Herausgabe von Passwörtern zur Beschleunigung der Durchsicht von Datenträgern
– Entscheidungsanmerkung zu AG Hamburg, Beschluss vom 30. März 2023, Az: 162 Gs 2237/21
Das Amtsgericht Hamburg hatte in der vorliegenden Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Art und Weise, insb. dem zeitlichen Umfang der Durchsicht elektronischer Datenträger nach § 110 StPO zu entscheiden. In der Praxis ist dieser Punkt häufig ein Streitpunkt, der in Anbetracht der großzügigen Handhabe der Ermittlungsbehörden und Gerichte für Frustration sorgt. Das Amtsgericht entschied, dass die Durchsicht der Geräte in Anbetracht der dafür erforderlichen, angekündigten Zeitdauer rechtswidrig ist und der Beschuldigte zur Beschleunigung der Durchsicht durch die Herausgabe eines Passworts nicht mitwirken muss.
I. Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Rahmen einer Durchsuchung vom 01. November 2021 wegen des Verdachts der Geldwäsche nahmen Ermittlungsbeamte zwei Laptops sowie zwei Smartphones aus der Wohnung der Beschuldigten mit, um die Datenträger nach § 110 StPO durchzusehen. Am 04. Februar 2022 hatte das Amtsgericht Hamburg die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Sicherstellung der Datenträger richterlich bestätigt. Am 27. Juni 2022 hatte die Staatsanwaltschaft Hamburg das für die Sachbehandlung zuständige LKA gebeten, die Ermittlungen in der vorliegenden Sache abzuschließen, insbesondere eine Auswertung der Inhalte der sichergestellten Datenträger vorzunehmen. Bereits zuvor am 18. Mai 2022 wurden die Datenträger an die mit der technischen Auswertung befasste forensische Spezialabteilung des LKA weitergeleitet.
Am 14. September 2022 vermerkte das LKA, dass die „Bearbeitung der Laptops voraussichtlich im Juli 2023 und mit der Bearbeitung der Mobiltelefone voraussichtlich im Juli 2024 begonnen“ werde. Die Auswertung der Daten auf den elektronischen Datenträgern könnten hiernach „frühestens“ im Juli/August 2023 fortgesetzt werden. Die Staatsanwaltschaft informierte die Verteidigung hierüber und teilte mit, dass eine Beschleunigung leider nicht veranlasst werden könne. Es sei denn die Beschuldigte sei bereit, die entsprechenden Passwörter zu benennen. Die Verteidigung beantragte daraufhin für die Beschuldigte, im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung die Herausgabe der Geräte zu beschließen.
II. Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg
Den Antrag, die Herausgabe der Geräte zu beschließen, legte das Gericht zutreffender Weise dahingehend aus, dass nach §§ 110 Abs. 4, 98 Abs. 2 StPO eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Art und Weise der Durchsicht der sichergestellten Geräte begehrt wird.
Ebenso zutreffend hat das Amtsgericht auf den Antrag die Rechtswidrigkeit der Art und Weise der Durchsuchung festgestellt. Hierbei führt es zunächst aus, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert, dass die Ermittlungsbehörden im Falle einer Mitnahme zur Durchsicht zügig und in angemessener Zeit selektieren müssen, ob und ggf. welche der zur Durchsicht mitgenommenen Geräte dem Gericht für eine nachfolgende Beschlagnahmeanordnung vorzulegen sind. In Ermangelung normativer Vorgaben seien die Umstände des Einzelfalles maßgeblich.
Diese veranlassten das Amtsgericht Hamburg, die Art und Weise der Durchsicht als unverhältnismäßig zu bewerten. Denn die Ermittlungsbeamten nahmen die Geräte bereits siebzehn Monate vor dem Entscheidungszeitpunkt, nämlich am 01. November 2021, zur Durchsicht mit. Seitdem unterließen sie es, die dazu bereitstehenden Geräte durchzusehen. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Geräte nach dem Vermerk des LKA erst am 18. Mai 2022 – damit mehr als ein halbes Jahr später – zur technischen Auswertung an die Spezialabteilung weitergegeben wurden. Letztlich ausschlaggebend war jedoch der Umstand, dass auch nach dieser Zeit dem später auch nicht relativierten Vermerk des LKA zufolge prognostisch die Auswertung der Laptops frühestens zum Juli/August 2023 und der Handys erst zum Juli 2024 beginnen könne. Dieser Prognose lag auch nicht eine möglicherweise rechtfertigende besondere Schwierigkeit der konkreten Auswertung zugrunde. Vielmehr beruhte sie auf einem Mangel an personellen Ressourcen der Polizei, die bei der Rechtfertigung der Dauer der Durchsicht – wie vom BVerfG bereits mehrfach betont – keine Rolle spielen.
Die Begründung der Unverhältnismäßigkeit rundete das Amtsgericht Hamburg damit ab, dass auch der Vorschlag der Staatsanwaltschaft Hamburg, die Möglichkeit die Durchsicht durch Herausgabe der Passwörter der Geräte zu beschleunigen, bei dieser Einzelfallwürdigung der Art und Weise der Durchsicht kein zu berücksichtigender Umstand ist. Denn eine solche Mitwirkungspflicht kenne das deutsche Strafprozessrecht schon nicht.
III. Anmerkungen zur Entscheidung
Mit der Entscheidung geht das Amtsgericht auf zwei bislang in der Praxis häufig auftauchende und für Beschuldigte frustrierende Problemkreise der Durchsicht vorläufig sichergestellter Geräte ein. Es löst diese mit konsequenter Anwendung des zugrunde liegenden Strafprozessrechts und verdient daher vollste Zustimmung.
1. Zeitlicher Rahmen der Durchsicht nach § 110 StPO
Nach § 110 StPO können Beweismittel vorläufig zur Prüfung, ob sie beschlagnahmefähig oder zurückzugeben sind, sichergestellt und durchgesehen werden. Je nach Umfang der potentiellen Beweismittel – bei elektronisch gespeicherten Daten der Regelfall – können sie, wenn eine Aussonderung an Ort und Stelle nicht möglich ist, nach pflichtgemessen Ermessen der Staatsanwaltschaft mitgenommen oder kopiert und im Nachgang durchgesehen werden (BGH, Beschluss vom 05. August 2003 – 2 BJs 11/03-5 – StB 7/03, NStZ 2003, 670, 671; OLG Jena, Beschluss vom 20. November 2000 – 1 Ws 313/00, NJW 2001, 1290, 1293).
Der zeitliche Rahmen für diese Durchsicht ex situ ist weder gesetzlich konturiert noch kann sie richterlich im Wege einer Entscheidung nach §§ 110 Abs. 4, 98 Abs. 2 StPO im Anschluss an die Sicherstellung vorgegeben werden (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, NStZ 2021, 623). Obwohl die Durchsicht Bestandteil der Durchsuchung ist, gilt für sie nicht das vom BVerfG aufgestellte Zeitfenster von sechs Monaten zur Vollziehung von Durchsuchungsbeschlüssen (BVerfG, Beschluss vom 30. Januar 2002 – 2 BvR 2248/00, NStZ 2002, 377, 378). Die Grenze bildet lediglich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Aus ihm folgt, dass die Durchsicht zügig durchgeführt werden muss, um abhängig von der Menge des vorläufig sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu dem Ergebnis zu gelangen, was als potenziell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was an den Beschuldigten herausgegeben werden soll (BGH, Beschluss vom 05. August 2003 – 2 BJs 11/03-5 – StB 7/03, NStZ 2003, 670, 671; OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2021 – 5 Ws 16/21, NZWiSt 2021, 386, 389).
Die vorliegende Entscheidung reiht sich in diese Rechtsprechungsgrundsätze ein und zeigt, dass der Verhältnismäßigkeit der Durchsicht vor allem dann Grenzen gesetzt sind, wenn wie hier die Sichtung erst gar nicht zeitnah begonnen wird. Der immer wieder antreffenden Begründung, dass es am Personal zur zeitnahen Durchsicht fehle, hat das Amtsgericht auch hier einen klaren Riegel vorgeschoben. Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich in dieser Hinsicht um eine Extreme, die einer Verweigerung der Sichtung nahe kommt. In Fällen, in denen aufgrund der Ressourcenauslastung Datenträger nur eine kürzere Zeit liegen bleiben, wird die Unverhältnismäßigkeit der Durchsicht nicht sofort auf die Stirn geschrieben sein und die gerichtliche Schmerzensgrenze woanders liegen können.
Das entsprechende Case Law spiegelt eine große Streubreite der zeitlichen Grenze der Durchsicht wider (mit einer aufschlussreichen Aufstellung hierzu Reichling/Corsten, NStZ 2022, 712, 714). Bei der Anwendung des vom BGH im Jahr 1964 aufgestellten Grundsatzes, „daß vorläufige prozessuale Zwangsmaßnahmen nicht weit über ein Jahr hinaus andauern dürfen“ (BGH, Beschluss vom 04. August 1964 – 3 StB 12/63, Rn. 26, BGHSt 19, 374), wird man abwägen müssen, ob der technische Fortschritt bei der Durchsicht kürzeres oder die heutzutage anzutreffende Menge der vorläufig sichergestellten Daten und die Schwierigkeit der Auswertung anderes gebietet.
Letztlich ist zu beachten, dass die Entscheidung über die erforderliche Dauer in erster Linie dem Ermessen der Staatsanwaltschaft unterliegt und für die gerichtliche Überprüfung maßgeblich ist, von welchen Kriterien sie diese Entscheidung abhängig gemacht und hierbei die Grenzen ihres Ermessens überschritten hat (BVerfG, Beschluss vom 28. April 2003 – 2 BvR 358/03, NJW 2003, 2669, 2671; BGH, Beschluss vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, NStZ 2021, 623, 624). Dies ergibt sich vor allem aus entsprechenden Aktenvermerken der Staatsanwaltschaft. Die nachprüfenden Ermittlungsrichter legen diese – wie nicht nur der entscheidungsgegenständliche Fall zeigt – in der Regel ihrer Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde (Vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Mai 2021 – StB 21/21, NStZ 2021, 623). Insofern ist aus Sicht der Verteidigung auf entsprechende Veraktung der Gründe hinzuwirken.
2. Herausgabe von Passwörtern
Sofern die Staatsanwaltschaft hingewiesen hatte, dass die Durchsicht schneller erfolgen kann, wenn die Beschuldigte die Passwörter mitteilt und die Geräte nicht erst noch „geknackt“ werden müssen, ist dies technisch richtig, rechtlich jedoch bei der Feststellung der Verhältnismäßigkeit der Dauer der Durchsicht nicht zu berücksichtigen. Ebenso könnte der Beschuldigte theoretisch sofort Auskunft darüber geben, welche Daten für das Verfahren relevant und für die Staatsanwaltschaft relevant sind, um die Durchsicht abzukürzen. Für die Überprüfung der Dauer der Durchsicht spielt dies ebenfalls keine Rolle.
Beiden Fällen ist gleich, dass der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ gilt. Beschuldigte sind weder dazu verpflichtet noch dürfen sie dazu gezwungen werden, sich selbst zu belasten oder an der Aufklärung der Tat mitzuwirken. Nach dem BVerfG ist dies Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Abs. 3 GG und der Achtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, da ein Beschuldigter Verfahrensbeteiligter und nicht bloßes Objekt des Verfahrens ist. Einfachgesetzlich wird der Grundsatz u. a. in den §§ 136 Abs. 1 S. 2, 136a Abs. 1, 243 Abs. 5 S. 1 StPO vorausgesetzt und auch aus Art. 6 EMRK entnommen.
Wie das Amtsgericht richtig hervorhebt, unterliegen auch Passwörter zu sichergestellten Geräten der Selbstbelastungsfreiheit. Dies gilt unabhängig davon, ob sich auf dem Gerät tatsächlich belastende Beweismittel befinden oder nicht. Denn maßgeblich ist allein, dass der Beschuldigte aktiv an der Tataufklärung durch Entschlüsselung des sichergestellten Geräts mitwirkt. Dies scheint auf den ersten Blick auf der Hand zu liegen, ist aber – wie andere europäische Jurisdiktionen zeigen – keine Selbstverständlichkeit.
So sehen (nicht nur) das britische und französische Recht die Möglichkeit vor, dass Personen unter Androhung u. a. von Haft zur Entschlüsselung durch Passworteingabe oder zur Passwortherausgabe angewiesen werden können (hierzu auch Franck, RDV 2013, 287, 288; Gercke, MMR 2008, 291, 298). Einen Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit oder den fair-trial-Grundsatz aus Art. 6 EMRK hatte das Supreme Court (England und Wales) hierin nicht gesehen (R v S & Anor [2008] EWCA Crim 2177 vom 09. Oktober 2008). Denn das Passwort sei als bloßer Schlüssel selbst nicht belastend, sondern lediglich die verschlüsselten Daten. Zudem vergleicht der Supreme Court das Passwort und die dadurch geschützten Daten mit Blut-, Urin- und Gewebeproben, die unabhängig vom Willen des Beschuldigten existieren.
Zwar stellte auch der EGMR fest, dass Beweismaterial, das vom Beschuldigten durch Zwang gewonnen werden kann, aber unabhängig vom Willen des Betroffenen vorhanden ist (z. B. Schriftstücke, die auf Grund einer Beschlagnahme erlangt werden, Proben von Atemluft, Blut, Urin, Haaren und Körpergewebe zu Zwecken von DNA-Analysen) nicht der Selbstbelastungsfreiheit unterliegt (EGMR (Große Kammer), Urteil vom 11. 7. 2006 – 54810/00Jalloh/Deutschland, NJW 2006, 3117, 3123). Für Passwörter wird man dies hingegen ebenfalls nur bei einer entsprechenden gesonderten Dokumentation des Passworts annehmen können (LG Trier, Beschluss vom 16. Oktober 2003 – 5 Qs 133/03, NJW 2004, 869, Greven, in: KK-StPO, § 94, Rn. 4c).
Hieraus folgt konsequent, dass ein „Angebot“ zur Beschleunigung der Durchsicht durch Herausgabe des Passworts nicht bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist. Anstelle eines solchen Angebots wird die Staatsanwaltschaft den gleichen Gedanken jedoch dahingehend verpacken können, dass die noch andauernde Durchsicht der Entschlüsselung des Geräts und damit der Schwierigkeit der Auswertung – aufgrund des Passwortschutzes des Geräts – geschuldet ist (BGH, Beschluss vom 05. August 2003 – 2 BJs 11/03-5 – StB 7/03, NStZ 2003, 670, 671; OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2021 – 5 Ws 16/21, NZWiSt 2021, 386, 389; Hausschild, in MüKo, § 110 StPO, Rn. 10). Eine solche Begründung würde allerdings voraussetzen, dass eine Auswertung – anders als im entscheidungsgegenständlichen Fall – bereits begonnen hat oder zügig begonnen werden soll.