Julian Dust: Täterschaft von Verbänden
Duncker & Humblodt, 138 Seiten, ISBN: 978-3-428-15717-4, 59,90 EURO
Die Publikation wurde im Jahr 2018 von der Juristischen Fakultät der Universität zu Köln als Dissertation angenommen. Literatur und Rechtsprechung befinden sich auf dem Stand von April 2019.
I. Einleitung
In der jüngeren Vergangenheit hat vor allem die Aufarbeitung des Diesel-Abgasskandals die Frage aufgeworfen, ob nicht lediglich die jeweils handelnden natürlichen Personen, sondern auch Unternehmen für betriebsbezogene Straftaten zu sanktionieren sind. Dies setzt allerdings voraus, dass sie Verantwortung für das straf- bzw. ordnungswidrigkeitenrechtlich relevante Fehlverhalten der für sie handelnden Personen tragen.
Anders als beispielsweise im angloamerikanischen Rechtsraum, vor allem in den USA, kennt das StGB eine Strafbarkeit von juristischen Personen bzw. von Verbänden jedoch nicht. Täter einer Straftat kann nach deutschem Recht vielmehr nur eine natürliche Person sein. Denn dem deutschen Strafrecht liegt der Grundsatz zugrunde, dass jeder Täter nur nach seiner Schuld bestraft wird (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB).
Allerdings sieht auch das geltende deutsche Recht Möglichkeiten vor, juristische Personen oder Personenvereinigungen im Falle eines betriebsbezogenen straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanten Fehlverhaltens einer Leitungsperson unmittelbar durch die Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG zu sanktionieren. Gleiches gilt, soweit ein betriebsbezogenes Fehlverhalten durch das Unterlassen einer erforderlichen Aufsichtsmaßnahme ermöglicht worden ist (§ 130 OWiG).
Auch das EU-Kartellrecht sieht in Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 Möglichkeiten zur Verhängung von Geldbußen gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen für den Fall des Verstoßes gegen das EU-Kartellrecht vor.
Sowohl mit Blick auf die Verhängung einer Verbandsgeldbuße gemäß §§ 30, 130 OWiG als auch auf eine Sanktionierung gemäß Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 stellt sich jedoch die Frage, ob die für das Individualstrafrecht entwickelten Kriterien für die Zurechnung von strafrechtlichen Verantwortlichkeiten auch auf die Sanktionierung von Verbänden übertragen werden können. Diese nicht nur für die Strafrechtswissenschaft, sondern auch für Praktiker sowie nicht zuletzt auch für die betroffenen Unternehmen und ihre Leitungspersonen bedeutende Fragestellung steht im Mittelpunkt der Dissertation „Täterschaft von Verbänden“ von Julian Dust.
II. Inhalt
Ein besonderer Dienst der Dissertation ist die Entwicklung der Begrifflichkeit von Verbandstäterschaft. Dabei geht der Autor von den für das Individualstrafrecht entwickelten Wertungen aus und versucht diese, (soweit möglich) auf den Bereich der Verbandstäterschaft zu übertragen. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden dabei stets sowohl für die bußgeldrechtliche Haftung gemäß §§ 30, 130 OWIG als auch für eine Sanktionierung nach dem EU-Kartellrecht gemäß Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 entwickelt.
Die Dissertation ist in sieben Teile gegliedert: Problematik: Sind juristische Personen Täter (A.), Methodik (B.), Verbände als Normadressaten und Normautoren (C), Tathandlungen von Verbänden (D.), Der Unrechtsvorwurf gegenüber Verbänden (E.), Täterschaft und Tatherrschaft (F.), Zusammenfassung und Ergebnisse (G.).
Im ersten Teil „Problematik: Sind juristische Personen Täter?“ (A.) wird der Leser anschaulich in das Thema eingeführt und mit den sich dabei stellenden Problemen vertraut gemacht. Der Autor erläutert hierbei die zum Verständnis der Dissertation erforderlichen Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit der Verbandstäterschaft und versucht, die für den Bereich der Individualtäterschaft entwickelten Definitionen von Täterschaft im Sinne von § 25 Abs. 1 StGB auf das Verbandsstrafrecht zu übertragen. Hierbei wird dem Leser sogleich verdeutlich, dass die anhand der Tatherrschaftslehre entwickelten Abgrenzungskriterien zwischen Täterschaft und Teilnahme (wenn überhaupt) nur bedingt auf das Verbandsstrafrecht übertragen werden können.
Im folgenden zweiten Kapitel „Methodik“ (B.) werden kurz die zur Anwendung gebrachten methodischen Grundlagen erläutert, ehe sich der Autor im dritten Kapitel (C.) schwerpunktmäßig der Frage widmet, anhand welcher Kriterien „Verbände als Normadressaten und Normautoren“ im strafrechtlichen Sinne in Betracht kommen. Hierbei geht der Autor wiederum von den für das Individualstrafrecht entwickelten Kriterien von Straf- und Schuldfähigkeit aus und überprüft sodann, inwiefern diese auf die vorliegende Fragestellung übertragbar sind. Die zunächst allgemein gehaltenen Ausführungen erhalten sodann eine Konkretisierung in Bezug auf die Fälle der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG sowie einer Geldbuße gemäß Art. 23 VO (EG) Nr. 1/2003 gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen. Ausführlich widmet sich der Autor hierbei der rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise im EU-Kartellrecht, die zur Folge hat, dass Rechtsverstöße konzernübergreifend zugerechnet werden können. Hierbei wird herausgearbeitet, dass die wirtschaftliche Betrachtungsweise die Zuordnungsfunktion der Rechtspersönlichkeit und des Rechtsträgerprinzips, die im Individualstrafrecht gilt, ersetzt. Der Autor gelangt hierbei zu der Erkenntnis, dass dies mit dem Täterbegriff des geltenden Strafrechts nicht vereinbar sei und letztlich auf eine reine Erfolgshaftung hinausliefe.
Der vierte Teil (D.) widmet sich der Fragestellung nach möglichen „Tathandlungen von Verbänden“. Auch hierbei dient das Individualstrafrecht zunächst als Ausgangspunkt, ehe die hierfür entwickelten Grundsätze auf Verbandstaten übertragen werden. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden anschließend wiederum mit Blick auf die Verhängung einer Verbandsgeldbuße gemäß § 30 OWiG sowie auf Geldbußen nach dem EU-Kartellrecht konkretisiert. Insbesondere die Unterschiede dieser Sanktionsregime werden dabei veranschaulicht. Während § 30 Abs. 1 OWiG die betriebsbezogene Anknüpfungstat dem Verband als eigenen Rechtsverstoß zurechnet, so der Autor, wird eine Zuwiderhandlung im Sinne von Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003 als eigener Rechtsverstoß des Unternehmens verstanden. Dies belegt einmal mehr die bereits im vorangegangenen Teil gewonnene Erkenntnis, dass dies letztlich auf eine reine Erfolgshaftung des Verbandes für ein Fehlverhalten von Mitarbeitern hinausliefe.
Im fünften Teil (E.) widmet sich der Autor der Frage nach dem „(…) Unrechtsvorwurf gegenüber Verbänden“. Auch hierbei bleibt sich der Autor seiner Linie treu, indem zunächst die Unrechtsbegriffe und die daraus folgende Legitimation von Strafe für das Individualstrafrecht dargestellt werden und anschließend überprüft wird, inwiefern diese Erkenntnisse für den Bereich des Verbandsstrafrechts fruchtbar gemacht werden können, und zwar zum einen mit Blick auf § 30 OWiG und sodann auch auf eine Sanktionierung nach dem EU-Kartellrecht gemäß Art. 23 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1/2003.
Der anschließende sechste Teil (F.) „Täterschaft und Tatherrschaft“ widmet sich schwerpunktmäßig der Tatherrschaftslehre. Hierbei stellt der Autor zunächst die Grundlagen, insbesondere die für den Bereich des Individualstrafrechts entwickelten Kriterien zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme dar und wirft sodann die Frage auf, ob diese auch für das Verbandsstrafrecht herangezogen werden können. Problematisch ist hierbei allerdings, worauf auch der Autor zu Recht hinweist, dass die Tatherrschaftslehre vorrangig der Zuordnung von Tathandlungen zu den Kategorien Täterschaft und Teilnahme dient. Eine direkte Übertragung der Tatherrschaftslehre auf das Verbandsstrafrecht sei daher nicht möglich und auch nicht erforderlich, da dabei nicht die Abgrenzung von Tatbeiträgen im Vordergrund stehe, sondern die normative Zurechnung und somit die Qualifizierung einer Tat als Verbandstat.
Im letzten Teil (G.) werden die Schwerpunkte der Dissertation noch einmal zusammengefasst und die Ergebnisse übersichtlich dargestellt. Die Dissertation wird hierdurch insgesamt abgerundet. An dieser Stelle wird noch einmal veranschaulicht, dass eine Übertragung der für das Individualstrafrecht entwickelten Grundsätze auf Fälle des Unternehmensstrafrecht problembehaftet ist und es daher möglicherweise auch gänzlich anderer Lösungsansätze bedarf.
III. Zusammenfassung
Die Dissertation ist mit Blick auf die deutliche Schwerpunktsetzung in der Strafrechtsdogmatik gerade für Vertreter aus der Wissenschaft lesenswert und überzeugt vor allem durch eine konzise Darstellung sowie ihren stringenten Aufbau. Das gut gegliederte Inhaltsverzeichnis zu Beginn und das Stichwortverzeichnis am Ende der Dissertation helfen dem Leser, die ihn interessierenden Punkte sofort aufzufinden. Das sehr umfangreiche Literaturverzeichnis ermöglicht dem Leser zudem, sich im Bedarfsfall mit den für ihn relevanten Fragestellungen noch ausführlicher zu befassen.
Hervorzuheben ist noch, dass die Darstellung zur Täterschaft von Verbänden einen sehr guten Überblick über die unterschiedlichen Zurechnungsmodelle einerseits im Zusammenhang mit der Verhängung von Verbandsgeldbußen gemäß § 30 OWiG und andererseits im Hinblick auf die Sanktionierung von Zuwiderhandlungen nach dem EU-Kartellrecht gibt. Gerade diese Gegenüberstellung ist besonders interessant. Sie erfährt zudem eine zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Dissertation noch nicht absehbare Aktualität durch den erst vor einigen Monaten veröffentlichten Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, der insbesondere einen Entwurf eines Gesetzes zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz VerSanG) enthält. Das hierbei vorgesehene Zurechnungsmodell von Verbandstaten nimmt sowohl Anlehnung an § 30 OWiG als auch an die Sanktionierung nach dem EU-Kartellrecht, weshalb die Dissertation bis heute nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat.