Valerie Banse

Elisa Frank: Der Irrtumsnachweis beim Massenbetrug – Anforderungen an die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bei einer Vielzahl von Zeugen

Duncker&Humblot, Berlin 2017, 373 Seiten, 89,90 Euro

Die Publikation wurde im Wintersemester 2016/2017 von der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand April 2017.

I. Einleitung

Die Dissertation greift ein für die alltägliche Praxis immer noch nicht einheitlich gelöstes Thema auf: Wie glückt der Irrtumsnachweis im Massenbetrugsverfahren ohne sämtliche geschädigten Opfer im Rahmen der Hauptverhandlung vernehmen zu müssen und trotzdem der Wahrheitsfindung gerecht zu werden? Ist es möglich, dem Anspruch, gleichermaßen die Verfahrensprinzipien des Amtsaufklärungs- und Beweiswürdigungsgrundsatzes, der Prozessökonomie, dessen Effektivität und Effizienz und dem Beschleunigungsgrundsatz Genüge zu tun, ohne dabei die Rechte des Beschuldigten nach der Unschuldsvermutung und dem in der EMRK festgelegten Konfrontationsrechts zu verletzen und/oder zu beschneiden? Die Länge dieses Satzes verdeutlicht die Schwierigkeit der hier untersuchten Fragestellung.

Dabei analysiert Frank – unter Aufarbeitung der bis zur Publikation ergangenen Rechtsprechung und deren Entwicklung und unter Darstellung der wissenschaftlichen Beiträge der Literatur zu der Thematik – die aktuelle Handhabung und Lösungsansätze. Ihr Fazit: bei den bisherigen Lösungsansätzen fehlt es an einer umfassenden, allen Verfahrensprinzipien und -beteiligten gerecht werdenden Aufklärung des „Irrtums“ in der Hauptverhandlung. Dem stellt Frank am Ende ihrer Dissertation einen eigenen Lösungsvorschlag entgegen.

Die Dissertation ist in drei Hauptteile untergliedert. Im ersten Teil werden einführend der Begriff des Massenbetrugsverfahrens und die Verfahrensprinzipien im Rahmen der Beweisaufnahme erläutert.

Im zweiten Teil erläutert Frank den Betrugstatbestand als solchen, wobei sich Frank auf die für die Dissertation relevanten Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums beschränkt und die Problematik der Konkurrenzen und damit verbundenen Konsequenzen für die Strafzumessung thematisiert. Zudem erfolgt die Darstellung der verschiedenen Fälle des Massenbetrugs anhand der ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Spezifika des Massenbetrugs.

Der dritte Teil zeigt schlussendlich unter Analyse der im zweiten Kapitel dargestellten Urteile die verschiedenen Lösungsansätze der Rechtsprechung und Literatur auf, um dann aufgrund der Abwägung von Pro- und Contra- Punkten dieser Praktiken eine eigene „Kombinationslösung“ vorzustellen.

II. Erster Teil: Der Massenbetrug im Lichte der Verfahrensprinzipien

Zunächst stellt Frank im ersten von 2 Kapiteln klar, dass Massenbetrugsverfahren sich im Wesentlichen durch die Vielzahl der mutmaßlich Irrenden auszeichnen, deren „Masse“ an Vernehmungen den Strafprozess vor unüberwindbare Herausforderungen stellen kann. Dabei grenzt sie definierend das Massenbetrugsverfahren von dem Typus der „Serienstraftat“ ab. Die Serienstraftat zeichne sich im Gegensatz zum Massenbetrugsverfahren dadurch aus, dass die Serienstraftat nur bei mehrfacher Verwirklichung desselben Deliktstatbestandes einschließlich Qualifikationen und Privilegierungen vorliege. Ein Massenbetrug könne auch gegeben sein, wenn durch eine einzige Handlung im natürlichen Sinn eine Vielzahl von Irrenden geschädigt und damit betrogen würde.

Frank benennt und erläutert sodann unter Heranziehung der Definition des Hauptziels des Strafverfahrens – die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bei einem festgestellten Verstoß gegen das materielle Strafrecht – die Pfeiler für eine rechtsstaatliche Beweisaufnahme: Die Einhaltung der Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO, den Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 261 StPO, den Unmittelbarkeitsgrundsatz gemäß § 250 Abs. 1 StPO und das Recht des Angeklagten, Fragen an die ihn belastenden Zeugen zu stellen gemäß Art. 6 Abs. 3 d EMRK (sog. Konfrontationsrecht).

Des Weiteren führt sie die Effektivität und Effizienz der Strafrechtspflege, die Prozessökonomie, den Beschleunigungsgrundsatz sowie die Interessen des Angeklagten als weitere Prinzipien auf, die jedoch zu einer Beschneidung der oben genannten Grundsätze führen können.

Diese Grundsätze und Prinzipien stellen im dritten Teil die wesentlichen Merkmale dar, an welchen sich die dort dargestellten Lösungsansätze zur Feststellung des Irrtumsnachweises beim Massenbetrug im Rahmen der Beweisaufnahme messen lassen müssen.

III. Zweiter Teil: Die Täuschungs-/Irrtumsfeststellung und die Streitstände

Im zweiten Teil beginnt Frank mit der Frage, wie normativ die Betrugstatbestandsmerkmale – die Täuschung und der Irrtum – sein dürfen und zeigt dies unter Heranziehung und Aufarbeitung der praktischen Fälle in der Rechtsprechung abschließend auf.

Frank definiert zunächst die ausdrückliche und sodann die konkludente Täuschung. Unter Wiedergabe des faktisch-normativen Mischansatzes der herrschenden Meinung ist danach eine konkludente Täuschung ein irreführendes Verhalten, das nach der Verkehrsanschauung als stillschweigende Erklärung zu verstehen ist. In der Folge zitiert Frank einige Stimmen in der Literatur, die die herrschende Meinung befürworten, jedoch einen sparsameren Gebrauch der konkludenten Täuschung in der Praxis fordern, da sich die meisten Betrugssachverhalte aufgrund „schwarz auf weiß“ vorliegender Erklärungen unter den Begriff der ausdrücklichen Täuschung subsumieren ließen. Auf der anderen Seite stellt Frank auch Stimmen der Literatur vor, die die konkludente Täuschung uneingeschränkt normativ verstehen wollen. Dazu eruiert Frank, ob bei der Annahme einer konkludenten Täuschung auf den objektiven Empfängerhorizont abgestellt werden sollte oder aber auf tatsächliche, konkrete Erwartungen eines Verkehrsteilnehmers.

Frank kommt zu dem Ergebnis, dass der faktisch-normativen Betrachtungsweise nichts entgegenzuhalten sei, die bei einem normativ geprägten objektiven Empfängerhorizont bei dem irreführenden Täuschungsverhalten des Täters ansetzt. Dabei betont sie aber, dass die Abgrenzung zwischen einer konkludenten Täuschung – also einer Täuschung ohne ausdrückliche Erklärung – und der Täuschung durch Unterlassen oftmals schwierig sein wird. Bei einer Täuschung durch Unterlassen dürfte dem aktiven Verhalten des Täters keinerlei Erklärung zukommen. Die rein normativen Ansätze der Literatur, die keine Abgrenzung zwischen Tun durch konkludente Täuschung und Täuschung durch Unterlassen ermöglichen, lehnt sie dagegen ab.

Diesen Ausführungen schließt sich die Darstellung des Irrtums an. Außer dem „ignoratia facti“ – also dem Fehlen jeglicher Vorstellung – fasst Frank zusammen, dass letztendlich sowohl Zweifel an dem Täuschungsinhalt als auch Leichtgläubigkeit des Getäuschten einen Irrtum beim Verfügenden nicht auszuschließen vermögen. Auch hier konstatiert Frank die Tendenz der Rechtsprechung und der Literatur, den Irrtum rein normativ auszulegen, die dazu führen könnte, dass zukünftig im Rahmen der Beweisaufnahme vollends auf die Feststellung eines tatsächlich vorliegenden Irrtums verzichtet wird. Dies stellt nach Frank einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG dar. Als ein Tatbestandsmerkmal, das eine innere Tatsache des Verfügenden sei, sei der Irrtum auch im Prozess tatsächlich festzustellen. Dabei schließt sich Frank jedoch dem faktischen Ansatz der herrschenden Meinung an, der für das Vorliegen eines tatsächlichen Irrtums das sog. sachgedankliche Mitbewusstsein des Irrenden ausreichen lässt und damit ebenfalls normative Tendenzen aufweist. Gehe das Opfer im Wege eines ständigen Begleitwissens von der Vorstellung aus, es sei „alles in Ordnung“, ohne sich konkrete Gedanken über den Inhalt der Täuschung zu machen, sei dies ausreichend, um einen Irrtum zu bejahen.

Im weiteren Verlauf beschäftigt sich Frank ausführlich mit der Handhabung der Konkurrenzen und der damit einhergehenden Vielzahl der Fallgestaltungen (besonders hervorgehoben dabei der sog. Pinganruf, der gleichzeitig mehrere hunderte Geschädigte erreichte) – dabei werden die Handlungseinheit im natürlichen Sinn und mehreren Handlungen im natürlichen Sinn unterschieden, darunter die mittlerweile durch die Rechtsprechung aufgegebene Lehre des Fortsetzungszusammenhangs, der natürlichen Handlungseinheit, des uneigentlichen Organisationsdelikts oder der Handlungsmehrheit. Die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Strafzumessung und die typischen Fallstricke bei den Regelbeispielen im Massenbetrugsverfahren behandelt Frank ebenfalls.

Gebündelt stellt Frank dann die für die Rechtsprechung im Massenbetrugsverfahren bis zur Publikation der Dissertation wesentlichen Fälle dar, auf die sie dann im Teil 3 bei der Erläuterung der wesentlichen Lösungsansätze Bezug nimmt. Sie unterscheidet jedoch zwischen zweierlei Arten von Massenbetrugsfällen. Zum einen zwischen dem kassenärztlichen Abrechnungs- und Apothekerbetrug, da dort das Massenbetrugsverfahren dadurch definiert werde, dass die Verfügungen – zumeist die Sachbearbeiter der Krankenkassen – die Abrechnungen in einem auf „Masse“ ausgelegten standardisierten Prüfungsverfahren vornehmen und die Verfügenden in diesen Fällen zumeist nicht die Geschädigten seien.  Zum anderen zwischen solchen Betrugsarten, die aufgrund der neuen Telekommunikationsmittel bis zu über hunderttausende Irrende und meist auch Geschädigte zur Folge haben, die auf dieselbe Art und Weise getäuscht werden.

IV. Dritter Teil: Die bisherigen Lösungsansätze und der Vorschlag von Frank

Im dritten Teil (erstes Kapitel) beginnt Frank zunächst mit dem Lösungsansatz der Rechtsprechung, bei Massenbetrugsverfahren „Herr der Lage“ zu werden, indem sie sich der Vorschriften der §§ 154, 154a StPO bediene und den Verfahrensstoff entweder gemäß § 154 StPO wegen Absehens von der Strafverfolgung oder Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 154a StPO einschränke.

Frank kommt zu dem Schluss, dass sich eine Beschränkung nach diesen Vorschriften nur dann eignet, wenn in dem Massenbetrugsverfahren unterschiedliche Schadenshöhen im Raum stehen, so dass eine Beschränkung der Strafverfolgung hinsichtlich der „niedrigen“ Schadenshöhen dogmatisch korrekt sein könnte, weil die Strafen bzgl. der „niedrigen“ Schadenshöhen für die zu erwartende Strafe bei den hohen Schadenssummen nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würden. Bei Massenbetrugsstraftaten, die gleichhohe Schadenssummen zum Gegenstand haben, könnte eine solche Einstellung jedoch konsequenterweise nicht vorgenommen werden. Auch betont Frank, dass aus generalpräventiven Gründen eine Einstellung gemäß §§ 154, 154a StPO nicht angezeigt sei, da ein gewährter „Mengenrabatt“ bei Taten, die besonders viele Geschädigte hervorgerufen haben, in der Öffentlichkeit zu Irritationen führen könnte. Daher meint Frank, dass die Einstellung gemäß §§ 154, 154a StPO in manchen Fällen angezeigt sein könnte, präferiert aber einen Lösungsansatz, der es ermöglicht, sämtliche Betrugsfälle zu ermitteln und abzuurteilen.

Um der Problematik der Feststellung des Irrtumsnachweises bei einer Vielzahl von Geschädigten zu umgehen, bedient sich die Rechtsprechung des Weiteren auch der Möglichkeit, prozessual einen Versuch des Betruges anzunehmen (zweites Kapitel), da die Feststellung der Vollendung des Betruges aus prozessökonomischen Gründen aufgrund der zahlreichen durchzuführenden Vernehmungen von Zeugen die Rechtsprechung an ihre Grenzen führt. Bei einer Verurteilung wegen versuchten Betruges sei der Vorteil gegeben, dass der Irrtum nur im Rahmen der Tätervorstellung festgestellt werden müsse. Eine Verurteilung wegen Versuchs erfolge in der Rechtsprechung zum einen durch Anwendung des Zweifelsgrundsatzes.  Zum anderen wendeten zwei Senate bei Vorliegen von Handlungsmehrheit § 154a StPO an, um wegen Versuchs statt vollendetem Betrug zu verurteilen. In der Literatur wird zum Teil die analoge Anwendung von § 154a StPO befürwortet. Diese Herangehensweisen hält Frank aus dogmatischen Gründen für falsch.  Der Zweifelssatz sei keine Beweisregel und auf einzelne Elemente in der Beweiswürdigung nicht anwendbar. Nach sorgfältiger Subsumtion unter § 154a StPO kommt Frank zu dem Ergebnis, dass eine Verurteilung wegen Versuchs statt Vollendung nicht unter die Vorschrift fallen kann. Bei der analogen Anwendung von § 154a StPO fehle es auch an der planwidrigen Regelungslücke.

Des Weiteren stellt Frank die Figur des uneigentlichen Organisationsdeliktes vor (Kapitel 3), die zunehmend in der Rechtsprechung als prozessuale Beweiserleichterung Anwendung findet. Da die Figur des uneigentlichen Organisationsdelikts dazu führe, dass die Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale aufgeweicht werde und möglicherweise zu einer Bestrafung nicht nachweisbarer Delikte führe, lehnt Frank unter Hervorhebung zahlreicher kritischer Stimmen in der Literatur die Figur des uneigentlichen Organisationsdelikts generell bereits ab. Aufgrund des geschützten Rechtsgutes des „Individualvermögens“ hält Frank die Anwendung von Beweiserleichterungen, wie das uneigentliche Organisationsdelikt es bei der Täterschaft vorsieht, bei der Feststellung des Irrtums für unmöglich. Die Rechtsfigur biete für den Irrtumsnachweis in der Hauptverhandlung keine Lösung. Frank macht zudem ausführliche Ausführungen dazu, inwieweit die Figur des uneigentlichen Organisationsdelikts der durch die Rechtsprechung aufgegebenen Rechtsfigur der fortgesetzten Handlung ähnele, und kommt zu dem Ergebnis, dass die Figur des uneigentlichen Organisationsdelikts dem Konkurrenzsystem widerspreche.

Im vierten Kapitel stellt Frank die Rechtsprechung zum normativ geprägten Vorstellungsbild zum Irrtumsnachweis vor. Die Beweiserleichterung des Irrtumsnachweises durch Verzicht der Vernehmung sämtlicher Geschädigter soll nach der Rechtsprechung vor allem bei standardisierten, auf massenhafte Erledigung ausgerichteten Abrechnungsverfahren ermöglicht werden. Unter Darstellung der dazu ergangenen Rechtsprechung und Analyse erklärt Frank, dass die obergerichtliche Rechtsprechung damit den Indizienschluss von einem Irrtum auf den anderen zulasse, die Ziehung einer Irrtumsquote durch Vernehmung einiger weniger Zeugen für möglich halte sowie ebenfalls das Geständnis des Angeklagten als Indiz für einen vorliegenden Irrtum beim Geschädigten erlaube. Die negativen Aspekte bei der Anwendung des normativ geprägten Vorstellungsbildes sieht Frank bei einem Verstoß gegen das Analogieverbot gemäß Artikel 103 Absatz 2 GG und einer Verletzung der Amtsaufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO und dem Beweiswürdigungsgrundsatz gemäß § 261 StPO. Auch gebiete das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Verschleifungsverbot, welches im Falle des Betruges bei Anwendung der Figur zu einer Verschleifung der Tatbestände Täuschung und Irrtum führe, die Figur nicht anzuwenden. Lediglich bei massenhaften routinisierten Betrugshandlungen, bei denen die Vernehmung einiger weniger Zeugen erfolgt und von deren Irrtum auf den Irrtum der nicht vernommen Zeugen geschlossen wird, hält Frank die Anwendung des normativ geprägten Vorstellungsbildes für vertretbar. Jedoch mangelt es ihrer Ansicht nach auch bei dieser Vorgehensweise an den vollumfänglichen Ermittlungen zur Feststellung des Irrtums.

Im nächsten Kapitel stellt Frank die Lösung vor, anhand bereits im Ermittlungs- oder Zwischenverfahren an die Geschädigten versendeten Fragebögen einen vollumfänglichen Irrtumsnachweis in der Hauptverhandlung festzustellen, indem die Fragebögen durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeführt werden. Dabei problematisiert Frank noch die alte – nunmehr durch die Gesetzesänderung vom 17.08.2017 geänderte – Rechtslage, dass die Zeugen bei Versendung der Vernehmungsbögen durch die Polizei nicht gezwungen werden könnten, die Vernehmungsbögen auszufüllen und insoweit mitzuwirken, da eine Pflicht des Zeugen zur Aussage gegenüber der Polizei vormals auch mit Auftrag der Staatsanwaltschaft nicht bestand.  Ebenfalls zeigt sie auf, dass nach den Stimmen in der Literatur die Vernehmungsbögen als Beweismittel in der Hauptverhandlung hinter der Zeugenvernehmung zurückstehen müssten. Auch verbiete das Konfrontationsrecht des Angeklagten, dass lediglich die Fragebögen in die Hauptverhandlung eingeführt würden, weil somit das Recht des Angeklagten, die Zeugen persönlich zu befragen, beschnitten werde. Außerdem bedürfe die Verlesung von solchen Fragebögen nach der jetzigen Gesetzeslage der Zustimmung des Angeklagten. Von daher dürfte dieser Lösungsansatz an der – mutmaßlich oft – fehlenden Zustimmung des Angeklagten zur Verlesung der Fragebögen scheitern. Jedoch begrüßt Frank ausdrücklich, dass durch diesen Lösungsansatz eine flächendeckende Ermittlung der individuellen Vorstellungsbilder der Geschädigten möglich sei und der ordnungsgemäße Irrtumsnachweis so gelingen könnte.

Im sechsten Kapitel informiert Frank über Vorschläge der Literatur, durch Gesetzesänderungen die Problematik der Feststellung des Irrtumsnachweises zu lösen, beispielsweise durch Schaffung eines neuen Straftatbestandes (ausgestaltet als Gefährdungsdelikt: ein Eignungsdelikt) und durch Änderung/Erweiterung der Vorschrift des § 154a StPO.

Das siebte Kapitel befasst sich mit dem Beweisantragsrecht und mit der Möglichkeit des Verteidigers durch gezielte Beweisanträge die Aufklärung des Irrtums durch Vernehmung sämtlicher Zeugen zu bewirken.

Im achten Kapitel stellt Frank ihre eigene Kombinationslösung vor, die nach Herausarbeitung der Pro- und Contra-Aspekte der vorgesellten Ansätze eine vollumfassende Handhabung der Problematik bereitstellen soll.

Dabei greift sie die Einführung von Fragebögen wieder auf und schlägt vor, Fragebögen als Online-Fragebögen zur Feststellung des Irrtums bereits im Ermittlungsverfahren unter Mitwirkung des Angeklagten/Verteidigers zu erstellen und anzuwenden. Die Formulierung der Fragen und Antwortmöglichkeiten solle frei von Suggestion erfolgen. Auch stellt sie einen Alternativ-Entwurf des Arbeitskreises von deutschen, österreichischen und europäischen Strafrechtslehrern vor, der als Gesetzesänderung u.a. die Abschaffung des materiellen Unmittelbarkeitsprinzips vorschlägt und die Verlesung von Schriftstücken auch ohne die Zustimmung des Angeklagten ermöglichen soll. Mit dieser Gesetzesänderung wäre die Einführung der vorgenannten Fragebögen unproblematisch möglich. Eine Vernehmung des Sachbearbeiters, der die Fragebögen im Ermittlungsverfahren auswerten könnte, würde die in den Vernehmungsbögen festgestellten Vorstellungsbilder der geschädigten Zeugen in der Hauptverhandlung abrunden. Jedoch solle nach Franks Lösung nicht auf die Vernehmung von Zeugen zum Irrtumsnachweis verzichtet werden. Vielmehr sollten neben der Einführung der Fragebögen auch eine Anzahl weniger Zeugen stellvertretend für alle nicht vernommenen Zeugen vernommen werden, um so einen Rückschluss auf einen Irrtum der nicht vernommenen Zeugen schließen zu können. Dabei weicht Frank jedoch insoweit von der Figur des normativ geprägten Vorstellungsbildes ab, als dass sie nur hinsichtlich der exemplarisch vernommenen Zeugen Rückschlüsse auf einen Irrtum der nicht vernommenen Zeugen zulässt. Das Geständnis des Angeklagten oder andere äußere Umstände sollen nach ihrer Ansicht einen Rückschluss auf einen vorliegenden Irrtum der nicht vernommenen Zeugen nicht erlauben.

V. Fazit

Die vorliegende Dissertation besticht vor allem durch ihre sorgfältige Aufarbeitung der Rechtsprechung und Literatur. In ihrer Darstellung beschränkt sich Frank bei den Lösungsansätzen zum Irrtumsnachweis in der Hauptverhandlung nicht nur auf die Rechtsprechung und die herrschenden Stimmen in der Literatur, sondern beschäftigt sich auch eingehend mit Lösungsansätzen Einzelner. Aufgrund der ausführlichen Einführung und der gezielten Analyse im Lichte der hier betroffenen Verfahrensprinzipien gelingt es Frank auf strukturierte Weise die aktuelle Problematik des Streitstandes auf die wesentlichen Punkte herunterzubrechen.  Die Lektüre eignet sich durch den Aufbau der Dissertation auch für die Verteidigung, um einen schnellen Überblick über den aktuellen Stand und die Schwachpunkte der jeweils praktizierten Lösungsansätze der Rechtsprechung zu erhalten. Für die alltägliche Praxis in Fällen von Massenbetrugsverfahren stellt die Lektüre also auch für den Bereich der Verteidigung eine Hilfe dar. Einen wesentlichen und interessanten Punkt nicht nur aus der Warte der Justiz, sondern auch aus der Warte der Verteidigung, thematisiert Frank aus Platzgründen jedoch leider nicht: Welche Anforderungen sind an die Darstellung/Feststellung des Irrtums in den Urteilsgründen zu stellen, damit dieser der revisionsgerichtlichen Überprüfung standhält? Die von Frank vorgestellte und favorisierte Kombinationslösung erscheint zwar auf den ersten Blick auch im Hinblick auf das Konfrontationsrecht des Angeklagten allen Verfahrensprinzipien gerecht werden zu können, jedoch würden sich für die Verteidigung in der Praxis folgende Fragen ergeben: Wie gestaltet sich die Mitwirkung an den Fragebögen durch die Verteidigung und möglicherwiese durch den (unverteidigten) Angeklagten? Inwiefern würde eine erfolgte Anhörung des Beschuldigten oder der Verteidigung Einfluss auf die Ausgestaltung des Fragebogens haben und inwiefern bestünden Rechte auf Nachbesserungsmöglichkeiten bei den Fragebögen, falls erkannt wird, dass die Fragen durch die befragten Zeugen nicht richtig erfasst werden? Die Gefahr besteht, dass aufgrund der – wie auch immer ausgestalteten – Möglichkeit zur Mitwirkung am Fragebogen durch den Verteidiger/Angeklagten im Ermittlungsverfahren, eine spätere erforderlich werdende Befragung der Zeugen zum Irrtumsnachweis in der Hauptverhandlung eben durch Verteidigung von der Justiz mit dem Argument „abgeschmettert“ würde, das Befragungsrecht des Angeklagten/der Verteidigung sei schon ausreichend berücksichtigt worden. Insoweit ist auch die von Frank favorisierte Abschaffung des Zustimmungserfordernis der Verteidigung zur Verlesung der in die Hauptverhandlung eingeführten Fragebögen gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 249 StPO abzulehnen.

Nach den in der hiesigen Dissertation aufgegriffenen Punkten und dem Lösungsvorschlag von Frank bleibt abzuwarten, wie sich die Gesetzgebung und Rechtsprechung bei dem noch nicht abschließend gelösten Problem des Irrtumsnachweises in der Hauptverhandlung entwickelt.

Autorinnen und Autoren

  • Valerie Banse
    Rechtsanwältin Valerie Banse arbeitete nach Beendigung ihres Referendariats im Jahr 2014 zunächst als juristische Referentin bei der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. Nach der Zulassung als Rechtsanwältin im Jahr 2016 begann sie ihre anwaltliche Tätigkeit bei der Kanzlei Brüssow Rechtsanwälte in Köln. Seit 2017 ist sie Rechtsanwältin bei der Kanzlei Lehmkühler Rechtsanwälte Steuerberater in Bonn. Rechtsanwältin Valerie Banse ist ausschließlich im Bereich des Strafrechts tätig und seit 2019 Fachanwältin für Strafrecht.

WiJ

  • Nils Stahnke

    Der transnationale Strafklageverbrauch im europäisierten Steuerstrafrecht

    Internationales Strafrecht, EU, Rechtshilfe, Auslandsbezüge

  • Dr. Elias Schönborn , Jan Uwe Thiel

    Gesetzliche Regelungen zur Handy-Sicherstellung sind verfassungswidrig (Österreich)

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)