Daniel Sandmann

Jan-Philipp Redder „Der verfassungsrechtliche Schutz von Whistleblowern“

Duncker & Humblot, Schriften zum Öffentlichen Recht (SÖR), Band 1418, Berlin 2020, 276 S., 71,90 Euro.

I. Einleitung

Whistleblower haben in den vergangenen Jahrzehnten bei der Aufdeckung aller Arten von Missständen eine große Rolle gespielt. Auch bei den schlagzeilenträchtigen Themen die jüngsten Vergangenheit wie dem Umgang der Trump-Administration mit internen Warnungen vor der COVID19-Pandemie oder dem Fall Wirecard AG haben Hinweisgeber nach Medienberichten frühzeitig auf Handlungsbedarf hingewiesen, ohne dass angemessene Maßnahmen zeitnah umgesetzt wurden. Die Folgen für diese Hinweisgeber sind sehr unterschiedlich, nur selten jedoch positiv. Blickt man auf andere Rechtsordnungen, sind rechtlichen Gegebenheiten zum Schutz oder gar der Förderung von Whistleblowern vielgestaltig und in verschiedenen Reifephasen. Das Spektrum reicht von rudimentären Regelungen und geringem Schutz bis zu umfassenden finanziellen Anreizen und einer Rechtsprechung mit Konkretisierungen von Benachteiligungsverboten. Zur Gewährleistung eines Mindestschutzes im Europäischen Wirtschaftsraums hat die europäische Gesetzgebung durch die Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Richtlinie (EU) 2019/1937 des Europäischen Parlaments und Rates vom 23. Oktober 2019) die Mitgliedstaaten zu entsprechenden legislativen Maßnahmen verpflichtet. In welchem Ausmaß dem Schutz des Whistleblowers auch durch das deutsche Verfassungsrecht Rechnung getragen wird, betrachtet das hier besprochene Werk, zugleich Dissertation des Autors an der Bucerius Law School.

II. Gang der Untersuchung und Inhalte

Der Autor widmet sich kurz den definitorischen Fragestellungen einer passgenauen Übersetzung und der Frage der Abgrenzung zwischen „Whistleblowing“ und „Denunziation“.  Auch eine erste Differenzierung zwischen privaten Sektor und öffentlichem Dienst wird bereits in der Einleitung vorgenommen, die auch bald zwischen internem und externem Whistleblowing unterscheidet. Als Praxisfälle analysiert der Verfasser dann die Aufarbeitung der Fälle Werner Pätsch (Aufdeckung eines Abhörskandals beim Bundesamt für Verfassungsschutz, vergl. BGH, 08.11.1965 – 8 StE 1/65), Edward Snowden (Abhörskandal NSA) und Brigitte Heinisch (Missstände im Pflegeheim der Vivantes GmbH, EGMR, 21.07.2011 – 28274/08).

Zu den folgenden Ausführungen der Grundrechtsaspekte des Whistleblowings beginnt der Autor mit Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und einer umfassenden Darstellung zur Meinungsfreiheit, die für das Thema Whistleblowing von entscheidender Bedeutung sind.  Dies beginnt mit dem grundsätzlichen Schutz der Hinweisgeber durch die Meinungsfreiheit. Der Autor stuft – mit der Rechtsprechung – nichtanonyme Hinweise auf Missstände als Meinungsäußerungen ein und geht dabei von einer förderungswürdigen Motivation der Hinweisgeber aus. Hinsichtlich der anonymen Hinweisgeber wird die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zum Anlass für ein Darstellung einer Kontroverse genutzt, in der der Autor für die Anwendbarkeit des Grundrechts auf Meinungsfreiheit auch für die anonym ergehenden Meldungen argumentiert. Die Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG wird ebenfalls angerissen, wegen geringer Trennschärfe zur Meinungsfreiheit jedoch sehr übersichtlich abgehandelt.

Für die zumeist nicht im Kern der Diskussionen um den verfassungsrechtlichen Schutz der Whistleblower stehenden Aspekte enthält die Arbeit von Redder jedoch neue Facetten.  So wird die Informationsweitergabe an die Medien im Lichte des Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG betrachtet – wobei der Einbezug in den Schutzbereich dem Whistleblower in den klassischen Fällen der Informationsweitergabe demnach versagt bliebe. Art. 17 GG lässt die Einbeziehung der Meldung oder der Strafanzeige eines Whistleblowers in den Schutzbereich des Petitionsrechts zu. Neben weiteren grundrechtlichen Aspekten beschäftigt sich das Werk im Folgenden mit den vergleichbaren Rechten aus der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der EU-Grundrechtecharta

In einem dritten Teil widmet sich der Verfasser den Fragen um die Zulässigkeit internen Whistleblowings.  Er unterscheidet hier zwischen „privatem Sektor“ und „öffentlichem Dienst“. Der „private Sektor“ wird meist synonym mit privatrechtlich verfassten Wirtschaftsunternehmen benutzt. Hinsichtlich des privaten Sektors werden die Varianten Recht zum internen Whistleblowing und Pflicht, zunächst intern zu berichten, unterschieden und diskutiert. Es wird dabei genau ausdifferenziert und unterschiedliche Anlässe und Empfänger der Hinweise unterschieden. Keine Variante wird als in jedem Fall unzulässig angesehen.  Für den öffentlichen Dienst beleuchtet das Werk sowohl Beamte, als auch Arbeitnehmer. Während für Arbeitnehmer hier eine weitgehende Vergleichbarkeit mit der Rechtslage im privaten Sektor festgestellt wird, sieht der Verfasser für Beamte einer Pflicht zumindest zum internen Whistleblowing, mit Einschränkungen u.a. durch das Mäßigungsgebot.

Im folgenden Teil zur Zulässigkeit des externen Meldens besteht ein deutlicher Schwerpunkt der Arbeit. Der Autor teilt grundsätzliche Gedanken mit und plädiert für eine Konstellationsdifferenzierung, bei der die verschiedenen Aspekte wie etwa die interne Berichtsmöglichkeit, die Inhalten einer Meldung und deren Empfänger im Rahmen der Einzelfallbetrachtung gewürdigt werden müssen, um zu verfassungskonformen Wertungen zu gelangen.  In der Darstellung der Rechtslage de lege lata werden zunächst bekannte Kodifizierungen – am Beispiel des Arbeitsschutzgesetzes – angesprochen, sodann direkt die Möglichkeiten der Einschränkungen der Grundrechte von Whistleblowern aufgrund legitimer Zwecke dargestellt. Die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Abwägungen bei der Prüfung von Einschränkungen der Grundrechte aufgrund oder durch Gesetze seien im Rahmen der Angemessenheitsprüfung eingehend zu betrachten und im Rahmen der praktischen Konkordanz zu würdigen. In der Folge sieht es der Autor als wesentliches Ziel, derartige Abwägungskriterien herauszuarbeiten, die für die Bestimmung der Schranken-Schranken essenziell sind.  Neben den Abwägungen gegen deutsche Verfassungsgüter stellt die Arbeit auch hier auf die kodifizierten Menschrechte ab, beginnend mit der Rechtsprechung des EGMR zur EMRK. Die Stellung der EMRK im Verfassungssystem der BRD und deren Anwendung durch deutsche Gerichte bilden den Ausgangspunkt für die Darlegungen zur Berücksichtigung der EMRK durch die Verfassungsorgane der Bundesrepublik. Auch hier wird wieder auf die Rechtsprechung im Fall „Brigitte Heinisch“, aber auch im Falle „Guja“ Bezug genommen.  Hier wird auch nochmals auf die Auslegungen des EGMR, was unter „Whistleblowing“ zu verstehen sein, Bezug genommen. Dabei kommt es durchaus zu Konstellationen, in denen die Meldenden keinen Whistleblower-Schutz genießen, weil die Motivation aus primär eigennützigen Absichten bestand.  Die in diesen Fällen wesentlichen Kriterien des EGMR bei der Abwägung sind demnach: die Priorität interner Meldungen, das öffentliche Interesse an den Inhalten, die Authentizität der Informationen, etwaige negative Auswirkungen des Whistleblowings sowie Motivation und Strafen für die meldende Person, wobei sich der EGMR gerade nicht auf einen Katalog von Kriterien festlegt.

Auch mit Geheimhaltungspflichten und deren Durchbrechung setzt sich das Werk auseinander. Dies gilt insbesondere für die Thematik „Geheimhaltung von Illegalität“, bei der wiederum Abwägungen von Schutzgütern wie Leben und Gesundheit natürlicher Personen, aber auch staatliche Geheimhaltungsinteressen oder Marktdurchsetzungsaspekte angesprochen werden.

Zu der Zulässigkeit des externen Whistleblowings im öffentlichen Dienst wird zwischen verschiedenen Fallkonstellationen unterschieden, beginnend mit der Meldung an zuständige externe staatliche Stellen, an die breite Öffentlichkeit, trotz erfolgreicher interner Abhilfe, bei Irrtum über Missstände sowie bei Hinweisen an einzelne Personen.

Der Förderung von Whistleblowern durch finanzielle Anreizsysteme ist ein weiterer Abschnitt gewidmet. Während die Etablierung von Anreizsystemen hier grundsätzlich als wünschenswert und auch verfassungsrechtlich zulässig erachtet wird, wird gleichzeitig für die Fälle unzulässiger Informationsbeschaffung (rekurrierend auf die „Steuer-CD-ROM“-Fälle) für entsprechende Beschränkungen plädiert.

Aus den verschiedenen Falllagen und Konstellationen kondensiert das Werk Grundsätze, die zu jeweils angemessenen Interessenabwägungen beitragen sollen.  Dabei wird das Verfassungsrecht für praktische Lebenssachverhalte anwendbar gemacht und die Anwendung des Verfassungsrechts für diese rechtsstaatlich herausfordernde Thematik vereinfacht.

III. Zusammenfassung

Während Whistleblowing über Jahrzehnte als Transplantat aus anderen Rechtsordnungen angesehen wurde, so hat sich doch die Einsicht durchgesetzt, dass der gesellschaftliche und rechtspolitische Nutzen überwiegt. Dennoch zeigt die Evidenz der großen, medial aufbereiteten Fälle, aber auch die Einsichten des Praktikers im Alltag von Unternehmen und öffentlichen Institutionen, dass der Umgang und Schutz von meldenden Personen gestärkt und geregelt werden muss. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen bieten dafür den wirksamsten Rahmen. In seiner hier vorgelegten Studie arbeitet der Autor diese strukturiert und pointiert ab und kommt zu sinnvollen Abwägungskriterien sowohl für den öffentlichen als auch den privaten Sektor und für interne und externe Meldungen. Im Vordergrund stehen dabei stets die Betrachtungen der Motivationen und der verschiedenen Varianten des Whistleblowings. Die Frage, vor welchen Konsequenzen genau geschützt werden soll, steht hintenan. Dabei können diese in der Wirklichkeit von rechtsförmlichen Folgen wie Straf-, Arbeitsrechts- oder Zivilverfahren, Disziplinarmaßnahmen, aber auch den subtileren Maßnahmen wie Benachteiligungen bei Bonuszuteilungen, Beförderungen etc. führen, zu denen die Grundrechtsrelevanz als Korrektiv wirken könnte.

Wir können erwarten und hoffen, dass diese Gedanken in der ein- oder anderen Gerichtsentscheidung zitiert werden. Es bleiben jedoch auch Bereiche unbeleuchtet, in denen das Verfassungsrecht besonders gefordert – und manchmal auch strapaziert – wird und in denen bekannte Fälle den Schutz von Whistleblowern als evidente Notwendigkeit erwarten lassen. Dies gilt etwa im Wehrrecht oder für den Strafvollzug. Auch sind die Grenzziehungen zwischen den Sektoren nicht immer so eindeutig, wie es die Definitionen hier erscheinen lassen – Edward Snowden war als Mitarbeiter eines privaten Beratungsunternehmens bei der NSA eingesetzt, viele öffentliche-rechtliche Institutionen bedienen sich Beliehener oder vollkommen privatrechtlich organisierter Erfüllungsgehilfen, Berater etc. Dies ändert jedoch nichts an dem Mehrwert, den die Rezipienten aus diesem Band ziehen werden. Dieser Mehrwert geht zurück auf die umfassende und sorgfältige Recherche und Analyse des Verfassers, auf Grundlage derer Redder hilfreiche Kriterien für die Justiz, aber auch Praktiker im Unternehmen entwickelt.

Autorinnen und Autoren

  • Daniel Sandmann
    Daniel Sandmann ist Rechtsanwalt in München und Lehrbeauftragter für Compliance u.a. an der Universität Augsburg (ZWW), ICN Business School, Nancy und FOM Berlin. Er ist für internationale Unternehmen als Syndikusrechtsanwalt in Recht und Compliance tätig, derzeit bei einem US-Unternehmen, zuvor u.a. bei der Deutsche Bank AG und der Allianz SE.

WiJ

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    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

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