Dr. Frédéric Schneider

Boris Bröckers/Kai Peters: Vermögensabschöpfung im Strafverfahren

C.F. Müller, Heidelberg u.a. 2019, 244 Seiten, 48,00 EUR

I. Einleitung

Es dürfte wohl keinen Strafrichter, Staatsanwalt oder Strafverteidiger in der Bundesrepublik geben, dem sich seit der Reform der Vermögensabschöpfung im Sommer 2017 nicht Fragen des richtigen Umgangs mit dem neuen Recht gestellt haben. Dabei sind die Antworten hierauf ebenso rechtlich komplex wie auch für Betroffene praktisch bedeutsam. Gerade vor dem Hintergrund dieser Komplexität und Bedeutung verdient es großen Beifall, dass es die beiden Autoren des gegenständlichen Werkes auf weniger als 300 Seiten nicht nur schaffen, die Vermögensabschöpfung im Strafverfahren umfangreich zu behandeln. Vielmehr bieten sie dem Leser auf diesen 300 Seiten sowohl praktische Handlungsempfehlungen als auch eine dogmatische Auseinandersetzung mit der Materie, die zwar den Praxisbezug nie aus den Augen verliert, aber das Verständnis und die weitergehende Auseinandersetzung mit der Vermögensabschöpfung fördert. Das Buch schließt damit in beeindruckender Weise eine Lücke zwischen bloßem Formularhandbuch und bloßer wissenschaftlicher Auseinandersetzung.

II. Zum Inhalt

Das Buch „Vermögensabschöpfung im Strafverfahren“ ist in der Schriftenreihe „Praxis der Strafverteidigung“ des C.F. Müller Verlags erschienen. In insgesamt neun Teilen beleuchten die Autoren Kai Peters, Rechtsanwalt aus Berlin, und Dr. Boris Bröckers, Richter am Landgericht in Berlin, die Praxis der Vermögensabschöpfung im Strafverfahren nach der umfassenden Reform der Vermögensabschöpfung. Dabei zeugt bereits die Auswahl der Autoren – einerseits beides Anwender des neuen Rechts, andererseits Repräsentanten sowohl der abschöpfenden als auch der verteidigenden Seite – von der Praxisnähe und von der Differenziertheit des Buches.

Die besondere Bedeutung der Auseinandersetzung mit der Vermögensabschöpfung wird dem Leser dabei bereits in der Einleitung nähergebracht, wenn deren nunmehr grundsätzlich zwingender Charakter, die Entwicklung vom Annex zur Säule des Strafverfahrens und ein erster Überblick der sich daraus ergebenden Schwierigkeiten dargestellt werden.

In einem zweiten Teil folgt sodann eine Übersicht der Reform der Vermögensabschöpfung. Beleuchtet werden neben deren Eckpunkten hier insbesondere auch die Ziele des Gesetzgebers. Diesem ging es ganz maßgeblich um die Schließung von Lücken, weshalb er die zwingende Anwendung der Vermögensabschöpfung angeordnet und den Ausschluss der Abschöpfung bei Geschädigtenansprüchen gestrichen hat. Er hat die Möglichkeit einer sog. „non-conviction-based-confiscation“ eingeführt und das bisher von der Rechtsprechung entwickelte Bruttoprinzip kodifiziert. Die Befriedigung von Geschädigten erfolgt nunmehr im Strafvollstreckungsverfahren und ist an das Insolvenzverfahren angelehnt. Der Autor kritisiert in diesem Zusammenhang insbesondere die mit den Reformmaßnahmen fortschreitende Ökonomisierung des Strafverfahrens und befürchtet eine Überforderung der bereits jetzt schon stark belasteten Justiz.

Der dritte und vierte Teil des Buches befassen sich mit außerstrafrechtlichen Abschöpfungsmaßnahmen. Dabei beschränken sich die Ausführungen auf solche Erwägungen, die geeignet sind, ein besseres Verständnis des darauf fußenden und daran angelegten strafrechtlichen Abschöpfungsrechts zu fördern. Insbesondere handelt es sich dabei um Ausführungen zum zivilrechtlichen Kondiktionsrechts und den europarechtlichen Vorgaben.

Mit einem gerade in den Anfangsphasen des neuen Rechts besonders relevanten Thema, namentlich den Regelungen zum Übergangsrecht, befasst sich der fünfte Teil. Betrachtet werden hier die im EGStGB und der EGStPO befindlichen Normen zur Anwendung neuen oder alten Rechts auf vor der Reform liegende Sachverhalte. Dabei ging es dem Gesetzgeber grundsätzlich darum, dass auf alle Fälle, die seither von den Gerichten behandelt werden, neues Recht Anwendung finden soll. Dass dies – trotz hörenswerter Bedenken aus der Literatur – mangels Strafcharakters der Abschöpfung grundsätzlich mit dem Rückwirkungsverbot vereinbar ist, ist mittlerweile höchstrichterlich bestätigt. Gleichwohl präsentiert der Autor hier eine gute Übersicht der bisher erfolgten Rechtsprechung zum Übergangsrecht und zeigt dem Rechtsanwender auf, in welchen Konstellationen eine mit Anwendung des neuen Rechts einhergehende Belastung des Tatverdächtigen ausgeschlossen bleibt.

Der sechste Teil des Buches behandelt das materielle Abschöpfungsrecht und ist dementsprechend, neben der Verteidigung gegen vorläufige Sicherungsmaßnahmen und Ausführungen zum Verfahren im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Einziehung, einer der Schwerpunkte des Werks. Der Autor behandelt hier zunächst die Rechtsnatur der diversen Abschöpfungsmöglichkeiten, um sodann die Voraussetzung der Einziehung von Taterträgen zu beleuchten. Immer wieder verdeutlicht der Autor seine Ausführungen mit verständnisfördernden Beispielen und garniert die Erwägungen mit ergänzenden, weitergehenden Hinweisen bzw. Exkursen, die das tiefergehende Verständnis oder die Umsetzung des Theoretischen in der Praxis fördern.

Besonders betont wird dabei auch die allgegenwärtige Bedeutung, die eine Aufklärung des Mandanten über besondere Folgen und Einschnitte durch das neue Abschöpfungsrecht für den Strafverteidiger gewinnen muss. Es erfreut auch vor diesem Hintergrund, dass der Autor an geeigneter Stelle immer wieder – etwa im Hinblick auf die Zurechnung von Erlangtem bei mutmaßlicher Mittäterschaft oder der Frage abzugsfähiger Aufwendungen – die Ausführungen mit dankenswert eindeutigen Prüfungs- und Reaktionserfordernissen durch die Verteidigung spickt. Daneben vermitteln etwa die Erwägungen des Autors zum (mutmaßlichen) Wegfall des Unmittelbarkeitskriteriums bei der Bestimmung des erlangten Etwas und der Kodifizierung des Bruttoprinzips sowie die Darstellung der daraus resultierenden Risiken einer senkrechten und waagerechten Uferlosigkeit der Abschöpfung dem Leser ein Problembewusstsein, das zur Erarbeitung plausibler Lösungen in der Praxis anregt. Es überzeugt, wenn der Autor sich punktgenau an dieser sowohl praxisrelevanten als auch seit Jahren umstrittenen Frage den Platz nimmt, um einen Überblick über die Entwicklung und die wichtigsten Erwägungen zu dem Thema zu geben. Gerade diese anhand von Bedeutung und Breite eines Streitstandes nachvollziehbare Differenzierung in der Schwerpunktsetzung machen das Buch zu einem großen Gewinn in der praktischen Anwendung.

Aufmerksam sollten Verteidiger auch die Erläuterungen des Autors zum neuen § 73e StGB lesen, der über das Zivilrecht einen Ausweg aus der zwingenden Anwendung des Abschöpfungsrechts bieten kann. Selbiges gilt im Hinblick auf die außerordentlich umstrittene Regelung der erweiterten Einziehung gemäß § 73a StGB, insbesondere die Erwägungen zu deren Subsidiarität, den erforderlichen Herkunftsnachweis sowie die Beschränkung auf Gegenstände. Auch die Ausführungen zu Grenzen von Abschöpfungsketten und dem (wohl nicht?) erforderlichen Bereicherungszusammenhang bei der Abschöpfung von Drittbegünstigten haben unmittelbare praktische Relevanz.

Besonders wegen der Erklärungen zum neuen und rechtsstaatlich bedenklichen Institut der Einziehung unklarer Vermögenswerte in § 76a Abs. 4 StGB, aber auch wegen des Risikos eines selbständigen Einziehungsverfahrens trotz aus Sicht der Verteidigung bereits positiv abgeschlossenen Ermittlungsverfahren verdienen die Erwägungen zur selbständigen Einziehung besondere Beachtung. Sehr schön präsentiert der Autor in diesem Zusammenhang die systematischen Brüche, die sich vorzugsweise aus dem (wichtigen und richtigen) Erfordernis der Subsidiarität ergeben. Die Erwägungen zu rechtsstaatlichen Bedenken der selbständigen Einziehung, der richtigen systematisch-dogmatischen Einordnung des § 437 StPO und möglichen Verwertungsverboten sind angesichts der besonderen Bedeutung des Themenbereichs angemessen tiefgründig, kritisch und differenziert.

Im Hinblick auf die Einziehung bei juristischen Personen begründet der Autor überzeugend, weshalb es auch nach neuem Recht zu keiner Abweichung vom etablierten Durchgriffsverbot kommen dürfte.

Der sechste Teil schließt sodann mit einer Darstellung der Rechtsmittel gegen die im Urteil erfolgten Einziehungsentscheidungen und einem Überblick über das – nach neuem Recht erheblich an Bedeutung gewonnene – Vollstreckungsverfahren.

Der von Kai Peters verfasste siebte Teil des Werkes widmet sich der Verteidigung gegen die vorläufige Sicherung von Vermögenswerten. Jeder Strafverteidiger dürfte diesen Teil mit besonderer Spannung lesen, erlebt man als solcher doch an dieser Stelle eine der größten Auswirkung der Reform auf die Praxis. Während Ermittlungsverfahren von Seiten der Strafverteidigung zuvor oftmals bis zum Abschluss der Ermittlungen defensiver behandelt werden konnten, steht man als Verteidiger heute regelmäßig gleich zu Anfang des Verfahrens wegen drastischer und die Mandanten wirtschaftlich lähmender vorläufiger Sicherungsmaßnahmen unter Zugzwang. Hier müssen nunmehr nicht selten etablierte Verteidigungspraxen angepasst werden. Völlig zu Recht weist der Autor vor diesem Hintergrund darauf hin, dass die Verteidigung gegen derartige vorläufige Sicherungsmaßnahmen nunmehr zum Standradrepertoire jedes Verteidigers gehören muss.

In der Folge skizziert er zunächst die verschiedenen Sicherungsinstrumente und deren Voraussetzungen. Aus Sicht des Verteidigers spannend ist in diesem Zusammenhang etwa das nunmehr genuin strafrechtlich zu verstehende Sicherungsbedürfnis, das nicht mehr nur allein wegen des Verdachts einer Vermögensstraftat begründet sein dürfte.

Das darauffolgende Kapitel dieses siebten Teils beleuchtet die Möglichkeiten der Verteidigung gegen die Vollziehung von Beschlagnahme- und Vermögensarrestmaßnahmen. Auch hier skizziert der Autor zunächst die verschiedenen Rechtsmittel und deren Voraussetzungen. Auch in diesem Rahmen finden sich an geeigneter Stelle Praxistipps, die den Blick des Lesers über den theoretischen Tellerrand schweifen lassen. Beispielhaft sei etwa der Hinweis genannt, dass die Einigungsbereitschaft von Gläubigern und die damit einhergehenden positiven Folgen des § 73e StGB in Form eines Ausschlusses von Abschöpfungsmaßnahmen dadurch gefördert sein können, dass § 111h Abs. 2 S. 1 StPO Vollstreckungen in die vorläufig gesicherten Werte ausschließt.

Der achte und letzte Hauptteil des Buches befasst sich mit dem Verfahren im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Einziehung. Dabei verdienen gerade die Ausführungen zum Ermessen der Staatsanwaltschaft bei der Entscheidung über die Aufnahme von Einziehungsanträgen in die Anklage und zu den Möglichkeiten des § 421 StPO besondere Aufmerksamkeit – sieht man sich seit der Reform doch in der Praxis oftmals Hinweisen der Ermittlungsbehörden ausgesetzt, diesbezügliche Entscheidungen seien zwingend. Selbiges gilt im Hinblick auf die vom Autor präsentierten Möglichkeiten eines Absehens von der Einziehung in der Hauptverhandlung. Der Teil endet mit Erwägungen zu selteneren aber nicht weniger bedeutsamen Verfahrenskonstellationen, namentlich der Einziehung im Strafbefehlsverfahren, dem selbständigen Einziehungsverfahren und der Stellung von Drittbetroffenen. Gerade Letzteres gewinnt durch die Einbeziehung von juristischen Personen als Einziehungsbetroffene in die Strafverfahren zunehmend an Bedeutung.

Der abschließende, neunte Teil des Werks beleuchtet schließlich die Vergütung des Verteidigers im Einziehungsverfahren.

III. Fazit

Den Autoren ist mit dem Buch „Vermögensabschöpfung im Strafverfahren“ eine in jeglicher Hinsicht beeindruckende Gratwanderung gelungen. Ein praxisnahes Werk, das weit mehr als nur gesetzliche Vorgaben rund um die Vermögensabschöpfung schildert, ohne dabei dogmatisch kleinteilig zu werden. Gerade diese konsequente und nachvollziehbare Schwerpunktsetzung ermöglicht es den Autoren das Thema zugleich umfassend und auch tiefgründig zu behandeln, ohne den Umfang eines für die Praxis verfassten Werks zu sprengen. Es lohnt sich vor diesem Hintergrund sowohl für den Leser, der am Stück einen umfassenden Überblick zur Vermögensabschöpfung bekommen will als auch für denjenigen, der gezielt einzelne Fragestellungen nachschlagen und Handlungsoptionen ermitteln will.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Frédéric Schneider
    Dr. Frédéric Schneider ist als Strafverteidiger am Hamburger Standort der Kanzlei ROXIN Rechtsanwälte LLP tätig. Er berät Unternehmen und Individualpersonen in allen Fragen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)