Lisa Grabowski, Damra Sahin

Tagungsbericht „Junges Wirtschaftsstrafrecht – in 80 Tagen um die Welt“ am 06.10.2023

Die Tagung „Junges Wirtschaftsstrafrecht 5.0 – in 80 Tagen um die Welt“ – oder wie die Veranstalter*innen es auch als „8 Stunden um die Welt“ bezeichneten – fand am 06. Oktober 2023 in Frankfurt am Main statt. Der Tagesplan bot ein umfassendes Programm über aktuelle Themen und Rechtsprobleme des nationalen sowie internationalen Wirtschaftsstrafrechts an.

Die Veranstalterin Prof.‘in Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy (Universität Bielefeld) eröffnete die Tagung mit einem Grußwort in Vertretung des Schirmherrn Prof. Dr. Matthias Jahn (Goethe-Universität Frankfurt a.M.), der krankheitsbedingt leider nicht anwesend sein konnte, sich aber gleichwohl per Zoom aus dem Krankenhaus zuschaltete. Das Thema der Tagung: Die zunehmende Globalisierung des Wirtschaftsstrafrechts, symbolisiert durch Jules Vernes Buch, in dem es um Phileas Foggs Wette gegen die Zeit um 20.000 Pfund Sterling geht. Nach einem herzlichen Dank an alle Referent*innen und Personen, die die Organisation der Veranstaltung begleiteten, starteten bereits die Vorträge.

I. Panel „Deutschland“

Das erste Panel „Deutschland“, welches durch RAin Dr. Christina Brosthaus moderiert wurde, befasste sich mit den aktuellen Entwicklungen des deutschen Wirtschaftsstrafrechts.

Deniz Kücük vom Compliance-Referat des Bundesfinanzministeriums eröffnete mit seinem Vortrag „Whistleblowing in Deutschland – das Hinweisgeberschutzgesetz“. Zunächst thematisierte er die Umsetzung des Gesetzes, da diese mit gewissen Hürden erfolgte. Nachdem die EU-Richtlinie 2019 in Kraft trat, gab es bis Ende 2021 Zeit für die Umsetzung. Als der Regierungsentwurf bereits am 28. April 2021 scheiterte, hat man es im Jahre 2022 wieder aufgegriffen. Doch anders als erwartet, gab der Bundesrat am 10. Februar 2023 nicht seine Zustimmung, was zu einer Klage der Europäischen Kommission gegen Deutschland wegen Vertragsbruch führte. Die Verkündung erfolgte final am 02. Juni 2023. Kücük betonte, dass die Whistleblower-Richtlinie EU weite Mindeststandards festlegt und demnach das Hinweisgeberschutzgesetz in Deutschland Verstöße gegen Unionsrecht wie Geldwäsche, Produktsicherheit und Kartellrecht umfasst. Weiter sind alle Nebenstrafen und qualifizierte Ordnungswidrigkeiten sowie verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamt*innen gedeckt. Er wies darauf hin, dass das Gesetz sowohl interne als auch externe Meldekanäle als zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege vorsieht, zwischen denen die hinweisgebende Person frei wählen kann. Kücük konzentrierte sich in seinem Vortrag auf das Verbesserungspotential und die Weiterentwicklung des Gesetzes, insbesondere im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich und die Untersuchungsbefugnisse der Meldestellen. Problematisch sei, dass bei verfassungsfeindlichen Äußerungen aktuell nur Beamt*innen nach § 2 Abs. 1 Nr.10 HinSchG gemeldet werden können, Tarifbeschäftigte im öffentlichen Dienst bleiben unberührt. Dazu kommt, dass erhebliche Kommunikationshürden für Zeug*innen im öffentlichen Dienst bestehen, da Beamt*innen aufgrund der Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamtStG nicht mit der internen Meldestelle kommunizieren dürfen. In der anschließenden Diskussion wurde die Effektivität des Gesetzes erörtert. Kücük erläuterte, dass das Gesetz einen besseren Schutz als zuvor bietet, insbesondere durch die Möglichkeit anonymer Meldungen. Der Gesetzgeber sei bemüht, jedoch gäbe es weiterhin Herausforderungen. Nur ein Beispiel sei, dass aus der Natur des Hinweises Rückschlüsse auf die Person gezogen werden könnten, was spätestens im Gerichtsprozess zur Identitätsfeststellung führen würde. Insgesamt sei aber das Hinweisgeberschutzgesetz aktuell „ein mehr als vorher“, so Kücük, denn vorher konnte man nur eine Anzeige gegen Unbekannt aufgeben, heute dagegen gibt es die Zwischenstufe mit der internen Meldestelle.

Weiter ging es mit dem zweiten Vortrag „Die Sanktionsdurchsuchungsgesetze und die neue Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung“, vorgetragen von RAin Elena Stelzer. Der Vortrag konzentrierte sich auf den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine seit dem 24. Februar 2022. Sie erläuterte die Bedeutung dieser Gesetze im Kontext des Konflikts und die damit verbundenen EU-Sanktionspakete sowie die Rolle der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung als Koordinator und Meldestelle für EU-Meldepflichten. Ausgangsregelung für die EU-Sanktionspakete war die EU Verordnung Nr. 269/2014, wonach nur ein Verfügungs- und Bereitstellungsverbot gegeben war. Im Jahr 2023 wurden die Sanktionspakete noch einmal erweitert. Nun können auch Mitglieder*innen des Staatsduma – Föderationsversammlung der Russischen Föderation – also hochrangige Beamt*innen und Oligarch*innen sanktioniert werden. Außerdem wurden weitere Wirtschaftssanktionen wie ein Ölimportverbot und Finanzsanktionen erlassen. Mit dem neuen Sanktionsdurchsetzungsgesetz II gibt es nun eine nationale Meldepflicht von gelisteten Personen gem. § 10 SanktDG bei der Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung. Die Zentralstelle darf gem. § 2 Abs. 1 SanktDG erforderliche Maßnahmen treffen und Auskünfte von natürlichen sowie juristischen Personen verlangen. Stelzer verwies auf die Auskunftsverweigerungsrechte gem. § 2 Abs. 5 Satz 3 SanktDG und betonte dabei, dass es kein Verweis auf das Auskunftsverweigerungsrecht von Berufsgeheimnisträger*innen nach § 388 Abs. 1 Nr. 6 ZPO oder etwa nach § 53 StPO gibt. Ein Vorschlag für die Umformulierung sei zwar bereits unterbreitet worden, wurde allerdings nicht beachtet.

Zum Schluss des Panels widmete sich RA Peter-Jan Solka einem Thema, welches vor allem in Norddeutschland präsent sei: „Gestrandet – Strafverfolgung des „Beaching“ in Deutschland?“. Er erläuterte zunächst, was unter „Beaching“ zu verstehen ist – nämlich das Anlanden von Tankern an Stränden der südasiatischen Staaten wie Bangladesch, Pakistan und Indien, um dort von Arbeitskräften demontiert zu werden. Bei der Zerlegung werden unter anderem Schadstoffe freigesetzt und weitere Schäden durch Ölverschmutzungen sowie schwermetallverseuchter Schrott an den Küstenregionen verursacht. Dabei ging Solka auf die rechtlichen Herausforderungen und die Notwendigkeit einer effektiven Strafverfolgung ein, insbesondere im Hinblick auf Umweltschutzstandards und Arbeitssicherheit. Die Arbeitskräfte arbeiten unter schlechten Arbeitsbedingungen, da sie hohen Gefahren ausgesetzt seien, welche vielfach zu Todesfällen führe. Das Thema sei bereits lange bekannt und die Straftatbestände existieren schon seit 2011, so Solka. Zugegeben sei die Rechtslage komplex und bislang gäbe es keine bekannten Entscheidungen deutscher Gerichte zu diesem Thema. Für eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden soll eine neue EU- Richtlinie Abhilfe schaffen, um damit den strafrechtlichen Schutz der Umwelt zu gewährleisten, die Anforderungen zu erhöhen und somit insgesamt die Praktiken des Beachings zu regulieren. Es bleibt also spannend.

II. Vergabe WisteV-Preis

Nach dem Panel erfolgte die Vergabe des WisteV-Promotionpreises 2022 im Namen des Vorstandes der WisteV durch RAin Dr. Ricarda Schelzke. Der Preis ging an die Unternehmensjuristin Dr. Kerstin Waxnegger aus Österreich für ihre herausragende Arbeit „Künstliche Intelligenz und Strafrecht: Grundsätzliche Fragestellungen und rechtliche Lösungsansätze“. Sie beleuchtet in ihrer Arbeit die Konsequenzen und rechtlichen Herausforderungen im Umgang mit KI und thematisiert unter anderem die Risiken bei Nichtaktualisierung von KI-Updates.

III. Panel „Europa“

Nach einer kurzen Mittagspause ging die Reise nun weiter nach Europa, moderiert von RAin Dr. Laura Borgel. Akad. Rätin a.Z. Dr. Theresa Schweiger (Universität München) und Tobias Abersfelder, LL.M.  starteten mit ihrem Vortrag zum Thema „Die Einziehung ist keine Strafe – Wirklich? Glaubt das auch der EGMR?“. Um zu ermitteln, ob das EGMR die Einziehung als Strafe sieht, verglich Dr.Schweiger zunächst den Strafbegriff des BVerfG und des EGMR. Laut BVerfG ist Strafe eine missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes kriminelles Verhalten und dient dem Schuldausgleich. Laut EGMR hingegen sei Strafe eine Maßnahme im Anschluss einer Verurteilung oder aus Anlass einer Straftat, welche eher repressiv-punitiven Charakter hat. Da die Definitionen der Gerichte noch nicht festlegen, ob die Einziehung nun eine Strafe ist, bemühte Dr.Schweiger eine Kurzanalyse der EGMR-Rechtsprechung der letzten Jahren, um durch Rechtsvergleichung eine Antwort zu erlangen. In den Fällen Balsamo (2019) und Ulemek (2021) urteilte der EGMR, dass die Einziehung keine Strafe, sondern eine reine Präventivmaßnahme darstelle. Obwohl diese zwei Entscheidungen des EGMR auf eine eindeutige Stellung des EMGR schließen lasse, entschied der EGMR in den italienischen Fällen Sud Fondi (2009),Varvara (2013) und G.I.E.M. (2018) wieder anders. Der EGMR legte in den italienischen Fällen dar, dass die italienische Beschlagnahme eindeutig eine Strafe darstellt. Laut Dr.Schweiger zeige der Vergleich, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handele, bei welcher der repressiv-pönale Charakter einer Einziehung im Vordergrund stehen müsse. Zu berücksichtigen seien unter anderem Faktoren wie die binnenrechtliche Einordnung und der Grad der Abhängigkeit von der individuellen Schuld. Dr.Schweiger und Abersfelder stellten anschließend fest, dass der EGMR geneigt sei die Einziehung nicht als Strafe zu sehen, dies jedoch im konkreten Einzelfall entschieden werden müsse. Eine baldige Entscheidung sei leider nicht in Sicht, da es zurzeit kein Verfahren diesbezüglich gibt.

Im Anschluss ging Dr. Svenja Behrendt (Universität Konstanz) in ihrem Vortrag „Europäisierungstendenzen im Strafrecht – ein Problem der demokratischen Legitimation?“ auf die Entwicklung des Strafrechts in Europa ein. Zunächst verdeutlichte Dr.Behrendt, dass wir Menschen ein Bedürfnis nach einigermaßen stabilen Verhaltenserwartungen haben – ein Bedürfnis nach Ordnung. Dies werde durch die Festlegung gesollter Zustände vom Staat geschaffen. Dabei spiele das Strafrecht – so Dr.Behrendt – eine sehr wichtige Rolle. Das Strafrecht sei ein Mittel der nachdrücklichen Stabilisierung, wobei Strafe selbst nicht nur kommuniziert, dass das Verhalten der Täterin/des Täters gegen die an ihn gerichteten Verhaltenserwartungen läuft, sondern vor allem durch Einbuße an Geld und Freiheit eine bestimmte Form und Qualität annimmt. Da die Verhaltensfreiheit einer Person dadurch beeinträchtigt wird, stelle sich die Frage, ob dies grundrechtlich gerechtfertigt sei. Laut Dr. Behrendt sei eine Instrumentalisierung der Täterin/des Täters nur legitim, wenn das Verhaltensgebot erkennbar und die Sanktion verfassungsrechtlich gerechtfertigt sei. Festzustellen sei also, dass das Strafrecht durch Grundrechte überformt sei und es als Instrument zur Stabilisierung von Verhaltenserwartungen dient. Es sei festzuhalten, dass der Lissaboner Vertrag wohl eher ein nationales Verständnis von Strafrecht widerspiegelt, es jedoch einige Europäisierungstendenzen gibt. Dr.Behrendt resümiert, dass eine nationale Betrachtung des Strafrechts nicht mehr möglich sei und man einheitlicher denken müsse. Wie genau dies umgesetzt wird sei jedoch sehr komplex.

Zuletzt stellte RAin Dr. Lea Babucke in ihrem Vortrag „eEvidence – grenzenlose Beweiserhebung“ die im Juli 2023 veröffentlichte E-Evidence Verordnung vor. Die Abkürzung E-Evidence steht für electronic evidence und bezeichnet digitale Daten, die bei der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten verwendet werden. E-Evidence spielt heutzutage eine große Rolle, da elektronische Beweismittel in 85 % der Fälle herangezogen werden und sie in 65 % im Ausland liegen. Warum der Wunsch nach einer schnelleren Erlangung elektronischer Beweismittel groß ist, erörterte Dr. Babucke anhand des heutigen status quo. Sind die begehrten Daten im Ausland gespeichert besteht kein direkter Zugriff, da die Territorialität und Souveränität ausländischer Staaten im Wege stehe. Daher bestehe die Notwendigkeit eines Rechtshilfeersuchens. Das Rechtshilfeverfahren bringe jedoch erhebliche Nachteile mit sich, da nicht nur ein hoher Zeitaufwand durch Zwischenschaltungen von Behörden erforderlich sei, sondern auch ein umfangreicher Katalog an Versagungsgründen besteht. Der Wunsch der Strafermittlung sei eindeutig: Ein unmittelbarer Zugriff auf Dienstanbieter im Ausland, kein Gebot der Rücksichtnahme auf Behörden und vor allem keine umständlichen Zulässigkeitsprüfungen. Die USA hat dies bereits 2018 in dem sog. „CLOUD Act“ umgesetzt. Die Entstehung der E-Evidence Verordnung in der EU zog sich jedoch etwas länger hinaus. Bereits seit 2016  – erstmals nach den Terroranschlägen in Brüssel – wird gefordert, einen besseren Zugang zu elektronischen Beweismitteln zu schaffen. Nach mehreren Beratungen und Vorschlägen wurde die E-Evidence-Verordnung am 28. Juli 2023 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Diese soll ab dem 18. August 2026 gelten und Dienstanbieter in der EU adressieren. Es wurden zwei neue Instrumente für grenzübergreifende Ermittlungen im Strafverfahren eingeführt: Die Europäische Herausgabeanordnung und die Europäische Sicherungsanordnung. Eine von vielen Bestimmungen sei die Fristeinhaltung. Die Frist zur Herausgabe beträgt 10 Tage. Bei Nichteinhaltung ist eine finanzielle Sanktion von bis zu 2 % des im vorhergehenden Geschäftsjahr erzielten Jahresumsatzes angeordnet. Dr. Babucke erwähnte, dass obgleich die Verordnung erst 2026 in Kraft tritt, sollten Unternehmen bereits jetzt tätig werden, denn sie müssen Regelwerke für das Sichern und Herausgeben von Daten überprüfen und Ansprechpartner*innen im Unternehmen definieren, um die starren Fristen einhalten zu können.

IV. Panel „Welt“

Nach einer kurzen und geselligen Pause mit Kaffee und Kuchen begann schon das letzte Panel der Tagung. Das Panel „Welt“ moderierte Veranstalterin Prof.‘in Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy und behandelte globale Themen des Wirtschaftsstrafrechts.

Hierzu startete Dr. Hannah Ofterdinger (Universität Hamburg) mit dem Vortrag „Transnationaler Menschenrechtsschutz durch das Strafrecht – insb. anhand des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG)“. Zu Beginn verwies Dr.Ofterdinger auf das tragische Unglück in Bangladesch (Einsturz der Rana-Plaza Textilfabrik), bei dem etwa 1.100 Menschen ums Leben kamen und über 2.000 Menschen verletzt wurden. Eins von vielen Beispielen für die Notwendigkeit strengerer Menschenrechtsschutzmaßnahmen in Lieferketten. Sie hob die Bedeutung von Sorgfaltspflichten und Risikomanagement in Unternehmen hervor und diskutierte die rechtlichen Bedingungen und Herausforderungen. Das Ziel sei es, die Beeinträchtigung von Menschenrechten zu verbieten und beim Verstoß eine klare Verletzung festzustellen. Die Einhaltung dieser Pflichten solle durch die Unterzeichnung von Code of Conduct in Unternehmen und Lieferketten gewährleistet werden. Die operative Einhaltung der Sorgfaltspflichten liege im Verantwortungsbereich der Geschäftsführung. Da Unternehmen selbst bei einer Pflichtverletzung Adressat einer Geldbuße seien, betonte Dr.Ofterdinger die Wichtigkeit einer Risikoanalyse, insbesondere bei unmittelbaren Lieferanten. Außerdem seien Präventionsmaßnahmen bei Risikofeststellung notwendig. Unternehmen sollten ein Beschwerdeverfahren etablieren und ihre Maßnahmen dokumentieren und berichten. Dabei betonte Dr.Ofterdinger, dass die Einhaltung der Pflichten nicht zwangsläufig zum Erfolg führen müsse, vielmehr handele es sich um eine Bemühenspflicht. Auf die Frage, ob das LkSG menschenrechtsschützend sei, wurde eingeräumt, dass dieses Ziel mit diesem Gesetz zumindest verfolgt werden soll, um Risiken vorzubeugen oder zu minimieren und dadurch Menschenrechtsverletzungen insgesamt zu beenden. Nach dem Vortrag folgte die Frage „Wie setzen wir hier Strafrecht ein?“ von Prof.‘in Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy. Prof.‘in Dr.Schmitt-Leonardy ergänzte, dass im Referentenentwurf die zivilrechtliche Haftung ausgeschlossen und die Formulierung von Compliance Maßnahmen erforderlich sei. Die Zurechnung solle nicht durch vage Worte wie „angemessen und erforderlich“ ersetzt werden. Ihr Eindruck sei, dass Strafrecht nur symbolisch und als „Drohkulisse“ eingesetzt wird. Dr.Ofterdinger betonte, dass das Strafrecht keineswegs nur symbolisch eingesetzt wird, das Gesetz sei aber nicht logisch aufgebaut. Es gab das gesellschaftliche Bedürfnis nach einer Regelung, diese sei nun da und die Weiterentwicklung sei abzuwarten.

Nun ging JunProf. Dr. Aziz Epik, LL.M (Universität Hamburg) in seinem Vortrag „Verantwortlichkeit von Unternehmen für Völkerrechtsverbrechen – Ansätze und Herausforderungen eines Wirtschaftsvölkerstrafrechts“ auf die alte Bekanntschaft von Wirtschaftsunternehmen zu Völkerrechtsverbrechen ein. Einleitend führte JunProf. Dr. Epik in den Begriff „Wirtschaftsvölkerstrafrecht“ ein. Wirtschaftsvölkerstrafrecht meine nicht den Schutz wirtschaftsbezogener Rechtsgüter. Vielmehr schütze das Wirtschaftsvölkerstrafrecht die Schutzgüter des Völkerstrafrechts Frieden, Sicherheit, Wohl der Welt und den Menschenrechtsschutz. Wirtschaftsunternehmen können in vielerlei Hinsicht in Völkerverbrechen verstrickt sein, so JunProf. Dr. Epik. Unternehmen können Geschäftsbeziehungen zu Diktaturen aufbauen, Waffen und kriegswichtige Materialien liefern, private oder staatliche Sicherheitskräfte einsetzen oder natürliche Ressourcen ausbeuten. Frankreich und Schweden  zeigten bereits in den Verfahren „Lafarge“ und „Lundin Energy“, dass Wirtschaftsunternehmen Beziehungen zu Völkerrechtsverbrechen haben können. Obwohl derart schwerwiegende Völkerrechtsverbrechen keine Seltenheit sind, sei die Verfolgungspraxis eher zurückhaltend. Die Ursache für die zurückhaltende Verfolgungspraxis sei Art. 25 des IStGH-Statuts, wonach der Internationale Strafgerichtshof nur für natürliche Personen zuständig ist. JunProf. Dr. Epik thematisierte zwei Lösungsansätze, um die Verfolgungspraxis hinsichtlich unternehmerischer Verstrickungen zu Völkerrechtsverbrechen zu erleichtern. Völkerrechtliches Verbandsstrafrecht oder eine individualstrafrechtliche Vorgesetztenverantwortlichkeit. Obwohl eine Vorgesetztenverantwortlichkeit einige Herausforderungen bezüglich der Zurechnung mit sich bringe, sei eine Vorgesetzenverantwortlichkeit die bessere Lösung als Verbandsstrafrecht. JunProf. Dr. Epik schlug vor, Art. 28 IStGH zu verschärfen und individualstrafrechtliche Verfolgung der Vorgesetzen zu ermöglichen. JunProf. Dr. Epik erwähnte jedoch, dass sich die abgeschlossenen Verfahren an einer Hand abzählen ließen. Demzufolge müsse man sich, trotz des Änderungsbedarf, noch gedulden bis sich in der Hinsicht etwas ändert.

Das Panel „Welt“ beendete RAin Anna Coenen mit ihrem Vortrag „Endstation Ärmelkanal – Die strafrechtliche Einziehung und ihre Sicherung nach dem Brexit“, indem sie das sog. „Trade and Cooperation Agreement“ (TCA) thematisierte. Das EU-UK Trade and Cooperation Agreement ist seit dem 1. Januar 2021 vorläufig anwendbar und regelt die Zusammenarbeit der Polizei und Justiz in strafrechtlichen Angelegenheiten. Das TCA bestimmt unter anderem den Daten- und Informationsaustausch, die Sicherstellung und den Austausch und die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusbekämpfung. Worüber Coenen aufklärte, war die Sicherung und Einziehung nach dem TCA. Das TCA zeige, dass eine Verpflichtung zur größtmöglichen Unterstützung und Zusammenarbeit in Ermittlungen bestehe. Maßgeblich sei dabei immer das Recht des ersuchten Staates. Mögliche Maßnahmen des ersuchten Staates können beispielsweise das Auskunftsersuchen zu Bankkonten, Spontaninformationen, Sicherstellung und Beschlagnahmen sein. Coenen erklärte, dass jeder Staat eine zentrale Behörde benenne, welche für die Zusammenarbeit zuständig sei. Dabei sei stets die Amtssprache des ersuchten Staates und die Schriftform einzuhalten, wobei dies bei Gefahr im Verzug nicht gelte. Auch wenn dies sehr vielversprechend klingt, bringe es in der Praxis erhebliche Hürden mit sich, so Coenen. Der Vorschlag sei, EU-Richtlinien über die Abschöpfung und Einziehung von Vermögenswerten zu schaffen. Coenen stellte fest, dass eine Entwicklung zu sehen sei, sich jedoch nicht wirklich viel im Verfahren geändert habe, obwohl die Zusammenarbeit innerhalb der EU und grenzüberschreitenden Ermittlungen zunehme.

Nach Schlussworten der Veranstalter*innen ging es auch schon zum abschließenden Umtrunk, bei dem die Referent*innen und Teilnehmer*innen die diesjährige Tagung „Junges Wirtschaftsstrafrecht 5.0 – In 80 Tagen um die Welt“ ausklingen ließen.

Autorinnen und Autoren

  • Lisa Grabowski
    Lisa Grabowski ist Studentische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung von Prof.'in Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy an der Universität Bielefeld.
  • Damra Sahin
    Damra Sahin ist Studentischer Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und interdisziplinäre Rechtsforschung von Prof.‘in Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy an der Universität Bielefeld.

WiJ

  • Dr. Simon Ulc , Marc Neuhaus

    Übernahme von Kosten für Verteidiger und Zeugenbeistände – eine Praxisübersicht

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Dr. Ricarda Schelzke

    BGH, Urteil vom 6. März 2024 – 1 StR 308/23

    Individual- und Unternehmenssanktionen

  • Dr. Marius Haak , Joshua Pawel LL.M.

    Umweltkriminalität im Visier der EU – Richtlinie zum strafrechtlichen Schutz der Umwelt vom Rat beschlossen

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung