Anmerkung zu BGH, Urteil vom 16.7.2019 – II ZR 426/17
1. Was zivilrechtlich erlaubt ist, darf nicht bestraft werden. Demgemäß ist es für die strafrechtliche Praxis wichtig zu wissen, wie die Zivilgerichte entscheiden. Zudem verbergen sich hinter zivilgerichtlichen Entscheidungen häufig auch strafrechtliche Probleme. Mit einem derartigen Sachverhalt hatte sich der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs zu befassen.
2. Das Geschehen trägt zwar ein wendebedingtes Kleid, weist aber Strukturen auf, welche unabhängig von den Zeitumständen in jeder Kapitalgesellschaft auftreten können. Die Nachfolgegesellschaft einer LPG (nachfolgend nur: LPG) war im Jahre 1993 für sich gesehen nicht mehr kreditwürdig. Die finanzierende Bank akzeptierte jedoch einen mit Gründung einer GmbH verbundenen unternehmerischen Neustart unter Übertragung von Anlagevermögen der LPG an die GmbH nebst deren Schuldbeitritt mit der Maßgabe, die GmbH habe jeweils 20 % ihres Jahresüberschusses der LPG zur Verfügung zu stellen, auf dass diese ihre Altkredite im Laufe der Zeit tilgen könne. Diese waren allerdings auch 20 Jahre nach der Vereinbarung noch nicht abgetragen – nicht zuletzt deswegen, weil die LPG die von der GmbH erhaltenen Zahlungen nicht (oder nur teilweise) zur Tilgung ihrer Altverbindlichkeiten verwandt hatte.
Um einen Ausweg aus dieser für die GmbH wenig komfortablen Lage zu finden, wählten deren Gesellschafter nicht etwa den Weg der Direktzahlung der Tilgungsleistungen an die kreditgebende Bank, sondern schalteten zwei weitgehend personengleiche weitere Gesellschaften ein. Diesen verkaufte und übereignete die GmbH landwirtschaftliche Nutzflächen. Die LPG zürnte: die Verträge seien lediglich geschlossen worden, um die Gewinne der GmbH zu verlagern und auf diese Weise die Zahlungspflichten an die LPG zu mindern. Sie klagte deswegen auf Feststellung der Sittenwidrigkeit der Übertragungsverträge. Während beide Vorinstanzen dem Antrag stattgegeben hatten, bezweifelt der BGH zwar nicht die Möglichkeit, wohl aber einen ausreichenden Beleg tatsächlicher Sittenwidrigkeit.
3. Die zivilprozessualen und gesellschaftsrechtlichen Probleme, mit denen sich der Senat befasste, sind strafrechtlich irrelevant. Die Ausführungen zur Sittenwidrigkeit können jedoch auch für die Beurteilung untreuerechtlicher Pflichtwidrigkeit fruchtbar gemacht werden.
Der Zivilsenat führte aus, dass die Verletzung vertraglicher Pflichten im Allgemeinen nicht ausreiche, Sittenwidrigkeit zu begründen. Vielmehr müsse eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zutage getretenen Gesinnung ergeben könne. Im Verhältnis zu einem Vertragspartner sei zudem erforderlich, dass sich diesem gegenüber das Rechtsgeschäft mit einem Dritten nachteilig auswirke. Ein solcher Nachteil könne durchaus im Vereiteln schuldrechtlicher Ansprüche bestehen.
a) Die Feststellung sittenwidrigen Handelns im vorliegenden Fall verlange zunächst die Prüfung der wirtschaftlichen Ausgewogenheit der Übertragungsverträge. Dabei sei zu berücksichtigen, ob die erhaltenen Gegenleistungen ihrerseits für die Erwirtschaftung von Gewinnen eingesetzt werden sollten und konnten. Der Annahme besonderer Verwerflichkeit könne hier entgegenstehen, dass die LPG die erhaltenen Mittel der GmbH nicht zur Tilgung von Altschulden eingesetzt habe. Dies könne durchaus Einfluss auf die wirtschaftliche Bedeutung der Übertragungen für die LPG zeitigen.
b) Unterzieht man den Sachverhalt einer untreuerechtlichen Überprüfung, so sind verschiedene Rechtsverhältnisse auseinanderzuhalten. Zwischen der LPG und der finanzierenden Bank bestanden lediglich Kreditverträge, die nicht geeignet waren, eine Vermögensbetreuungspflicht der LPG zugunsten der Bank zu begründen.
Der Schuldbeitritt der GmbH führte schließlich zu einem Dreiecksverhältnis. Er ist im Verhältnis Bank – GmbH wie ein normaler Kreditvertrag anzusehen, weshalb auch damit zwischen beiden kein von Vermögensbetreuungspflichten gekennzeichnetes Verhältnis begründet wurde. Aufgrund des wirtschaftlichen Zwecks wird man die Vereinbarung LPG – GmbH in rechtlicher Hinsicht als Finanzierungskauf zu klassifizieren haben. Ein solcher führt regelmäßig ebenfalls nicht zu einem strafrechtlich relevanten Treueverhältnis.
c) Ein solches könnte allerdings aufgrund zusätzlicher Vereinbarungen mit der Folge – ggf. wechselseitiger – Vermögensbetreuungspflichten entstanden sein. Eine derartige Besonderheit könnte vorliegen, wenn die LPG nicht nur gegenüber der Bank zur Zahlung, sondern zivilrechtlich auch gegenüber der GmbH verpflichtet war, deren Leistungen zur Tilgung der Kredite zu verwenden. Die Struktur gleicht Situationen, die aus der forensischen Praxis bekannt sind: Das Sozialamt zahlt dem Bedürftigen die Miete, dieser leitet sie jedoch nicht an den Vermieter weiter. Der Generalunternehmer verwendet die von seinem Vertragspartner erhaltenen Zahlungen für verschiedene Zwecke, nur nicht zur Befriedigung seiner Subunternehmer – zumindest in der Baubranche kein neues Phänomen, sondern Anlass für das BauFordSiG, das in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag feiern konnte.
d) aa) Ebenso wie in den genannten Verhältnissen beruhen die Verpflichtungen zwischen der LPG und der GmbH allein auf schuldrechtlicher Ebene. Eine unmittelbare Rechtsmacht, Verfügungen über fremdes Vermögen zu verfügen, ist damit nicht verbunden. Allerdings könnte ein sonstiges Treuverhältnis vorliegen. Die schlichte mit den Dreiecksverträgen verbundene Erwartung, LPG wie GmbH würden sich dauerhaft anlass- und damit zweckgerecht verhalten, genügte dafür jedoch sicherlich nicht. Anders könnte es aber liegen, bestünden konkrete zivilrechtliche Sicherungen zwecks Gewährleistung einerseits der Verwendung der eingenommenen Gelder zur Tilgung der Kreditverbindlichkeiten und andererseits zum Schutz vor Gewinnverlagerungen.
Denkbar wäre insoweit etwa die Vereinbarung der Pflicht der GmbH, die LPG vor der Insolvenz zu bewahren. Dann hätte es die GmbH übernommen, ihre eigenen Aktivitäten so einzurichten, dass auch die LPG ihren Verpflichtungen würde nachkommen können. Eine solche Abrede trüge den Charakter einer Geschäftsbesorgung, der die Bejahung einer Vermögensbetreuungspflicht der GmbH nahelegte.
bb) Unter welchen Umständen derartige Maßnahmen wirklich eine strafrechtliche Vermögensbetreuungspflicht begründen, ist eine Frage des Einzelfalls. Das Fehlen sichernder Zusatzabreden spräche hingegen deutlich gegen die Annahme untreurelevanter Verpflichtungen. Soweit dies dem ja nicht unter strafrechtlichen Aspekten dargestellten Sachverhalt des Urteils des BGH zu entnehmen ist, blieben auch nach Abschluss des Dreiecksvertrags sowohl die Verwendung der Mittel als auch das wirtschaftliche Gebaren der LPG bzw. der GmbH jeweils allein überlassen.
Der Transfer des Gewinnanteils von 20 % setens der LPG an die Bank mag damit zivilrechtlich Geschäftsgrundlage gewesen sein, begründete allerdings keine von § 266 StGB geschützte Pflicht der in Aussicht genommenen Weiterleitung. In der Übernahme der Pflicht der GmbH wiederum, 20 % ihres Gewinnes an die LPG abzuführen, mag ein zivilrechtliches Gebot liegen, ihren Gewinn zwar nicht zu maximieren, wohl aber ihn nicht künstlich zu vermindern. Diese Hintergründe der Vereinbarungen sind allein aber nicht geeignet, ein sonstiges Treuverhältnis i.S. der 2. Alternative des § 266 Abs. 1 StGB zu begründen.
cc) Ein Verstoß gegen das (zivilrechtlich möglicherweise bestehende) Verbot der Gewinnverlagerung mag treuwidrig oder sittenwidrig sein, zur Nichtigkeit oder zur Schadenersatzpflicht führen. Nur wenn es besonders abgesichert wäre, könnte die Verletzung auch strafrechtlich relevant sein. Erst nach einer derartigen Bejahung des Bestehens einer Vermögensbetreuungspflicht stellte sich die Frage, nach ihrer Verletzung. Die Antwort hinge von den konkreten Umständen ab, denn auch in einem Treuverhältnis erfüllt nicht jegliche Verletzung einer daraus abgeleiteten Pflicht das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit.
Hätte die (angenommen: vermögensbetreuungspflichtige) GmbH beispielsweise sogleich im dem Abschluss der Dreiecksverträge nachfolgenden Jahr und ohne Anlass seitens der LPG die Übertragungsverträge geschlossen, so läge jedenfalls deren zivilrechtliche Sittenwidrigkeit auf der Hand, wohl aber nicht nur das, sondern – ließe sich ein Nachteil im Vermögen der LPG quantifizieren – auch die Strafbarkeit wegen Untreue. Demgegenüber wäre eine Gewinnverlagerung der GmbH 20 Jahre nach Vertragsschluss sicherlich anders zu bewerten, stellte sie eine Reaktion auf ein Verhalten der LPG wider den Geist der Abreden dar: Wer im Glashaus sitzt, der werfe nicht den ersten Stein!
e) Überdies könnten die GmbH-Verantwortlichen Untreue zu deren Nachteil begangen haben, sogar in zweierlei Hinsicht: In der Krise oder mit Krisenfolge könnte der Entzug der landwirtschaftlichen Nutzungsflächen der GmbH ihre wirtschaftliche Grundlage entzogen haben. Müsste die GmbH Schadenersatzleistungen an die LPG erbringen, so könnte unter Umständen in deren Veranlassen eine Untreuehandlung liegen. Anhaltspunkte für Untreue zum Nachteil der GmbH bietet der veröffentlichte Sachverhalt allerdings nicht.
4. Der Fall zeigt deutlich, dass sich schnelle und pauschale Antworten verbieten. Die strafrechtliche Würdigung zivilrechtlicher Auseinandersetzungen kann durchaus angebracht sein und die Durchsetzung eigener Interessen fördern. Für die konkrete strafrechtliche Beurteilung muss man sich dann allerdings der Mühe unterziehen, die Einzelheiten genau festzustellen und zu prüfen, ob sie geeignet sind, die Merkmale der einschlägigen Tatbestände auszufüllen.