Richterin am Landgericht Dr. Jasmin Kocak, LL.M. (Columbia)

Detlef Burhoff: Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung

9., aktualisierte und wesentlich überarbeitete Auflage, ZAP Verlag, Bonn 2019, 1352 Seiten, gebunden, EUR 119, ISBN 978-3-89655-932-6

Das Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung ist eines von insgesamt vier Werken der im ZAP Verlag erschienenen „Handbuch-Reihe“ von Detlef Burhoff, die vom Ermittlungsverfahren über die Hauptverhandlung und die Rechtsmittel bis hin zur strafrechtlichen Nachsorge sämtliche Aspekte des Strafverfahrens abdeckt. Die 9. Auflage aus dem Jahr 2019 berücksichtigt die bis Ende August 2018 in Kraft getretenen Rechtsänderungen sowie die bis dahin veröffentlichte Literatur und Rechtsprechung. In der Zeit „zwischen den Auflagen“ sorgt die Internetseite von Burhoff (www.burhoff.de) für eine fortlaufende Aktualität. Im Menü „Veröffentlichungen“ werden dort in der Regel dreimal im Jahr „Verfahrenstipps für Strafverteidiger“ eingestellt, in denen aktuelle strafprozessrechtliche Entscheidungen vorgestellt und mit Verweis auf das Handbuch analysiert werden. Das Handbuch selbst nennt überdies unter dem Stichwort „Gesetzesnovellen“ die in der laufenden Legislaturperiode im Bundestag oder Bundesrat eingebrachten Gesetzesinitiativen mit Bezug zur strafrechtlichen Hauptverhandlung und die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung geplanten Novellierungen. Im Vergleich mit anderen Handbüchern fällt es dadurch leichter Rechtsänderungen zu erkennen.

Mit seinem erstmals 1995 erschienenen Handbuch will Burhoff das für die Hauptverhandlung erforderliche Wissen aus Sicht einer Strafverteidigerin oder eines Strafverteidigers sowohl Berufsanfängerinnen und -anfängern als auch fachkundigen Profis vermitteln und ihnen Tipps und Hinweise aus seiner langjährigen strafrichterlichen Tätigkeit an die Hand geben. Das 1352 Seiten starke Werk ist aber nicht nur eine ideale Arbeitshilfe für die Strafverteidigung. Vielmehr bündelt es in seinen 4085 Randnummern das relevante Wissen über die strafrechtliche Hauptverhandlung und all das, was mit dieser zusammenhängt, komprimiert und umfassend. Es kann daher auch von Referendarinnen und Referendaren als Lehrbuch genutzt werden. Für erfahrene Praktikerinnen und Praktiker aus der Justiz eignet es sich hervorragend als Nachschlagewerk, um sich zügig einen Überblick zu verschaffen oder zur Einarbeitung in ein (unbekanntes) Thema. Der Strafverteidigung soll durch die Sortierung nach Stichwörtern von A bis Z auch während des Hauptverhandlungstermins ein schneller Zugang zum wesentlichen Fachwissen und dadurch eine     (Mit-)gestaltung der Hauptverhandlung ermöglicht werden. Erleichtert wird dies, indem umfangreichere Ausführungen zu Beginn optisch hervorgehoben unter der Überschrift „Das Wichtigste in Kürze“ in wenigen Sätzen zusammengefasst werden. Die Stichwörter sind überdies sehr ausdifferenziert und ermöglichen eine punktgenaue Information über Einzelaspekte. Beispielsweise wird das Beweisantragsrecht in 18 Stichwörtern erörtert, wobei die Darstellung – dem hohen Stellenwert der Thematik angemessen – insgesamt 213 Randnummern auf 69 Seiten umfasst. Durch den noch detaillierteren Index am Ende des Handbuchs können gezielt – und unabhängig von der Einteilung in die alphabetischen Stichworte – relevante Randnummern aufgefunden werden. Der zunehmenden Tendenz, während einer Hauptverhandlung überwiegend digitale Arbeitsmittel zu nutzen, und der Einführung der e-Akte kommt entgegen, dass das Handbuch auch über juris verfügbar ist.

Das Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung zeichnet sich durch seine prägnante Sprache aus. Es bereitet die Themen trotz aller Übersichtlichkeit und Verdichtung in der Darstellung differenziert auf und vermittelt weit mehr als bloß Grundlagenwissen. Für eine eingehende Auseinandersetzung brauchen bei vielen Stichwörtern in der Regel keine weiteren Quellen hinzugezogen werden. Sollte dies doch einmal notwendig sein, helfen die Literaturhinweise am Anfang der jeweiligen Erörterungen dabei, einzelne Aspekte gezielt zu vertiefen. Daneben enthält das Handbuch zahlreiche Rechtsprechungsbeispiele mitsamt Fundstellen, mehr, als sich in manchen Kommentierungen finden. Dabei werden neben der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bewusst auch Entscheidungen der Oberlandesgerichte angeführt, um der Strafverteidigung die für den jeweiligen Gerichtsbezirk „richtige“ Argumentationslinie an die Hand zu geben.

Zu fast allen Stichwörtern hält das Handbuch „Hinweise für den Verteidiger“ sowie grafisch hervorgehobene besondere Tipps für die Strafverteidigung bereit. Auch diese sind für die justizielle Praxis nützlich, betreffen sie doch häufig sachdienliche Anträge oder Erklärungen und können so das Augenmerk auf die für die weitere Sachbehandlung maßgeblichen Aspekte lenken.

Den praktischen Bedürfnissen der Strafverteidigung kommt das Handbuch mit seinen insgesamt 55 Mustern für Anträge, Schreiben und Erklärungen entgegen. Diese sind durch die Übersicht am Ende des Handbuchs und das Musterverzeichnis schnell auffindbar. Die Muster können über einen Link zu einer Internetseite abgerufen und digital für den „eigenen Fall“ angepasst werden. Die Formulierungsvorschläge können eine echte Zeitersparnis bedeuten und den Blick in ein Formularbuch ersetzen. Den Mustern lässt sich überdies auf einen Blick entnehmen, wie ein Schriftsatz sinnvoll strukturiert werden kann, so dass sie sich als Vorlage für ein selbst zu erstellendes Dokument eignen.

Inhaltlich vermittelt das Handbuch umfangreiches Fachwissen. Es lässt auch sonst keine praktische Frage von Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern zur strafrechtlichen Hauptverhandlung unbeantwortet, was insbesondere die Ausführungen über die „Vorbereitung der Hauptverhandlung“, das „Tragen der Robe/Krawatte“ und die „Sitzordnung in der Hauptverhandlung“ zeigen.

Ein weiteres Extra des Handbuchs sind die Erläuterungen zu den besonderen Verfahrensarten, die jeweils unter gesonderten Stichwörtern behandelt werden. Sie helfen dabei, effizient einen Überblick über die Spezifika der Hauptverhandlung und weitere Besonderheiten unter anderem im beschleunigten Verfahren, gerichtlichen Bußgeldverfahren, Jugendgerichtsverfahren, Strafbefehlsverfahren, Steuerstrafverfahren und im Privatklageverfahren zu gewinnen.

Für das beschleunigte Verfahren weist Burhoff beispielsweise zunächst auf die Besonderheit hin, dass kein Eröffnungsbeschluss ergeht. Sodann wird unter Einbeziehung von Gesetzesmaterialien, Literatur und Rechtsprechung eingehend erörtert, wie lange die gesetzlich nicht konkret festgelegte Frist zwischen dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verhandlung im beschleunigten Verfahren und dem Beginn der Hauptverhandlung sein darf.

Es folgen Tipps und Hinweise für die (Pflicht-)Verteidigung, insbesondere zum Verhältnis von § 140 und § 418 StPO. Die Änderungen infolge des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung sind zwar erst nach Erscheinen des Handbuchs in Kraft getreten. Jedoch kündigt das Handbuch die Änderungen schon unter dem Stichwort „Gesetzesnovellen“ an. Auf der oben genannten Internetseite von Burhoff ist darüber hinaus eine aktuelle Entscheidung aus dem Jahr 2020 zur nun bestehenden Anhörungspflicht des Beschuldigten vor der Beiordnung abrufbar, die auch im beschleunigten Verfahren gilt. Aus gerichtlicher Perspektive sind die Ausführungen zur Beiordnung, die sich erst während der Hauptverhandlung als erforderlich erweist, und deren Auswirkungen auf das Verfahren von besonderem Interesse.

Sodann folgt eine Auflistung der Besonderheiten einer Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren. Diese reichen von der Ladung des Angeklagten über die Frage, ob sich die Sache bei dessen Ausbleiben weiterhin für das beschleunigte Verfahren eignet bis hin zu den Möglichkeiten einer mündlichen Anklageerhebung, einer vereinfachten Beweisaufnahme und einer Unterbrechung der Verhandlung. Der Abschnitt schließt mit den zulässigen Rechtsmitteln ab.

Das Handbuch fasst in 30 Randnummern auf knapp 7 Seiten zusammen, was für die Hauptverhandlung im beschleunigten Verfahren maßgeblich ist und erleichtert dadurch Praktikerinnen und Praktikern, sich gegebenenfalls auch kurzfristig auf diese nicht oft vorkommende Verfahrensart vorzubereiten.

Die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens werden – um ein weiteres Beispiel zu nennen – in fünf Stichwörtern vorgestellt. Umfangreiche Hinweise auf weiterführende Literatur sowie einen Überblick über das Bußgeldverfahren und die anwendbaren Vorschriften gibt der Abschnitt „Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Allgemeines“. Wie der Name es verspricht, werden unter dem Stichwort „Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Allgemeine Verfahrensgrundsätze“ die wichtigsten Grundsätze des gerichtlichen Bußgeldverfahrens erläutert. Dort finden sich insbesondere Hinweise auf die Möglichkeit einer Pflichtverteidigung und die reformatio in peius bei der gerichtlichen Entscheidung nach einem Einspruch gegen den Bußgeldbescheid, den möglichen Übergang ins Strafverfahren, die Möglichkeiten einer Einspruchsrücknahme oder die in der Praxis häufig vorkommende Einspruchsbeschränkung sowie die Zulässigkeit einer Verständigung in Bußgeldsachen. Entsprechend des hohen praktischen Aufkommens vor allem im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren befasst sich das Handbuch anschließend unter dem Stichwort „Bußgeldverfahren, Besonderheiten, Anwesenheit des Betroffenen“ eingehend mit den Voraussetzungen des  § 73 Absatz 2 OWiG, bei deren Vorliegen der Betroffene vom persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden werden muss. Burhoff erörtert zudem, wann ein entsprechender Antrag gestellt werden kann, welchen Anforderungen dieser genügen muss und veranschaulicht dies anhand eines Musters. Aus richterlicher Perspektive interessieren besonders die Ausführungen, wann das Gericht über einen solchen Antrag entschieden haben muss.

Eine Entbindung setzt voraus, dass der Betroffene sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache einlassen, und dass seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Diese Voraussetzungen werden gründlich mit vielfältigen Hinweisen vor allem auf die obergerichtliche Rechtsprechung erörtert. Als praktische Orientierungshilfe listet das Handbuch anschließend eine ganze Reihe von Beispielen aus der Rechtsprechung auf, in denen die Anwesenheit als erforderlich beziehungsweise nicht erforderlich angesehen wurde. Für den Fall, dass eine Entbindung erfolgt, geht Burhoff auch auf die Möglichkeit einer Vertretung durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger und die Besonderheiten einer Abwesenheitsverhandlung gemäß § 74 OWiG ein. Er stellt umfänglich die Voraussetzungen dar, unter denen der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid verworfen werden kann, wenn der Betroffene nicht vom persönlichen Erscheinen entbunden wurde und dennoch der Hauptverhandlung fernbleibt.

Nicht von geringerer praktischer Relevanz sind die unter dem nächsten Stichwort genannten Besonderheiten bei der Beweisaufnahme des gerichtlichen Bußgeldverfahrens, insbesondere die spezifischen Regelungen für die Verlesung von Schriftstücken und Protokollen. Obgleich für Beweisanträge die allgemeinen Regeln gelten, versorgt das Handbuch die Strafverteidigung mit wertvollen Hinweisen mitsamt Rechtsprechungsnachweisen für Beweisanträge im straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren. Für die gerichtliche Praxis sind wiederum die detaillierten Darstellungen der besonderen Ablehnungsgründe des § 77 Absatz 2 OWiG sowie der Möglichkeit einer vereinfachten Beweisaufnahme gemäß § 77a OWiG hilfreich.

Die Besonderheiten bei der Hauptverhandlung in Bußgeldsachen sowie deren Vorbereitung werden schließlich unter dem letzten Stichwort behandelt. Burhoff stellt vorbereitende Maßnahmen des Gerichts dar, unter anderem die spezifischen Anforderungen an die Ladung des Betroffenen zum Hauptverhandlungstermin, die Terminbestimmung, aber auch den Umgang mit einer Verspätung oder Verhinderung der Verteidigung. Darüber hinaus stellt das Handbuch die Besonderheiten beim Ablauf der Hauptverhandlung heraus, wobei auch die oft anwendbaren allgemeinen Regeln genannt werden, die außerdem über die Verweise auf das jeweilige Stichwort nebst Randnummer im Handbuch leicht nachgelesen werden können. Die Darstellung umfasst insbesondere die Verlesung des Bußgeldbescheides, die Möglichkeiten, bei einer Abwesenheitsverhandlung den wesentlichen Inhalt einer schriftlichen Äußerung des Betroffenen bekannt zu geben sowie von der Hinzuziehung eines Protokollführers abzusehen, die Beendigung des Verfahrens durch Einstellung oder Urteil sowie die statthafte Rechtsbeschwerde. Dabei wird immer auch die obergerichtliche Rechtsprechung genannt, die als Ausgangspunkt für weitere, vertiefte Recherchen genutzt werden kann.

Insgesamt ist das Handbuch sowohl angehenden als auch erfahrenen Strafverteidigerinnen und Strafverteidigern sowie Praktikerinnen und Praktikern aus der Justiz, die sich zügig einen Überblick verschaffen, intensiv in ein Thema einarbeiten oder auf den aktuellen Stand bringen möchten, uneingeschränkt zu empfehlen.

Autorinnen und Autoren

  • Richterin am Landgericht Dr. Jasmin Kocak, LL.M. (Columbia)
    Dr. Jasmin Kocak, LL.M. (Columbia) ist Richterin am Landgericht Frankfurt a.M.

WiJ

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions- Compliance Teil 1

    Außenwirtschaftsrecht Kriegswaffenkontrollrecht

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Auslandsbezüge EU Internationales Strafrecht Rechtshilfe

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)