Dr. Frédéric Schneider

Korruption und Strafrecht (Kuhlen/Kudlich/Gómez Martin/ Ortiz de Urbina Gimeno [Hrsg.])

C.F. Müller, Heidelberg u.a. 2018, 200 Seiten, 69,99 EUR.

I. Einleitung

Korruption im Gesundheitswesen, im Sport, in der Privatwirtschaft, bei Amtsträgern, im Prozess und im Zusammenhang mit Compliance – zu allem Überfluss aus deutscher, spanischer und lateinamerikanischer Sicht. Das alles auf gerade einmal 185 Seiten. Es dürfte nicht wenige geben, die ein solches Unterfangen für unmöglich halten. Und doch beweist das vorliegende Buch eindrücklich das Gegenteil. Ganz nebenbei zeugt es auch noch von dem großen Wert, den wissenschaftliche Beiträge für die Verteidigungspraxis haben können. Ein genauerer Blick auf das Werk lohnt sich folglich ganz sicher.

II. Inhalt

Das Buch „Korruption und Strafrecht“ ist 2018 in der Schriftenreihe „Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht“ des C.F. Müller Verlags erschienen. Es umfasst zwölf Einzelbeiträge namhafter Autoren der deutschen, spanischen und lateinamerikanischen Strafrechtswissenschaft, die unter dem Namen Crimint einen regelmäßigen Austausch deutsch- und spanischsprachiger Strafrechtslehrer organisieren. Nachdem 2013 Compliance und Strafrecht sowie in 2015 das Medizinstrafrecht im Fokus dieses Austausches standen, folgte nunmehr im Jahr 2017 das Thema Korruption und Strafrecht. Die Erkenntnisse dieser Zusammenkunft finden sich gesammelt in der vorliegenden Publikation. Sie ist damit Ausdruck der zunehmenden Internationalisierung auch des Strafrechts und der vielen Gemeinsamkeiten in rechtsdogmatischen Fragen zwischen den genannten Jurisdiktionen.

1. Beiträge zur Bestechung und Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr

Den Anfang macht ein Beitrag zu „Korruption im privaten Sektor und das sogenannte Geschäftsherrenmodell“ von Prof. Dr. Jens Bülte. Er fasst mit der Änderung des § 299 StGB ein Thema auf, das wie kaum ein anderes in den letzten Jahren im deutsche Korruptionsstrafrecht die Diskussion geprägt hat. Nachdem Prof. Bülte zunächst einige Ausführungen zum ursprünglichen Tatbestand der Bestechung im geschäftlichen Verkehr voranstellt, betrachtet er anschließend die Hintergründe der Gesetzesänderung und skizziert deren internationale Grundlagen. Er befasst sich sodann mit einem ursprünglichen Entwurf des deutschen Gesetzgebers, im Hinblick auf den er überzeugend kritisiert, dass im Mittelpunkt eine nicht hinreichend konkretisierte Pflichtverletzung steht. Die daraus folgenden Friktionen im Hinblick auf das in Art. 103 Abs. 2 GG verankerte Bestimmtheitsgebot werden noch erschwert durch eine unklare Rechtsgutsbestimmung. Weiter schildert er die verschiedenen systematischen Brüche, welche sich durch die Aufnahme des Geschäftsherrenmodels in den Tatbestand, vor allen Dingen im Hinblick auf die Untreue aus § 266 StGB, ergeben. Das unter anderem zur Korrektur tatbestandlicher Mängel im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eingeführte Erfordernis eines Handelns ohne Einwilligung des Geschäftsherrn löst die Probleme dabei aus Sicht von Prof. Bülte nicht. Erforderlich sei mithin eine restriktive Bestimmung des Tatbestandes. Bülte schildert schließlich zwei diesbezügliche Ansätze von Gaede und Kubiciel, wobei Ersterer die Einschränkung durch Rückgriff auf die Untreueähnlichkeit und Letzterer durch Rückgriff auf den Wettbewerbsbezug der Norm erreichen möchte. Der Beitrag von Bülte verdeutlicht eindrücklich die – teilweise international bedingte – strafausweitende Tendenz der Gesetzgebung im Korruptionskontext und zeigt auf, dass hieraus die Notwendigkeit teleologischer Reduktionen folgt. Für die Praxis wiederum bietet jede Konkretisierung des Tatbestandes den Segen der steigenden Vorhersehbarkeit möglicher strafrechtlicher Folgen einer Handlung, während die verschiedenen fundierten Ansätze zur teleologischen Reduktion neues Verteidigungspotential bieten.

In dem darauffolgenden Beitrag „Die Privatkorruption nach der Reform des spanischen Strafgesetzbuches durch das Gesetz 1/105 vom 30. März“ beleuchtet Prof. Dr. Carolina Bolea Bardon das hinter der spanischen Regelung stehende Wettbewerbsmodell und zeigt auf, wie sich dieses auf die Auslegung des Tatbestandes auswirkt und teilweise zu Friktionen im Marktgeschehen führt.

„Die Auslandsbestechung im deutschen Strafrecht“ ist Gegenstand der Ausführungen von Prof. Dr. Dr. h.c. Kuhlen. Er beschreibt darin die Expansion des deutschen Strafrechts, indem er zunächst die diesbezüglich ursprünglich geltenden Regelungen des EUBestG und IntBestG präsentiert und anschließend deren Übergang in § 335a StGB skizziert. Dabei betont er insbesondere die erfolgte Gleichstellung ausländischer mit deutschen Amtsträgern in allen Fällen der Bestechlichkeit. Auch wenn diese Gleichstellung über das Strafanwendungsrecht wieder eingeschränkt wird, folge hieraus faktisch, dass als Rechtsgut die Integrität des öffentlichen Dienstes weltweit geschützt werde. Prof. Kuhlen kritisiert in diesem Zusammenhang neben der daraus folgenden Unbestimmtheit vor allen Dingen die fehlende Erforderlichkeit und den nicht erkennbaren legitimen Zweck. Vielmehr seien gerade nicht alle staatlichen Strukturen weltweit schützenswert. Aus diesen erheblichen Mängeln leitet Prof. Kuhlen die Verfassungswidrigkeit des Tatbestandes. Auch dieser Beitrag zeugt von der außerordentlichen Tendenz zur Strafausweitung auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus und bietet dem Verteidiger starke Argumente für eine gebotene Einschränkung des Straftatbestandes.

In dieselbe Kerbe schlagen die Ausführungen des Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jesús-María Silva Sánchez mit dem Titel „Zwölf Thesen zur Straftat der Bestechung ausländischer Amtsträger nach Art. 286ter des spanischen Strafgesetzbuches“. Danach sei der entsprechende spanische Straftatbestand wegen unrechtmäßiger Vorverlagerung der Strafbarkeit, eines unzureichenden Rechtsguts und fehlender Bestimmtheit aus seiner Sicht unerträglich.

2. Beiträge zur Korruption im Gesundheitswesen

Die Korruption im Gesundheitswesen beleuchten Prof. Dr. Henning Rosenau, Henning Lorenz und Lisa Wendrich in ihrem gleichnamigen Beitrag. Sie skizzieren dabei zunächst die historische Entwicklung bis zur Einführung der relativ neuen Straftatbestände § 299a f. StGB, deren Inhalt sie anschließend präsentieren. Dabei konzentrieren sie sich insbesondere auf die Fragen, welches Rechtsgut von den Regelungen geschützt wird und wie dessen Beziehung zum Standesrecht ausgeprägt ist. Im Hinblick auf die erste Frage konstatieren sie, dass – entgegen der gesetzgeberischen Intention und der Ausgestaltung als Offizialdelikt – allein der Wettbewerb und nicht das Vertrauen in Lauterkeit heilberuflicher Entscheidungen geschützt wird. Bezüglich der zweiten Frage stellen sie fest, dass eine Konkretisierung der Unrechtsvereinbarung in Anlehnung an sozial- und berufsrechtliche Regelungen erfolgen muss, was etwa dazu führe, dass Zuwendungen bis zu einer Höhe 50,- € im gegenständlichen Kontext jedenfalls sozialadäquat wären. Weiter weist der Beitrag auf das Spannungsfeld hin, wonach mögliche Verstöße gegen die §§ 299a f. StGB Anknüpfungspunkt von TKÜ-Maßnahmen seien könnten, obwohl das Patienten-Arzt-Verhältnis einem besonderen Schutz unterstehe. Auch die Straftatbestände betreffend Korruption im Gesundheitswesen seien unbestimmt und verlangten nach restriktiver Behandlung. Neben diesem für die Verteidigungspraxis interessanten Anknüpfungspunkt gewinnt insbesondere die hier betonte faktische Akzessorietät an berufs- und sozialrechtliche Regelungen Bedeutung. Die dort bereits über mehrere Jahre entwickelten Leitlinien in Praxis und Wissenschaft bieten eine große Anzahl über die Bestimmung der Unrechtsvereinbarung ins Strafrecht übertragbare Verteidigungsaspekte.

Im gleichnamigen Beitrag betreffend die spanische Regelung zur Korruption im Gesundheitswesen beschreibt Prof. Dr. Víctor Gómez Martín eindringlich deren außergewöhnliche Komplexität und kasuistische Prägung.

3. Beiträge zur Korruption im Sport

Mit Fragen der Bekämpfung korruptiven Verhaltens im Sport befasst sich der Beitrag „Korruption und Strafrecht“ von Prof. Dr. Helmut Satzger. Der Fokus liegt hier auf den jüngst in das Strafgesetzbuch eingeführten §§ 265a f. StGB. Diese entsprächen dem klassischen Aufbau von Korruptionsnormen und hätten in ihrem Zentrum eine sportspezifische Unrechtsvereinbarung, die an das Vorliegen einer Wettsituation oder an berufssportliches Verhalten anknüpften. Prof. Satzger zeigt auf, dass die Neureglungen ihren Hintergrund maßgeblich darin haben, dass Wettbetrug bislang schwer verfolgbar war. Die Integrität des Sports sei gleichwohl ein ungeeignetes Rechtsgut zur Rechtfertigung der Strafnormen. Dies folge einerseits daraus, dass hier tatsächlich mittelbar Vermögensschutz betrieben würde und andererseits der Schutz von Vertrauen ohnehin nicht überzeugen könne. Letztlich handele es sich um gesetzgeberischen Aktionismus, der nicht zu rechtfertigen sei.

Ähnlich schildert Prof. Dr. Ínigo Ortiz de Urbina Gimeno im Beitrag „Korruption im Sport im Lichte des spanischen Strafrechts: Ungeschick, Unmoral oder Kalkül des Gesetzgebers“ die Situation in Spanien. Zwar sei die Korruption im Sport hier schon länger unter Strafe gestellt und zuletzt 2015 reformiert worden, doch leider auch diese Regelung ganz maßgeblich an der Unklarheit des geschützten Rechtsguts und erheblichen Zweifeln an der Strafwürdigkeit des dort beschriebenen Verhaltens.

4. Beiträge zur Korruption im Strafprozess

Mit der Korruption im Strafprozess wiederum befassen sich die so überschriebenen Ausführungen von Prof. Dr. Hans Kudlich. Jener beschreibt eingangs, dass es zu korruptivem Verhalten im Strafprozess, das unter §§ 331 ff. StGB fiele, kaum praktische Fälle gebe. Anders sei es demgegenüber mit Prozessen wegen korruptiven Verhaltens. Letztere gingen nach den Ausführungen von Prof. Kudlich häufig von Betriebsprüfungen aus, während Konkurrenten und Mitarbeiter selten Interesse an der Anzeige entsprechender Straftaten hätten. Weiter führt er aus, dass viele Korruptionsverfahren – angesichts der Schwierigkeit des Nachweises einer Unrechtsvereinbarung – häufig als Untreuefälle weitergeführt würden. Daneben gebe es – gerade aufgrund zunächst breit gefächerter Ermittlungen – viele Einstellungen nach § 153a StPO oder auch § 170 Abs. 2 StPO. Schließlich befasst sich Prof. Kudlich noch kurz mit der Möglichkeit von Verbandssanktionen im Zusammenhang mit Korruptionstaten. Sein Beitrag bietet angesichts dessen eine Vielzahl wichtiger Hinweise für die Praxis. Die Erkenntnis einer Aufdeckung vieler Fälle über Betriebsprüfungen kann nicht nur zu geeigneten Compliance-Maßnahmen, sondern auch zu Verteidigungsansätzen über die Prüfung der Rechtmäßigkeit solcher Prüfungen führen. Der häufige Übergang in Untreueverfahren sollte bei der Verteidigung mutmaßlicher Korruptionsdelikte immer mitgedacht und die große Anzahl an Verfahrenseinstellungen als Chance für die Verteidigung gesehen werden. Die möglichen Verbandssanktionen wiederum sind – ebenso wie die Notwendigkeit steuerlicher Korrekturen in Fällen korruptiver Verhaltensweisen – maßgebliche Grund vieler interner Untersuchungen in Unternehmen und könnten sich im Falle der Einführung eines Verbandssanktionengesetzes noch verschärfen.

Im Beitrag „Grenzen von Verjährung und Rechtskraft bei Korruptionsdelikten“ von Prof. Dr. Juan Pablo Montiel beschreibt dieser verschiedene Ansätze zur Korruptionsbekämpfung in Südamerika. Jene umfassten etwa eine Unverjährbarkeit und Einschränkungen des Grundsatzes „ne bis in idem“ in Fällen unlauter erworbener Vorteile. Er zieht in diesem Zusammenhang Parallelen zur Rechtsprechung im Fall „Schreiber“ und begrüßt die Ansätze grundsätzlich. An dieser Stelle wäre sicher spannend gewesen, ob und inwieweit auch die weiteren Teilnehmer des Symposiums diese – auf den ersten Blick überraschende – Ansicht geteilt haben.

5. Beiträge zur Korruption und Compliance

Der letzte Block des Buches befasst sich mit Fragen von Korruption und Compliance. Den Anfang machen hier Ausführungen von Prof. Dr. Thomas Rotsch. Er beschreibt zunächst, dass Korruptionsbekämpfung schon immer ein Schwerpunkt von Compliance-Maßnahmen war und setzt sich anschließend damit auseinander, welche Inhalte mit den Begriffen Compliance und Korruption beschrieben würden. Jene seien jedenfalls noch nicht abschließend bestimmt. Besonders spannend sind aus Praktikersicht die Ausführungen Prof. Rotschs zu dem Risiko einer strafbarkeitskonstituierenden Wirkung von Compliance-Maßnahmen. Dies könne insbesondere daraus folgen, wenn die Bestimmung einer Unrechtsvereinbarung aufgrund von Compliance-Maßnahmen nicht mehr an der Idee der ultima-ratio sondern an best-practices orientiert würde.

Im abschließenden Beitrag „Kriminalpolitische Probleme der Wirtschaftskorruption und Compliance“ von Prof. Dr. M. Luisa C. Corcoy Bidasolo befasst jene sich zunächst mit der Frage inwieweit Wettbewerb überhaupt schützenswert sei, um sich anschließend für außerstrafrechtliche Lösungen in Form von Compliance – gerade auch für öffentliche Institutionen – als Lösung von Korruptionsproblemen auszusprechen.

III. Fazit

Das vorliegende Werk ist nicht nur beeindruckend, weil dies gesamte Bandbreite des Themas Korruption – zudem aus Sicht mehrerer Jurisdiktionen – abdeckt, sondern weil es auch für den Strafverteidiger viele spannende Ansätze bietet. Die Beiträge verdeutlichen eindrücklich die verfassungsrechtlichen Bedenken, die sich angesichts der Unbestimmtheit und der Unklarheit hinsichtlich geschützter Rechtsgüter bei allen Korruptionsstrafnormen ergeben. Augenscheinlich bedarf es vor diesem Hintergrund teleologischer Reduktionen, für die die verschiedenen Beiträge eine Vielzahl spannender Ansätze liefern. Da sich die Ausführungen dabei jeweils auf den Kern der Regelungen konzentrieren und sich darauf beschränken Probleme und Denkansätze zur Lösung aufzuzeigen, bleiben sie stets gut lesbar und erlauben einen Fokus auf das Wesentliche. Das Buch ist damit ein gutes Beispiel dafür, wie die Strafrechtswissenschaft praktische Ansätze für den Bereich der Strafverteidigung liefern kann und dass ein Diskurs der verschiedenen Bereiche des Strafrechts immer fruchtbar bleiben wird. Es bleibt spannend, welchen Themenkomplex die Mitglieder von Crimint als nächstes beleuchten werden.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Frédéric Schneider
    Dr. Frédéric Schneider ist als Strafverteidiger am Hamburger Standort der Kanzlei ROXIN Rechtsanwälte LLP tätig. Er berät Unternehmen und Individualpersonen in allen Fragen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung