Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht
I. Strafprozessrecht
1. Rechtsmittel bei eingeschränkter Akteneinsicht
Wird der Verteidigung Akteneinsicht gemäß § 147 Abs. 2 StPO verwehrt und ist das Beschwerdegericht hieran gebunden (§ 147 Abs. 5 StPO), kann der sich hieraus ergebende Interessenkonflikt zwischen dem Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft nur dadurch aufgelöst werden, dass die Beschwerdeentscheidung bis zur Gewährung der zunächst verweigerten Akteneinsicht aufgeschoben wird.
OLG Brandenburg, Beschluss vom 27.06.2019 – 2 Ws 112/19, n.v.
2. Vermögensarrest nur bei ernstlicher Gefährdung des Einziehungsanspruchs – § 111e StPO
Ein Vermögensarrest gemäß § 111e StPO darf nur angeordnet werden, wenn zu besorgen ist, dass ohne ihn die Vollstreckung einer Anordnung auf Einziehung von Wertersatz ernstlich gefährdet wäre. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Verdacht besteht, der Beschuldigte habe sich durch eine vorsätzliche Straftat einen rechtswidrigen Vermögensvorteil verschafft.
HansOLG, Beschluss vom 26.10.2018 – 2 Ws 183/18, wistra 2019, 248.
Zu der Entscheidung s. die zust. Anm. von Rettke, wistra 2019, 252, sowie Struckmeyer/Hansen, NZWiSt 2019, 111.
3. Vermögensarrest bei einfachem Tatverdacht
Für die Anordnung eines Vermögensarrestes nach § 111e StPO genügt ein einfacher Tatverdacht; das Sicherungsbedürfnis ist zu bejahen, wenn wegen der zu erwartenden Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen die Insolvenz des Arbeitgebers droht, weil der Vermögensarrest ein grundsätzlich insolvenzfestes Sicherungsrecht entstehen lässt.
OLG Nürnberg, Beschluss vom 20.12.2018 – 2 Ws 627/18, wistra 2019, 297.
Zu der Entscheidung s. die zust. Anm. von Leppich, wistra 2019, 300. Das OLG Stuttgart (Beschluss vom 25.10.2017 – 1 Ws 163/17, ZInsO 2018, 527) hatte demgegenüber entschieden, dass auch nach neuem Recht ein Vermögensarrest nach § 111e StPO nur dann zulässig ist, wenn die Sicherung der Vollstreckung der Einziehung dies erfordert; die (bloße) Gefährdung der künftigen Vollstreckung sei jedoch nicht mehr als Bedingung für Arrestmaßnahmen anzusehen. S. zu der Problematik weiter Schmidt, Vermögensabschöpfung, 2. Aufl. 2019, Rn. 908 m.w.N.
II. Materielles Strafrecht
1. Beihilfevorwurf bei berufstypischem Verhalten – § 27 StGB
Das Handeln eines steuerlichen Beraters oder seiner Berufshelfer ist dann nicht mehr „berufstypisch“, sondern als strafbare Beihilfe zu den Taten des Mandanten zu qualifizieren, wenn der jeweilige Berufsangehörige das Risiko einer Steuerhinterziehung als derart hoch erkannt hat, dass er sich mit seiner gleichwohl fortgesetzten Hilfeleistung die Förderung des erkennbar tatgeneigten Mandanten angelegen sein lässt. Nach diesem Maßstab liegt kein strafloser Fall neutraler Professionalität mehr vor, wenn sich für einen kundigen Berufsangehörigen die Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung des Mandanten so sehr verdichtet haben, dass er ein positives Wissen nur noch vermeiden kann, indem er die Augen verschließt und besser nicht weiter nachfragt.
LG Nürnberg, Beschluss vom 21.02.2019 – 18 Qs 30/17, BeckRS 2019, 16288.
Zu der Entscheidung s. Pelz, jurisPR-Compl 5/2019 Anm. 3. Grundlegend zur „professionellen Adäquanz“ BGH, Urteil vom 01.08.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340 m. Anm. Jäger. S. zu der Problematik auch BGH, Beschluss vom 21.12.2016 – 1 StR 112/16, ZInsO 2017, 832, BGH, Beschluss vom 26.01.2017 – 1 StR 636/16, NStZ 2017, 461, BGH, Beschluss vom 19.12.2017 – 1 StR 56/17, ZInsO 2018, 1956 m. zust. Anm. Weyand. S. ferner Wohlers, JR 2017, 585, sowie aus Verteidigersicht umfassend Heuking/v. Coelln, WiJ 2017, 157.
2. Anforderungen an Feststellung der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge – § 266a StGB
Bei der Verurteilung wegen Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt ist es regelmäßig erforderlich, für die einzelnen Fälligkeitszeitpunkte Feststellungen zu der vom Arbeitgeber zu zahlenden Vergütung der jeweiligen sozialversicherungspflichtig Beschäftigen und zu den Beitragssätzen der einzelnen Krankenkassen zu treffen.
OLG Braunschweig, Beschluss vom 08.04.2019 – 1 Ss 5/19, ZInsO 2019, 1423.
3. Verletzung der Buchführungspflicht und omissio libera in causa – § 283b StGB
Bei Tatbestand des § 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt, so dass die Strafbarkeit entfällt, wenn der zur fristgerechten Bilanzierung Verpflichtete die Liquidität für die Einschaltung eines sachkundigen Dritten nicht aufbringen kann, sofern er selbst nicht über die notwendigen Kenntnisse verfügt. Allerdings ist der für die Erstellung der Bilanz Verantwortliche gehalten, bereits zum Ende des Geschäftsjahres eine Rückstellung für die Erstellung des Jahresabschlusses zu bilden und sachkundige Dritte dann so rechtzeitig zu beauftragen, dass die Bilanz fristgerecht erstellt werden kann. Um einem Buchführungspflichtigen die Unmöglichkeit der Pflichterfüllung nach den Grundsätzen der omissio libera in causa zuzurechnen, bedarf es dann aber Feststellungen dazu, wann sachkundige Dritte – angesichts der Verhältnisse der konkreten Gesellschaft – spätestens hätten beauftragt werden müssen, um die rechtzeitige Erstellung der Bilanz sicherzustellen.
OLG Braunschweig, Beschluss vom 08.04.2019 – 1 Ss 5/19, ZInsO 2019, 1423.
Zu der Entscheidung s. die abl. und sehr krit. Anm. von Brand, GmbHR 2019, 776. Ausführlich und grundlegend zu der Problematik der omissio libera in causa bei der Beitragsvorenthaltung BGH, Beschluss vom 28.05.2002 – 5 StR 16/02, wistra 2002, 340, sowie zuletzt BGH, Beschluss vom 11.10.2018 – 1 StR 257/18, wistra 2019, 102. S. zudem Wegner, wistra 2002, 382, Tag, JR 2002, 521, sowie Radtke, NStZ 2003, 154.
III. Zivilrechtliche Entscheidung mit strafrechtlicher Relevanz
1. Ort der Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände – § 697 BGB
In einem Strafverfahren beschlagnahmte Gegenstände sind auch gegenüber nicht beschuldigten (unbeteiligten) Dritten in entsprechender Anwendung von § 697 BGB an dem Ort zurückzugeben, an welchem sie aufzubewahren waren. Die verwahrende Justizbehörde ist nicht verpflichtet, die Sachen an den Beschlagnahmeort oder den Wohnsitz des Berechtigten zurückzubringen. Der von der Beschlagnahme betroffene Dritte ist für Fahrtkosten und sonstige notwendige Aufwendungen, die ihm im Zusammenhang mit der Abholung der Gegenstände entstehen, nach Maßgabe von § 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 JVEG zu entschädigen.
BGH, Urteil vom 16.05.2019 – III ZR 6/18, ZInsO 2019, 1305.
Der Senat bestätigt und erweitert mit dem Urteil seine bisherige Rspr. zum Ort der Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände, wobei er stets von einer Holschuld ausgeht; vgl. schon BGH, Urteil vom 03.02.2005 – III ZR 271/04, NJW 2005, 988, zur Rückgabe an den Beschuldigten. S. auch OLG Schleswig, Beschluss vom 21.12.2017 – 11 U 68/17, ZInsO 2018, 330.
2. Warnpflichten des ein Insolvenzsonderkonto führenden Kreditinstituts gegenüber dem Insolvenzgericht – § 826 BGB
Dient ein bei einem Kreditinstitut geführtes Insolvenz-Sonderkonto für die Bank erkennbar dazu, in der Art einer Hinterlegungsstelle zu Gunsten der verwalteten Masse eingehende Gelder zu sammeln, kann die Bank eine Warnpflicht gegenüber dem Insolvenzgericht oder – sofern vorhanden und der Bank bekannt – dem Gläubigerausschuss treffen, wenn der Zahlungsauftrag des Insolvenzverwalters für das Konto objektiv evident insolvenzzweckwidrig ist und sich der Bank aufgrund der Umstände des Einzelfalls ohne weiteres begründete Zweifel an der Vereinbarkeit der Handlung mit dem Zweck des Insolvenzverfahrens aufdrängen müssen. Es ist unzulässig, ein Anderkonto (Vollrechts-Treuhandkonto) als Insolvenzkonto zu führen.
BGH, Urteil vom 07.02.209 – IX ZR 47/18, ZInsO 2019, 845.
S. zu der Entscheidung, die erhebliche Unruhe bei Insolvenzverwaltern verursacht hat, Kamm, ZInsO 2019, 1085, Undritz, BB 2019, 1487, Cranshaw, NZI 2019, 609, Saager/D’Avoine/Berg, ZIP 2019, 2041 sowie aus Bankensicht Vortmann, WuB 2019, 265.
3. Direkte Haftung eines GmbH-Geschäftsführers gegenüber Gesellschaftsgläubigern – § 826 BGB
Bei mittelbaren Schädigungen setzt ein Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung voraus, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht. Die Verpflichtung des Geschäftsführers einer GmbH aus § 43 Abs. 1 GmbHG, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt, besteht grundsätzlich nur gegenüber der Gesellschaft, nicht hingegen im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. Dies gilt grundsätzlich auch bei einem „Griff in die Kasse“ durch das Gesellschaftsorgan.
BGH, Urteil vom 07.05.2019 – VI ZR 512/17, ZInsO 2019, 1665.
S. zu der Entscheidung die zust. Anm. von Tamcke, GmbHR 2019, 889.
4. Disziplinarrechtliche Folgen des pflichtwidrigen Mitwirkens eines Notars an Firmenbestattungen – § 14 BNotO
Ein Notar hat gemäß § 14 Abs. 2 BNotO seine Amtstätigkeit zu versagen, wenn sie mit seinen Amtspflichten nicht vereinbar ist, insbesondere seine Mitwirkung bei Handlungen verlangt wird, mit denen erkennbar unerlaubte oder unredliche Ziele verfolgt werden, bzw. der Verdacht besteht, dass seine Tätigkeit der Begehung von Straftaten dienen könnte. Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz setzt nicht voraus, dass das Verhalten des Notars oder auch der an den Beurkundungsvorgängen Beteiligten strafbar war; es kommt allein darauf an, ob mit den beanstandeten Beurkundungen erkennbar unredliche Ziele verfolgt werden. Bestehen entsprechende Verdachtsmomente, trifft den Notar eine gesteigerte Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung.
BGH, Beschluss vom 08.04.2019 – NotSt(Brfg) 5/18, ZInsO 2019, 1309.
S. zu der Entscheidung Buck, FD-InsR 2019, 418557, sowie krit. Volmer, EWiR 2019, 495.
IV. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit strafrechtlicher Relevanz
1. Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit während bzw. bei nachfolgender Insolvenzverfahrenseröffnung – § 35 GewO
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Gewerbetreibenden führt nicht zur Unterbrechung des (verwaltungs-)gerichtlichen Verfahrens über eine Gewerbeuntersagung. Dieses betrifft nämlich nicht die Insolvenzmasse, sondern allein das berufliche Betätigungsrecht des Gewerbetreibenden. Ebenso wenig hat auch das erst nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens eröffnete Insolvenzfahrens über das Vermögen des Gewerbetreibenden automatisch die (nachträgliche) Rechtswidrigkeit der Gewerbeuntersagung nach § 12 GewO zur Folge. Der für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung maßgebliche Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung gilt nämlich auch hier. Eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit kann sich auch auf andere – nicht ausgeübte – Tätigkeiten beziehen, wenn erheblichen Steuerrückständen bestehen und ein erfolgversprechendes Sanierungskonzept fehlt.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 08.04.2019 – 7 LB 85/18, ZInsO 2019, 1212.
2. Gewerbeuntersagung gegenüber einem wegen Insolvenzverschleppung verurteilten faktischen GmbH-Geschäftsführer – § 35 GewO
Die Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 7a GewO gegenüber einer vertretungsberechtigten und mit der Leitung eines Gewerbebetriebs betrauten Person steht im Ermessen der Behörde. Die Ermessensentscheidung ist dabei nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit eines Ausweichens in die selbstständige Gewerbeausübung auszurichten. Dies gilt auch, wenn der Betreffende als faktisches Organ tätig war.
VG Köln, Urteil vom 20.03.2019 – 1 K 2317/18, ZInsO 2019, 1222.