Dr. Sebastian Wagner

Die Dauer der Verfolgungsverjährung bei der Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG – zugleich Anmerkung zum Beschluss des LG Itzehoe vom 29. Juni 2021 – 2 KLs 8/18 (2)

I. Einleitung

Der Bußgeldtatbestand der Aufsichtspflichtverletzung in § 130 OWiG ist für die Verfolgung unternehmensbezogener Delinquenz von überragender praktischer Bedeutung. So erlaubt er nicht nur eine Sanktionierung von Leitungspersonen jenseits der persönlichen Beteiligung an der konkreten Rechtsgutsverletzung bzw. -gefährdung, sondern ermöglicht die Verhängung einer Verbandsgeldbuße gegen den Rechtsträger des Unternehmens gemäß § 30 OWiG auch für den Fall, dass die originäre betriebsbezogene Zuwiderhandlung von einem Unternehmensangehörigen unterhalb der Leitungsebene begangen wurde und deshalb für sich gesehen als Bezugstat ausscheidet.[1]

Vor diesem Hintergrund verwundert der Befund, dass die – ebenfalls äußerst praxisrelevante – Frage nach der Dauer der Verfolgungsverjährung für die Aufsichtspflichtverletzung bislang nicht abschließend geklärt zu sein scheint.

II. Der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur

Zahlreiche Stimmen in der Literatur[2] vertreten die Auffassung, dass für die Verletzung der Aufsichtspflicht nach § 130 OWiG die Verjährungsfrist der Zuwiderhandlung maßgeblich sei. Handelt es sich hierbei um eine Straftat, die z. B. nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB einer fünfjährigen Verjährung unterliegt, würde damit – entgegen § 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG – auch die Ordnungswidrigkeit der Aufsichtspflichtverletzung erst in fünf Jahren nach Tatbeendigung verjähren. Auch die Oberlandesgerichte Düsseldorf und Köln gingen in ihren Entscheidungen vom 29.08.1984[3] bzw. 12.01.1990[4] von einer Akzessorietät der Verjährungsfrist der Aufsichtspflichtverletzung aus, bejahten dies entscheidungstragend dann jedoch nur für den Fall, dass die Verjährungsfrist nach § 31 Abs. 2 OWiG länger gewesen wäre, als die Frist für die Verjährung der Verfolgung der betriebsbezogenen Zuwiderhandlung.[5]

Demgegenüber vertrat das OLG Frankfurt a. M. in seiner Entscheidung vom 18.11.1991[6] in Übereinstimmung mit weiten Teilen der Literatur[7] die Ansicht, dass bei der Aufsichtspflichtverletzung nach § 130 OWiG stets die Regelverjährung des § 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG anzuwenden sei und damit längstens eine Verjährungsfrist von drei Jahren gelte.

III. Die Entscheidung des LG Itzehoe vom 29.06.2021

Dieser Auffassung hat sich nach eingehender Auseinandersetzung mit den insoweit maßgeblichen Vorschriften der §§ 130, 131 Abs. 3 und 31 Abs. 2 OWiG nun auch das LG Itzehoe in seiner Teileröffnungsentscheidung vom 29.06.2021 – 2 KLs 8/18 (2) 590 Js 7416/14 für den Fall angeschlossen, dass die Zuwiderhandlungen des Untergebenen als Straftaten der längeren Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB unterliegen“ sollte.[8]

1. Das Fehlen einer anderweitigen gesetzlichen Bestimmung i.S.d. § 31 Abs. 2 OWiG

Zwar finden die in § 31 Abs. 2 OWiG geregelten Verjährungsfristen für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nur dann Anwendung, „wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt“. Eine derartige andere Bestimmung vermochte die Kammer jedoch nicht zu erkennen.[9]

Weder treffe § 130 OWiG eine Aussage dazu, dass für die Ordnungswidrigkeit des Aufsichtspflichtigen die für die Zuwiderhandlung geltenden Verjährungsfristen anstelle der in § 31 Abs. 2 OWiG geregelten Anwendung finden, noch könne eine solche gesetzliche Regelung der Vorschrift des § 131 Abs. 3 OWiG entnommen werden. Hierfür lasse sich – zumindest „bei genauerer Betrachtung“ – weder der Gesetzeswortlaut noch der Wille des historischen Gesetzgebers anführen.[10]

a) Der Gesetzeswortlaut

Gemäß § 131 Abs. 3 OWiG gelten „für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten nach den §§ 116, 122 und 130 […] auch die Verfahrensvorschriften entsprechend, die bei der Verfolgung der Handlung, zu der aufgefordert worden ist, der im Rausch begangenen Handlung oder der Pflichtverletzung anzuwenden sind oder im Falle des § 130 dann anzuwenden wären, wenn die mit Strafe bedrohte Pflichtverletzung nur mit Geldbuße bedroht wäre“. Unbeschadet der Möglichkeit, dass es sich bei den gesetzlichen Regelungen betreffend die Verjährung der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten im Grundsatz um Verfahrensvorschriften handeln kann, geht das LG Itzehoe davon aus, dass der in § 131 Abs. 3 OWiG verwandte Begriff der „Verfahrensvorschriften“ Verjährungsregelungen nicht erfasst.[11]

Andernfalls wäre dem Gesetzeswortlaut nach für die Dauer der Verfolgungsverjährung einer Aufsichtspflichtverletzung laut Hs. 1 grundsätzlich die Verjährungsfrist der Zuwiderhandlung maßgeblich. Dies gelte nach Hs. 2 jedoch dann nicht, wenn die Zuwiderhandlung abstrakt sowohl mit Strafe als auch mit Geldbuße bewehrt ist. In diesem Fall sei die für die Ordnungswidrigkeit geltende Verjährungsfrist selbst dann maßgeblich, wenn der zu beaufsichtigende Unternehmensangehörige eine Straftat begangen hätte. Wäre die Zuwiderhandlung dagegen auch abstrakt nur mit Strafe bedroht, müsste wiederum Hs. 1 greifen, so dass die strafrechtliche Verjährung der Bezugstat auch für die Aufsichtspflichtverletzung gelten würde. Diese Unterscheidung ergebe nach Auffassung des LG Itzehoe keinen Sinn[12] und könne auch nicht dadurch vermieden werden, dass man lediglich § 131 Abs. 3 Hs. 1 OWiG und nicht zugleich auch § 131 Abs. 3 Hs. 2 OWiG auf die Verjährung bezieht[13]. Für eine solche Differenzierung zwischen den beiden Halbsätzen biete der Gesetzeswortlaut keine Grundlage, so dass eine entsprechende Auslegung gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße.[14]

b) Der Wille des historischen Gesetzgebers

Hinzu komme, dass auch der historische Gesetzgeber mit der Regelung in § 131 Abs. 3 OWiG nicht darauf abgezielt habe, die Geltung der für die Verfolgung der Zuwiderhandlung anzuwendenden Verjährungsregelungen auf die Aufsichtspflichtverletzung zu erstrecken.[15]

Die Norm gehe auf die im Wesentlichen wortgleiche Regelung des § 26 Abs. 2 OWiG-E 1967 zurück. Diese Vorschrift sei im Gesetzgebungsverfahren zum OWiG 1967 von Seiten des Rechtsausschusses vorgeschlagen worden.[16] Ziel sei es gewesen, über den Regierungsentwurf hinaus nicht nur die verwaltungsbehördliche Zuständigkeit zu regeln, sondern ganz allgemein die Geltung besonderer Verfahrensvorschriften für bestimmte Ordnungswidrigkeiten, wie „z.B […] die Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes über die Befugnisse der Zollbehörden bei der Ermittlung von Ordnungswidrigkeiten und die gerichtliche Zuständigkeit“ auch für die daran anknüpfenden Bußgeldtatbestände der Verfolgung einer öffentlichen Aufforderung zu Ordnungswidrigkeiten, eines Vollrausches und einer Aufsichtspflichtverletzung anzuordnen.[17] Die Vorschriften über die Verjährung betreffend die Verfolgung des Grunddelikts habe der historische Gesetzgeber dagegen nicht im Blick gehabt.

Zu Recht bemisst die Kammer insoweit auch den Äußerungen von Bundesrat und Bundesregierung innerhalb des Gesetzgebungsverfahrens zu dem Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des GWB für die Auslegung von § 131 Abs. 3 OWiG[18] keinerlei Bedeutung bei. Der Bundesrat hatte mit Beschluss vom 19.12.1997 darum gebeten, durch Ergänzung von §§ 30, 130 OWiG „klarzustellen“, dass sich die Frist für die Verjährung der Verfolgung jener Ordnungswidrigkeiten nach derjenigen für die zugrunde liegende Zuwiderhandlung richte. Die Bunderegierung hat daraufhin erklärt, eine solche „Klarstellung“ vornehmen zu wollen. Dies ist jedoch bislang nicht geschehen. Bei der vom Bundesrat erbetenen „Klarstellung“ handelt es sich deshalb nicht um eine Änderung der Rechtslage, sondern lediglich um die (unmaßgebliche) Äußerung einer Rechtsauffassung.[19]

2. Der eigenständige Unrechtsgehalt der Aufsichtspflichtverletzung

Ergänzend weist das LG Itzehoe darauf hin, dass sich die Schwere der Zuwiderhandlung bereits über die Regelung des § 130 Abs. 3 OWiG auf die Höhe der für die Aufsichtspflicht zu verhängenden Geldbuße und damit mittelbar auch auf die Verjährungsfrist nach § 31 Abs. 2 OWiG auswirke. Weitergehende Auswirkungen in Gestalt eines vollständigen Gleichlaufs der Verjährungsfristen von Zuwiderhandlung und Aufsichtspflichtverletzung seien mit dem eigenständigen, hinter demjenigen der Zuwiderhandlung zurückbleibenden Unrechtsgehalt der Aufsichtspflichtverletzung nicht vereinbar.[20] Wendet man die für die Zuwiderhandlung geltende Verjährungsfrist gleichermaßen auf die Aufsichtspflichtverletzung an, hätte dies in der Praxis oftmals sogar eine Schlechterstellung des Aufsichtspflichtigen gegenüber dem Täter oder Teilnehmer der Zuwiderhandlung zur Folge.[21] Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[22] könne der Zeitpunkt des Beginns der Verfolgungsverjährung für die Aufsichtspflichtverletzung hinter demjenigen für die Zuwiderhandlung liegen, weil die Aufsichtspflicht zumindest solange nicht beendet sei, wie nach der zugrunde liegenden Zuwiderhandlung in nächster Zeit weitere Verstöße derselben Art zu befürchten sind.[23]

IV. Fazit

In dogmatischer Hinsicht kann der – gerade für eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens erfreulich detailliert ausgefallenen – Argumentation des LG Itzehoe nur beigepflichtet werden. Sollte sich dessen Auffassung in der Rechtsprechung durchsetzen, dürfte die Bebußung von Leitungspersonen und Unternehmensträgern in Anknüpfung an unternehmensbezogene Straftaten einfacher Mitarbeiter wegen einer Aufsichtspflichtverletzung infolge der kurzen Verjährungsfrist von nur drei Jahren im Kontext langwieriger unternehmensbezogener Strafverfahren nicht selten ausscheiden.

Diese aus Sicht der Betroffenen auf den ersten Blick erfreuliche Konsequenz kann sich jedoch auch nachteilig auswirken, steht sie doch der in der Praxis mitunter von Seiten der Unternehmensverteidigung favorisierten Lösung entgegen, das Verfahren für den Unternehmensträger im Einvernehmen mit den Strafverfolgungsbehörden mittels Verbandsgeldbuße unter Anknüpfung an eine mehr oder weniger abstrakte Verletzung der Aufsichtspflicht zu erledigen. Die Verjährung bei § 30 OWiG richtet sich akzessorisch nach den für die Verjährung der Bezugstat geltenden Vorschriften[24] und würde damit im Falle der Anknüpfung an eine Aufsichtspflichtverletzung gemäß § 130 OWiG nach der Auffassung des LG Itzehoe ebenfalls „nur“ drei Jahre betragen[25]. In Anbetracht der Kürze dieser Frist dürfte die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße wegen der Aufsichtspflichtverletzung einer bislang persönlich nicht in das Verfahren involvierten „untergeordneten“ Leitungsperson gerade in komplexen Wirtschaftsstrafverfahren nicht selten aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Verfolgungsverjährung ausscheiden.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Sebastian Wagner
    Dr. Sebastian Wagner ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Park | Wirtschaftsstrafrecht in Dortmund. Er verteidigt und berät Privatpersonen und Unternehmen in allen Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts, vornehmlich im Steuer-, Bilanz- und Kapitalmarktstrafrecht.

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