebnis, weil Gläubiger und Gesellschafter auf diese Weise einen falschen Eindruck von der Liquidität und Kreditwürdigkeit der Gesellschaft erhalten, und in ihrem Vertrauen auf die Richtigkeit der dargestellten wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft enttäuscht werden.  Ein Irrtum i.S.d. § 263 StGB ist nicht nur gegeben, wenn der Getäuschte von der Gewissheit der behaupteten Tatsache ausgeht, sondern auch dann, wenn er trotz gewisser Zweifel die Vermögensverfügung trifft, wenn er also die Möglichkeit der Unwahrheit für geringer hält. Ein Vermögensschaden i.S.d. § 263 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung).  Wurde der Getäuschte zur Zeichnung von Aktien veranlasst, sind bei der für die Schadensbestimmung erforderlichen Gesamtsaldierung der Wert (Marktwert) der betroffenen Aktien und der hierfür entrichtete Kaufpreis miteinander zu vergleichen, wobei ggfs. ein Sachverständiger zur Ermittlung des Wertes heranzuziehen ist.

BGH, Beschluss vom 16.05.2017 – 1 StR 306/16, wistra 2018, 171 = ZInsO 2018, 2071

Zu der Entscheidung s. die Anm. von Gehm, NZWiSt 2018, 113.

III. Zivilrechtliche Entscheidung mit strafrechtlicher Relevanz

Untreue als Schutzgesetz – § 823 Abs. 2 BGB

Bei § 266 Abs. 1 StGB handelt es sich um ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Untreue setzt sowohl in der Variante des Missbrauchs- (§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB) als auch in derjenigen des Treubruchtatbestands (§ 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB) voraus, dass dem Täter eine Vermögensbetreuungspflicht obliegt und er diese verletzt. Eine solche Pflicht ist gegeben, wenn der Täter in einer Beziehung zum (potentiell) Geschädigten steht, die eine besondere, über die für jedermann geltenden Pflichten zur Wahrung der Rechtssphäre anderer hinausgehende Verantwortung für dessen materielle Güter mit sich bringt. Allgemeine schuldrechtliche Verpflichtungen, insbesondere aus Austauschverhältnissen, reichen nicht aus, und zwar auch dann nicht, wenn sich hieraus Rücksichtnahme- oder Sorgfaltspflichten ergeben. In der Regel wird sich eine Treuepflicht nur aus einem fremdnützig typisierten Schuldverhältnis ergeben, in welchem der Verpflichtung des Täters Geschäftsbesorgungscharakter zukommt. Bei rechtsgeschäftlicher Grundlage kommt es im Einzelfall auf die vertragliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses. Die Pflicht, Vermögensinteressen eines anderen wahrzunehmen, kann durch ein Rechtsgeschäft zwischen dem Verpflichteten und einem Dritten begründet werden.

BGH, Urteil vom 24.04.2018 – VI ZR 250/17, ZInsO 2018, 1675

IV. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit strafrechtlicher Relevanz

1. Widerruf einer Taxi-Genehmigung trotz laufendem Insolvenzverfahren – § 12 GewO

Der Widerruf einer Gewerbeerlaubnis wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse ist nach § 12 GewO für die Zeit eines Insolvenzverfahrens unzulässig. Dies hindert jedoch nicht eine entsprechende Maßnahme wegen persönlicher Unzuverlässigkeit.

VG Köln, Beschluss vom 15.06.2018 – 18 L 557/18, ZInsO 2018, 1870

2. Umfassende Offenbarungspflicht des Finanzamts gegenüber dem Insolvenzverwalter – § 30 AO; § 4 IFG NRW

Das Steuergeheimnis (§ 30 AO) steht der Einsichtnahme in steuerliche Unterlagen des Schuldners auch dann nicht entgegen, wenn der Insolvenzverwalter so denkbare Anfechtungsmöglichkeiten prüfen will.

BVerwG, Urteil vom 16.04.18 – 7 C 5.16, ZInsO 2018, 1907

Gestützt auf das auf das Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen (IFG NRW) verlangte ein Insolvenzverwalter vom Finanzamt Einsicht in alle Steuerkontounterlagen der Insolvenzschuldnerin, auch um Anfechtungsmöglichkeiten (§§ 129 ff. InsO) prüfen zu können. Das BVerwG hat mit der Entscheidung einen seit langem schwelenden Konflikt zwischen den – auf entsprechende Anfragen in der Vergangenheit regelmäßig sehr zögerlich reagierenden – Finanzbehörden und den nach Massemehrung strebenden Insolvenzverwaltern geklärt; vgl. hierzu Weyand, in: Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 355 StGB Rn. 7 m.w.N.

Ausführlich zu der Entscheidung vgl. die Anm. von Schmittmann, NZI 2018, 714 und von Wehner, jurisPR-InsR 19/2018 Anm. 3.

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht

  • Dr. Max Schwerdtfeger , Philip N. Kroner

    Parlamentarische Untersuchungsausschüsse und parallel geführte Wirtschaftsstrafverfahren

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)