Parigger/Helm/Stevens-Bartol (Hrsg.): Arbeits- und Sozialstrafrecht
Nomos, Baden-Baden 2021, 1159 Seiten, ISBN 978-3-8487-4299-8, 168,00 EURO
I. Einleitung
Mit den pandemiebedingten Anpassungen im Arbeitsleben ist auch das Arbeits- und Sozialstrafrecht verstärkt in den Fokus der (Fach-)Öffentlichkeit geraten. Egal ob Rechtsfragen bei der Beantragung von Kurzarbeitergeld, Unzulänglichkeiten bei der Einhaltung der Vorgaben zum Arbeitsschutz oder Probleme mit dem richtigen Umgang mit Arbeitnehmerdaten; Regelungsbereiche, die lange Zeit in der unternehmerischen und anwaltlichen Praxis ein Nischendasein geführt haben, gewinnen durch die besonderen Herausforderungen der Covid-Pandemie und der fast täglichen Befassung von Politik, Presse und Justiz an Prominenz. Dies wird auch Auswirkungen im Bereich des Strafrechts haben, die sowohl während als auch nach der Pandemie zu bemerken sein werden. Die verstärkte Aufmerksamkeit lässt erwarten, dass sanktionsbewehrte Verstöße gegen die Regelungen des Arbeits- und Sozialrechts in Zukunft häufiger entdeckt werden und zur Einleitung von Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren führen werden. Das Arbeits- und Sozialstrafrecht wird an Bedeutung gewinnen.
Dabei handelt es sich um eine Fachmaterie, die aus verschiedenen Gründen äußerst komplex ist. So sind insbesondere in der anwaltlichen Beratungspraxis neben den strafrechtlichen und arbeitsrechtlichen Konsequenzen auch etwaige sozial- und steuerrechtliche Implikationen im Blick zu behalten. Darüber hinaus sind die maßgeblichen Straf und Bußgeldtatbestände auf eine Vielzahl von Gesetzen – teils auch ergänzt durch landesrechtliche Regelungen – verteilt und knüpfen an verschiedenen Tathandlungen bzw. (Nicht-)Erklärungen an, so dass ein Nebeneinander von Ermittlungen häufig anzutreffen ist und ein rechtskräftiger Abschluss im Hinblick auf sämtliche in Rede stehenden bzw. möglichen Vorwürfe schwer zu erreichen sein wird (vgl. auch OLG Saarbrücken, Beschl. v. 8.10.2020, Az.: Ss Bs 57/2020 (20/20 OWi) m. Anm. Winkler, juris PraxisReport Strafrecht, 7/2021, Anm. 4). Darüber hinaus sind in arbeitsstrafrechtlichen Sachverhalten zumeist eine Vielzahl von Behörden (Staatsanwaltschaft, Steuerfahndung, Zoll, Rentenversicherung, etc.) und Akteuren (Geschäftsleitung, Arbeitnehmer, Betriebsrat) eingebunden. Handelt es sich um (mutmaßliche) Scheinselbstständige, ist die Interessenlage noch etwas komplexer, da entgegen einer teilweise geäußerten Ansicht von Freelancern keinesfalls stets eine reguläre Anstellung angestrebt wird und es daher schwerfällt, unternehmerisch sinnvolle und rechtliche vertretbare Lösungen für alle Beteiligten zu finden. Mit der zunehmenden Bedeutung des Einziehungsrechts gehen weitere Herausforderungen einher, da das Recht der Vermögensabschöpfung nicht nur beträchtliche finanzielle Risiken mit sich bringt, sondern teilweise auch die Koordination zwischen den beteiligten Behörden erschwert. Es ist daher zu begrüßen, dass die Herausgeber des NomosKommentar Arbeits- und Sozialstrafrecht der Praxis nunmehr einen umfassenden und detaillierten Überblick über die Materie zur Verfügung stellen.
II. Inhalt
Der Kommentar befasst sich im Schwerpunkt mit den Vorschriften des materiellen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts. Um den mit dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht so vertrauten Leser die praktischen Implikationen vor Augen zu führen, werden im Kommentar auch ausgewählte verfahrensrechtliche Vorschriften der StPO und des OWiG erläutert. Darüber hinaus werden auch einzelne Verfahrensnormen vorgestellt, die für das Verständnis arbeits- und sozialrechtlicher Vorschriften unerlässlich sind (z.B. § 7a SGB IV).
Ein inhaltlicher Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der wesentlichen Vorschriften des StGB, wobei die Kommentierung neben den Regelungen des Allgemeinen Teils sowie ausgewählter Vorschriften des Besonderen Teils besonderen Wert auf die Darstellung des Rechts der Einziehung legt. Naturgemäß liegt der Schwerpunkt im materiellen Recht auf der Analyse des § 266a StGB, der zentralen Vorschrift des Arbeits- und Sozialstrafrechts. Da ein Großteil strafrechtlicher Ermittlungen in der Praxis das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt zum Gegenstand haben, ist eine detaillierte Kommentierung unerlässlich. Besonders hilfreich ist, dass diese Kommentierung ergänzt wird durch Ausführungen zu Fachgesetzen, die Sachverhalte regeln, die inhaltliche Überschneidungen zu einer § 266a-Problematik aufweisen können (z.B. Arbeitszeitgesetz, Mindestlohngesetz, Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz). Ebenso werden die steuerstrafrechtlichen Implikationen (§§ 370, 378, 380 AO) dargelegt, die insbesondere beim Einsatz von Scheinselbstständigen oder Schwarzlohnabreden eine Rolle spielen können. Für die arbeitsrechtliche Dauerberatung ist zu begrüßen, dass die Ausführungen zum materiellen Strafrecht auch Delikte erfassen, die klassischerweise nicht dem Kern des Arbeitsstrafrechts zugeordnet werden, die aber immer mal wieder im Kontext eines Arbeitsverhältnisses begangen werden und neben arbeitsrechtlichen Maßnahmen (z.B. Abmahnungen, Kündigungen) auch strafrechtliche Konsequenzen zur Folge haben können (z.B. Beleidigungsdelikte, sexuelle Belästigung). Ein Grundverständnis dieser Delikte ist für die arbeitsrechtliche Beratung von Unternehmen ebenso wie bei der Beratung von Arbeitnehmern unerlässlich.
Ein Verständnis der strafrechtlichen Hintergründe ist auch im Hinblick auf die möglichen Berührungspunkte mit dem Datenschutzrecht von Bedeutung. So sieht § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG vor, dass zur Aufdeckung von Straftaten personenbezogene Daten von Beschäftigten nur dann verarbeitet werden dürfen, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass die betroffene Person im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Verarbeitung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse der oder des Beschäftigten an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unverhältnismäßig sind (vgl. auch Fuhlrott GWR 2020, 23). Es ist daher zu begrüßen, dass der Kommentar auch dem Beschäftigtendatenschutz und den möglichen Verstößen gegen DSGVO und BDSG eine besondere Bedeutung beimisst und Art. 83, 84 DSGVO und §§ 41-43 BDSG kommentiert. Das Datenschutzordnungswidrigkeitenrecht gewinnt stetig an Bedeutung und gerade bei den regelmäßig sensiblen Personaldaten der Beschäftigten schlummern in den Unternehmen einige Gefahren.
Daneben werden die Bußgeldtatbestände von einer Vielzahl von Fachgesetzen analysiert, mit denen ansonsten wohl nur wenige Fachexperten vertraut sind. Insgesamt bietet der Kommentar einen hervorragenden Überblick über alle wesentlichen Vorschriften des Arbeits- und Sozialstrafrechts. Für den Leser ist es ein wenig bedauerlich, dass der Kommentar die aus der Covid-Pandemie resultierenden Problemstellungen naturgemäß nur zum Teil abbildet und neue Problemlagen (z.B. hinsichtlich des Subventionsbetrugs beim Kurzarbeitergeld, Vorschriften des IfSG sowie diesbezügliche Rechtsverordnungen) daher noch nicht erfasst werden konnten. Insoweit bleibt zu hoffen, dass eine zweite Auflage diese Themen aufgreifen und der Praxis auch in diesem Bereich einen wertvollen Praktikerkommentar zur Seite stellen kann.
III. Zusammenfassung
Die Herausgeber schreiben, der Kommentar solle zum Abbau der Strafrechtsferne von Arbeits- und Sozialrechtlern und der Arbeits- und Sozialrechtsferne der Strafrechtler beitragen. Der Kommentar wird hierzu einen Beitrag leisten. Er eignet sich sowohl für den wirtschaftsstrafrechtlich beratenden Anwalt, der sich vertieft mit arbeitsstrafrechtlichen Sachverhalten befassen will, als auch für die Beratungspraxis der Arbeits- und Sozialrechtler, die sich ein Grundverständnis für die strafrechtliche Besonderheiten der Materie erarbeiten wollen. Das mit über 1100 Seiten äußerst umfangreiche Werk schlägt eine Brücke zwischen den Rechtsmaterien und dürfte zu einem wichtigen Begleiter für die arbeitsstrafrechtliche Beratung werden.