Kathie Schröder

Einordnung ärztlicher Instrumente als gefährliches Werkzeug

Extrahiert ein Zahnarzt seinem Patienten ohne medizinische Indikation mehrere Zähne, begeht er die Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB.

Entscheidung

OLG Karlsruhe, Beschluss v. 16.03.2022 – 1 Ws 47/22

I. Sachverhalt

Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, als Zahnarzt in 33 Fällen seinen Patienten trotz zahlreicher alternativer Behandlungsmethoden Zähne extrahiert zu haben.

Aufgrund der zwingenden Empfehlung des Angeklagten hätten die Patienten der Zahnextraktion zugestimmt, woraufhin der Angeklagte diese Eingriffe mittels der dafür erforderlichen ärztlichen Instrumente vorgenommen habe.

Wäre eine Aufklärung hinsichtlich etwaiger alternativer Behandlungsmethoden erfolgt, so hätten die Patienten den Zahnerhalt bevorzugt und jeweils die Zahnextraktionen abgelehnt. Motiv des Angeklagten sei die erforderlich gewordene weitere Versorgung seiner Patienten mit (für ihn einträglichem) Zahnersatz gewesen.

Indem das Landgericht die gegenständlichen Vorwürfe als tatmehrheitliche Vergehen der vorsätzlich Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230 StGB eingeordnet hat, hat es in vier Fällen die Eröffnung des Hauptverfahrens aufgrund der eingetretenen Verjährung abgelehnt. Diese Taten lagen mehr als 10 Jahre zurück, sodass das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung die Eröffnung verhinderte. Begründet wurde dies mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, wonach das von einem zugelassenen Arzt bei einem ärztlichen Eingriff bestimmungsgemäß verwendete Instrument mangels Verteidigungs- oder Angriffscharakter weder eine Waffe noch ein gefährliches Werkzeug nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstelle. Daraus folge, dass sich ein Arzt bei fehlender Einwilligung des Patienten lediglich wegen einer vorsätzlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar machen könne.

Gegen den Beschluss hat die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde eingelegt. Aufgrund der Ansicht, dass alle Taten als gefährliche Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB einzuordnen seien, sei keine Verfolgungsverjährung eingetreten und das Hauptverfahren auch in diesen vier Fällen zu eröffnen.

II. Entscheidungsgründe

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft sah der Senat des OLG Karlsruhe als begründet an. Im Hinblick auf die vier Vorwürfe ist nach dessen Rechtsansicht keine Verfolgungsverjährung eingetreten.

  1. Die dem Angeklagten zur Last gelegten Vorwürfe sind in Gänze als gefährliche Körperverletzungen gemäß §§ 224 Abs. 1 Nr. 2, 53 StGB zu werten, sodass die zehnjährige Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB Anwendung findet. Durch die Erhebung der Anklage und die dadurch resultierende Unterbrechung der Frist gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 6 StGB ist keine Verfolgungsverjährung eingetreten.
  2. Die Staatsanwaltschaft ordnete in ihrer Beschwerde das Tatmittel des gefährlichen Werkzeugs nach Änderung der §§ 223, 224 StGB (6. StRG v. 26.01.1998, BGBl I 164) nicht mehr als Beispiel einer Waffe, sondern als “Oberbegriff” ein, sodass die Waffe nunmehr ein Unterfall des gefährlichen Werkzeugs ist. Die Einstufung eines ärztlichen Instruments erfolgt demnach nicht nach mehr nach seiner Verwendungsabsicht als waffenähnliches Mittel zur Verteidigung oder zum Angriff, sondern darüber ob der Gegenstand nach seiner objektiven Beschaffenheit und seiner konkreten Verwendung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen beim Opfer hervorzurufen.
  3. Dieser Auffassung folgt nun der Senat. Die örtliche Betäubung während der Extraktion des Zahnes verhindert zwar das Auftreten erheblicher Schmerzen innerhalb des Eingriffs, jedoch führt die Trennung der Verbindung zum versorgenden Nerv zum irreversiblen Verlust eines Teils des Gebisses und zu einer mehrere Tage währenden offenen Wunde im Mund. Solche Eingriffe sind regelmäßig mit tagelangen gravierenden Schmerzen, Leiden bei der Nahrungsaufnahme und der Gefahr von Entzündungen verbunden, die sich nur mit Schmerzmitteln und Oralhygiene mindern lassen. Von sowohl nach ihrer Intensität als auch ihrer Dauer gravierenden Verletzungen im Mundraum der Patienten ist daher auszugehen, weshalb eine qualifizierte Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorliegt.
  4. Der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft war somit stattzugeben und – unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Beschlusses – das Hauptverfahren auch in den vier Fällen vor der Strafkammer zu eröffnen.
III.Praxishinweis

Ein ärztlicher Heileingriff stellt bekanntermaßen tatbestandlich eine Körperverletzung dar, dessen Rechtswidrigkeit eine Einwilligung des Patienten entfallen lässt. Diese Einwilligung muss frei von Willensmängeln sein und auf einer umfassenden ärztlichen Aufklärung basieren (welche insbesondere Ausführungen zur Diagnose, Therapiemöglichkeiten, Eingriff und Risiken enthalten muss), um die Rechtswidrigkeit entfallen zu lassen.

In dem hiesigen Sachverhalt kommt – aufgrund einer unvollständigen Aufklärung über mögliche Alternativbehandlungen – ein Körperverletzungsdelikt in Betracht. Der Senat des OLG Karlsruhe stellt in dieser Entscheidung darauf ab, dass das von einem Arzt verwendete Instrument zur Extraktion ein gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt, und zwar ausdrücklich unabhängig davon, ob es bestimmungsgemäß eingesetzt wurde, der Arzt dazu grundsätzlich in der Lage war und er zudem das Instrument regelgerecht angewandt hat.

Diese Rechtsansicht des OLG-Senats stellt eine Abkehr von der bisherigen herrschenden Rechtsprechung dar, nach der ärztliche Instrumente, die von approbierten Ärzten verwendet werden, grundsätzlich nicht als gefährliche Werkzeuge im Sinne des Qualifikationstatbestandes einzustufen sind (vgl. BGH NJW 1978, 1206). Dies gilt selbst dann, wenn die Eingriffe nicht medizinisch indiziert waren, also gar keine Heileingriffe darstellten, wie z.B. bei einer Knabenbeschneidung (vgl. LG Köln, NJW 2012, 2128). Diese Rechtsprechung orientierte sich an der bisherigen systematischen Auslegung des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass ein gefährliches Werkzeug auch nach der Gesetzesänderung weiterhin als Unterfall einer Waffe zu qualifizieren ist und es insofern eines vergleichbaren Angriffs- oder Verteidigungszwecks bedurfte. Ein solcher ist bei einer Verwendung eines ärztlichen Instrumentes im Rahmen eines medizinischen (Heil-)Eingriffs regelmäßig nicht gegeben. Insofern wurde gegen approbierte Ärzte nur in Einzelfällen wegen des Vorwurfs einer gefährlichen Köperverletzung ermittelt.

Diese Ausnahme könnte hingegen zur Regel werden, wenn sich die in dieser Entscheidung vertretene Rechtsansicht des Senats durchsetzt, da bei Verwendung irgendeines medizinischen Instruments bei einer Operation oder Behandlung (wie Skalpell, Säge, Zange oder ggf. nur einer Spritze) nicht lediglich eine einfache Körperverletzung im Raum stünde, sondern sofort die Qualifikation. Da oftmals die Nutzung eines Instruments medizinisch geboten ist, würde so ein, zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Behandlungsauftrages notwendiges, berufstypisches Verhalten signifikante Auswirkungen auf eine potentielle Strafbarkeit haben. Ein Arzt wäre einerseits einer hohen Mindeststrafe (Freiheitsstrafe von mind. sechs Monaten bis zu zehn Jahren statt Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren), sowie andererseits einer deutlich längeren Verjährungsfrist (zehn statt fünf Jahre) ausgesetzt.

Letztlich wäre es der Erkrankung des jeweiligen Patienten geschuldet und damit quasi dem Zufall überlassen, ob der behandelnde oder operierende Arzt ein Instrument für die erforderliche Behandlung des Patienten verwenden muss und damit dem Risiko des deutlich erhöhten Qualifikationstatbestandes unterliegt oder nicht. Ob diese Folge dem tatsächlichen Unrechtsgehalt angemessen und im Sinne der Gesetzessystematik ist, ist fraglich.

Nunmehr bleibt abzuwarten, ob sich der BGH der Auffassung des OLG Karlsruhe anschließt, an der bisherigen Rechtsprechung festhält oder eine weitere Lösung entwickelt, welche eine differenziertere Beurteilung der jeweiligen Einzelfälle (zwischen grundsätzlich kein gefährliches Werkzeug vs. grundsätzlich immer ein gefährliches Werkzeug iSd § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) ermöglicht.

In einer Entscheidung des Kammergerichts Berlin (161 Ss 93/21 vom 25.07.2022, mit Anm. Lorenz, BeckOnline FD-StrafR 2022, 452929) wurde darauf abgestellt, dass eine Jacke ein gefährliches Werkzeug sein kann, wenn sie aufgrund der Art ihrer Nutzung (Pressen der Jacke auf das Gesicht) geeignet ist, erhebliche körperliche Verletzungen (Atemnot und Bewusstseinsverlust) herbeizuführen. Auf die objektive Beschaffenheit soll es nicht ankommen. Es wurde also auf eine „gefährliche“ Art einer missbräuchlichen Verwendung der Jacke abgestellt, die nachvollziehbar die erhöhte Regelstrafandrohung der Qualifikation begründen kann. Bei einem Arzt, der ein medizinisches Instrument im Rahmen seines typischen Berufsausübung einsetzt, wird bereits regelmäßig die Art der Nutzung (Aufschneiden des Körpers) eine Körperverletzung nach sich ziehen, so dass dies auch nicht zwingend ein geeignetes Differenzierungskriterium darstellt.

Unabhängig davon, wie die rechtliche Einordnung der medizinischen Instrumente in Zukunft aussehen mag, ist ein Arzt stets gut beraten, seine Patienten vor einem Heileingriff so umfassend aufzuklären, dass die Einwilligung rechtswirksam ist und er sich keinerlei Strafbarkeitsrisiko aussetzt

Autorinnen und Autoren

  • Kathie Schröder
    Rechtsanwältin Kathie Schröder, Fachanwältin für Strafrecht und Fachanwältin für Medizinrecht, ist Partnerin der Kanzlei Schröder | Racky Kanzlei für Wirtschaftsstrafrecht in Frankfurt am Main. Sie ist Sprecherin des WisteV-Arbeitskreises Medizinstrafrecht und Mitglied der WiJ-Redaktion.

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