Raimund Weyand

Aktuelle Rechtsprechung zum Wirtschafts- und Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. Beschlagnahmefreiheit von Verteidigerunterlegen – § 97 StPO

Die einen Zivilrechtsstreit betreffende Korrespondenz eines Rechtsanwalts mit seinem Mandanten kann ausnahmsweise einen Beschlagnahmeschutz als Verteidigerunterlage gemäß §§ 97 Abs. 1 Nr. 1, 148 StPO begründen, wenn das Prozessverhalten bereits die Einlassung in einem Strafverfahren determiniert und insofern Doppelrelevanz aufweist. Im Falle der Unkenntnis des Beschuldigten und seines Verteidigers von dem laufenden Ermittlungsverfahren ist die Korrespondenz jedenfalls dann vor Beschlagnahme geschützt, wenn der betreffende Kommunikationssender zum Zeitpunkt der Kommunikation mit der Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen aufgrund des doppeltrelevanten Umstands objektiv nachvollziehbar gerechnet hat.

LG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 7.04.2022 – 22 Qs 8/22, n.v.

2. Durchsuchung und Beschlagnahme bei Berufsgeheimnisträgern – § 97 StPO

Ausforschungsdurchsuchungen und Beschlagnahmen bei einem bislang unverdächtigen Berufsangehörigen sind unzulässig, auch wenn gegen einen Mandanten der Verdacht der Steuerhinterziehung besteht.

BVerfG, Beschluss vom 30.11.2021 – 2 BvR 2038/18, StraFo 2022, 67

Nach Auffassung des BVerfG hat das LG in seiner angefochtenen Entscheidung das in § 97 Abs. 1 StPO verankerte Beschlagnahmeverbot nicht beachtet, das beim Berufsangehörigen vorliegende mandatsbezogene Unterlagen vor einer Sicherstellung schützt. Zwar entfällt dieser Schutz, wenn der Berater selbst an der betreffenden Tat beteiligt ist (§ 97 Abs. 2 S. 2 StPO). Zwingend erforderlich ist dann aber schon vor der Maßnahme ein konkreter Tatverdacht gegen den Betreffenden selbst. Eine Durchsuchung bzw. die Durchsicht oder Beschlagnahme von Unterlagen dürfen nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Verdachts erforderlich sind, denn sie setzen einen Verdacht bereits voraus. Zwar kann sich ein Tatverdacht durchaus erst nachträglich nach Durchführung vorheriger anderweitiger Ermittlungen ergeben. Auch dann setzt die Rechtmäßigkeit einer – wie hier – weiteren anschließend richterlich angeordneten Ermittlungsmaßnahme indes voraus, dass der gegen einen Verdächtigen gerichtete Tatverdacht schon zum Zeitpunkt der ihn betreffenden Entscheidung vorliegt, zumal dann, wenn er wegen eines bestehenden Mandatsverhältnisses selbst zeugnisverweigerungsberechtigt ist. Es genügt nicht, dass der Tatverdacht erst durch das (zuvor unzulässig) sichergestellte beziehungsweise beschlagnahmte Beweismittel entsteht.

Zu der Entscheidung s. Schelzke, jurisPR-StrafR 6/2022 Anm. 3. S. zur Anforderung bei der Durchsuchung bei Dritten, insbesondere bei Rechtsanwälten, weiter LG Stuttgart, Beschluss vom 04.11.2021 – 6 Qs 9/21, n.v., mit kritischen Anmerkungen von Schwerdtfeger/Brune, jurisPR-StrafR 2/2022 Anm. 2, und Rettenmeier/Lentz, jurisPR-Compl 1/2022 Anm. 3.

3. Durchsuchung bei Drittbeteiligten – § 103 StPO

Vor einer Durchsuchung bei einem einer Straftat unverdächtigen Insolvenzverwalter muss dieser regelmäßig aufgefordert werden, ihm vorliegende Unterlagen freiwillig herauszugeben.

LG Halle, Beschluss vom 14.04.2022 – 2 Qs 2/22, NZI 2022, 588

Der Entscheidung zustimmend Köllner, NZI 2022, 550, 551, sowie Kienzerle, FD-StrafR 2022, 449132. Grundlegend zu der Problematik vgl. Brüsseler, ZInsO 2007, 1163, Weyand, ZInsO 2008, 24, und Stiller, ZInsO 2011, 1633. S. weiter LG Saarbrücken, Beschluss vom 02.0.2.2010 – 2 Qs 1/10, ZInsO 2010, 431 mit Anmerkung Weyand, wo sich der Verwalter ersichtlich aus bloßer Verärgerung geweigert hatte, Auskünfte an die Ermittlungsbehörden zu erteilen, sowie LG Ulm, Beschluss vom 15.01.2007 – 2 Qs 2002/07, ZInsO 2007, 827, LG Potsdam, Beschluss vom 08.01.2008 – 25 Qs 60/06, ZInsO 2007, 1162, und LG Dresden, Beschluss vom 27.11.2013 – 5 Qs 113/13, ZInsO 2013, 2564. Dass weder Insolvenzverwalter noch Berater ein Refugium für Geschäftsunterlagen bieten können und dürfen, hat das LG Saarbrücken in seinem Beschluss vom 12.03.2013 – 2 Qs 15/13, ZInsO 2013, 1042, ausführlich und erschöpfend dargelegt.

4. Durchsuchung einer Behörde – § 103 StPO

Die Durchsuchung von Behördenräumen ist regelmäßig nur dann zulässig, wenn zuvor vergeblich ein schriftliches Herausgabeverlangen unter genauer Bezeichnung der betroffenen Unterlagen ergangen ist. Dies ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Ablehnung sicher zu erwarten, eine Vernichtung von Beweismitteln zu befürchten oder eine besondere Dringlichkeit anzunehmen ist.

LG Osnabrück, Beschluss vom 09.02.2022 – 12 Qs 32/21, wistra 2022, 212. Zu der Entscheidung s. die zustimmende Anmerkung von Moldenhauer/Momsen, NJW 2022, 886.

5. Durchsicht von elektronischen Speichermedien – § 110 StPO

Der Zugriff auf im Ausland gespeicherte Daten in einer Cloud ist auch ohne Rechtshilfeersuchen nach § 110 Abs. 3 StPO zulässig.

LG Koblenz, Beschluss vom 24.08.2021 – 4 Qs 59/21, NZWiSt 2022, 160.

Zu der Entscheidung s. kritisch Hiéramente/Basar, jurisPR-StrafR 6/2022 Anm. 1.

6. Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft und Strafklageverbrauch – § 153 StPO

Einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts gem. § 153 Abs. 1 Satz 1 StPO kommt kein Strafklageverbrauch zu.

OLG Hamm, Beschluss vom 10.03.2022 – 4 RVs 2/22, n.v.

7. Akteneinsichtsrecht der Finanzbehörde gegenüber der Staatsanwaltschaft – § 474 StPO

Für ein Finanzamt ergibt sich gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Anspruch auf Auskunftserteilung aus Ermittlungsakten (§ 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO) aus §§ 105 Abs. 1, 111 Abs. 1 S. 1, 393 Abs. 3 AO.

BayObLG, Beschluss vom 20.12.2021 – 203 VAs 389/21, StraFo 2022, 155

Zu der Entscheidung s. die Anmerkungen von Schützeberg, AO-StB 2022, 83, sowie von Beukelmann/Heim, NJW-Spezial 2022, 122. Akten, welche ein Steuerstrafverfahren betreffen, sind der Finanzbehörde nach § 395 AO uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen; s. dazu Weyand, in: Graf/Jäger/Wittig, 2. Aufl. 2017, § 395 Rn. 1 ff.

II. Materielles Strafrecht

1. Geldstrafe neben Freiheitsstrafe – § 41 StGB

Verhängt das Tatgericht neben der Freiheits- keine Geldstrafe, obgleich die Verteidigung dies beantragt hat, ist es verfahrensrechtlich nicht verpflichtet, die hierfür maßgeblichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen darzulegen. Die Revision des Angeklagten kann in diesen Fällen grundsätzlich keinen ihm nachteiligen sachlich-rechtlichen Erörterungsmangel dergestalt aufdecken, dass die zusätzliche Geldstrafe mit einer geringeren Bemessung der Freiheitsstrafe hätte einhergehen können.

BGH, Beschluss vom 24.03.2022 – 3 StR 375/20, NJW 2022, 1759

2. Täter-Opfer-Ausgleich im Steuerstrafverfahren – § 46a StGB

Die Anwendung des § 46 a StGB in Fällen der Steuerhinterziehung kommt nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht, die dadurch geprägt sind, dass der Täter die Schadenswiedergutmachung unter erheblichen Anstrengungen und Belastungen erbracht hat. Leistet ein Angeklagter die rückständigen Steuern zeitnah und vollständig, muss sich der Strafrichter aber mit den Voraussetzungen der Norm auseinandersetzen.

BayObLG, Beschluss vom 20.07.2021 – 207 StRR 293/21, n.v.

S. in diesem Zusammenhang noch BGH, Urteil v. 13. März 2019, 1 StR 367/18, wistra 2019, 498.

3. Einziehung und Rückwirkungsverbot – § 73e StGB; Art. 316j Nr. 1 EGStGB

Die in § 73e Abs 1 S 2 StGB getroffene Regelung, wonach eine Einziehung von Taterträgen auch dann in Betracht kommt, wenn der Anspruch des Verletzten auf Rückgewähr oder auf Wertersatz durch Verjährung erloschen ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. § 316j Abs. 1 EGStGB verstößt nicht gegen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot des Art 103 Abs 2 GG, da er keine dem Schuldgrundsatz unterliegende Nebenstrafe zum Gegenstand hat, sondern eine Maßnahme eigener Art mit kondiktionsähnlichem Charakter, für die das strafrechtliche Rückwirkungsverbot nicht gilt.

BVerfG, Beschluss vom 7.04.2022 – 2 BvR 2194/21, WM 2022, 919

4. Einziehung von Taterträgen nach Verjährungseintritt – § 76a StGB

Der durch eine verjährte Straftat erlangte Wert von Taterträgen kann nur dann eingezogen werden, wenn die Staatsanwaltschaft in Ausübung ihres Ermessens einen Antrag auf Einziehung im selbständigen Verfahren stellt, der den Anforderungen des § 435 StPO entspricht.

BGH, Beschluss vom 04.05.2022 – 1 ARs 13/21, BeckRS 2022, 11962

5. Tatbeendigung und Verjährungsbeginn bei Insolvenzverschleppung – § 78 StGB; § 15a InsO

Die Insolvenzverschleppung ist ein Dauerdelikt. Bei Verstößen gegen § 15a InsO ist Tatbeendigung i.S.d. § 78a StGB dementsprechend erst mit der Beseitigung des bestehenden rechtswidrigen Zustands anzunehmen, wenn die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags erfüllt worden oder anderweitig entfallen ist, etwa indem das Insolvenzgericht dem Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stattgibt oder die finanzielle Krisensituation überwunden wurde. Solange die Insolvenzlage andauert, lässt selbst eine rechtskräftige Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung die Antragspflicht nicht entfallen.

LG Stuttgart, Beschluss vom 28.02.2022 – 6 Qs 1/22, ZInsO 2022, 776

Zu der Entscheidung s. die Anmerkung von Köllner, NZI 2022, 497. Zum Strafklageverbrauch bei Insolvenzverschleppung s. noch Weyand, ZInsO 2013, 737, Kring, wistra 2013, 257, sowie Grosse-Wilde, wistra 2014, 130.

6. Geldwäsche durch Rechtsanwalt in Zivilsachen – § 261 StGB

Die nach der Rechtsprechung für eine Strafbarkeit des Strafverteidigers wegen Geldwäsche erforderliche sichere Kenntnis von der bemakelten Herkunft des von ihm angenommenen Geldes ist auch für eine Strafbarkeit eines Rechtsanwalts in Zivilsachen erforderlich.

AG Cloppenburg, Urteil vom 13.02.2021 – 3 Cs 132/20, BRAK-Mitt. 2022, 48

Zu der Entscheidung s. die zustimmende Anmerkung von Reichling, wistra 2021, 495.

7. Schadensbemessung beim Betrug, insbesondere bei Risikogeschäften – § 263 StGB

Ein Vermögensschaden i.S.d. § 263 Abs. 1 StGB tritt ein, wenn die Vermögensverfügung des Getäuschten bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise unmittelbar zu einer nicht durch Zuwachs ausgeglichenen Minderung des wirtschaftlichen Gesamtwerts seines Vermögens führt (Prinzip der Gesamtsaldierung). Ist der Getäuschte ein Risikogeschäft eingegangen, liegt im Rahmen der vorzunehmenden Saldierung in einem drohenden ungewissen Vermögensabfluss erst dann ein Schaden, wenn der wirtschaftliche Wert des Vermögens bereits gesunken ist. Erwirbt der Getäuschte einen (Rückzahlungs-)Anspruch gegen eine Gesellschaft, bedarf es für die wirtschaftliche Feststellung des Anspruchswerts einer Bewertung des vorhandenen Unternehmensvermögens und der zu prognostizierenden Unternehmensentwicklung, die – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – nach wirtschaftswissenschaftlichen Bewertungsverfahren beziffert und in den Urteilsgründen dargelegt werden müssen.

BGB, Beschluss vom 16.02.2022 – 4 StR 396/21, ZInsO 2022, 1057

8. Untreue des Vorstandes einer AG – § 266 StGB

Dem Vorstand einer AG steht bei der Leitung der Geschäfte des Unternehmens ein weiter Handlungsspielraum zu, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit nicht denkbar ist. Eine i.S.d. § 266 StGB strafrechtlich relevante Pflichtverletzung liegt vor, wenn die Grenzen eines von Verantwortungsbewusstsein getragenen und ausschließlich am Unternehmenswohl orientierten unternehmerischen Handelns überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss; Leitlinie ist insoweit die business judgement rule (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG). Eine Pflichtverletzung ist insbesondere anzunehmen, wenn schlechthin unvertretbares Vorstandshandeln vorliegt, bei dem sich der Leitungsfehler auch einem Außenstehenden förmlich aufdrängen muss. Der Vorstand einer AG muss in der konkreten Entscheidungssituation alle für ihn verfügbaren tatsächlichen und rechtlichen Informationsquellen ausschöpfen; ist die auf dieser Basis getroffene Entscheidung aus der Sicht eines ordentlichen Kaufmanns vertretbar, ist nicht von einer strafrechtlich relevanten Handlungsweise auszugehen.

BGH, Urteil vom 10.02.2022 – 3 StR 329/21, ZInsO 2022, 765

Zu der Entscheidung s. die Anmerkung von Weyand, ZInsO 2022, 767. S. ferner zur Problematik der Sorgfaltspflicht auch BGH, Urteil vom 27.01.2021 – 3 StR 628/19, ZInsO 2021, 904.

9. Untreue durch einen Oberbürgermeister – § 266 StGB

Ein Oberbürgermeister, der den zuvor erteilten Auftrag an eine Detektei nicht kündigt, obwohl er erkennt, dass die durchgeführte Überwachung städtischer Mitarbeiter, gegen die der Verdacht berufsbezogener Straftaten bestand, ergebnislos war, macht sich der Untreue schuldig, zumal dann, wenn – wie ihm bekannt – seine Zuständigkeit zur Auftragsvergabe (mittlerweile) überschritten ist.

BGH, Urteil vom 03.03.2022 – 5 StR 228/21, n.v.

Im ersten Durchgang hatte das LG Saarbrücken den Angeklagten, der als Oberbürgermeister der Stadt Homburg tätig ist, mit Urteil vom 21.02.2019 wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, jedoch die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen mit Ausnahme derjenigen zum Untreueschaden bestehen lassen (vgl. Beschluss vom 08.01.2020 – 5 StR 366/19, wistra 2020, 288; s. dazu Bittmann, NZWiSt 2020, 199, sowie Brand, NJW 2020, 631). In der erneuten Verhandlung wurde der Oberbürgermeister wegen Untreue zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu jeweils 90 € verurteilt. Die Revision der Staatsanwaltschaft blieb erfolglos.

10. Keine Vermögensbetreuungspflicht des Darlehensnehmers – § 266 StGB

Der Treuebruchtatbestand (§ 266 Abs. 1, 2. Alt. StGB) setzt ein Treueverhältnis gehobener Art mit Pflichten von einigem Gewicht voraus. Bei Darlehensverhältnissen oder sonstigen Kreditvereinbarungen ist der Darlehensnehmer gegenüber dem Darlehensgeber grundsätzlich nicht treupflichtig. Eine Ausnahme kann bei einem zweckgebundenen Darlehen anzunehmen sein, wenn durch die besondere Zweckbindung Vermögensinteressen des Darlehensgebers geschützt werden und diese wirtschaftlich im Mittelpunkt des Vertrags stehen.

OLG Naumburg, Beschluss vom 19.10.2021 – 1 Rv 152/21, ZInsO 2022, 1078

11. Untreue bei Zahlungen an Betriebsratsmitglieder – § 266 StGB

Aufgrund des unentgeltlichen Ehrenamts ist eine Bezahlung von Betriebsräten als „Co-Manager“ oder „auf Augenhöhe“ mit den Verhandlungspartnern auf Arbeitgeberseite unzulässig. Eine entsprechende „tätigkeitsbezogene“ Vergütung ist mit den §§ 37, 78 BetrVG nicht vereinbar. Zugrunde zu legen ist die betriebsübliche Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer, mithin der typische Normalverlauf, nicht jedoch Sonderkarrieren. Die Fähigkeiten und Kenntnisse, die das Betriebsratsmitglied während seiner Zeit im Betriebsrat erwirbt, dürfen keine Berücksichtigung finden. Weiß ein Angeklagter nicht, dass er durch derart unberechtigte Zahlungen dem Vermögen des Unternehmens, dem gegenüber er treupflichtig ist, Schaden zufügt, ist er vielmehr bei den jeweiligen Bewilligungsentscheidungen davon überzeugt, pflichtgemäß und gesetzeskonform zu handeln, ist diese rechtliche Fehlvorstellung, mithin der Irrtum über die Voraussetzungen der außerstrafrechtlichen Normen der §§ 37 und 78 BetrVG, daher als Tatbestandsirrtum nach § 16 StGB zu werten.

LG Braunschweig, Urteil vom 28.09.2021 – 16 KLs 406 Js 59398/16 (85/19), ZIP 2022, 244

Zu der Entscheidung s. Koch/Kudlich/Thüsing, ZIP 2022, 1, sowie Annuß, NZA 2022, 247.

12. Schadensfeststellung bei Untreue und Bankrott – § 266 StGB; § 283 StGB

Ob ein Vermögensnachteil i.S.d. § 266 StGB eingetreten ist, muss grundsätzlich durch einen aus ex-ante-Sicht vorzunehmenden Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der beanstandeten Verfügung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft werden, wobei bei Immobilien der hierbei anzusetzende objektive Wert regelmäßig dem Verkehrswert entspricht. Ein Beiseiteschaffen i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nur bei Vermögensverschiebungen gegeben, die den Anforderungen eines ordnungsgemäßen Wirtschaftens grob widersprechen.

BGH, Beschluss vom 09.02.2022 – 1 StR 384/21, ZInsO 2022, 824

13. Bankrott – Beiseiteschaffen durch Forderungseinzug über das Konto eines Dritten – § 283 StGB

Zieht der Gläubiger in seiner Krise eine Forderung über das Konto einer dritten Person ein, für das er selbst verfügungsberechtigt ist, und hebt er das eingegangene Geld umgehend wieder ab, liegt darin noch kein Beiseiteschaffen i.S.d. § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Erteilt der Angeklagte die Zustimmung nach § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO und ermöglicht so die Überprüfung der Beweisergebnisse oder eine weitere Aufklärung des Tatvorwurfs, kommt ihm das im Fall einer Verurteilung bei der Strafzumessung zugute.

LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 15.12.2021 – 12 Ns 502 Js 1046/19, ZInsO 2022, 94

Zu der Entscheidung s. Hölken, jurisPR-InsR 10/2022 Anm. 2. Das Urteil schließt sich der einschlägigen Rechtsprechung des BGH an, vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12.05.2016 – 1 StR 114/16, ZInsO 2016, 1436, mit Anmerkung Brand, NZI 2016, 750.

14. Kenntnis der Finanzbehörde und Steuerhinterziehung – § 370 AO

Eine Strafbarkeit wegen vollendeter Steuerhinterziehung scheidet aus, wenn die zuständigen Finanzbehörden zum maßgeblichen Veranlagungszeitpunkt von den wesentlichen steuerlich relevanten Umständen bereits Kenntnis haben.

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 10. Februar 2022 – 2 Ws 202/21, n.v.

Die Entscheidung folgt der in der Rechtsprechung überwiegend vertretenen Auffassung; s. etwa OLG Oldenburg, Urteil vom 16.11.1998 – Ss 319/98, wistra 1999, 151 und Beschluss vom 10.07.2018, 1 Ss 51/18, ZWH 2018, 366 mit Anmerkung Schott, OLG Köln, Urteil vom 31.01.2017 – 1 RVs 253/16, wistra 2017, 363; ebenso BayOblG, Beschluss vom 03.11.1989 – RReg 4 St 135/89, wistra 1990, 159.

15. Insolvenzverschleppung durch einen faktischen Geschäftsführer – § 15a InsO

Nicht nur das formal bestellte Gesellschaftsorgan, sondern auch einen Dritten, der ohne formellen Bestellungsakt die Geschäfte der Gesellschaft führt, trifft eine Insolvenzantragspflicht.

LG Münster, Urteil vom 20.05.2021 – 4 Ns-45 Js 46/17-9/20, BeckRS 2021, 43777

III. Zivilrechtliche Entscheidung mit strafrechtlicher Relevanz

1. Versicherung des Geschäftsführers bei Anmeldung – § 6 Abs. 2 GmbHG

Die eidesstattliche Versicherung eines Geschäftsführers nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. e) GmbHG erstreckt sich auch auf die im Jahr 2017 in das StGB eingefügten Straftatbestände des § 265c StGB (Sportwettbetrug), des § 265d StGB (Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben) sowie des § 265e StGB, der besonders schwere Fälle des Sportwettbetrugs und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben unter Strafe stellt.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.10.2021 – 3 Wx 182/21, ZInsO 2022, 1246

Zu der Problematik ausführlich Weyand, ZInsO 2022, 6.

2. Anfechtung bei Zahlung von Geldstrafen eines Gesellschafters – § 129 InsO

Es liegt eine anfechtbare Zahlung vor, wenn eine GmbH zur Abwendung der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe eine Geldstrafe für ihren zahlungsunfähigen Alleingesellschafter begleicht.

LG Rostock, Urteil vom 17.12.2021 – 1 S 146/20, NZI 2022, 174

IV. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit wirtschaftsstrafrechtlicher Relevanz

1. Luftsicherheitsrechtliche Unzuverlässigkeit aufgrund einer Verurteilung wegen Urkundenfälschung und Steuerhinterziehung – § 7 Abs. 1a LuftSiG

Die Begehung von Straftaten lässt grundsätzlich daran zweifeln, dass sich der Betroffene auch in Zukunft jederzeit rechtstreu verhält und hinreichende Gewähr dafür bietet, die Belange des Luftverkehrs zu bewahren. Dabei muss die Straftat (hier: Steuerhinterziehung und Urkundenfälschung) keinen spezifischen luftverkehrsrechtlichen Bezug aufweisen.

VG Düsseldorf, Beschluss vom 26. 11.2021 – 6 L 1820/21, NZWiSt 2022, 212

Zu der Entscheidung s. die krit. Anmerkung von Gehm, NZWiSt 2022, 217, sowie Wegner, PStR 2022, 54. Zur gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit eines rechtskräftig verurteilten Bezirksschornsteinfegermeisters, dem Verstöße gegen § 348 StGB bzw. § 370 AO vorgeworfen wurden, s. VG Trier, Beschluss vom 27.10.2021 – 2 L 3058/21, n.v.

2. Widerruf einer Spielhallenerlaubnis – § 33c GewO; § 2 SSpielhG

Ob längere Zeit zurückliegende Taten (hier: Steuerhinterziehungen), die zu einer Verurteilung geführt haben, die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen können, ist einzelfallbezogen zu prüfen. Einem ordnungsgemäßen Verhalten während einer verhängten Bewährungszeit und während des andauernden ordnungsrechtlichen Verwaltungsverfahrens kommt für die Frage der Zuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden regelmäßig nur eine geringe Aussagekraft zu.

OVG Saarlouis, Beschluss vom 14.10.2021 – 1 B 138/21, NZWiSt 2022, 168

Zu der Entscheidung s. die Anmerkung von Roth, NZWiSt 2022, 168. Vgl. ferner BayVGH, Beschluss vom 22.10.2021 – 22 ZB 21.1938, NZWiSt 2022, 171.

3. Rechtmäßigkeit einer erweiterten Gewerbeuntersagung trotz Insolvenzverfahrens – § 35 GewO

12 Satz 2 GewO hat ebenso wie § 12 Satz 1 GewO keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit einer Gewerbeuntersagung wegen einer auf ungeordneten Vermögensverhältnissen beruhenden Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden, die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlassen wurde.

BayVGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 22 ZB 21.1923, ZInsO 2021, 2666.

Zu der Entscheidung s. Hölken, jurisPR-InsR 3/2022 Anm. 5, sowie ergänzend noch BVerwG, Urteil vom 15.04.2015 – 8 C 6/14, ZInsO 2015, 1625.

4. Gewerbeuntersagung bei hohen Steuerschulden und Nichtvorlage eines Sanierungskonzepts – § 35 GewO

Eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit i.S.v. § 35 GewO oder § 57 Abs. 1 GewO setzt kein subjektiv vorwerfbares Verhalten voraus, sondern knüpft allein an objektive Tatsachen an, die hinsichtlich der zukünftigen Tätigkeit des Gewerbetreibenden eine ungünstige Prognose rechtfertigen; mithin sind damit die Ursachen, die zu der Überschuldung und der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit geführt haben, gewerberechtlich ohne Belang.

VG Magdeburg, Urt. v. 11.11.2021 – 3 A 213/20 MD, ZInsO 2022, 434

V. Finanzgerichtliche Entscheidungen mit wirtschaftsstrafrechtlicher Relevanz

1. Entbindung eines ehrenamtlichen Richters – FGO §§ 18, 21

Ein ehrenamtlicher Richter am FG ist von seinem Amt zu entbinden, wenn und solange gegen ihn Anklage wegen einer Tat erhoben ist, die den Verlust der Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter zur Folge haben kann. Auf die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens kommt es nicht an. Erforderlich ist die abstrakte Möglichkeit des Verlustes, nicht aber, dass nach den Umständen des Einzelfalls mit der Aberkennung tatsächlich zu rechnen ist. Dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Zugang zu öffentlichen Ämtern wird dadurch Genüge getan, dass der ehrenamtliche Richter, wenn er rechtskräftig außer Verfolgung gesetzt oder freigesprochen ist, die Aufhebung des Beschlusses über seine Amtsentbindung beantragen kann.

BFH Beschluss vom 29.07.2021 – II B 12/21, BFH/NV 2021, 1520

Zu der Entscheidung s. die Anmerkung von Kugelmüller-Pugh; HFR 2022, 39.

2. Steuerpflicht bei Scheingewinnen – § 20 Abs. 1 EStG

Auch im Rahmen eines Schneeballsystems können einem Steuerpflichtigen Kapitaleinkünfte zugerechnet werden. Für eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung bedarf es keiner Absicht oder eines direkten Hinterziehungsvorsatzes; es genügt, dass der Täter die Verwirklichung der Merkmale des gesetzlichen Tatbestands für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (sog. Eventualvorsatz). Der Hinterziehungsvorsatz setzt deshalb weder dem Grunde noch der Höhe nach eine sichere Kenntnis des Steueranspruchs voraus.

FG Nürnberg, Urteil vom 23.02.2021 – 1 K 53/19; NZWiSt 2022, 174

Zu der Entscheidung s. die Anmerkung von Gehm, NZWiSt 2022, 178.

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Elias Schönborn , Jan Uwe Thiel

    Gesetzliche Regelungen zur Handy-Sicherstellung sind verfassungswidrig (Österreich)

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Tino Haupt

    Der Zugriff auf Fahrzeugdaten aus strafprozessualer Perspektive

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Florian Neuber

    Verteidigung ohne Grenzen?

    Internationales Strafrecht