WisteV-Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften
Stellungnahme vom 5.11.2020
Die Wirtschaftsstrafrechtliche Vereinigung e.V. (WisteV) bedankt sich für die Gelegenheit, zu dem Gesetzesentwurf Stellung nehmen zu dürfen. Zugleich bitten wir um Verständnis dafür, dass uns eine Positionierung aufgrund der satzungsmäßigen Beschränkung auf das Wirtschaftsstrafrecht nicht zu allen Vorschlägen möglich ist. In diesem Sinne bitten wir die Konzentration auf die Vorschriften zu verstehen, die für die Vermögensabschöpfung und die Geldwäsche relevant sind. Zu beiden Themen hat WisteV bereits in der Vergangenheit Stellung bezogen.
Allgemeines
Der vorliegende Referentenentwurf wird seinem Titel insoweit gerecht, als die Bezeichnung „Fortentwicklung“ auf punktuelle Änderungen deutet. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf verfahrensrechtlichen Bestimmungen, welche mit dem Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zum 1.7.2017 in Kraft traten. WisteV sieht durchaus einen gewissen Nachsteuerungsbedarf. Allerdings erscheint es wenig erfolgversprechend, dabei die materiellrechtlichen Vorschriften auszublenden und auch nur einige der konkretisierungsbedürftigen strafprozessualen Probleme herauszugreifen und andere auf sich beruhen zu lassen.
Das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung wurde binnen knapp zweier Jahre zwar intensiv vorbereitet, veränderte aber nicht nur solche Bestimmungen, deren Wirkung sich auf das Straf- oder Strafprozessrecht beschränken, sondern entfaltet seine Wirkung auch auf etliche Schnittstellen zu anderen Rechtsgebieten wie dem Zwangsvollstreckungs-, Gesellschafts-, Insolvenz- und bürgerlichen Recht. Es zeichnete sich bereits im Zuge des seinerzeitigen Gesetzgebungsverfahrens ab, dass es dabei zu Friktionen kommen würde. Angesichts des Zeitdrucks aufgrund des Umstands bereits abgelaufener Frist zur Implementierung von EU-Recht in die nationale Rechtsordnung war es allerdings nur möglich, ins Auge fallende Brüche zu vermeiden.
Bereits im Jahr 2017 stand also dem Gesetzgeber ein im Einzelnen natürlich noch unbekannter Bedarf zu nachträglicher Feinjustierung vor Augen. Die Praxis bestätigte inzwischen diese Prognose. Der Bundesgerichtshof sah sich gehalten, in mehreren Leitsatz-Entscheidungen (mehr oder weniger geglückte) Leitlinien zu formulieren. Die Auslegung der materiellen Vorschriften führte dazu, dass ein Täter oder Teilnehmer, welcher Tatertrag (im Original oder wertmäßig) über einen Drittbeteiligten erhält, besser dasteht als ein mit Rechtsgrund empfangender Außenstehender. Bei Letzterem kann die Einziehung bereits dann erfolgen, wenn er fahrlässig die bemakelte Herkunft verkannte, § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. b, Var. 2 StGB. Dafür ist nicht etwa Leichtfertigkeit Voraussetzung, sondern es genügt der leiseste Sorgfaltsverstoß. Demgegenüber privilegiert die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs z.B. einen Gesellschaftergeschäftsführer, dessen zivil- oder arbeitsrechtlich wirksamer Gehaltsanspruch aus Tatertrag finanziert wurde. Eine derartige Benachteiligung des Drittempfängers ist inakzeptabel.
Es ließen sich unschwer etliche weitere Beispiele für Bedarf an Nachjustierung an materiellrechtlichen wie verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Gesetzes zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung anführen. Allerdings erscheint dieser Gesetzesentwurf nicht als angemessener Anlass für eine derartige auf Vollständigkeit abzielende Auflistung. Das Beispiel unter Hinweis auf weiteren Anpassungsbedarf soll daher lediglich zeigen, dass das Herausgreifen weniger und das auch nur strafprozessrechtlicher Bestimmungen den Änderungsbedarf nicht zu erfüllen vermag – ja im Gegenteil, für neue Probleme sorgen kann – und dass gegebenenfalls gar eine Verschlimmbesserung eintreten könnte.
I. Zu einzelnen Vorschlägen des Entwurfs
1. Definition des Begriffs des „Verletzten“, § 373b StPO-E
a) Systematik
Ein Beispiel für die drohende Gefahr einer Verschlimmbesserung stellt der vom Ziel her verdienstvolle Versuch dar, den Begriff des „Verletzten“ mit Wirkung für das gesamte Strafverfahrensrecht (und vermutlich auch für das materielle Strafrecht) in § 373b StPO zu definieren. Allerdings erscheint die Verortung in der Strafprozessordnung nicht als zwingend. Es dürfte sich vielmehr eine Ergänzung des § 11 StGB anbieten.
b) Bedenkliche Folgen des Inhalts der Definition
Inhaltlich bereitet die Beschränkung auf diejenigen, die aufgrund der Tat unmittelbar in ihren Rechten verletzt wurden, etliche Folgeprobleme. Einigen davon versucht der Entwurf durchaus Rechnung zu tragen. Das zeigt sich bereits an der Gleichstellungsklausel des § 373b Abs. 2 StPO-E und es setzt sich in zahlreichen Änderungen an strafprozessualen abschöpfungsrechtlichen Vorschriften fort. Dort soll der Begriff des „Verletzten“ durch unbestimmte Begriffe wie „wer“ oder „jemand“ ersetzt werden. Die Opferentschädigung, §§ 459h-k StPO, soll zukünftig den „Anspruchsinhabern“ offenstehen.
aa) Die vorgesehenen Begriffsersetzungen in der StPO würden zu einer deutlichen Verkomplizierung der Anwendung der ohnehin bereits sehr komplexen Bestimmungen führen. Während der Begriff des „Verletzten“ immerhin eine gewisse Leitlinie für das inhaltliche Verständnis vorgibt, bedürfte es zur Konkretisierung der unbestimmten Begriffe jeweils des Rückgriffs auf den Sinn und Zweck der jeweiligen Vorschrift und gegebenenfalls auch von Bezugsnormen.
bb) Überdies wäre für jede Vorschrift gesondert zu klären, ob sie sich auch auf Rechtsnachfolger bezieht oder nicht. Dabei handelt es sich allerdings um eine Entscheidung, welche die Reichweite der jeweiligen Vorschrift wesentlich betrifft. Demgemäß ist es Aufgabe des Gesetzgebers selbst, Umfang und Grenzen des Anwendungsbereichs zu bestimmen.
cc) Unabhängig davon würde der Anwendungsbereich des § 459h StPO (und damit auch der §§ 459j und 459k sowie 459m StPO) aufgrund des veränderten Wortlauts deutlich ausgeweitet. Bisher gilt der dynamische Begriff des Verletzten unter Ausdehnung auf dessen Rechtsnachfolger. Damit ist klargestellt, dass das vereinfachte Entschädigungsverfahren eine Verurteilung wegen der Tat zum Nachteil des Anspruchstellers (oder seines Rechtsnachfolgers) voraussetzt.
(a) Der Personenkreis, dem ein Anspruch auf Rückgewähr des Erlangten erwachsen ist, so § 459h Abs. 1 S. 1 StPO-E, geht aber über die bisher Berechtigten deutlich hinaus und erfasst u.a. rein schuldrechtlich Befugte, z.B. den Vermieter des dem Verletzten entzogenen Gegenstands oder einen Käufer.
(b) Sehr deutlich wird die Ausweitung beim Vorschlag für § 459h Abs. 1 S. 3 StPO-E und die §§ 459j und 459k sowie 459m StPO-E. Erfasst soll zukünftig jeder sein, dem der Gegenstand gehört oder zusteht bzw. der „Anspruchsinhaber“. Eigentümer kann jedoch auch derjenige sein, der es zur Zeit der Tat nicht war, aufgrund Anfechtung aber mittlerweile wieder ist. Der Begriff „zustehen“ erfasst auch Leihverhältnisse und selbst gesetzliche Ansprüche aus dem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis. Es ist demgemäß weder selbstverständlich, dass der Antragsteller auch materiell berechtigter Anspruchsinhaber ist, noch dass es nur einen Berechtigten geben könnte, der einen Entschädigungsanspruch stellt.
Damit würden schwierige zivilrechtliche Entscheidungen in das Stadium der strafprozessualen Vollstreckung verlagert und die Entscheidung darüber den Strafrichtern übertragen. Sollen sie wirklich entscheiden müssen, ob das ertrogene Leasing-Kraftfahrzeug im Eigentum des Leasinggebers steht oder ob es ein Dritterwerber gutgläubig erworben hat? Sollen dafür strafprozessuale Grundsätze und damit das Amtsermittlungsprinzip gelten oder das Zivilprozessrecht mit dem Beibringungsgrundsatz? Verfügt die Strafjustiz über ausreichend Ressourcen für derartige zusätzliche und fachfremde Aufgaben? Bliebe die Antwort auch im Fall der in mehreren Gesetzgebungsvorhaben geplanten deutlichen Ausweitung des materiellen Strafrechts unverändert?
(c) Das neue Recht knüpfte nicht mehr wie das bisherige an einen prozessualen Sachverhalt an, sondern an das materielle Recht. Die Folge bestünde in einer Verlagerung der Zuständigkeit für die Opferentschädigung, weg vom Rechtspfleger der Staatsanwaltschaft und hin zum ehedem erkennenden Gericht bzw. zur Strafvollstreckungskammer, weil die Zuständigkeit für die Entscheidung über materiellrechtliche Fragen nicht beim Rechtspfleger liegen kann.
(d) Vermutlich ungewollte Unklarheiten sind auch mit der Beschränkung des Begriffs des „Verletzten“ auf den Personenkreis, der aufgrund der Tat unmittelbar Nachteile erlitten hat, verbunden. Abgesehen davon, dass über das Verständnis des Erfordernisses der „Unmittelbarkeit“ überall dort, wo es im Straf- und Strafprozessrecht bestehen soll, Auslegungsstreit herrscht, das zutreffende Verständnis also durchaus alles andere als eindeutig ist, gibt es Strafnormen, welche die geschützten Rechtsgüter auch gegen Einbußen schützen, die sich nur schwerlich unter den Begriff der „Unmittelbarkeit“ subsumieren ließen. Anschlussdelikte wie Begünstigung oder Geldwäsche verlängern den Schutz von Eigentums- und Vermögensdelikten zugunsten der daraus Verletzten auf Anschlusstäter. Soll zukünftig der Verletzte des Ausgangsdelikts zumindest strafprozessual nicht mehr auch Verletzter des Anschlussdelikts sein?
Und wie würde es sich bei Gefährdungsdelikten verhalten, die im Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung angesiedelt sind wie z.B. Kredit-, Subventionsbetrug oder Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben? Tatbestandlich ist ein tatsächlich eingetretener Schaden nicht erforderlich. Die falschen Angaben gegenüber der Bank oder die Beeinflussung eines Sportlers allein richten noch keinen Vermögensschaden an: Nicht verletzt trotz täuschungsbedingter Einbußen von Millionenbeträgen?
Die Umweltdelikte schützen kein individuelles Rechtsgut. Es gab und gibt demzufolge keinen „Verletzten“ und es wird ihn auch in Zukunft nicht geben. Gleichwohl sah die Rechtsprechung zum bis zum 30.6.2017 geltenden Abschöpfungsrecht auch denjenigen als Anspruchsinhaber i.S.v. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a.F. an, der z.B. aufgrund Ölverschmutzung des Erdreichs auf seinem Grundstück den Boden austauschen musste. Zukünftig würde folglich erst im Stadium der Strafvollstreckung entschieden werden, ob der Grundeigentümer (nur oder auch) einziehungsrechtlich „Anspruchsinhaber“ i.S.v. §§ 459h bis 459k oder 459m ist – eine zeitlich wie systematisch verfehlte Rechtschutzkonstruktion.
(e) Mit der Neuregelung wäre zudem eine erhebliche Ausweitung der Mitteilungspflichten sowohl gemäß § 111l StPO als auch in den Fällen des § 459i StPO verbunden, weil auch insoweit auf die materiellen Anspruchsinhaber abgestellt würde und nicht mehr auf die „Verletzten“. Es ist aber weder praktikabel, vor einer Mitteilung die materielle Berechtigung einer Vielzahl potenzieller Adressaten prüfen zu müssen – erst die Antwort auf die Mitteilung löst ja die inhaltsbezogene Prüfungspflicht aus – noch umgekehrt, sämtliche materiell tatsächlich Berechtigten zu informieren, selbst wenn sie mangels Verletzteneigenschaft keinen Anspruch auf Opferentschädigung haben, wie nach bisherigem Recht diejenigen, die Opfer nach § 154 StPO eingestellter Taten oder solcher Tataspekte wurden, die unter eine Beschränkungsentscheidung gemäß § 154a StPO fielen. Konsequent wäre die Ausweitung der Mitteilungsadressaten daher nur dann, wenn ihnen zukünftig auch das vereinfachte Opfer-Entschädigungsverfahren offenstehen sollte. Von beidem ist jedoch in der Gesetzesbegründung keine Rede.
2. Verfolgung gegenläufiger Tendenzen im Hinblick auf etwaige Rückschlüsse auf die Rechtsnatur der Einziehung bei der Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf Einziehung von Tatprodukten, Tatmitteln und Tatobjekten einerseits und der Streichung des Vollstreckungsausschlusses wegen Entreicherung in § 459g Abs. 5 S. 1 StPO andererseits.
Betrachtet man die vorgesehenen Änderungen der § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO-E einerseits und § 459 Abs. 5 StPO-E andererseits, so zeigen sich gegensätzliche Tendenzen:
a) 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO-E
aa) Die Eliminierung der Einziehung von Taterträgen aus § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO wird mit der fehlenden Vergleichbarkeit von Rechtsfolgen mit und ohne Strafcharakter begründet. Dahinter steht die Befürchtung, die bisherige Regelung könne als Beleg für den – nicht gewollten – Strafcharakter der strafrechtlichen Einziehung herangezogen werden. Dabei handelt es sich jedoch um eine Mär. Eine derartige Sorge teilte die Rechtsprechung weder zum früheren Recht noch zum geltenden. Ob europarechtlich oder menschenrechtlich die Einstufung als „Strafe“ vorgenommen werden wird, ändert innerstaatlich wenig, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die grundgesetzlichen Garantien auf das „Strafrecht“ im Verständnis des deutschen Rechts beschränkt sind und die supranationalen Rechtsnormen in der Auslegung des EuGH und des EGMR nicht auf Einzelbestimmungen abstellen, sondern allein darauf, ob das Verfahren insgesamt „fair“ gestaltet war. Die Beurteilung nehmen beide Gerichte in einer Gesamtschau nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor.
Es lassen sich ohne weiteres Rechtsfolgen verschiedener Rechtsgebiete miteinander vergleichen. Die Anordnung der Einziehung von 3.000 € Vorschuss auf den versprochenen Lohn von 50.000 € für einen Mord fällt neben lebenslänglicher Freiheitsstrafe unabhängig vom Rechtscharakter der Einziehung nicht ins Gewicht. Die vorgesehene Beschränkung würde der Praxis jedoch ein wichtiges Instrument nehmen und sie dazu zwingen, die aus Kapazitätsgründen weiterhin notwendige Ausscheidung des Abschöpfungsaspekts auf § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO zu stützen, selbst wenn der damit ersparte Aufwand überschaubar wäre. Der Rechtsehrlichkeit würde dies jedenfalls nicht dienen.
bb) Falls man denn gleichwohl an diesem Änderungsvorschlag festhalten sollte, wäre es zumindest geboten, den Anwendungsbereich des § 421 Abs. 1 Nr. 3 StPO dahingehend klarzustellen, dass nicht nur der Aufwand in der Hauptverhandlung maßgeblich ist, sondern auch der im weiteren Verlauf des Vollstreckungs- und Opferentschädigungsverfahren anfallende.
b) 459 Abs. 5 StPO-E
Steht bei der geplanten Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO-E die eher theoretische Sorge um Fehlinterpretation der Einziehung als Strafe im Vordergrund, so wird eben diese, aber mit Händen zu greifende Sorge genau dieser unzutreffenden Interpretation insbesondere in Bezug auf die ersatzweise Einziehung des Werts von Taterträgen bei der zugleich in Aussicht genommenen Streichung der Entreicherungsalternative in § 459g Abs. 5 StPO vollkommen ausgeblendet.
aa) Bis zum 30.6.2017 entfiel eine Verfall-Anordnung zwingend aufgrund von Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung und fakultativ nach eingetretener Entreicherung. Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs wegen mangelnder Befassung mit dem Entreicherungsaspekt sind Legion. Unter anderem um diesen Missstand zu beseitigen, übernahm der Gesetzgeber den früheren § 73c StGB a.F. nicht in das neue Recht der Vermögensabschöpfung. Allerdings verschloss er die Augen nicht vor der Faktizität und verschärfte die frühere, nunmehr in das Stadium der Vollstreckung verlagerte Härteklausel dahingehend, dass die Entreicherung als Unterfall der Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung der Einziehungsanordnung nach neuem Recht ebenfalls zwingend entgegensteht, § 459g Abs. 5 StPO. Das geltende Recht folgt danach dem Grundsatz: weg ist weg (so die Staatsanwälte Ewert/Rettke, wistra 2020, 312 ff.).
bb) Wenn nunmehr vorgesehen ist, die Entreicherung als Unterfall der Unverhältnismäßigkeit nicht mehr gesondert hervorzuheben, so scheint dies auf den ersten Blick mit keiner inhaltlichen Veränderung verbunden zu sein. Ein solcher Eindruck wäre jedoch trügerisch. Die Streichung würde nicht nur das Signal setzen, eingetretener Entreicherung zukünftig keine eigenständige Bedeutung mehr beimessen zu müssen, sondern würde auch in rechtlicher Hinsicht zu einem wesentlichen Wandel führen: Während bisher die Entreicherung zwingend zur Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung führt, wäre in Zukunft zu entscheiden, ob trotz Entreicherung die Vollstreckung verhältnismäßig wäre.
(a) Anders als nach dem bis zum 30.6.2017 geltenden Recht wäre die Verhältnismäßigkeit zu bejahen, wenn dem Verurteilten die Entreicherung zum Vorwurf gereichte (z.B. aufgrund „Verprassens“). In Anlehnung an die Parallelität des neuen Abschöpfungsrechts zum zivilrechtlichen Bereicherungsrecht läge es nahe, den Rechtsgedanken der §§ 818 Abs. 3, 819 BGB auf den neuen § 459 Abs. 5 StPO zu übertragen. Dann aber wäre die Vorschrift überflüssig. Jedem Verurteilten würde vorgehalten, gewusst zu haben, dass es sich um Tatertrag handele und er kein Recht zum Behalten innehatte. Was im bürgerlichen Recht aufgrund von Vollstreckungsschutzvorschriften unter Einschluss von Schutzfristen vor weiteren Vollstreckungsversuchen erträglich sein mag, würde vollstreckungsrechtlich den strengeren staatlicherseits einzusetzenden Zwangsmitteln unterworfen.
(b) Selbst wenn man die Implementierung des Rechtsgedankens der §§ 818 Abs. 3, 819 BGB in den neuen § 459 Abs. 5 S. 1 StPO verneinen wollte, würde sich am Ergebnis nichts ändern. Das folgt aus dem systematischen Zusammenhang mit dem unangetastet bleibenden § 459 Abs. 5 S. 2 StPO. Danach ist der Ausschluss der Vollstreckung wegen Unverhältnismäßigkeit nicht endgültig, sondern steht unter dem Vorbehalt zukünftiger Besserung der finanziellen Verhältnisse. Schon das geltende Recht kann als Verbot finanzieller Resozialisierung interpretiert werden. Dem sind Ewert/Rettke entgegengetreten, in dem sie den Anwendungsbereich des § 459 Abs. 5 S. 2 StPO auf die Fälle nachträglich aufgetauchten Tatertrags (oder von dessen Wert) beschränkten, den Ausschluss der Vollstreckung im Übrigen aber für endgültig halten. Dieser abgewogenen Interpretation wäre mit dem Streichen der Entreicherungsklausel in Zukunft der Boden entzogen. Aus dem Zusammenhang der beiden Sätze des § 459 Abs. 5 StPO-E würde vielmehr folgen, dass die Unverhältnismäßigkeit, S. 1, bei Vorhandensein finanzieller Mittel oberhalb der Pfändungsfreigrenze, S. 2, zu verneinen wäre.
cc) Im Ergebnis würde das den Anwendungsbereich des § 459 Abs. 5 S. 1 StPO-E nahezu beseitigen, jedenfalls derart minimieren, dass er sich zukünftig auf das immer wieder angeführte, aber in der Praxis so gut wie irrelevante Musterbeispiel beschränken würde, der um die Gesundheit seiner kleinen Tochter besorgte Vater habe den Tatertrag zum Kauf teurer Medikamente aus eigener Tasche verwendet.
dd) Demgegenüber fielen die wesentlichen praxisrelevanten Konstellationen aus dem Anwendungsbereich des § 459 Abs. 5 S. 1 StPO-E komplett heraus.
(a) Bliebe die Vollstreckung bis zur Pfändungsfreigrenze verhältnismäßig, so hätte z.B. der inzwischen entreicherte Rentner, der vor 30 Jahren über einen Zeitraum von zehn Jahren Zinserträge nicht angab und damit Steuern hinterzog, keinerlei Chance mehr auf einen Lebensabend ohne als existenzbedrohend empfundene finanzielle Sorgen. Ein Drittbereicherter, der zwar einen Anspruch auf Erfüllung in Höhe des von ihm Empfangenen hatte, aber leicht fahrlässig die bemakelte Herkunft der zur Erfüllung dieser Forderung eingesetzten finanziellen Mittel übersah, würde ungeachtet seiner und seiner Familie im Einklang mit der Rechtsordnung vorgenommener Dispositionen kahlgepfändet.
(b) Nahezu sämtliche Fälle der Bandenkriminalität sind gekennzeichnet von der Weitergabe des Tatertrags, den Subalterne in Empfang genommen hatten, an die Hintermänner. Während die „Ameisen“ Spuren hinterlassen und deswegen in nennenswerter Anzahl identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden, lässt sich die Verbindung zwischen Tat, Tatertrag und Hintermännern nur ausnahmsweise gerichtsfest nachweisen. Die offen handelnden Täter, die von der Straftat bestenfalls aufgrund eines geringfügigen Lohns profitierten, werden jedoch nicht nur verurteilt, sondern haften auf den vollständigen Tatertrag bzw. dessen Wert, weil sie typischerweise, wenngleich nur vorübergehend für die Zeit des Transports bis zur Ablieferung an diejenigen, die die Fäden in der Hand hielten, Mitgewahrsam hatten. Die Rechtsprechung der letzten Jahre hat die ursprünglichen Haftungseinschränkungen für die Kurierfälle deutlich zurückgenommen
(c) Gegen naive „Buffer“ in Umsatzsteuerkarussellen, untergeordnete Aufgaben übernehmende Mittäter von Raubüberfällen und Drogentransporteure wird deshalb durchweg trotz ihrer desolaten wirtschaftlichen Verhältnisse und obwohl sie nur minimale Vorteile aufgrund ihrer Taten genossen, die ersatzweise Einziehung des Werts von Taterträgen in sechs- bis siebenstelliger Höhe angeordnet. Geschieht dies wie meist in ihren jungen Jahren, entfiele ohne Unterbleiben der Anordnung der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung wegen Entreicherung jeglicher Anreiz zu legaler Arbeit: deren Ertrag würde ihnen bis zur Pfändungsfreigrenze ihr Lebtag weggepfändet. Für den geringfügigen Abstand gegenüber den Sozialleistungen lohnte sich für sie die mit legaler Arbeit verbundene Mühe nicht.
ee) Im Bereich der Wirtschaftskriminalität kommen häufig Fälle vor, in denen Tatertrag zunächst beim Unternehmen anfällt. Täter sind dabei nicht durchweg Organmitglieder oder Geschäftsführer, sondern es können durchaus sonstige Mitarbeiter sein. In aller Regel finden jedoch alle derartigen Täter Mittel und Wege, den beim Unternehmen angefallenen Tatertrag in ihr Privatvermögen zu transferieren. Gleichwohl haften die Unternehmen einziehungsrechtlich auf den gesamten Wert des zwischenzeitlich in ihr Vermögen integriert gewesenen Tatertrags, weil sie damit über eine (Mit-)Verfügungsgewalt i.S. des Abschöpfungsrechts verfügten. Dabei kann es sich schnell um siebenstellige Höhen z.B. aufgrund ersparter Steuern oder korruptiv erlangter Aufträge handeln. Auch aufgrund von Subalternen unberechtigt gestellter Rechnungen kommen über eine gewisse Zeit durchaus hohe sechsstellige Beträge zusammen. All diese Taterträge verbleiben allerdings nicht im Unternehmen.
Einziehungsrechtlich haftet es gleichwohl neben den Tätern gesamtschuldnerisch. Weil typischerweise das Unternehmen bessere Vollstreckungschancen bietet, hält sich die Strafjustiz vorrangig nicht an die Täter, die überdies mit ein bisschen Geschick ihr dem Unternehmen wieder entzogenes Geld vor den Strafverfolgern zu verbergen verstehen, sondern eben an die Unternehmen. Dies kann aufgrund der erreichten Größenordnungen für kleinere und mittlere Unternehmen und damit für den staatstragenden Mittelstand sehr schnell existenzgefährdende Höhen erreichen, weil ein solches Unternehmen typischerweise nicht mit derartigen Verbindlichkeiten rechnet, ihr Entstehen nicht selbst verschuldet hat, jedenfalls nicht vorsätzlich, und dementsprechend keine Rückstellungen für den Fall eines Vermögensarrests in Millionenhöhe gebildet hat und auch gar nicht zu bilden in der Lage gewesen wäre.
Es ist demnach bereits jetzt eine erhebliche Herausforderung, die Fortexistenz eines derart gebeutelten Unternehmens trotz von der Strafjustiz getroffener einziehungssichernder Maßnahmen zu sichern. Allerdings vermeiden Staatsanwaltschaften in aller Regel die Vollziehung eines Vermögensarrestes in einem existenzgefährdenden Umfang.
ff) Bislang kommen einem solchen Unternehmen zwei unterschiedliche gesetzliche Regelungen zugute.
(a) Zum einen ergeht schon keine (endgültige) Einziehungsentscheidung, wenn der Drittempfänger entreichert ist und ihm die Bemakelung des Empfangenen ohne den Vorwurf leichtfertigen Handelns unbekannt war. Diese bislang noch spürbar wirksame Hürde würde mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft und damit dem VerSanG deutlich gesenkt. Alle Unternehmen wären zur Vermeidung von Verbandssanktionen gezwungen, in sämtlichen Bereichen umfassende und mit intensiven Kontrollbefugnissen ausgestattete Complianceabteilungen aufzubauen. Damit würde ein Standard an Sorgfaltsanforderungen gesetzt, dessen Unterschreitung zugleich den Vorwurf der Leichtfertigkeit begründen würde. Mit Inkrafttreten des VerSanG wären damit Unternehmen faktisch aus dem Anwendungsbereich des § 73e Abs. 2 StGB ausgeschlossen.
(b) Scheitert nach geltendem Recht die Vermeidung der materiellrechtlichen Einziehungsanordnung am Vorwurf leichtfertiger Unkenntnis, so unterbleibt dennoch die Vollstreckung in den Fällen eingetretener Entreicherung, § 459g Abs. 5 S. 1 StPO. Diese existenzsichernde Hürde würde in Zukunft entfallen.
Unverhältnismäßigkeit, die auch zukünftig der Vollstreckung entgegensteht, wäre selbst im Fall eintretender Insolvenz nicht zu bejahen, sieht doch der VerSanG-RegE vor, dass der staatsanwaltschaftliche Rechtspfleger, der die Verbandssanktion nicht einzutreiben vermag, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das betroffene Vermögen zwingend zu stellen hat. Wenn damit aber der Beitreibung einer Geldsanktion Vorrang vor der Existenz eines Unternehmens eingeräumt wird, lässt sich nicht mehr begründen, dass in Fällen individuell Geschädigter, wie sie typischerweise in Fällen der Drittbereicherung eines Unternehmens vorhanden sind, die existenzgefährdende Vollstreckung der ersatzweise angeordneten Einziehung des Werts von Taterträgen wegen Unverhältnismäßigkeit zu unterbleiben hat, weil die kurzfristigen Ersatzinteressen der Verletzten den Vorrang vor der Existenzsicherung des Unternehmens genössen.
gg) Die letzte Bastion, die verhindert, dass ein geschädigtes, aber im Übrigen gesundes Unternehmen, dem bestenfalls Sorglosigkeit vorgeworfen werden kann, aufgrund der Straftaten, die bei ihm Beschäftigte gegen sein Vermögen begangen haben, liquidiert wird, bildet daher die Entreicherungsklausel des geltenden § 459g Abs. 5 S. 1 StPO. Diese zu liquidieren, hätte daher fatale Wirkungen für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die lebenslange Freiheitsstrafe nur dann verfassungsgemäß, wenn der Verurteilte die reale Chance auf eine Entlassung in einer für ihn absehbaren Zeit behält. Was für Verbrechen gegen das Leben gilt, trifft erst recht auf die rein finanziellen Folgen von Straftaten zu, denn sie wiegen nach der gesetzlichen Systematik nicht so schwer wie die Vernichtung von Leben. Die Parallele zum Zivilrecht, das Schadensersatz ungeachtet der finanziellen Verhältnisse des Schuldners vorsieht, trifft jedenfalls im Drogenbereich nicht zu, weil es sich bei den einschlägigen Delikten nicht um Straftaten mit individuellen Verletzten handelt. Phänomenologisch nicht anders verhält es sich mit Abgabendelikten, obwohl einziehungsrechtlich der Steuerfiskus als Verletzter gilt: Als gebündelte Verkörperung der finanziellen Gemeinschaftsinteressen unterscheidet er sich jedoch sehr deutlich von geschädigten natürlichen oder juristischen Personen.
hh) Die Folgen der Entfernung der Entreicherung als normativ fingierter Unterfall der Unverhältnismäßigkeit in § 459 Abs. 5 S. StPO-E potenzieren sich für den Täterkreis, der bislang den quantitativen Hauptteil der wegen Geldwäsche Verurteilten ausmacht. Während Verurteilungen derjenigen, die von Geldwäsche im großen Stil profitieren, in Deutschland so gut wie nicht vorkommen, werden sogenannte „Finanzagenten“, deren Aufgabe darin besteht, gegen eine angesichts ihres Entdeckungsrisikos geringfügige prozentuale Beteiligung Taterträge offen zu sammeln und verdeckt an Hintermänner weiterzugeben, regelmäßig wegen Geldwäsche verurteilt.
(a) Das führt derzeit jedoch nicht zu deren finanziellen Ruin, da die Rechtsprechung § 261 Abs. 7 StGB einhellig, wenngleich aus nicht ohne weiteres überzeugenden Gründen, dahingehend interpretiert, dass eine Verurteilung wegen Geldwäsche nur eine auf die §§ 74 ff. StGB gestützte Einziehungsentscheidung erlaubt, nicht aber eine solche wegen Taterträgen (oder von deren Wert). Da nach erfolgreichem Transfer seitens des Finanzagenten das Objekt der Geldwäsche bei ihm aus tatsächlichen Gründen nicht mehr eingezogen werden kann, bliebe nur die Möglichkeit ersatzweiser Einziehung von dessen Wert. Voraussetzung dafür wäre gemäß § 74c Abs. 1 StGB allerdings, dass der potenzielle Einziehungsadressat den Gegenstand veräußert, verbraucht oder die Einziehung auf andere Weise vereitelt hat. Das jedoch ist beim Finanzagenten nicht der Fall, weil die Rechtsprechung die plangemäße Weitergabe von Tatertrag nicht als Vereitelungshandlung wertet.
(b) Das wird sich ändern, wenn im Zuge der Novellierung des § 261 StGB dessen Bestimmung über die Einziehung durch den Hinweis ergänzt wird, die §§ 73 ff. StGB blieben unberührt. Obwohl dies im Wortlaut des § 261 StGB in der Fassung des Regierungsentwurfs, der das Verhältnis zwischen den §§ 73 ff. StGB und den §§ 74 ff. StGB nicht erwähnt und damit völlig offenlässt, nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht wird, würde damit die Geldwäsche für die Einziehung von Taterträgen geöffnet. Geldwäscheobjekte könnten danach immer dann als Tatertrag eingezogen werden, wenn der Hintermann dem Finanzagenten Verfügungsgewalt (oder auch nur Mitverfügungsgewalt) über den Tatertrag oder dessen Wert eingeräumt hatte. Das jedoch ist aufgrund der Überweisungen seitens der Verletzten auf ein Konto des Finanzagenten in diesen Fällen immer so. Zukünftig könnte demzufolge auch gegen einen Finanzagenten die Anordnung der Einziehung des Werts von Taterträgen ergehen. Er hätte dann ohne die Einschränkungen des § 74c Abs. 1 StGB für den vollen Wert der längst weitergeleiteten hohen Taterträge mit seinem gesamten kleinen Vermögen zu haften. Das träfe ihn vor allem deshalb besonders hart, weil die Phase seiner (oft nur leichtfertigen) kriminellen Betätigung typischerweise sehr kurz ist, denn die Strafjustiz legt ihm aufgrund seines offenen Agierens im Anschluss an Strafanzeigen der sogleich aufmerksam werdenden Tatopfer meist nach kurzer Zeit, d.h. nach wenigen Monaten (oder noch schneller) sein Handwerk. Für seinen zeitlich befristeten und nur für seine Verhältnisse nicht bescheidenen Lohn müsste er nach Entfallen der Bedeutung der Entreicherung sein Leben lang finanziell büßen.
ii) Dieser Effekt würde zukünftig noch dadurch quantitativ wesentlich ausgeweitet, weil die Strafbarkeit wegen Geldwäsche auf den Ertrag eines jeden Delikts ausgeweitet werden soll. Damit würde man die profitierenden Hintermänner nicht härter treffen als bislang, weil deren Strafbarkeit sich faktisch und rechtlich nicht verschärfen würde. Getroffen würden jedoch jede Menge kleinere und mittlere nach geltendem Recht noch nicht Kriminelle als Drittempfänger von Taterträgen bzw. deren Wert, weil sie von deren Herkunft wussten oder sie ihnen nur aufgrund von Leichtfertigkeit unbekannt war: Das soll zukünftig alles als Geldwäsche strafbar sein und der einmal empfangene Wert als Tatertrag ausnahmslos eingezogen werden können.
jj) In all den genannten Konstellationen gibt es nach geltendem Recht Möglichkeiten, eine desozialisierende Wirkung zu vermeiden. Kleinfälle werden mangels relevanter Vortat schon gar nicht vom Tatbestand des § 261 StGB erfasst. Nach einer Verurteilung wegen Geldwäsche bewahrt die einschränkende Auslegung des § 74c Abs. 1 StGB vor Einziehung über den noch vorhandenen Zuwachs an Vermögen hinaus. In allen anderen Fällen bietet lediglich § 459 Abs. 5 S. 1 StPO die Chance, die Folgen der nach der geltenden Rechtslage unvermeidlich überhöhten Einziehungsentscheidungen aufgrund eingetretener Entreicherung einzuschränken oder gar zu vermeiden. Das wäre zukünftig in allen genannten Konstellationen nicht mehr möglich.
Es verwundert, wie die emanzipatorischen Gedanken der Strafrechtsreform der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts nunmehr hinter staatlichen rein finanziellen Interessen zurückstehen sollen und dabei die Kosten der damit verbundenen Desozialisierung ausgeblendet werden. Das mit der vorgesehenen Neufassung des § 459g Abs. 5 S. 1 StPO-E verbundene „roll back“ würde damit das Vorurteil institutionalisieren, die Kleinen zu „hängen“ und die Großen laufen zu lassen. Das liegt jedoch in niemandes Interesse, weil die sozialen Folgekosten deutlich höher wären als die doch sehr begrenzten Überschüsse aufgrund jahrelanger Vollstreckung kleiner Beträge gegenüber Finanzagenten und sonstigen knapp über dem Existenzminimum angesiedelten Verurteilten.
c) Praxisgerechte Lösung(en)
Die ersichtliche Vielfalt der in den unterschiedlichen Fallkonstellationen zu berücksichtigenden Umstände steht einer Gesetzeslage entgegen, welche es nicht ermöglichen würde, auf eben diese Besonderheiten des Einzelfalls einzugehen. Eine pauschalierende Regelung mit zwingender Rechtsfolge, bestehe sie in der Anordnung und Durchsetzung der Einziehung oder in ihrem Gegenteil, kann daher den Bedarf nicht erfüllen, den konkreten Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Es ist demgemäß sachgerecht, das Thema für die Anwendung pflichtgemäßen Ermessens zu öffnen.
In Betracht kommen könnte dies bereits im Rahmen von § 421 Abs. 1 StPO. Aufgrund der damit bei Ablehnung verbundenen Begründungserfordernisse in den Urteilsgründen kehrte damit allerdings ein Thema partiell in die Hauptverhandlung zurück, welches 2017 in das Vollstreckungsstadium verlagert wurde. Es wäre zumindest voreilig, diese Grundentscheidung zu einem nennenswerten Teil rückgängig zu machen, zumal da es insoweit eine Alternative gibt (s. unten III 1.).
Das hindert es allerdings nicht, § 459g Abs. 5 S. 1 StPO zu flexibilisieren und für die Anwendung von Opportunitätsüberlegungen zu öffnen. Dazu erscheint eine Kombination aus mit unbestimmtem Rechtsbegriff gebildeten Tatbestand und Handlungsermessen als geeignet. Angemessen erschiene z.B., darauf abzustellen, dass bei Unverhältnismäßigkeit (alternativ: besonderer Härte) der Ausschluss der Vollstreckung angeordnet werden kann. Zur Vermeidung amtswegiger Prüfung seitens der Vollstreckungsrechtspfleger könnte ein Antragserfordernis (von Betroffenem und Staatsanwaltschaft) geschaffen werden. Zudem bietet es sich an, die Wiederaufnahme der Vollstreckung, § 459g Abs. 5 S. 2 StPO, zwecks Beachtung des Resozialisierungsgebots auf die Fälle nachträglich bekannt gewordener Beute(anteile) und aus sonstigen Gründen entfallener Unverhältnismäßigkeit zu beschränken.
3. § 73e Abs. 1 S. 2 StGB-E
a) Systembruch
Die vorgesehene Anfügung eines § 73e S. 2 StGB (mit Folgewirkung für § 459g Abs. 4 StPO) steht im Zusammenhang mit der Streichung des im Sommer 2020 eingeführten § 375a AO. Es handelt sich demgemäß um eine im Wesentlichen rechtstechnische Änderung. Gleichwohl würden die gegen § 375a AO bestehenden Bedenken nicht behoben. In Fällen individueller Geschädigter, und als solcher wird der Steuerfiskus einziehungsrechtlich betrachtet, erfüllt die strafrechtliche Vermögensabschöpfung lediglich eine das materielle Sachrecht unterstützende Funktion in Form der Opferentschädigung. Das setzt das Bestehen einer Forderung des Verletzten voraus. Diese generelle Verbindung zwischen sachlichem Recht und strafrechtlicher Vermögensabschöpfung wird im rein fiskalischen Interesse von § 375a AO durchbrochen und dabei bliebe es, würde diese Bestimmung inhaltlich von § 73e Abs. 1 S. 2 StGB-E ersetzt: Obwohl der Steuerfiskus über keinen Anspruch mehr verfügt, ist der Wert seines früheren Anspruchs strafrechtlich einzuziehen.
b) Opferentschädigung?
Wenngleich das geltende Recht und auch der Entwurf darüber schweigen, stellt sich die Frage, wem auf diese Weise eingezogene Beträge gebühren. Mangels Anspruchs der Steuerbehörden kann es sich nur so verhalten, dass die Vollstreckung einer Forderung aufgrund ersatzweise angeordneter Einziehung des Werts von Taterträgen nach aufgrund von Steuerhinterziehung ersparten Aufwendungen dem Justizfiskus zugutekommt, ohne dass der Steuerfiskus im Wege der Opferentschädigung darauf zugreifen kann. Ob dieser Erlös jedoch dort endgültig verbleibt oder ob die Zuweisungen an die Justiz aus dem allgemeinen Haushalt entsprechend gesenkt werden, ist eine politische, von den jeweiligen Parlamenten zu treffende Entscheidung. Für den verurteilten Steuerpflichtigen spielt das jedoch keine Rolle: Er wird in Höhe der ursprünglichen Steuerpflicht nunmehr strafrechtlich in Anspruch genommen. Es ist aus seiner Sicht allerdings widersprüchlich, dass einerseits der Steueranspruch wegen Verjährung erloschen ist, andererseits jedoch an dessen Stelle eine Einziehungsforderung der Strafjustiz in exakt identischer Höhe getreten ist.
c) Systemgerechte Alternative
Diese Systemwidrigkeit sollte mit dem neuen Recht nicht perpetuiert werden. Wenn man meint, trotz nach Jahren eingetretener steuerrechtlicher Verjährung ein Steuersubjekt noch in Anspruch nehmen zu müssen, nunmehr strafrechtlich, dann sollte dies zumindest in rechtstechnisch überzeugender Weise geschehen. Ein Vorschlag dazu wurde bereits vor mehreren Jahren gemacht: Gemäß § 171 Abs. 7 AO tritt die steuerrechtliche Verjährung nicht vor der strafrechtlichen Verjährung ein. Nach ihrem Wortlaut erfasst die Bestimmung aber die gesonderte einziehungsrechtliche Verjährung nicht. Diese dort mit einzubeziehen, wäre nicht nur ein Leichtes, sondern auch zumindest system- (wenn vielleicht auch nicht allgemein) gerecht.
4. Neue Übergangsregelung
Im Hinblick auf die in einem neuen Artikel im EGStGB vorgesehene Übergangsregelung für § 73e Abs. 1 S. 2 StGB-E sei nur darauf hingewiesen, dass insoweit eine echte Rückwirkung wie in Art. 316h S. 1 EGStGB vorgesehen ist. Dagegen bestehen jedoch konkrete verfassungsrechtliche Bedenken, die der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs für begründet erachtet und zum Anlass genommen hat, die Zulässigkeit mit Beschluss vom 7.3.2019 – 3 StR 192/18 vom Bundesverfassungsgericht prüfen zu lassen.
5. Rechtsgrundlage für staatsanwaltschaftliche Ermittlungen mit dem Ziel eines Antrags auf Einziehung im selbständigen Verfahren
Die Einführung des § 435 Abs. 4 StPO-E folgt für sich gesehen einem praktischen Bedürfnis. Nach geltendem Recht unterliegt zwar das Gericht nach einem von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag auf Einziehung im selbstständigen Verfahren dem Amtsermittlungsgrundsatz, darf aber die Staatsanwaltschaft zuvor lediglich Ermittlungen mit dem Ziel einer Bestrafung führen, also nicht oder nicht mehr dann, wenn sie allein noch eine selbständige Einziehungsanordnung erstrebt.
a) Gegenteilige Entscheidung 2017
Allerdings ist im Gesetzgebungsverfahren 2017 bewusst davon abgesehen worden, in die StPO eine Bestimmung aufzunehmen, welche es der Staatsanwaltschaft gestatten würde, Ermittlungen allein mit dem Ziel der selbstständigen Einziehung zu führen. Im Zusammenhang mit der Schaffung einer selbstständigen Einziehungsverjährung, § 76b StGB, und den Übergangsregelungen der Art. 316h EGStGB und § 14 EGStPO, welche in materiellrechtlicher Hinsicht die Einziehung selbst in strafrechtlich verjährten Fällen gestatten, hätte eine derartige Regelung, wie sie nunmehr als § 435 Abs. 4 StPO-E vorgesehen ist, angesichts des dem Rechtstaatsprinzips immanenten Grundsatzes gleichmäßigen Gesetzesvollzugs zur Folge, dass die Staatsanwaltschaften bis zu 30 Jahre zurück sämtliche Akten auf bestehenden Bedarf für nachträgliche Einziehungsentscheidungen im selbständigen Verfahren zu prüfen verpflichtet wären. Die Unterlassung wäre als Strafvereitelung und Untreue für sich strafbar. Weder dies noch den Aufwand wollte man 2017 angesichts der ohnehin schon zu konstatierenden Überlastung der Strafjustiz den Staatsanwaltschaften aufbürden.
b) Nebenfolge des Inkrafttretens von § 435 Abs. 4 StPO-E
Genau diese Folge träte nun allerdings mit dem Inkrafttreten des vorgesehenen § 435 Abs. 4 StPO-E ein.
aa) Sie würde lediglich die Altverfahren aussparen, in denen bereits eine strafrechtliche Verurteilung erfolgt ist und Verfall aus anderen Gründen als § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a.F. nicht angeordnet wurde. In einem solchen Fall nimmt der Bundesgerichtshof (wohl) an, es sei bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung eine, wenngleich stillschweigende Entscheidung i.S.v. Art. 316h S. 2 EGStGB ergangen. Für die Fälle des § 73 Abs. 1 S. 2 StGB a.F. gilt hingegen die Übergangsregelung des § 14 EGStPO. Diese sperrt die Anwendbarkeit des neuen Rechts lediglich für Fälle, in denen vor dem 1.7.2017 tatsächlich eine Feststellungsentscheidung gemäß § 111i Abs. 2 StPO a.F. getroffen wurde. Nur wenn das der Fall war, scheidet auch insoweit die Prüfung einer etwaigen nachträglichen Einziehung im selbständigen Verfahren aus, weil bereits eine solche Feststellung materiell die Wirkung einer bedingten Verfallentscheidung entfaltete.
bb) Mit der Einführung einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsbefugnis im Vorfeld eines Antrags auf gerichtliche Einziehung im selbständigen Verfahren würden folglich sämtliche anderen Akten der letzten 30 Jahre komplett daraufhin durchgesehen werden müssen, ob eine nachträgliche Einziehung beantragt werden soll. Es steht zwar im Ermessen der Staatsanwaltschaft, ob sie einen Antrag gemäß § 435 StPO auf Einziehung im selbstständigen Verfahren stellt oder nicht. Die setzt allerdings eine Einzelfallprüfung voraus und kann nicht, auch nicht aus Kapazitätsgründen pauschaliert verneint werden. Damit wäre die gesetzliche Regelung insoweit unterlaufen.
cc) Die nachträgliche Prüfung von Altakten stellt kein rein theoretisches Horrorszenario dar, sondern würde einem durchaus prominenten Vorbild folgen: Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland zum 3.10.1990 war es die Pflicht der Staatsanwaltschaften im Beitrittsgebiet, die Altakten der DDR nicht nur dann zu prüfen, wenn im Einzelfall ein Rehabilitierungsantrag gestellt wurde. Sie waren vielmehr von Amts wegen, also flächendeckend daraufhin durchzusehen, ob sie Straftaten zum Gegenstand hatten, die nach dem neuen Recht (und sei es aufgrund der Hemmungsvorschriften des Übergangsrechts aus dem Einigungsvertrag) noch nicht verjährt waren. Wenn die sich seinerzeit im Aufbau befindlichen Ost-Staatsanwaltschaften diese Aufgabe zu bewältigen vermochten, so bestünde kein Grund zur Annahme, dass nunmehr sämtliche Staatsanwaltschaften der Bundesrepublik Deutschland zu einer nachträglichen Einziehungsprüfung nicht in der Lage wären.
c) Bedarf für eine ergänzende Übergangsregelung
Der Zusammenhang zwischen einer Rechtsgrundlage für eine staatsanwaltschaftliche Ermittlungsprüfung mit dem Ziel eines Antrags auf Einziehung im selbständigen Verfahren und der einziehungsrechtlichen Verjährung weckt Bedarf nach einer ergänzenden Übergangsregelung, die eine nachträgliche Überprüfung der Akten der 30 letzten Jahre verhindert oder zumindest zeitlich begrenzt.
II. Beispiele für weitergehenden Regelungsbedarf
Falls es entgegen dem Petitum zu I. dieser Stellungnahme dabei bleiben sollte, dass mit dem vorliegenden Gesetz einzelne Bestimmungen aus der Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung 2017 nachjustiert werden, so wäre es angebracht, fünf weitere Problemkreise einer gesetzlichen Regelung zuzuführen.
1. Überflüssige Ressourcenbindung aufgrund absehbar nicht vollstreckbarer Einziehungsanordnungen
Der Gesetzgeber verfolgte mit der Reform 2017 ausdrücklich auch das Ziel, die Hauptverhandlung zu „entschlacken“. Zu diesem Zweck verlagerte er die frühere Härteklausel des § 73c StGB a.F. in das Vollstreckungsstadium, § 459g Abs. 5 StPO. In den Fällen, in denen sich komplexe Fragen potenzieller Entreicherung und aus anderen Gründen möglicher Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung stellen, ist auch tatsächlich eine Entlastung der Hauptverhandlung zu verzeichnen. Eine andere Frage lautet jedoch, ob es wirklich sachgerecht ist, die Lösung der mit dem Thema verbundenen schwierigen Rechtsfragen in die Hand von Rechtspflegern zu legen. Sie müssen die jeweilige verbindliche Antwort zwar nicht selbst geben, weil die Entscheidung vom Richter getroffen wird. Dennoch müssen sie den Sachverhalt für die Gerichte aufarbeiten, obwohl sie dafür nicht wirklich ausgebildet sind.
Die Entlastung der Hauptverhandlung beschränkt sich allerdings auf diese relativ wenigen komplexen Fälle. Es handelt sich im Ergebnis dabei allerdings nicht etwa um eine Netto-Entlastung, weil ihr eine deutlich höhere Anzahl von Einziehungsentscheidungen gegenübersteht, die einerseits im Hinblick auf die Quantifizierung des Tatertrags oder (v.a.) seines Werts einen erheblichen zeitlichen und kostenmäßigen Aufwand erfordern, obwohl andererseits absehbar ist, dass sich die Forderung aus der ersatzweise festgesetzten Einziehung des Werts von Taterträgen bestenfalls partiell, oft ersichtlich überhaupt nicht wird vollstrecken lassen. Im Hinblick auf die eher theoretische als praktisch relevante Möglichkeit nachholender (wenngleich desozialisierend wirkender) Vollstreckung aufgrund gestiegener Leistungsfähigkeit, § 459g Abs. 5 S. 2 StPO, und der insoweit gemäß der Verweisung in § 459g Abs. 3 StPO aufgeführten einsetzbaren strafprozessualen Zwangsmittel streben Staatsanwaltschaften auch absehbar auf dem Papier stehenbleibende Einziehungsentscheidungen an.
Das ist ersichtlich unverhältnismäßig – und nicht nur das: Es führt zu einem völlig falschen Ressourceneinsatz und verhindert die ohnehin relativ gering ausgeprägte Bereitschaft der Strafjustiz, sich mit den (für Gesellschaft und Rechtsgüter) wirklich bedeutsamen, aber eben notwendig kontrovers zu führenden Verfahren zu beschäftigen.
Angesichts dessen wäre es sinnvoll, das generelle Veto der Staatsanwaltschaften gegen ein Absehen von einer Vollstreckungsentscheidung, § 421 Abs. 1 StPO, insoweit einzuschränken, als das Gericht allein zu entscheiden befugt ist, wenn und soweit die Vollstreckung erkennbar offensichtlich erfolglos oder unverhältnismäßig wäre.
Eine derartige Modifikation böte zudem Anlass, die Rechtsprechung zulässiger teilweiser Beschränkung zu kodifizieren. Das wäre für § 421 Abs. 1 StPO geltender Fassung ebenso wichtig wie im Fall einer Herausnahme der Einziehung von Taterträgen (oder deren Wert) aus dem Anwendungsbereich des § 421 Abs. 1 Nr. 2 StPO.
2. Rechtschutz gegen einen Insolvenzantrag der Staatsanwaltschaft
Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs kann ein Betroffener die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, aufgrund eines Mangelfalls, § 111i Abs. 2 StPO, einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrest- oder Einziehungsschuldners zu stellen, im Verfahren gemäß § 23 EGGVG vom örtlich zuständigen Oberlandesgericht überprüfen lassen. Gegen dessen Entscheidung kann der Bundesgerichtshof angerufen werden, BGH, Beschl. v. 10.6.2020 – 5 ARs 17/19. Wiewohl ein Bedarf für eine isolierte Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung angesichts des vom Insolvenzgericht gewährten Rechtsschutzes ernstlich bezweifelt werden kann, ist jedenfalls nicht einzusehen, dass sich überörtliche Gerichte mit einem solchen Thema befassen müssen. Es diente deshalb der Entlastung der Justiz, ohne der Rechtsschutzgarantie Gewalt anzutun, erweiterte man sowohl § 111k StPO als auch § 459o StPO um die Möglichkeit, gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft gemäß § 111i Abs. 2 StPO einen Insolvenzantrag zu stellen, das gemäß § 162 StPO zuständige Gericht anzurufen.
3. Zuständigkeit für die Entscheidung über Anträge auf (sozialen) Vollstreckungsschutz
In der Praxis bestehen Unklarheiten über die Zuständigkeit für die Bescheidung von Vollstreckungsschutzanträgen, insbesondere mit dem Ziel der Einhaltung der Pfändungsfreigrenzen. Nach dem Gesetzeswortlaut muss sich dafür der Betroffene an das gemäß § 162 StPO zuständige Gericht und inhaltlich gegen ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen wenden. Das ist zum einen zeitaufwendig, weil die Gerichte im Ermittlungs- und Vollstreckungsverfahren nicht entscheiden können, bevor ihnen die von der Staatsanwaltschaft angeforderten Akten zugeleitet wurden. Zudem müssen sie sich in die Materie üblicherweise neu einarbeiten. Es ist deshalb nicht selten, dass über dringende Vollstreckungsschutzanträge erst nach Monaten entschieden wird. Manche Gerichte halten sich auch für nicht zuständig und verweisen Antragsteller auf die Staatsanwaltschaft. Wenn diese sich gemäß dem Wortlaut des Gesetzes ebenfalls als unzuständig betrachtet, ist gehörige Überzeugungsarbeit erforderlich, eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken, in der die eigene Zuständigkeit (entweder doch bejaht oder sie) verneint wird und anschließend mit der Beschwerde angegriffen werden kann. Selbst wenn es mit der Zeit für einzelne Landgerichtsbezirke zu einer einheitlichen Praxis kommen sollte, bliebe die Rechtszersplitterung erhalten, da mit obergerichtlicher Rechtsprechung nicht gerechnet werden kann.
Angesichts dessen wäre es nichts als sachgerecht, in den §§ 111k und 459o StPO Ausnahmen vorzusehen, welche die Zuständigkeit für die Entscheidung über Vollstreckungsschutzanträge originär den Staatsanwaltschaften zuweisen würden, gegen deren Entscheidung dann das gemäß § 162 StPO zuständige Gericht angerufen werden könnte.
4. Formlose Einziehung
Der Bundesgerichtshof akzeptiert als Alternative zu einer förmlichen Einziehungsentscheidung im Urteil den Verzicht des Betroffenen auf seine Rechte an sichergestellten Gegenständen. Die Unterschiede insbesondere zwischen dem dritten und dem fünften Strafsenat des BGH über die Reichweite und die anschließende Zulässigkeit einer deklaratorischen Einziehungsentscheidung ändern nichts an ihrer grundsätzlichen Akzeptanz der „formlosen Einziehung“. Ob dies sachgerecht ist oder nicht, muss hier nicht thematisiert werden. Ein spürbarer Mangel besteht jedoch darin, dass eine Rechtsgrundlage für den Zugriff der Opfer auf die vom Verzicht betroffenen Gegenstände fehlt. Es ist eine offene Rechtsfrage, ob die §§ 459h bis 459m StPO auf Fälle der „formlosen Einziehung“ analog angewendet werden können. Die Praxis ist uneinheitlich. Manche Staatsanwaltschaften bejahen dies, andere verneinen es und wieder anders verhält es sich in Fällen der vom Sitzungsvertreter erklärten Annahme des Verzichts als Vertreter ohne Vertretungsmacht für den oder die Verletzten.
Angesichts der (grundsätzlichen) Akzeptanz der „formlosen Einziehung“ seitens des Bundesgerichtshofs wäre es sachgerecht, für diese die entsprechende Anwendung der §§ 459h bis 459m StPO gesetzlich anzuordnen.
5. Divergierender Rechtschutz gegen Beschlagnahme und Vermögensarrest
Ein in den einschlägigen Ermittlungsverfahren sehr häufig auftretendes Problem hängt mit der Unterschiedlichkeit der Statthaftigkeit der weiteren Beschwerde gemäß § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO zusammen. Sie ist beschränkt auf die Anordnung von Vermögensarresten in Höhe von mehr als 20.000 €. Sie scheidet damit im Fall der Beschlagnahmeanordnung aus.
a) Sachliche, aber nicht zwingende Gründe für eine Differenzierung
Ein sachlicher Grund für diese Differenzierung dürfte in dem Umstand liegen, dass sich die Beschlagnahme auf Gegenstände bezieht, deren Wert nur im Fall von Bargeld ohne weiteres quantifiziert werden kann. Gleichwohl sind mit dieser Unterschiedlichkeit inakzeptable Unzuträglichkeiten verbunden. Das folgt aus dem Umstand, dass es nicht nur gehörige Schwierigkeiten insbesondere der polizeilichen, aber auch der staatsanwaltschaftlichen Praxis gibt, konkrete Sicherstellungsmaßnahmen als Beschlagnahme- oder als Fall eines Vermögensarrests zu klassifizieren, sondern dass auch das Gesetz selbst den Wandel zwischen Einziehung und ersatzweise Einziehung des Werts von Taterträgen vorsieht oder zumindest nahelegt.
b) Ungeregelte Konsequenzen für die Statthaftigkeit eines Sicherungsmittels in Fällen angeordneter Einziehung anderer Gegenstände als Original-Tatertrag
aa) Das gilt namentlich für § 73b und § 76a StGB. Hat der Drittempfänger den Wert von Taterträgen erlangt, so ist dieser bei ihm gemäß § 73c S. 1 StGB einzuziehen, folglich gemäß Vermögensarrests zu sichern. Ist der Drittempfänger jedoch nicht der Erstempfänger, sondern hat von einem früheren Empfänger des Werts von Taterträgen diese gegenständlich verkörpert erlangt, so ändert sich zwar nichts daran, dass er keinen Tatertrag im Original erlangt hat, wohl aber bestimmt § 73b Abs. 2 StGB die gegenständliche Einziehung. Ob deswegen die Beschlagnahme das zutreffende Sicherungsmittel ist, lässt das Gesetz offen.
In vergleichbarer Weise bestimmt § 76a Abs. 4 S. 2 StGB, dass im Fall der erweiterten selbstständigen Einziehung das Eigentum am eingezogenen Gegenstand mit Rechtskraft gemäß § 75 Abs. 3 StGB auf den Staat übergeht. Die Vorschrift differenziert dabei nicht danach, ob es sich um Tatertrag im Original oder von dessen Wert handelt. Sie stellt allein darauf ab, ob der Gegenstand aus einer Straftat „herrührt“. Dieser Begriff erfasst sowohl Tatertrag im Original als auch dessen Wert. Auch hier trifft das Gesetz für die Fälle gesicherten Werts von Taterträgen keine Bestimmung über das einschlägige Sicherungsinstrument.
Die polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Praxis differenziert (entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs) auch in den Fällen des § 73a StGB nicht zwischen Tatertrag im Original und dessen Wert.
bb) In all den angeführten Situationen ist es zumindest typisch, wenn nicht gar unvermeidlich, dass die Herkunft sichergestellter Gegenstände nicht einer bestimmten konkreten Straftat zugeordnet werden kann. Ist dies aber nicht möglich, so scheidet, ebenso wie auch in Fällen der Vermischung von Original-Taterträgen aus verschiedenen Straftaten, die Einziehung als Original-Tatertrag aus. Es bleibt die ersatzweise Einziehung des Werts von Taterträgen, die allerdings in den gesetzlich ausdrücklich vorgeschriebenen Ausnahmefällen der § 73b Abs. 2 StGB und § 76a Abs. 4 S. 2 StGB von der gegenständlichen Einziehung (und damit einer Gleichsetzung mit der Einziehung von Tatertrag im Original) abgelöst und damit die Systematik durchbrochen wird.
Am Anfang eines Ermittlungsverfahrens lässt sich häufig nicht absehen, ob die vorgefundenen Gegenstände Tatertrag im Original darstellen und als solche eingezogen werden können, oder ob das Gericht ersatzweise die Einziehung des Werts von Taterträgen wird anordnen müssen. Demgemäß wird beinahe unvermeidlich recht häufig ein unzutreffendes Sicherungsmittel gewählt. Die Praxis präferiert die Beschlagnahme. Vor einem Wechsel der Sicherungsinstrumente scheut sie hingegen zurück, sicherlich zum einen deshalb, weil die unsichere Rechtslage selten eine eindeutige Beurteilung zulässt, zum anderen wohl aber auch, weil Ungewissheit darüber herrscht, ob die mit der zuerst vorgenommenen Maßnahme eingetretene Sicherungsfunktion im Fall eines Wechsels des Sicherungsmittels erhalten bleibt oder nicht.
c) Verstellter Rechtsweg zum Oberlandesgericht bei fälschlich angeordneter Beschlagnahme
Die für die Praxis schwierige Handhabung ist unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit bereits für sich keine Zierde des Rechtsstaats. Weitere Klärungen aufgrund obergerichtlicher Entscheidungen sind bestenfalls partiell zu erwarten, weil sich die Oberlandesgerichte durchweg damit begnügen, die einmal getroffene Wahl eines Sicherungsinstruments zu akzeptieren und nur in Ausnahmefällen bereit sind, die Möglichkeit oder Notwendigkeit eines Wechsels auch nur zu thematisieren. Demgemäß liegt es faktisch in der Hand des Staatsanwalts oder bestenfalls des Ermittlungsrichters, mit welchem Sicherungsmittel der bejahte Sicherungsbedarf erfüllt wird.
Da die Praxis auch dann zur Beschlagnahme neigt, wenn ein Vermögensarrest näher liegt oder gar zwingend ist, führt dies zu einer partiellen Rechtsschutzverweigerung: Unter Hinweis auf die vorgenommene Beschlagnahme halten die Oberlandesgerichte die weitere Beschwerde selbst dann für unstatthaft, wenn zutreffenderweise anstatt einer Beschlagnahme ein Vermögensarrest hätte angeordnet werden müssen (und der Schwellenwert überschritten ist). Angesichts der der Rechtslage geschuldeten Unsicherheiten ist es daher ein Unding, dass die ursprünglich zu Unrecht angeordnete Beschlagnahme den bei zutreffend beschlossenem Vermögensarrest eröffneten Weg zum Oberlandesgericht faktisch endgültig sperrt.
d) Notwendige Gleichstellung von Beschlagnahme und Vermögensarrest in § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO
Abhilfe ist deshalb dringend geboten und kann nach Lage der Dinge nur darin bestehen, für § 310 Abs. 1 Nr. 3 StPO die Beschlagnahme dem Vermögensarrest gleichzustellen