Error in AWR – Strafbestimmungen und ihre Irrtumskonstellationen in außenwirtschaftsrechtlichen Sachverhalten
A. Einleitung
Im Allgemeinen regelt das Außenwirtschaftsrecht den grenzüberschreitenden Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehr der Bundesrepublik Deutschland. Oberstes Ziel ist dabei die Sicherung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit unter besonderer Berücksichtigung der sicherheits-, außen-, wirtschafts- und handelspolitischen Belange.[1] Als Abweichung vom Prinzip des freien Außenwirtschaftsverkehrs (§ 1 Abs. 1 S. 1 AWG), sind daher diejenigen Vorschriften für das Außenwirtschaftsrecht von besonderer Bedeutung, die Verbote und Genehmigungspflichten oder -vorbehalte für den Warenverkehr aus Gründen eines übergeordneten staatlichen Interesses statuieren (§§ 4 ff. AWG). Die herausgehobene Stellung ebendieser Bestimmungen wird auch dadurch deutlich, dass ihre Missachtung, neben sonstigen Folgen wie z. B. dem Widerruf bestehender Genehmigungen oder dem Ausschluss aus zukünftigen Vergabeverfahren, auch in Gestalt der §§ 17 ff. AWG gewichtige strafrechtliche Konsequenzen nach sich zieht.
Dieses eigenständige strafrechtliche Sondergebiet, das auch als Außenwirtschaftsstrafrecht bezeichnet wird, bildet den zentralen Gegenstand des vorliegenden Beitrags. Neben der allgemeinen Einführung in die Straftatbestände des AWG und ihre Anforderungen soll die folgende Abhandlung auch dazu dienen, das durchaus unliebsame, aber für die außenwirtschaftsrechtliche Praxis äußerst bedeutende Themenfeld der Irrtümer näher zu beleuchten. Hierzu werden zunächst summarisch die außenwirtschaftsrechtlichen Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten der §§ 17 ff. AWG vorgestellt. Anschließend wird auf die spezifischen Anforderungen der Verwirklichung des objektiven und des subjektiven Tatbestandes dieser Normen eingegangen. Nachdem durch diese Ausführungen die erforderlichen Grundlagen geschaffen wurden, wird sich dem Kernthema dieses Beitrages – den verschiedenen Irrtums- und irrtumsnahen Konstellationen in der außenwirtschaftsrechtlichen Praxis – gewidmet. Den Schlusspunkt des Aufsatzes setzt eine Zusammenfassung.
B. Außenwirtschaftsrechtliche Straftatbestände und Ordnungswidrigkeiten
Um die Einhaltung der in § 4 Abs. 1 AWG genannten Maßgaben sicherzustellen, beinhaltet das Außenwirtschaftsrecht besondere Strafvorschriften.[2] Diese sind den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen unterworfen. Hierzu zählt neben den originären Straftatbeständen in §§ 17 und 18 AWG auch § 19 AWG, der verschiedene Ordnungswidrigkeitstatbestände umfasst. Während § 17 AWG Verstöße gegen bestehende Waffenembargos unter Strafe stellt, pönalisiert § 18 AWG Verstöße gegen materielle Verbote und Genehmigungspflichten. Regelmäßig von praktischer Relevanz im Rahmen der genannten Vorschriften ist insbesondere der § 18 Abs. 1 AWG, der Verstöße gegen die Ausfuhr-, Einfuhr-, Durchfuhr- und sonstigen Verbote und Genehmigungspflichten aus länderspezifischen Embargovorschriften, die durch unmittelbar geltende Rechtsakte der EU verhängt wurden, ahndet sowie der § 18 Abs. 5 AWG, der Verstöße gegen die Dual-Use-Verordnung unter Strafe stellt. Im Zusammenhang mit § 18 AWG gilt stets zu beachten, dass sich gemäß § 18 Abs. 7 und Abs. 8 der Strafrahmen für die in § 18 genannten Taten beträchtlich erhöhen kann. So erhöht sich die angedrohte Freiheitsstrafe z. B. bei gewerbsmäßigen Ausfuhren entgegen der Dual-Use-Verordnung auf mindestens ein Jahr. Die Beratungspraxis zeigt, dass die Strafverfolgungsbehörden Ausfuhren von Unternehmen häufig als gewerbsmäßig qualifizieren.
All den genannten Bestimmungen ist gemein, dass sie nach ihrem Wortlaut und ihrer Konzeption Verstöße gegen Normen sanktionieren, die außerhalb des AWG liegen. Sie statuieren zwar bestimmte Rechtsfolgen, beschreiben aber nicht umfassend das eigentlich strafbare Verhalten.[3] Dieses wird erst zusammen mit den entsprechenden nationalen, europäischen oder völkerrechtlichen Vorschriften erkennbar. Es handelt sich bei den §§ 17, 18 und 19 AWG mithin um sog. verwaltungsakzessorische Blanketttatbestände.[4] Eine Bewertung der Strafbarkeit erfordert insofern stets eine Prüfung der entsprechenden Ausfüllungsvorschriften.[5]
Ungeachtet dieser strukturellen Gemeinsamkeiten weisen die genannten Regelungen indes auch einen zentralen Unterschied auf, der hinsichtlich der hier zu behandelnden Irrtumsproblematik nicht unerwähnt bleiben soll. Anders als in §§ 17 und 18 AWG ist bei den in § 19 AWG normierten Tatbeständen keine ausdrückliche Versuchsstrafbarkeit vorgesehen. Damit ist das irrtumsnahe Rechtsinstitut des untauglichen Versuchs in diesen Fällen zwangsläufig ausgeschlossen. Im Vergleich zu § 19 AWG weisen damit §§ 17 und 18 AWG eine spürbar höhere Relevanz für Irrtums- bzw. irrtumsähnliche Konstellationen auf. Schwierige Fragen der Abgrenzung von Wahndelikt und untauglichem Versuch scheiden mithin in diesem Rahmen von vornherein aus.
C. Anforderungen an die Verwirklichung des Tatbestandes außenwirtschaftsrechtlicher Strafbestimmungen
Innerhalb des objektiven Tatbestandes müssen die gängigen strafrechtlichen Tatbestandsmerkmale, also der tatbestandliche Erfolg, die Handlung, die Kausalität und die objektive Zurechnung gegeben sein. Entscheidend ist demnach das tatsächliche Verhalten einer Person und die Frage, ob dieses eine strafbarkeitsbegründende Wirkung entfalten kann.
So erfordert beispielsweise § 18 Abs. 5 Nr. 1 AWG, dass die handelnde Person ohne Genehmigung nach Art. 3 Abs. 1 oder Art. 4 Abs. 1 der Dual-Use-Verordnung (Verordnung (EU) 2021/821) ein Dual-Use-Gut ausführt. Voraussetzung für die Strafbarkeit der vollendeten Handlung ist folglich, dass das ausgeführte Gut ein Dual-Use-Gut ist, also ein Gut, das für einen militärischen und zivilen Verwendungszweck geeignet ist, und es entweder in Anhang I der Dual-Use-Verordnung gelistet oder für eine kritische Endverwendung bestimmt ist. Ob dies zutrifft, ist rein tatsächlich zu beurteilen. Gänzlich irrelevant für den objektiven Tatbestand ist, ob der Ausführer von der Dual-Use-Eigenschaft des Gutes wusste oder ob zu diesem Zeitpunkt eine dokumentierte Erklärung des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), z. B. in Form einer Auskunft zur Güterliste vorlag.[6]
Für den subjektiven Tatbestand sind die inneren Gegebenheiten bzw. ist die Vorstellung des Täters hingegen maßgeblich. Insoweit verlangen die Strafvorschriften des AWG sowie ihre Qualifikationen regelmäßig Vorsatz (vgl. § 15 StGB) im Sinne eines Wissens und Wollens der Tatbestandsverwirklichung, wobei an diesen keine besonderen Anforderungen zu stellen sind und daher auch bedingter Vorsatz ausreicht.[7] Fahrlässige Verstöße sind grundsätzlich nur als Ordnungswidrigkeiten gemäß § 19 AWG zu bewerten.[8] Für die Bestimmung des Vorsatzes, kommt es auf den Zeitpunkt der Tatbegehung, d. h. auf den Zeitpunkt des objektiv strafbewährten Verhaltens an (vgl. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB).[9] Dieser muss sich auf die Gesamtheit der sanktionierten Handlung, also alle Tatbestandsmerkmale des objektiven Tatbestandes, erstrecken.[10] Andere Elemente der subjektiven Vorstellungswelt des Täters wie etwaige der Tathandlung vorangegangene Gedanken oder nachgelagerte Erwägungen spielen damit für die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes keine Rolle.[11]
D. Irrtumskonstellationen und irrtumsnahe Konstellationen in der außenwirtschaftsrechtlichen Praxis
Von hoher Bedeutung in der außenwirtschaftsrechtlichen Praxis sind Irrtumskonstellationen und irrtumsnahe Konstellationen. Diese sind insbesondere in Anbetracht der potenziell weitreichenden Auswirkungen eines Irrtums auf die Strafbarkeit einer Person äußerst brisant. Wer sich mit Anhang I der Dual-Use-Verordnung oder Anhang VII der Verordnung (EU) 833/2014 (Russland-Verordnung) auseinandergesetzt hat, kann sicherlich nachvollziehen, warum viele Wirtschaftsteilnehmer ihre Produkte nicht zweifelsfrei darunter subsumieren können. Die Fülle an gelisteten Gütern unter teilweiser Verwendung technisch veralteter Begriffe und die ständige Erweiterung der Listen machen die Prüfung überaus schwierig. Noch dazu können, wie in vielen anderen Bereichen auch, die Experten bei der technischen Prüfung z. B. aufgrund von unterschiedlichen Messmethoden zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Auslegung einzelner technischer Parameter bleibt daher oftmals, mangels klarer Definitionen in den Verordnungen, eben das – eine Auslegung.
Vor diesem Hintergrund sind Irrtümer im Außenwirtschaftsstrafrecht an der Tagesordnung. Die Abgrenzung von Tatbestands- und Verbotsirrtümern gemäß §§ 16 und 17 StGB bereitet dabei besonders häufig Probleme. So verhält es sich auch mit den Konstellationen des untauglichen Versuchs und des Wahndeliktes. Wegen ihrer unterschiedlichen Rechtsfolgen ist eine klare Subsumtion jedoch unerlässlich. Nachfolgend soll deshalb auf die genannten Konstellationen eingegangen werden. Hierzu werden zunächst die rechtlichen Grundkonzeptionen des Tatbestands- und Verbotsirrtums sowie des untauglichen Versuchs und des Wahndelikts unter Bezugnahme auf das Außenwirtschaftsrecht erläutert. Sodann wird auf die jeweiligen Abgrenzungsfragen der Rechtsinstitute im außenwirtschaftsstrafrechtlichen Kontext eingegangen und mithilfe von Beispielsfällen aus der Praxis veranschaulicht.
I. Irrtumskonstellationen
1. Tatbestandsirrtum
Ein Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB liegt vor, wenn der Täter bei der Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört. Er wird somit dann angenommen, wenn der Täter entweder keine Vorstellung von einem Tatumstand (Unkenntnis) oder eine falsche Vorstellung (Fehlvorstellung) von diesem hat.[12] Der gesetzliche Tatbestand i. S. d. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB umfasst die objektiven Tatbestandsmerkmale einer Strafvorschrift sowie solche Merkmale, wie die Kausalität und die objektive Zurechnung, die sich aus den Lehren des allgemeinen Teils ergeben.[13] Der Tatbestandsirrtum hat zur Folge, dass nach § 16 Abs. 1 S. 1 StGB der Vorsatz und damit die Strafbarkeit bei Vorsatzdelikten ausgeschlossen ist.[14] Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tatbegehung bleibt jedoch unberührt (§ 16 Abs. 1 S. 2 StGB). Im außenwirtschaftsrechtlichen Kontext ist ein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum z. B. dann gegeben, wenn eine Person nach einem Ransomware-Angriff das geforderte Geld an einen Erpresser zahlt, ohne dessen Identität zu kennen, obwohl diesem aufgrund von EU-Sanktionen keine Vermögenswerte zur Verfügung gestellt werden dürfen. Anders verhält es sich, wenn der Zahlende die Identität des Erpressers kennt, sich jedoch über die genauen sanktionsrechtlichen Verbote im Unklaren ist.[15]
2. Verbotsirrtum
Nicht minder häufig ist in der Praxis dem Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB zu begegnen. Dieser liegt vor, wenn dem Täter bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun und ein solcher Irrtum nicht vermieden werden konnte. Rechtsfolge des Verbotsirrtums ist die Schuldlosigkeit und damit auch die Straffreiheit des Täters.[16] Ein Verbotsirrtum ist beispielsweise dann gegeben, wenn eine Person Geld an einen ihr bekannten, aber sanktionierten Empfänger zahlt, ohne Kenntnis von dessen Sanktionierung zu haben. In diesem Fall lässt die Unkenntnis den Vorsatz unberührt, da es sich hier lediglich um einen Irrtum über die Reichweite einer Ausfüllungsnorm handelt, auf die ein Blankettstraftatbestand verweist.[17]
Dabei stellt sich im Außenwirtschaftsrecht häufig die Frage, ob ein solcher Verbotsirrtum auch vermeidbar ist. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Beantwortung der Frage der Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums im Außenwirtschaftsrecht mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Nach gefestigter Rechtsprechung ist ein Verbotsirrtum unvermeidbar, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens die Einsicht in das Unrechtmäßige seines Handelns nicht zu gewinnen vermochte.[18] Falls erforderlich, muss der Täter etwaig aufkommende Zweifel durch die Einholung eines verlässlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigen. Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus der Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben.[19]
Betrachtet man die aktuellen EU-Sanktionen gegen Russland, so kann man sich die Frage stellen, ob diese Herangehensweise in der außenwirtschaftsrechtlichen Praxis überhaupt noch tragbar ist. Viele der Vorschriften ändern sich in einem sehr kurzen Zeitabstand und haben einen unklaren Wortlaut. Des Weiteren widersprechen sich die – keinesfalls verbindlichen[20] –hilfestellenden Antworten zu den FAQs der Bundesregierung und der EU-Kommission häufig oder werden im Laufe der Zeit ohne weitere Ankündigung geändert. Zudem legen die Mitgliedstaaten die Vorschriften oftmals unterschiedlich aus. Auch bei der Einholung eines fachkundigen Rechtsrates kann eine falsche Auslegung daher nicht immer vermieden werden. Umso mehr überraschte eine neue Entscheidung des AG Frankfurt am Main[21], das einen in Deutschland lebenden kirgisischen Staatsangehörigen wegen Verstoßes gegen die Russlandsanktionen verurteilte, da dieser wegen einer umfangreichen Zahnbehandlung versuchte mit Bargeld in Höhe von EUR 11.000 nach Kaliningrad zu fliegen. Das Gericht ging davon aus, dass der Angeklagte „im Alltag erkennbar regen Umgang mit russischen Staatsangehörigen zu haben“ schien und ihm „– auch aufgrund der omnipräsenten Medienberichterstattung über das Kriegsgeschehen – schwerlich entgangen“ sein könne, dass erweiterte Sanktionsmaßnahmen gegen Russland beschlossen worden waren. Insofern soll der Verstoß für den Angeklagten vermeidbar gewesen sein.[22] Bei der Auslegung der maßgeblichen Sanktionsvorschrift stützte sich das AG Frankfurt selbst auf die rein englischsprachigen FAQs der Kommission. Es ist daher zu vermuten, dass das AG Frankfurt am Main der Auffassung war, der Angeklagte könne die regelmäßigen Änderungen der im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichten Sanktionsregelungen verfolgen und verstehen sowie sich der englischsprachigen FAQs der Kommission bedienen.
3. Abgrenzung zwischen Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum im Außenwirtschaftsrecht
Angesichts der Blankettnatur der §§ 17 ff. AWG ist gerade in außenwirtschaftsrechtlichen Sachverhalten die Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum herausfordernd. Zwar gilt auch hier der allgemeine Grundsatz, dass eine Verkennung der tatsächlichen Tatumstände als Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB und die falsche rechtliche Vorstellung in Form der Unkenntnis über ein strafrechtliches Verbot als Verbotsirrtum nach § 17 StGB zu qualifizieren ist. Diese klassische Abgrenzungsformel hilft bei Blankettvorschriften allerdings nur bedingt weiter. Problematisch ist bei derartigen Bestimmungen nämlich gerade zu definieren, welche Umstände überhaupt zum „gesetzlichen Tatbestand“ gehören.[23]
Nach einer Auffassung gehört bei Blanketttatbeständen die Ausfüllungsnorm zum Tatbestand, sodass beim Irrtum über ein Ge- oder Verbot der Ausfüllungsnorm die Tatbestandsseite betroffen ist und folglich stets ein Tatbestandsirrtum vorliegt. Sie beruht auf dem Verständnis, dass sich der Tatbestand eines Blanketts, welches auf ein anderes Gesetz verweist, aus der verweisenden „leeren“ Norm und dem Verweisungsobjekt zusammensetzt und beide zusammen den gesetzlichen Tatbestand bilden.[24] Der BGH stufte dagegen in verschiedenen Konstellationen den Irrtum über die inhaltliche Ausfüllung und Reichweite einer Blankettnorm als Verbotsirrtum ein.[25] Dies begründet er damit, dass § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vom „gesetzlichen Tatbestand“ spreche und sich der Vorsatz somit nicht auf ein Verbot beziehen könne.[26]
Folgt man dieser Auffassung des BGH würde dies bedeuten, dass für den Fall der Ausfuhr eines tatsächlich gelisteten Gutes i. S. d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 a) AWG, bei gleichzeitiger Unkenntnis über die entsprechende Listung des Gutes, kein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vorliegt. Ebenso verhält es sich in dem von § 18 Abs. 1 Nr. 1 a) AWG erfassten Fall, in welchem ein Ausführender eine sich auf der Embargoliste befindliche Person beliefert, weil er fälschlicherweise davon ausgeht, dass sich die entsprechende Person nicht auf der Embargoliste befindet.[27]
Speziell im Bereich des Außenwirtschaftsstrafrechts erfolgt nach der Rechtsprechung die Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum anhand des Wesens des Genehmigungserfordernisses der entsprechenden Normen.[28] Insofern hängt die Klassifizierung entscheidend von dem in der spezifischen Situation in Betracht kommenden gesetzlichen Tatbestand ab, wobei zwischen dem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt und dem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt unterschieden werden muss. Im typischen Falle der fehlenden Kenntnis über die Notwendigkeit einer außenwirtschaftsrechtlichen Genehmigung ist daher zu fragen, ob durch die Verbotsnorm ein allgemein erlaubtes Verhalten lediglich in seiner Ausübung kontrolliert werden soll und damit die Tat ihren Unrechtsgehalt erst aus dem Fehlen der Genehmigung herleitet – dann liegt ein Tatbestandsirrtum vor – oder ob ein Verhalten grundsätzlich untersagt ist und nur im Einzelfall gestattet werden kann – dann ist ein Verbotsirrtum gegeben.[29] Auf dieser Grundlage hat der BGH in einem Fall entschieden, dass die irrige Vorstellung, die Schutzzonen im Nordirak seien nicht vom Irak-Embargo erfasst, einen Subsumtionsirrtum darstellt, der als Verbotsirrtum nach § 17 StGB einzustufen ist. Denn trotz der grundlegenden Kenntnis vom Bestehen des Embargos, verengte der Angeklagte infolge falscher Auslegung dessen räumlichen Geltungsbereich und verkannte, dass auch Zahlungen aus vorhandenen Guthaben im Nordirak als rechtswidrige Zahlungen in das Embargogebiet anzusehen sind.[30]
II. Irrtumsnahe Konstellationen
1. Untauglicher Versuch
Da es sich bei den Tatbeständen der §§ 17 und 18 AWG regelmäßig um Verbrechen handelt (vgl. § 12 Abs. 1 StGB) bzw. die Vergehen der § 18 Abs. 1 bis 5 oder 5b AWG gemäß § 18 Abs. 6 AWG der Versuchsstrafbarkeit unterliegen, kann auch der untaugliche Versuch im Außenwirtschaftsstrafrecht Bedeutung erlangen. Ein solcher ist gegeben, wenn bereits zum Zeitpunkt des Tatbeginns objektiv feststand, dass die Handlung des Täters wegen der Untauglichkeit des Tatobjekts, -mittels oder -subjekts nicht geeignet ist, den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen.[31] Insofern gestaltet sich die Situation gewissermaßen umgekehrt zum Tatbestandsirrtum gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB.[32] Während dort der Täter objektiv gegebene Tatumstände nicht kennt, hält der „untauglich versuchende Täter“ objektiv nicht existente Umstände fälschlicherweise für gegeben. So handelt es sich etwa um einen untauglichen Versuch, wenn eine Person ein – nach ihrer subjektiven Einschätzung – gelistetes Gut ausführen wollte, welches objektiv gar keiner Listung unterliegt. Der untaugliche Versuch ist nach ganz herrschender Meinung nicht straffrei, sondern wird nach den allgemeinen Versuchsregeln bestraft.[33]
2. Wahndelikt
Insbesondere wegen des für Laien nur schwer zu begreifenden Inhalts der außenwirtschaftsrechtlichen Strafvorschriften, sind auch Fälle, die das Wahndelikt zum Gegenstand haben, fester Bestandteil der außenwirtschaftsrechtlichen Beratungspraxis. Ein Wahndelikt ist dadurch gekennzeichnet, dass der „Täter“ irrig davon ausgeht, sein Verhalten verstoße gegen eine Strafnorm, die entweder überhaupt nicht existiert oder die er zu seinen Ungunsten überdehnt.[34] Im Gegensatz zum ähnlich gelagerten untauglichen Versuch (zur genauen Abgrenzung siehe sogleich), hat das Wahndelikt die vollständige Straffreiheit zur Folge.[35] Erforderlich für die Strafbarkeit ist hiernach stets ein materielles strafrechtliches Verbot, welches sich der Täter durch seine fehlerhafte Vorstellung nicht selbst schaffen kann. Geht also ein Händler irrtümlich davon aus, er dürfe keine Stofftiere in ein Drittland ausführen und tut dies trotzdem, muss er keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten.
3. Abgrenzung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt im Außenwirtschaftsrecht
Wie die Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum, kann auch einer der dogmatischen Dauerbrenner des Allgemeinen Teils des Strafrechts, die Abgrenzung des untauglichen Versuchs vom Wahndelikt, im außenwirtschaftsstrafrechtlichen Kontext Relevanz entfalten. Dies gilt wie unter B. dargestellt jedenfalls in Hinblick auf die §§ 17 und 18 AWG. Für die Praxis ist die Abgrenzung deshalb von überragender Wichtigkeit, weil von ihr abhängt, ob ein Täter nach den allgemeinen Versuchsgrundsätzen bestraft wird oder in den Genuss der Straflosigkeit kommt.
Da in vielen Fällen die Unterscheidung von untauglichem Versuch und Wahndelikt nicht trennscharf möglich ist, haben sich in der Rechtswissenschaft diverse Methoden herausgebildet, um diese Unterscheidung zu erleichtern. Im Außenwirtschaftsstrafrecht erweist sich die von der Rechtsprechung und vom überwiegenden Teil der Literatur angewendete Umkehrung der Unterscheidung von Tatbestands- und Verbotsirrtum als tauglich. Hiernach gilt: Wer irrig Umstände annimmt, die bei tatsächlichem Vorliegen den objektiven Tatbestand erfüllen würden, begeht einen strafbaren untauglichen Versuch (Umkehrung des § 16 Abs. 1 S. 1 StGB). Wer hingegen den Sachverhalt richtig erfasst, dabei jedoch ein objektives Tatbestandsmerkmal zu seinen Lasten überdehnt, begeht ein strafloses Wahndelikt (Umkehrung des § 17 StGB). Geht also ein Ausführer irrtümlich davon aus, dass seine Tennisbälle den Wert von EUR 300 übersteigen und somit deren Ausfuhr nach Russland verboten ist, macht er sich des untauglichen Versuchs strafbar, da in Wahrheit die Ausfuhr von Polobällen im Wert von EUR 300 nach Russland verboten ist. Glaubt dagegen der Ausführer, dass die Lieferung von Tennisbällen nach Russland auch dann verboten ist, wenn diese weniger als EUR 300 wert sind, begeht er ein strafloses Wahndelikt, da die Luxusgüterliste nach den Russlandsanktionen eine Wertgrenze von EUR 300 (mit wenigen Ausnahmen) setzt. Zum gleichen Ergebnis kommt man auch dann, wenn eine Person ein gelistetes Gut wissentlich ohne Genehmigung ausführt, dabei wegen einer unrichtigen Erfassung eines Ausnahmetatbestandes aber verkennt, dass die Ausfuhr in Wirklichkeit von der Genehmigungspflicht befreit ist. In einer solchen Situation liegt gerade kein untauglicher Versuch des § 18 Abs. 1 Nr. 2 a) AWG vor, sondern lediglich ein strafloses Wahndelikt.
E. Zusammenfassung
Gerade das Außenwirtschaftsrecht ist durch die untypische und komplizierte Ausgestaltung seiner Strafvorschriften in der praktischen Handhabung mit einigen Tücken verbunden. Zwar entsprechen die Anforderungen an die Verwicklung des objektiven und subjektiven Tatbestandes der Bestimmungen den allgemeinen strafrechtlichen Maßstäben, allerdings sind die häufig anzutreffenden Irrtums- und irrtumsnahen Sachverhalte im Vergleich zu weniger exotischen Strafrechtsgebieten überaus diffizil. Da vieles in diesem Bereich noch ungeklärt und nach wie vor äußerst umstritten ist, ist hinsichtlich schematischer Lösungen äußerste Vorsicht geboten. Eine Würdigung des Einzelfalles ist damit für die konkrete Irrtumseinordnung und die Strafverteidigung unerlässlich.
Die Komplexität der nationalen Normen in Verbindung mit den sich ständig ändernden Blankettvorschriften, die ihrerseits vom EU-Gesetzgeber herausgegeben werden und die mangelnde Einigkeit bei der Auslegung vieler dort enthaltener Verbote unter den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der EU-Kommission, sorgen ferner dafür, dass man die aktuelle Rechtsprechung im Lichte des strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes durchaus hinterfragen könnte. Was die Strafverfolgungsbehörden anbelangt, so entsteht durch die Vielzahl der strafrechtlichen Ermittlungen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine der Eindruck, dass durch die Bestrafung von „Sündenböcken“ eine (nicht immer nachvollziehbare) harte Linie bei der Verfolgung von Sanktionsverstößen gefahren werden soll. Angesichts dieses Umstands und der Tatsache, dass vorsätzliche Sanktionsverstöße nach § 18 Abs. 1 AWG mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren belegt sind, ist gerade in Zweifelsfällen das Einholen fachlicher Expertise dringend geboten.
[1] Vgl. Pelz, in: Hocke/Sachs/Pelz, AWR, 3. Aufl. 2024, Einführung Rn. 7 f.; vgl. Generalzolldirektion, Allgemeine Information zum Außenwirtschaftsrecht, https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/Aussenwirtschaft-Bargeldverkehr/einleitung_hintergrund.html?faqCalledDoc=303828&faqCalledDoc=303828, zuletzt abgerufen am 21.05.2024.
[2]Pelz, in: Hocke/Sachs/Pelz, AWR, 3. Aufl. 2024, Vor §§ 17 ff AWG Rn. 2; ähnlich Nestler NZWiSt 2015, 81, 89, die im Zusammenhang mit dem Schutzgut der §§ 17, 18 AWG auf § 4 Abs. 1 AWG verweist.
[3]Pelz, in: Hocke/Sachs/Pelz, AWR, 3. Aufl. 2024, Vor §§ 17 ff AWG Rn. 3.
[4] Vgl. Pelz, in: Hocke/Sachs/Pelz, AWR, 3. Aufl. 2024, Vor §§ 17 ff AWG Rn. 3 f.; vgl. auch Hoffmann, in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt (Hrsg.), Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, 24. Kap. Rn. 40; § 18 AWG als Blankettnorm bezeichnend OLG Oldenburg BeckRS 2021, 10047, Rn. 36.
[5] In diesem Sinne im Zusammenhang mit § 18 AWG, Pelz jurisPR-Compl 3/2021 Anm. 5.
[6] Zur Rechtsnatur der Auskunft zur Güterliste siehe VG Frankfurt BeckRS 2021, 17867, Rn. 14.
[7]Schwendinger, in: BeckOK AWR, 11. Ed. 01.02.2024, § 17 AWG Rn. 25.
[8]Hoffmann, in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt (Hrsg.), Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 5. Aufl. 2020, 24. Kap. Rn. 3; Morweiser, in: Wolffgang/Rogmann/Pietsch, AWR, 80. EL Dez. 2022, Vor §§ 17, 18 Rn. 150.
[9] BGH NStZ 2010, 503; BGH NStZ 2004, 201; Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl. 2023, § 15 Rn. 100.
[10]Sternberg-Lieben/Schuster, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 15 Rn. 16; Kudlich, in: BeckOK StGB, 60. Ed. 01.02.2024, § 15 Rn. 4.
[11] Vgl. Kudlich, in: BeckOK StGB, 60. Ed. 01.02.2024, § 15 Rn. 9.
[12]Kudlich, in: BeckOK StGB, 60. Ed. 01.02.2024, § 16 Rn. 4.
[13]Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. 2020, § 16 Rn. 68 f.; Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl. 2023, § 16 Rn. 6 ff.
[14] Statt vieler nur Kudlich, in: BeckOK StGB, 60. Ed. 01.02.2024, § 16 Rn. 5 und BGH NStZ 2006, 214, 217.
[15]Rückert GWuR 2021, 103 ff.
[16]Heuchemer, in: BeckOK StGB, 60. Ed. 01.02.2024, § 17 Rn. 45; Joecks/Kulhanek, in: MüKo-StGB, 4. Aufl. 2020, § 17 Rn. 78.
[17] BGH BeckRS 2013, 505, Rn. 3.
[18] Statt vieler nur BGH NStZ 2022, 30, 31 und BGH NJW-RR 2018, 1250, 1253.
[19] BGH BeckRS 2019, 38531, Rn. 21; BGH NStZ 2022, 30 f.; BGH NJW-RR 2018, 1250, 1253.
[20] EuGH RdTW 2022, 307, 313.
[21] AG Frankfurt am Main, Urt. v. 31.01.2023 – 943 Ds 7140 Js 235012/22.
[22] AG Frankfurt, Urt. v. 31.01.2023 – 943 Ds 7140.
[23]Cornelius, in: Graf/Jäger/Wittig (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 2024, Vorbemerkung AWG Rn. 98.
[24]Schwendinger, in: BeckOK AWR, 11. Ed. 01.02.2024, § 17 Rn. 32; Spoerr/Gäde CCZ 2016, 77, 81 f.; vgl. auch Puppe, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl. 2023, § 16 Rn. 18 m.w.N.
[25] BGH, Beschl. v. 23.08.2006 – 5 StR 105/106; BGH BeckRS 2013, 505, Rn. 3.
[26]Bülte JuS 2015, 769, 776.
[27] BGH BeckRS 2013, 505, Rn. 3; a.A. Pelz, in: Hocke/Sachs/Pelz, AWR, 3. Aufl. 2024, Vor §§ 17 ff AWG Rn. 52; Spoerr/Gäde CCZ 2016, 77, 82.
[28] Vgl. Morweiser, in: Wolffgang/Rogmann/Pietsch, 80. EL Dez. 2022, Vor §§ 17, 18 Rn. 154.
[29] BGH NStZ-RR 2003, 55, 56.
[30] BGH NStZ-RR 2003, 55 f.
[31]Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 22 Rn. 60.
[32]Engländer, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl. 2023, § 22 Rn. 101; Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 22 Rn. 69.
[33]Cornelius, in: BeckOK StGB, 60. Ed. 01.02.2024, § 22 Rn. 75; Eser/Bosch, in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 22 Rn. 60 f.
[34]Cornelius, in: BeckOK StGB, 60. Ed. 01.02.2024, § 22 Rn. 82.
[35]Engländer, in: Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Saliger, StGB, 6. Aufl. 2023, § 22 Rn. 101.