Dr. Sascha Straube, M.A.

Alexandra Windsberger: Über den „tatsächlichen Zusammenhang“ im Bankrottstrafrecht

C.F. Müller, Heidelberg u.a. 2017, 255 Seiten, 89,99 EUR

Die Arbeit wurde im Sommersemester 2016 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als Dissertationsschrift angenommen und für das Erscheinen in der Reihe „Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht“ aktualisiert, so dass der Stand der Rechtsprechung und Literatur bis einschließlich Dezember 2016 berücksichtigt werden konnte. Sie wurde 2017 mit dem Dr.-Eduard-Martin-Preis der Universitätsgesellschaft des Saarlandes ausgezeichnet.

Und es handelt sich zweifelsohne um eine ausgezeichnete Arbeit, die sich dem ungeschriebenen Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ zwischen den Bankrotthandlungen und der objektiven Bedingung der Strafbarkeit im Rahmen der Bankrottdelikte historisch und dogmatisch annähert, um unter Entwicklung eigener Instrumente eigene Vorschläge für einen Umgang mit diesem zu machen.

Wie bekannt und dem geneigten Leser stets präsent fordert die Rechtsprechung seit jeher zwischen der tatbestandlichen Bankrotthandlung und der objektiven Strafbarkeitsbedingung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs in § 283 Abs. 6 StGB einen irgendwie gearteten, noch näher zu bestimmenden tatsächlichen Zusammenhang. In der Praxis wird dieser stets problemlos angenommen. Aber was genau ist dieses Erfordernis eigentlich?

Die Arbeit geht dieser Frage auf den Grund und fördert eine komplexe Thematik zutage, die so hell bisher kaum ausgeleuchtet worden sein dürfte.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist, dass der „tatsächliche Zusammenhang“ von der Rechtsprechung zwar wie selbstverständlich gefordert wird, jedoch auch nach 130 Jahren Rechtspraxis letztlich die näheren Konturen dieses „Unikums im gesamten Strafrecht“ nicht geklärt zu sein scheinen. Windsberger macht es sich daher zur Aufgabe, sowohl die Herkunft dieses Erfordernisses zu beleuchten als auch eine dogmatische Einordnung vorzunehmen.

Die Arbeit gliedert sich in vier große Teile, wobei der erste Teil mit der dogmengeschichtlichen Entwicklung den einen Löwenanteil beisteuert und der dritte Teil mit der Anwendung auf das Bankrottstrafrecht den anderen. Der zweite Teil beleuchtet kurz die Frage der materiellrechtlichen Erforderlichkeit eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ als übergesetzliches Korrektiv, der vierte und letzte Teil enthält die Zusammenfassung.

Nach einer kurzen Einleitung wirft Windsberger im 1. Kapitel zunächst einen Blick auf die Herkunft des „tatsächlichen Zusammenhangs“, um seine „Primärquellen“ aufzuspüren. Sie wird bei einer Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahre 1881 fündig. In der Analyse weiterer Entscheidungen kann eine erste Zusammenfassung festhalten, dass das Reichsgericht zunächst einen tatsächlichen Zusammenhang im Sinne eines zeitlichen Zusammentreffens forderte, um den Anwendungsbereich der Norm insoweit zu begrenzen. Denn zunächst lag rein aus dem Gesetzeswortlaut eine Strafbarkeit vor, wenn eine beschriebene Bankrotthandlung vorgenommen worden war und die Bedingung des Zusammenbruchs erfüllt war. Windsberger geht auf die relevanten Entscheidungen ein, stellt diese vor und sortiert sie ein. Dennoch muss die Autorin feststellen, dass der „tatsächliche Zusammenhang“ in der Interpretation des Reichsgerichts nur schwer einer einheitlichen Definition zugeführt werden kann. So mache das Reichsgericht die Strafbarkeit wegen Bankrotts davon abhängig, ob die vorgenommene Handlung im Einzelfall geeignet war, die Interessen oder Positionen der Konkursgläubiger (irgendwie) negativ zu beeinflussen. Dabei sei festzustellen, dass das Reichsgericht im Rahmen informationsbezogener Bankrotthandlungen vermehrt auf ein zeitliches Element und im Rahmen bestandsbezogener Handlungen auf ein sachliches Element abgestellt habe.

Bereits in Teil A des 1. Kapitels weist Windsberger auf ihrer Ansicht nach bestehende dogmatische Inkonsequenzen hin, so beispielsweise auf den Widerspruch, dass einerseits die Zahlungseinstellung zwar Unrechtsrelevanz habe, jedoch dennoch aus dem Schuldzusammenhang ausgeklammert werde. Und das obwohl zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung ein Zusammenhang gefordert wird, ein schuldindifferenter Zusammenhang. Windsberger weist darauf hin, dass alle Strafe Schuld voraussetzt und daher keine Umstände außerhalb der Schuld stehen könnten, die das Unrecht der Tat mitbegründen.

Zusammenfassend kommt Windsberger zu dem Schluss, dass vor dem Hintergrund der reichsgerichtlichen Entscheidungen der „tatsächliche Zusammenhang“ als schuldindifferenter Zusammenhang dogmatisch nicht abgesichert werden könne und er letztlich einem Kausalzusammenhang zwischen Bankrotthandlung und Benachteiligung bzw. Gefährdung der Konkursgläubiger entspräche.

In Teil B des 1. Kapitels skizziert Windsberger eine Perspektivenverschiebung zu Beginn des 20. Jahrhunderts dahingehend, dass das Unrechtszentrum des Bankrotts nicht im Konkurs, sondern in den Bankrotthandlungen zu sehen sei.

Windsberger beschreibt weiter historisch versuchte Reformen und sieht erst in der Integration des Konkursstrafrechts in das StGB im Rahmen des Ersten Gesetzes zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (1. WiKG) vom 29.07.1976 eine Versöhnung mit dem Schuldprinzip. Sie attestiert der Reform, dass der Tatbestand des Bankrotts in mehrfacher Hinsicht konzeptionellen Änderungen unterzogen wurde. Die Notwendigkeit einer übergesetzlichen Korrektur mit Hilfe eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ sei damit faktisch beseitigt worden. Der Bundesgerichtshof hat dennoch das Erfordernis des „tatsächlichen Zusammenhangs“ auf sämtliche Fälle der §§ 283 ff. StGB übertragen, so dass Windsberger in Teil C des 1. Kapitels die Frage eines „Rückschritts durch Rechtsanwendung?“ aufwirft. Im Fortgang der Arbeit beleuchtet sie einzelne Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und oberlandesgerichtliche Entscheidungen, aus deren Verfehltheit die Autorin insgesamt keinen Hehl macht. Im Anschluss stellt sie die Meinung des bankrottstrafrechtlichen Schrifttums dar.

Im 2. Kapitel wirft Windsberger die Frage nach einem Korrekturbedürfnis auf und stellt die Bankrotttatbestände zunächst als bedingte Gefährdungsdelikte dar. Ihrer Auffassung nach gibt es nur zwei kohärente Interpretationsmöglichkeiten des bedingten Gefährdungsdelikts, die den Anforderungen an das Schuldprinzip genügen. Für die Frage des Verhältnisses zwischen objektiver Strafbarkeitsbedingung und Unrechtstatbestand definiert die Autorin zwei sich ausschließende Deutungsmöglichkeiten, die sie „Trennungs- und Verbindungsthese“ nennt.

Die Verbindungsthese erfasst die herrschende Meinung, die irgendeine Beziehung zwischen Strafbarkeitsbedingung und Unrechtstatbestand fordert. Dabei stelle sich aber das Problem, dass die objektive Bedingung mit einem Schuldprinzip in Einklang gebracht werden muss, also zugleich unrechtsneutral sein muss.

Die Trennungsthese erfasst die Variante, dass es sich bei der objektiven Bedingung um eine Zusatzvoraussetzung handelt, die nichts mit dem tatbestandlichen Unrecht, dem Rechtsgut oder dem Strafgrund zu tun hat. Die Autorin wirft diesbezüglich die Fragen auf, ob dann aber die strafwürdigen Handlungen alleine geeignet sind, die angedrohte Rechtsfolge zu tragen und wenn ja, worin dann das Bedürfnis besteht, das Delikt an eine zusätzliche Bedingung zu knüpfen.

Im sich anschließenden 3. Kapitel wendet Windsberger ihre Ergebnisse auf das Bankrottstrafrecht an und liefert zunächst zwei Interpretationsvorschläge des § 283 Abs. 1 StGB nach ihren beiden Thesen, wobei sie zu dem Ergebnis kommt, dass die Verbindungsthese abzulehnen ist. Im Fortgang der Untersuchung wendet Windsberger daher die Trennungsthese zunächst auf § 283 Abs. 1 StGB an und beleuchtet die Auswirkungen eingehend. Auch dabei kommt die Autorin zu einem klaren Ergebnis und beantwortet sämtliche selbst aufgeworfenen Fragen. Das Endergebnis ihrer Untersuchung soll an dieser Stelle nicht verraten, vielmehr zu eigener Lektüre angehalten werden.

Und auch nach der Anwendung ihrer Trennungsthese auf § 283b StGB wartet Windsberger mit einem klaren Ergebnis sowie einem Vorschlag an den Gesetzgeber auf. Hier reiche das tatbestandliche Unrecht nicht aus, so dass die angedrohte Rechtsfolge überzogen sei. Ein Verstoß gegen Buchführungspflichten müsse vielmehr im Ordnungswidrigkeitenrecht verortet werden.

Das kurze 4. Kapitel enthält noch einmal die auf den Punkt gebrachten Ergebnisse der gesamten Untersuchung.

Die Arbeit setzt sich beeindruckend vertieft mit dem lange gereiften, doch noch immer nicht klar gefassten Erfordernis eines „tatsächlichen Zusammenhangs“ zwischen den Tatbestandshandlungen und der objektiven Bedingung der Strafbarkeit im Rahmen der Bankrottstraftaten auseinander und liefert sowohl eigene Thesen als auch Ergebnisse zu den vorgenommenen Betrachtungen. Ob die durchaus deutliche Kritik an diesem Erfordernis auch in der Rechtsprechung oder beim Gesetzgeber für eine Reaktion sorgen wird, bleibt abzuwarten. Das Zeug dazu hat „Über den „tatsächlichen Zusammenhang“ im Bankrottstrafrecht“ von Alexandra Windsberger auf jeden Fall.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Sascha Straube, M.A.
    Dr. Sascha Straube ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht in der Kanzlei WITTING CONTZEN & KOLLEGEN in München und ausschließlich auf dem Gebiet des Strafrechts und dort insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht tätig. Weitere Informationen finden Sie unter: www.leokanzlei.de

WiJ

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    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

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