Editorial
Auch in Corona-Zeiten hat das Arbeitsstrafrecht nach wie vor Hochkonjunktur. Der Anfragebeschluss des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 13.11.2019 (1 StR 58/19), mit welchem dieser bekundet hat, seine Rechtsprechung zur Verjährung von Taten nach § 266a Abs. 1 u. Abs. 2 Nr. 2 StGB ändern zu wollen, hat (u.a. auch in der WIJ) ein großes Echo hervorgerufen. Die Verjährungsfrist soll danach – was die Kritiker der bisherigen Rechtsprechung schon lange Zeit zu Recht gefordert haben – „mit dem Verstreichenlassen des Fälligkeitszeitpunktes“ zu laufen beginnen. Inzwischen haben die übrigen Strafsenate des Bundesgerichtshofs (mit Ausnahme des erst später neu eingerichteten 6. Strafsenats) erklärt, sich der Rechtsauffassung des 1. Strafsenats anzuschließen und an ihrer teilweise entgegenstehenden Rechtsprechung nicht festzuhalten (2 ARs 9/20 v. 15.07.2020; 3 ARs 1/20 v. 04.02.2020; 4 ARs 1/20 v. 02.07.2020; 5 ARs 1/20 v. 06.02.2020). Damit sollte die Linie der Rechtsprechung für die Zukunft klar sein. Auch bei den Staatsanwaltschaften scheint die Botschaft – so zumindest der Eindruck des Verfassers – bereits angekommen zu sein.
Nicht aus den Augen verloren werden darf bei der strafrechtlichen Beratung aber, dass die nach § 25 Abs. 1 S. 2 SGB IV geltende dreißigjährige Verjährung der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht im Fall der vorsätzlichen Beitragsvorenthaltung hiervon nicht berührt wird. Der „Kampf um den Vorsatz“ darf also (in aussichtsreichen Fällen) nicht leichtfertig aufgegeben werden, wenn zwar auf strafrechtlicher Ebene – z.B. wegen weitestgehender Verjährung – „nur“ eine für den Mandanten akzeptabel erscheinende Sanktionierung zu erwarten scheint, zugleich aber deutlich weiter reichende Nachforderungen seitens der Rentenversicherung drohen. In diesem Zusammenhang sollte von einem versierten strafrechtlichen Berater auch der im Jahr 2019 neu eingeführte § 8 Abs. 3 SchwarzArbG in die Überlegungen mit einbezogen werden (soweit eine Anwendbarkeit in zeitlicher Hinsicht schon in Betracht kommt). Denn er eröffnet gegebenenfalls einen „Mittelweg“, der es den Strafverfolgungsbehörden ermöglicht, eine Ahndung vorzunehmen, ohne zwingend von einem vorsätzlichen Fehlverhalten ausgehen zu müssen. Die Vorschrift bringt also nicht nur den Nachteil einer neu statuierten Möglichkeit zur Sanktionierung (grob) fahrlässigen Fehlverhaltens („leichtfertig“) als Ordnungswidrigkeit mit sich, sondern kann je nach Fallkonstellation auch neue Optionen für den betroffenen Arbeitgeber und seine Verteidigung bieten.
Der Straftatbestand des § 266a StGB ist – neben einer Vielzahl weiterer Delikte aus dem Bereich des Insolvenz- und Wirtschaftsstrafrechts – auch Gegenstand der von Ricarda Schelzke in der vorliegenden Ausgabe der WIJ angestellten Überlegungen zur Unternehmenskrise während der COVID-19-Pandemie aus strafrechtlicher Sicht. Markus Rübenstahl und Simon M. Weißbeck widmen sich zudem ausführlich der Thematik der Vermögensabschöpfung in den Cum/Ex-Fällen. Neben einer instruktiven Urteilsanmerkung von Katie Schröder auf dem Gebiet des Medizinstrafrechts und der bewährten Rechtsprechungsübersicht von Raymund Weyand greift das vorliegende Heft mit der Stellungnahme der WisteV zum Regierungsentwurf (des BMJV) eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ ein weiteres hochaktuelles und heiß diskutiertes Thema auf, welches für alle im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts Tätigen in der Zukunft von großer praktischer Relevanz sein wird. Die Stellungnahme zum Entwurf einer „Geldwäschegesetzmeldepflichtverordnung-Immobilien“ und eine Reihe informativer Rezensionen komplettieren die aktuelle, gewohnt vielseitige und lesenswerte Ausgabe der WiJ.
Ich wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre!
Dr. Ulrich Leimenstoll, Köln