Maja Serafin: Vermögensabschöpfung – zwischen Effektivität und Rechtsstaatlichkeit. Ein deutsch-polnischer Rechtsvergleich
Duncker & Humblot, Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht, Reihe S: Strafrechtliche Forschungsberichte (MPIS) Band 168, Freiburg 2019, XXVIII, 348 Seiten, 35 Euro.
Vermögensabschöpfung dient dem Gefühl der Gerechtigkeit und der Sicherung der Allgemeinheit. Gleichwohl: Gerade im Strafrecht ist jeder Eingriff in die Rechte und Freiheiten des Einzelnen begründungsbedürftig. Diese Bipolarität durchzieht als Zentralgedanke Serafins gesamtes Werk und belegt, dass sie weder Hardlinerin noch Weichei ist. Sie erkennt die Gefahren bemakelten Vermögens, insbesondere in seinem Einsatz zum Zwecke der Begehung weiterer Straftaten. Sie übersieht aber auch nicht die Missbrauchsgefahren allzu pauschaler Einziehungsmöglichkeiten und verlangt nach einem verhältnismäßigen Gleichgewicht.
Sie ist Wissenschaftlerin mit einer beeindruckenden Biographie, mindestens dreisprachig, erstellte ihre Dissertation im Zuge ihrer Mitarbeit in der „Otto-Hahn-Gruppe: Architektur des Sicherheitsrechts“ und ist Mitglied der Max Planck Research School for Comparative Criminal Law. Dazu passt ihr Rechtsvergleich des deutschen mit dem polnischen Abschöpfungsrechts. Ihre Ausführungen orientiert sie an einer strengen materiellrechtlichen Systematik. Soweit diese eingehalten wird, hält sie die Einziehung in durchaus weitgehendem Maße für gerechtfertigt. Dieser Schwerpunkt provoziert Fragen nach der Praktikabilität, z.B. wie zu erkennen sein soll, ob jemand zum Kreise der Schwerkriminellen gehört, auf den sie präventiv-polizeiliche Maßnahmen beschränkt wissen will und der das Bedürfnis nach Abschöpfung vielleicht nicht abschließend beschreibe, wohl aber im Wesentlichen ausmache.
Maja Serafin beklagt den Mangel einer gesetzlichen Definition des Begriffs der Vermögensabschöpfung sowohl im polnischen wie im deutschen Recht und betrachtet für ihre Arbeit drei Voraussetzungen als konstitutiv: Das Anknüpfen an eine Straftat und alternativ den Übergang von Eigentum auf den Staat oder die Begründung einer Forderung auf Geldzahlung an den Staat. Als Kernproblem identifiziert sie zu Recht Beweisfragen des Zusammenhangs zwischen Tat und (potenziell) bemakeltem Vermögen.
Einem Überblick über die internationalen Rechtsgrundlagen lässt sie eine detaillierte Übersicht folgen über die Facetten des deutschen und des polnischen Rechts in ihren historischen Entwicklungen bis hin zur heutigen Ausprägung in den zahlreichen Tatbeständen des StGB und des OWiG sowohl in Bezug auf Taterträge als auch auf Tatprodukte und Tatmittel bzw. deren jeweiligem polnischen Pendant. An die Darstellung des geltenden Rechts in beiden Ländern schließt sich eine Prüfung des Rechtscharakters der verschiedenen Maßnahmen und ihrer Verfassungsmäßigkeit an.
Der ersatzweisen Einziehung des Werts von Taterträgen legt Maja Serafin in dem Maße eine strafähnliche Wirkung bei, wie sie den bloßen Ausgleich des Gewinns und damit die kondiktionelle Wirkung überschreitet. Letzteres hält sie sub specie Strafrecht für nicht gerechtfertigt. Allerdings fordert sie einen Gleichklang zwischen Einziehung des Ertrags im Original und seines Werts. Beim Original können die Beschaffungskosten jedoch aus der Natur der Sache nicht abgezogen werden: Dem Verletzten den ertrogenen oder gestohlenen Maserati ohne Stoßstange oder Reifen zurückzugeben, würde ihn kaum zufriedenstellen. Ist es angesichts dessen wirklich eine Strafe, verwehrt man dem Täter (oder Teilnehmer) bei der Einziehung des Werts des Ertrags (= des Werts des Originals) den Abzug des in die Tat (vorsätzlich) Investierten? Müsste die Konsequenz aus ihrer Forderung nach Gleichklang nicht gerade umgekehrt lauten, nämlich überhaupt kein Abzug von Aufwendungen? Dann müsste man es allerdings auch für notwendig (und gerecht) erachten, nach Korruption den gesamten Werklohn einzuziehen – ohne Abzug der Lohn- und Materialkosten.
Die erweiterte Einziehung, § 73a StGB, und die erweiterte selbständige Einziehung, § 76a Abs. 4 StGB, hält Maja Serafin nicht für per se verfassungswidrig. Verfassungskonform seien sie jedoch nur unter Einschränkungen sowohl gemäß dem Schuldprinzip als auch nach der Unschuldsvermutung. Das könnte allerdings bedeuten, dass beide Vorschriften nicht mehr zum Strafrecht gehören dürften, hält es die Autorin doch für unmöglich, bei Unklarheiten über die Erwerbstat einen ausreichend engen Zusammenhang zwischen bemakelter Herkunft und vorgefundenem Vermögen nachzuweisen. Das ist allerdings keine Frage der Naturwissenschaft. Schließlich lässt sich die richterliche Überzeugung häufig ohnehin nur auf Indizien stützen. Das maßgebliche Problem besteht vielmehr im Beweismaß.
Maja Serafin verwirft die von ihr zumindest im deutschen Recht identifizierte Vermengung verschiedener, je für sich durchaus als legitim betrachteter Ziele in einem (hier so bezeichneten) Strafrecht für präventive Zwecke. Sie belässt es jedoch nicht bei ablehnender Kritik, sondern entwickelt einen ebenso interessanten wie (eingeräumtermaßen) ausbaubedürftigen Ansatz verfassungs- und rechtssystemkonformer Abschöpfung. Er besteht aus einem Mix aus zivil-, verwaltungs- und strafrechtlichen Instrumenten, die jeweils dem Erreichen spezifischer Aufgaben dienstbar gemacht werden könnten, die aber jeweils nur insoweit gerechtfertigt wären, wie sie von eben diesen legitimiert wären.
Diesem Ansatz ist wissenschaftstheoretisch nicht zu widersprechen. Gedankliche und systematische Klarheit sind für die Anwendung ebenfalls nicht nur hilfreich, sondern aus Gründen der Rechtssicherheit auch notwendig. Eine andere Frage ist es jedoch, wie sich diese wünschenswerte Differenzierung zu einem insgesamt funktionierenden gesetzlichen Rahmen zusammensetzen lässt. Da in der Wirklichkeit nicht nur zuweilen, sondern geradezu typischerweise verschiedene Strömungen zusammenfließen, die sich gedanklich, aber häufig erst im Nachhinein auseinanderhalten lassen, stellt sich die Frage, ob es wirklich nach Rechtsgebieten getrennter Instrumente bedarf, oder ob es nicht besser wäre, gäbe es möglichst nur einen, v.a. für den ersten Zugriff praxistauglichen Eingriffstatbestand für vorläufige Maßnahmen, an den sich erst im weiteren Verlauf des Verfahrens Ausdifferenzierungen anschlössen. Die Zuständigkeit für die Anordnung der unterschiedlichen endgültigen Eingriffe müsste nicht notwendig eigenständigen Stellen zugewiesen werden. Vielmehr spricht nichts prinzipiell dagegen, dass sich eine einzige Verfolgungsbehörde auf Rechtsgrundlagen aus verschiedenen Gebieten stützen dürfte.
Die Erkenntnisse Maja Serafins bieten v.a. den für das Entstehen und Ändern von Gesetzen verantwortlichen Staatsorganen weiterführende Anregungen. Für die forensische Praxis ist mitzunehmen, dass es sich auch im Recht der Vermögensabschöpfung nicht um von Rechtsbindungen weitgehend losgelöste Maßnahmen mit dem Ziel handelt, solchen Mitmenschen ihr Vermögen möglichst umfassend zu entziehen, deren Verhalten nicht dem Erfahrungshorizont eines bürokratiegeprägten deutschen Staatsdieners entspricht, sondern dass die Einziehung (nach welcher Vorschrift auch immer) strikte Rechtsanwendung darzustellen hat und es für jede (vorläufige wie endgültige) Maßnahme einer dem Gesetzesvorbehalt genügenden, d.h. ausreichend bestimmten einschlägigen Rechtsgrundlage bedarf.