Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. Zeugnisverweigerungsrecht von Bankmitarbeitern bei Führung von Anderkonten von Berufsgeheimnisträgern – § 53 StPO

Bankmitarbeiter, die mit der Führung von Notar- bzw. Rechtsanwaltsanderkonten betraut sind, gehören zu dem Personenkreis, auf den § 53a StPO das Zeugnisverweigerungsrecht des Berufsgeheimnisträgers ausdehnt.

LG Kiel, Beschluss vom 1912.2018 – 3 Qs 22-24/18, wistra 2019, 303.

Zu der Entscheidung s. Lampe, jurisPR-StrafR 17/2019 Anm. 1.

2. Vermögensarrest zur Sicherung künftiger Verfahrenskosten – § 111e StPO

Besteht ein Sicherungsbedürfnis – etwa bei drohender Vermögensverschiebung ins Ausland – kann auch ein Vermögensarrest zur Sicherung künftiger Verfahrenskosten angeordnet werden, wenn hierbei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird.

OLG Köln, Beschluss vom 13.06.2019 – 2 Ws 244 – 245/19, wistra 2019, 431.

Zu der Entscheidung s. den Beitrag von Niemann, wistra 2019, 396.

3. Zulässigkeit eines Insolvenzantrags der Staatsanwaltschaft –§ 111i StPO

Stellt die Staatsanwaltschaft einen Insolvenzantrag wegen Zahlungsunfähigkeit, muss sie den Bestand des diesem Eröffnungsgrund zugrundeliegenden staatlichen Einziehungsanspruchs in vollem Umfang nachweisen. Ist das Strafverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, ist ein solcher Nachweis regelmäßig nur bei einem vollumfänglich geständigen Täter anzunehmen.

LG Bad Kreuznach, Beschluss vom  12.04.2019 – 1 T 29/19, ZWH 2019, 223.

Zu der fehlerhaften Entscheidung s. die zu Recht ablehnenden Anm. von Bittmann, ZWH 2019, 226, Hellfeld, EWiR 2019, 563, und von Tschakert, ZInsO 2019, 2148. Das LG hat die Rechtsbeschwerde zugelassen. Es bleibt abzuwarten, wie sich der BGH im konkreten Fall und gegebenenfalls grundsätzlich zur Anforderung an die Glaubhaftmachung im Rahmen des § 111i Abs. 2 StPO äußert.

4. Anfechtung eines Insolvenzantrags der Staatsanwaltschaft – § 111i StPO, § 23 EGGVG

Stellt die Staatsanwaltschaft nach § 111i StPO einen Insolvenzantrag, kann dies als Justizverwaltungsakte i.S.d. 23 EGGVG angefochten werden.

OLG Hamm, Beschluss vom 03.06.2019 – 1 VAs 38/19, ZInsO 2019, 2111.

5. Akteneinsichtsrecht des Zeugen –§ 147 StPO

Ist ein Zeuge nicht Verletzter i.S.d. § 172 StPO, richtet sich dessen Akteneinsichtsrecht ausschließlich nach § 475 StPO. Dies gilt auch dann, wenn ein Zeugenbeistand gewählt worden ist.

LG Hamburg, Beschluss vom 16.04.2019 – 620 Qs 9/19, StraFo 2019, 335.

Zu der Entscheidung s. die – weitgehend zust. – Anm. von Krug, FD-StrafR 2019, 421182.

6. Verletzteneigenschaft der Gesellschafter juristischer Personen – § 172 StPO

Gesellschafter juristischer Personen (hier: GmbH) sind bei deren wirtschaftlicher Schädigung grundsätzlich keine Verletzten i.S.d.  § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.07.2019 – 2 Ws 23/19, ZInsO 2019, 2063.

Zu der Entscheidung s. die zust. Anm. von Brand, GmbHR 2019, 952.

7. Entreicherungseinwand bei Vermögensabschöpfung – § 459h StPO

Auch wenn das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Einziehungsadressaten eröffnet wird, ist nicht automatisch von einer Entreicherung i.S.d. § 459g Abs. 5 StPO auszugehen. Eine solche Beurteilung kann im konkreten Einzelfall abschließend erst am Ende des Insolvenzverfahrens getroffen werden.

OLG München, Beschluss vom 12.02.2019 – 3 Ws 939/18, ZInsO 2019, 2065.

II. Materielles Strafrecht

1. Feststellung der Zahlungsunfähigkeit – § 15a InsO

Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit nach der betriebswirtschaftlichen Methode erfordert eine aussagekräftige stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder kurzfristig zu beschaffenden Mittel.

BGH, Beschluss vom 15.08.2019 – 5 StR 204/19, ZInsO 2019, 210.

In gleicher Weise hat der BGH auch durch Beschluss vom 15.08.2019 – 5 StR 205/19, n.v., entschieden. Zur Frage der Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit vgl. Harz/Comtesse/Conrad, ZInsO 2019, 2241.

2. Feststellung der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung – § 15a InsO

In die im Rahmen der Prüfung auf eine etwaige strafbegründende Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 InsO aufzustellende stichtagsbezogene Gegenüberstellung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten und der zu ihrer Tilgung vorhandenen oder herbeizuschaffenden Mittel ist eine ernsthaft bestrittene Forderung, die insolvenzbegründend bestehen soll, in aller Regel erst nach einer rechtskräftigen oder in sonstiger Weise die Parteien bindenden Klärung aufzunehmen. Abzustellen ist dabei auf die Sach- und Rechtslage bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem nach dem strafrechtlich relevanten Vorwurf der Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen.

Um eine strafrechtlich relevante Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO zu ermitteln, bedarf es unter anderem eines Überschuldungsstatus in Form einer Vermögensbilanz, die über die tatsächlichen Werte des Gesellschaftsvermögens Auskunft gibt. In diesem Zusammenhang ist bei der Bewertung unsicherer Verbindlichkeiten, etwa im Fall der Prozessrückstellungen für streitige Verbindlichkeiten, ein Ansatz zum Nennwert keineswegs zwingend und die bestehende rechtliche Unklarheit in der Behandlung streitiger Verbindlichkeiten eröffnet großzügige Bewertungsspielräume für die Geschäftsführung beim Ansatz derartiger Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus, die nach strafrechtlichen Grundsätzen kaum einzuengen sind.

AG Frankfurt/Oder, Beschluss vo, 23.05.2019 – 412 Cs 237 Js 16150/17 (147/18), ZInsO 2019, 2124.

3. Unrichtige Darstellung bei Wertabschreibung – § 331 HGB

Verhältnisse eines Unternehmens in einem Jahresabschluss sind i.S.d. § 331 HGB unrichtig wiedergegeben, wenn die Darstellung mit den objektiven Gegebenheiten am Maßstab konkreter Rechnungslegungsnormen und den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung nicht übereinstimmt; dabei setzt eine mögliche aus § 253 Abs. 3 HGB resultierende Pflicht zur Wertabschreibung bei Gegenständen des Umlaufvermögens voraus, dass deren Teilwert am Abschlussstichtag unter dem Buchwert liegt.

BGH, Beschluss vom 15.08.2019 – 5 StR 204/19, ZInsO 2019, 210.

4. Gesamtsaldierung und Schaden bei Leasingverträgen – § 263 StGB

Bei der Feststellung eines Betrugs im Zusammenhang mit Kfz-Leasingverträgen ist bei der für eine Schadensbestimmung erforderlichen Gesamtsaldierung der Geldwert des vom Leasinggeber erworbenen Anspruchs auf die Leasingraten unter Berücksichtigung des jeweiligen Ausfallrisikos zu bewerten und mit dem Geldwert der eingegangenen Verpflichtung zu vergleichen; dabei ist das verbleibende Eigentum an dem Leasingfahrzeug regelmäßig in die Berechnung einzubeziehen.

BGH, Beschluss vom 15.08.2019 – 5 StR 204/19, ZInsO 2019, 210.

5. Beitragsvorenthaltung und omissio libera in causa – § 266a StGB

In der wirtschaftlichen Krise gehen die sich aus § 266a Abs. 1 StGB ergebenden Zahlungspflichten anderen Zahlungspflichten vor; diese begründen daher keine Unzumutbarkeit oder rechtliche Unmöglichkeit der Zahlung. Im Fall der tatsächlichen Unmöglichkeit wegen nicht mehr vorhandener Mittel ist zu prüfen, ob der Angeklagte zu einem früheren Zeitpunkt vorsätzlich die erforderliche und noch mögliche Vorratsbildung unterlassen hat.

LG Freiburg, Urteil  vom 07.05.2019 – 4/17 8 Ns 81 Js 1825/13, ZInsO 2019, 1903.

Zu der Entscheidung s. die krit. Anm. von Pauka, NZI 2019, 730. Ausführlich und grundlegend zu der Problematik der omissio libera in causa bei der Beitragsvorenthaltung BGH, Beschluss vom 28.05.2002 – 5 StR 16/02, wistra 2002, 340, sowie zuletzt BGH, Beschluss vom 11.10.2018 – 1 StR 257/18, wistra 2019, 102. S. zudem Wegner, wistra 2002, 382, Tag, JR 2002, 521, sowie Radtke, NStZ 2003, 154. Zur Frage der Anwendung dieses Prinzips bei Buchführungsdelikten (§ 283b StGB) s. jüngst OLG Braunschweig, Beschluss vom 08.04.2019 – 1 Ss 5/19, ZInsO 2019, 1423 m. abl. Anm. Brand, GmbHR 2019, 776.

6. Beitragsvorenthaltung und Irrtum über die Arbeitgeberstellung – § 266a StGB

Vorsätzliches Handeln ist bei pflichtwidrig unterlassenem Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen nur dann anzunehmen, wenn der Täter auch die außerstrafrechtlichen Wertungen des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts – zumindest als Parallelwertung in der Laiensphäre – nachvollzogen hat, er also seine Stellung als Arbeitgeber und die daraus resultierende sozialversicherungsrechtliche Abführungspflicht zumindest für möglich gehalten und deren Verletzung billigend in Kauf genommen hat. Irrt der Täter über seine Arbeitgeberstellung oder die daraus resultierende Pflicht zum Abführen von Sozialversicherungsbeiträgen, liegt ein Tatbestandsirrtum vor.

BGH, Beschluss vom 24.09.2019 – 1 StR 346/18, n.v.

Der Senat gibt mit der Entscheidung seine bisherige Rechtsprechung (s. etwa BGH, Beschluss vom 04.09.2013 – 1 StR 94/13, wistra 2014, 23; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24.06.2015 – 1 StR 76/15, wistra 2015, 393) explizit auf.

III. Zivilrechtliche Entscheidung mit strafrechtlicher Relevanz

1. Verwirkung der Insolvenzverwaltervergütung – §§ 63, 64 InsO

Die Versagung der Vergütung des Insolvenzverwalters wegen Pflichtverletzungen in anderen Insolvenzverfahren kommt im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erst in Betracht, wenn gewichtige, vorsätzliche oder zumindest leichtfertige Pflichtverstöße festgestellt sind, deren unterlassene Offenbarung gegenüber dem Insolvenzgericht eine schwere, subjektiv in hohem Maße vorwerfbare Verletzung der Treuepflicht darstellt.

BGH, Beschluss vom 12.09.2019 – IX ZB 76/18, ZInsO 2019, 2290.

Grundlegend zu der Problematik einer möglichen Verwirkung von Vergütungsansprüchen hat sich der BGH schon im Jahr 2018 geäußert, s. BGH, Beschluss vom 22.11.2018 – IX ZB 14/18, ZInsO 2019, 91 m. Anm. Mock, EWiR 2019, 181. Vgl. ergänzend BGH, Beschluss vom 06.05.2004 – IX ZB 349/02, ZInsO 2004, 669; BGH, Beschluss vom 09.06.2011 – IX ZB 248/09, ZInsO 2011, 1520; BGH, Beschluss vom 14.07.2016 – IX ZB 52/15, ZInsO 2016, 1656.

2. Vertretung einer GmbH im Rechtsverkehr – § 164 BGB

Wird eine Person unter Verwendung falscher Personalien zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt, so ist für Willenserklärungen, die diese Person im Rechtsverkehr namens der GmbH angibt, wegen der Frage der Vertretungsmacht nicht auf den Inhaber der verwendeten Personendaten, sondern unabhängig von den verwendeten Daten darauf abzustellen, ob die im Rechtsverkehr auftretende Person mit derjenigen identisch ist, die zum Geschäftsführer bestellt worden ist.

OLG Köln, Urteil vom 22.11.2018 – 12 U 103/17, ZInsO 2019, 1907.

3. Verwendungsverbot bei Schuldnerauskünften – § 97 InsO

Auskünfte, die ein Schuldner oder in Fällen der Unternehmensinsolvenz das Vertretungsorgan einer Gesellschaft im Insolvenzeröffnungsverfahren einem vom Insolvenzgericht bestellten Sachverständigen erteilt, unterliegen im Strafverfahren dem insolvenzrechtlich begründeten Verwertungsverbot jedenfalls dann, wenn das Insolvenzgericht den Schuldner oder das Vertretungsorgan mit Beweisbeschluss ausdrücklich als Auskunftsperson in die Pflicht genommen hat. Weitere Erkenntnisquellen zulässigerweise verwertbarer Art, die unabhängig von den unverwertbaren Auskünften der in Rede stehenden Art gegenüber dem Insolvenzgericht und dem vom Insolvenzgericht beauftragten Sachverständigen entstanden sind, können zum Tatnachweis herangezogen werden. Eine derartige Erkenntnisquelle kann die Strafanzeige eines Gläubiger einer Gesellschaft sein.

AG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 26.11.2018 – 412 Ds 237 Js 13913/17 (2/18), ZInsO 2019, xxx.

Zu der Entscheidung s. Buchholz, jurisPR-InsR 6/2019 Anm. 3. Allg. zu der Problematik s. OLG Jena, Beschluss vom 12.08.2010 – 1 Ss 45/10, ZInsO 2011, 732, sowie OLG Celle, Beschluss vom 19.12.2012 – 32 Ss 164/12, ZInsO 2013, 731. Zu der Problematik s. weiter Lengert, NZI 2011, 383, sowie Kemperdick, ZInsO 2013, 1116. Ausführlich zum „Insolvenzgeheimnis“ des § 97 InsO s. Püschel, in: FS AG Strafrecht im DAV, S. 759, Weyand, ZInsO 2015, 1948, Haarmeyer, ZInsO 2016, 545; umfassend ferner Bittmann, in: Bittmann, Praxishandbuch Insolvenzstrafrecht, 2. Aufl. 2017, § 1 Rn. 16 ff.

IV. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit strafrechtlicher Relevanz

1. Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässigkeit nach Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung – § 35 GewO

Eine strafrechtliche Verurteilung muss jedenfalls dann zum Widerruf einer Gewerbeerlaubnis führen, wenn nach der Lage des Einzelfalls keine besonderen Umstände gegen die Annahme der Unzuverlässigkeit sprechen.

Sächsisches OVG, Beschluss vom 05.09.2019 – 6 B 4/19, n.v.

2. Unzuverlässigkeit i.S.d. Luftsicherheitsgesetzes von Privatpilot und Flugausbilder bei Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung – § 7 Abs. 1 LuftSiG

Gem. § 7 Abs. 1a Satz 2 Nr. 1 LuftSiG fehlt es regelmäßig an der erforderlichen Zuverlässigkeit, wenn der Überprüfte in den letzten 5 Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verurteilt worden ist. Das Regelbeispiel greift unabhängig davon, gegen welche Schutzgüter sich die Straftat richtete.

VG Gelsenkirchen, Urteil vom 25.04.2019 – 8 K 11837/17, ZInsO 2019, 2174.

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)