WisteV-Moot Court: „Von einem Aufbruch in unbekannte Gewässer“
Unter der Leitung von Herrn Prof. Dr. Matthias Jahn,Richter am Oberlandesgericht (Forschungsstelle Recht und Praxis derStrafverteidigung an der Goethe-Universität) und Herrn Rechtsanwalt Dr. FabianMeinecke in Zusammenarbeit mit der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V.fand der Frankfurter wirtschaftsstrafrechtlich-strafprozessuale Moot Court imSommersemester 2018 bereits in seiner dritten Auflage statt.
I. Das Hissen der Segel
„Liebe Kollegin, lieber Kollege“ gehörte schon bald zumUmgangston von neun Studenten, die mit den Worten eines Richters des 2.Strafsenats des Bundesgerichtshofs „Im Namen des Volkes ergeht folgendesUrteil…“ in einem großen Gerichtssaal des Landgerichts Frankfurt endete. Dochwie kam es dazu?
„Die Reise“ fand ihren Anfang in diversenBekanntmachungen – in sozialen Medien und in der Universität – des Lehrstuhlsvon Herrn Prof. Dr. Matthias Jahn, welche zur Bewerbung für den drittenwirtschaftsstrafrechtlichen-strafprozessualen Moot Court aufriefen. Im Unterschiedzu den vorherigen Jahrgängen war der Moot Court in der dritten Auflage nichtauf zwei, sondern auf ein Semester ausgerichtet. Das Konzept blieb jedochdasselbe: Studenten sollen bereits im Studium die Möglichkeit erhalten, unterAnleitung von Rechtsanwälten einen fiktiven wirtschaftsstrafrechtlichen Fallvom Ermittlungsverfahren bis zur Hauptverhandlung zu bearbeiten und dadurchüber den Tellerrand des Studiums der Rechtswissenschaft hinaus zu schauen.
Zu der Vorbesprechung erschienen interessierte Studenten,denen Herr Prof. Dr. Matthias Jahn und Herr Rechtsanwalt Dr. Fabian Meinecke,die den Moot Court im Wintersemester 2014/2015 gemeinsam mit WisteV ins Lebengerufen haben, das „Rollenspiel“ und den Ablauf des Moot Courts vorstellten. UmTeil dieses spannenden Projektes zu werden, sollten die interessiertenStudenten sich mit einem Motivationsschreiben bewerben. Einige Wochen späterkonnten sich dann neun Studenten über die Zusage zur Teilnahme am Moot Courtfreuen. Die Teilnehmer wurden sodann in zwei Gruppen mit jeweils zwei Teams –der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung – aufgeteilt. Die Teams sollten vonerfahrenen Rechtsanwälten unterstützt werden. So wurden die Teams derStaatsanwaltschaft von Herrn Rechtsanwalt Ulf Reuker, LL.M. und die Teams derVerteidigung von Herrn Rechtsanwalt Björn Krug betreut. Alle Teilnehmerwarteten anschließend gespannt auf die Freigabe des Aktenstücks.
II. Das unbekannte Gewässer
Das „Ermittlungsverfahren“ wurde aufgrund einerStrafanzeige eingeleitet, welche der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main voneinem Rechtsanwalt als Vertreter einer mutmaßlich Geschädigten zugeleitet wurde.In der Anzeige wurde dem Beschuldigten „Alexander Angerbaur“ alsGeschäftsführer der „Blitzinfo-GmbH“ vorgeworfen, die Allgemeinmedizinerin „Dr.Linda Baumbach“ durch missverständlichgestaltete Anzeigen- und Angebotsschreiben sowie durch aufdringliche Anrufedurch seine Mitarbeiterin „Gesine Ratze“ getäuscht und zu einem Vertragsschlusseiner für sie und ihre Praxis nutzlosen Anzeigenschaltung in einem Faltblattnamens „Wanderungen durch die Streuobstwiesen im Taunus“ veranlasst zu haben. Da„Frau Dr. Baumbach“ gleichzeitig auch eine Einzugsermächtigung für einenvierstelligen Betrag erteilte, die „Herr Angerbaur“ auch einlöste, sei derAllgemeinmedizinerin ein entsprechender Schaden entstanden. Dieses Vorgehen ähnelte– so fiel es den Rechtsstudenten gleich auf – der sogenannten „Kölner Masche“[1], welchevor einigen Jahren die Justizbehörden beschäftigte und in den Medien Aufmerksamkeiterregte.
Die Akte gab sodann den Gang des bisherigenErmittlungsverfahrens wieder: Es wurden Zeugenvernehmungen und eineDurchsuchung der Wohn- und Geschäftsräume durchgeführt, sowie verschiedeneAuskünfte bei Behörden über die Person und die Geschäftstätigkeit desBeschuldigten eingeholt. Dass die Ermittler bei der Durchsuchung auf fastgänzlich leere Geschäftsräume trafen, weil die Gesellschaft inzwischenaufgelöst und sämtliche Unterlagen vernichtet worden waren, schien zunächst insBild des „windigen Geschäftsmannes“ zu passen. Die Beschlagnahme der letztenverbliebenen Dokumente sowie eines Laptops förderte zu Tage, dass die„Blitzinfo GmbH“ in jedenfalls zwei weiteren Fällen gegenüber dem Architekten„Rafael Silberpfeil“ und dem Holzhändler „Frank Feuerstein“ in ähnlicheVorgänge verstrickt war.
Doch selbstverständlich müssen diese Missverständnissenicht gleich zu einer Strafbarkeit bzw. einer Verurteilung wegen gewerbsmäßigenBetruges führen. Nun waren die Teilnehmer gefragt, die Handlungfortzuspinnen…
III. Die Fahrt
Es war besonders herausfordernd, dass die einzelnenAktenstücke und ihre Bestandteile selbst ausgewertet und so dieTatsachengrundlage ermittelt werden musste; eine Tätigkeit, die der gewohntenFallbearbeitung im Studium entgegenläuft. Die Teams der Verteidigung verfolgtenvöllig unterschiedliche Strategien, welche von einem konfrontativem Verteidigungsstilund eigenen Ermittlungen bis hin zu kooperativem Verhalten reichten. DieStaatsanwaltschaften konzentrierten sich darauf, eine Tatsachengrundlage zuschaffen, auf die sie ihre Anklage stützen konnten.[2]
Außerdem hatten die Veranstalter einen weiteren Fixpunktin das Ermittlungsverfahren eingebaut: Eine staatsanwaltschaftlicheZeugenvernehmung der ehemaligen Sekretärin des Beschuldigten, Frau „GesineRatze“. Dies galt es von beiden Seiten entsprechend vorzubereiten. Weiterhinwurde der Beschuldigte von beiden Teams der Staatsanwaltschaft geladen,allerdings machte der Beschuldigte in beiden Situationen von seinem AussageverweigerungsrechtGebrauch. Die Vernehmungen wurden zu Zwecken der späteren Selbstreflektion undBesprechung von einem professionellen Techniker der Goethe-Universitätaufgezeichnet.
Einige Wochen vor der Hauptverhandlung mussten dieAnklageschriften und die entsprechenden Stellungnahmen der Verteidigung „beiGericht“ eingereicht werden. Jeder Teilnehmer sollte eine individuelle Arbeitabliefern. Die Anklageschrift musste den für die Teilnehmer bisher unbekanntenformalen Anforderungen entsprechen und auch die Strafverteidiger mussten sichden einer Verteidigungsstellungnahme eigenen Stil aneignen. Die Anklage(respektive die Schutzschrift) stellten einen Teil der Seminarleistung dar.
Die Hauptverhandlung fand am 12. Juli 2018 in Saal EIIdes Landgerichts Frankfurt statt und erfolgte in zwei Durchläufen, bei denendie jeweils einander zugeordneten Gruppen agieren mussten. Dabei wusste auch derRahmen der Veranstaltung zu überzeugen, denn im Gerichtssaal waren neben denTeilnehmern und der Kammer auch ein Justizwachtmeister, ein Fotograf, Vertreterder Presse[3],sowie Publikum im Zuschauerraum anwesend. Außerdem sorgte die Gerichtskantinedankenswerterweise für eine hervorragende Bewirtung aller Personen imGerichtsaal.
Nach einer kurzen Einführung der beiden Veranstalterwurde den Teilnehmern die Besetzung der Strafkammer vorgestellt: Den Vorsitzübernahm Herr Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Christoph Krehl. AlsBeisitzer fungierten Staatssekretär a.D. Rechtsanwalt Dr. Rudolf Kriszeleit, Herr Rechtsanwalt Dr.Oliver Kipper, Frau Rechtsanwältin Dr. Anette Hartung sowie der amtierende Präsidentvon ELSA-Frankfurt am Main e.V. Sofian Kamrath. Die Teilnehmer waren angesichtsder außerordentlich honorigen Besetzung der Kammer umso angespannter.
Der eigentliche Ablauf der Hauptverhandlung entsprach denVorgaben der Strafprozessordnung. Besonders bemerkenswert war, dass in derHauptverhandlung der Angeklagte und die Zeugen von vorher angeworbenen undinhaltlich informierten Studenten repräsentiert wurden,[4] wasdie Hauptverhandlung noch wesentlich realitätsnäher gestaltete. Dies wurdedadurch verstärkt, dass der erfahrene Vorsitzende Richter Prof. Dr. Krehl ein hohesMaß an Autorität ausstrahlte und auch eine entsprechende Verhandlungsleitung anden Tag legte. So kam es mitunter vor, dass die Teilnehmer im Rahmen derBeweisaufnahme zu präziseren Anträgen ermahnt wurden oder das Beweisanträgeoder Fragen im Rahmen der Zeugenvernehmung auch gänzlich abgelehnt wurden.
Eine weitere Bewährungsprobe für alle Teilnehmerereignete sich am Ende der Beweisaufnahme: Plötzlich ließ der Vorsitzendeverlauten, dass dem Gericht ein Brief des Zeugen Rafael Silberpfeil zugegangensei,[5] inwelchem dieser –selbst aufgrund eines mehrmonatigen Auslandsaufenthaltsnicht im Lande– dem Gericht verfahrensrelevante Inhalte mitteilen wollte. Nunmussten sich alle Teilnehmer auf diese Situation einstellen. Selbstverständlichhatten die Staatsanwaltschaftsteams ein Interesse daran, den Brief alsUrkundenbeweis verlesen zu lassen während beide Strafverteidigerteams in derbeabsichtigten Verlesung einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeitzu erkennen glaubten und der Verlesung nicht zustimmten. Nach einer Darstellungder unterschiedlichen Positionen und einer Erörterung der Argumente zog sichdas Gericht kurz zu einer Entscheidung[6]darüber zurück, ob die Erklärung von „Rafael Silberpfeil“ letztendlich alsBeweis eingeführt werden würde, was dann in beiden Durchgängen auch tatsächlichgeschah.
Den Höhepunkt der Hauptverhandlung stellte für alleteilnehmenden Studenten wohl das Plädoyer nach dem Schluss der Beweisaufnahmedar. Hier war es erforderlich, zum Abschluss der Hauptverhandlung überzeugendeSchlussvorträge zu präsentieren.
Nach eigenem Bekunden tat sich die Kammer in beidenDurchgängen mit der Urteilsfindung enorm schwer, da es allen vier Teams gelang,die für die eigene Position jeweils vorteilhaften Argumente überzeugenddarzustellen.
Schließlich endete die Hauptverhandlung in beiden Fällenmit einem Freispruch.
IV. Sicher im Hafen angelegt – mit vielen Erfahrungen
Was übrig bleibt sind tiefere erste Einblicke in denAblauf eines (tatsächlichen) Ermittlungsverfahrens und vor allem in dieTätigkeiten des Staatsanwalts und des Strafverteidigers. Gefragt sind neben demVerfassen von Schriftsätzen gerade die im Studium kaum benötigten undtrainierten kommunikativen Fähigkeiten. Während des ganzen Semesters warbeständige Teamarbeit vonnöten, denn oftmals war es notwendig, in sehr kurzerZeit Schriftsätze zu verfassen und auf unvorhergesehene Szenarien zu reagieren.
Vertritt man die Auffassung, dass die besten Trainings-und Lerneffekte erzielt werden, wenn man die eigene „Komfortzone“ verlässt unddie eigenen Grenzen überschreitet, so traf dies in vollem Maße auf unsereTeilnahme am Moot Court zu, denn es können wohl nicht viele Studenten derRechtswissenschaft von sich behaupten, ein Wortgefecht mit einem Richter des Bundesgerichtshofsgeführt und vor einer honorig besetzten Strafkammer plädiert zu haben. Daherkönnen wir allen Studenten die Teilnahme an dem Moot-Court nur empfehlen.
Letztlich bleibt zu sagen, dass der Moot Court eine ersteÜbung für das bevorstehende Referendariat war und es den Teilnehmern dadurchleichter fallen wird, in den ersten Stunden im Gerichtssaal –um im bishergezeichneten Bild zu bleiben– auch bei „rauer See“ den richtigen Kurs zufinden.
[1] Siehe hierzu: https://www.swr.de/swraktuell/rp/270-bewaehrungsstrafen-fuer-anzeigenbetrueger/-/id=1682/did=20816834/nid=1682/1ctoxkp/index.html (zuletzt abgerufen am 5.10.2018).
[2] Anders als in der Realität, bestand hinsichtlich einer Anklageerhebung kein Entscheidungsspielraum, da die Hauptverhandlung den zentralen Bestandteil des Moot Courts darstellt.
[3] Der Artikel „Feuerprobe vor Gericht“ von Franziska Schubert erschien am 19.07.18 in der Frankfurter Rundschau.
[4] Die Teilnahme am Moot Court war für die Studenten insofern interessant, als das diese eine Schlüsselqualifikationsleistung angerechnet bekamen.
[5] Für dieses unvorhergesehene Szenario zeichneten sich im Nachhinein –wie könnte es anders sein– die Veranstalter verantwortlich.
[6] Gem. § 251 IV S. 1 StPO ist dazu ein Beschluss des Gerichts erforderlich.