Vergabe des WisteV-Preises 2023
Laudatio im Rahmen der Tagung „Junges Wirtschaftsstrafrecht 6.0 – die Klimakrise und das Wirtschaftsstrafrecht” am 11.10.2024
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,
es ist mir eine besondere Freude, heute im Namen des Vorstands der wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung die Laudatio anlässlich der Verleihung des WisteV-Preises 2023 an Frau Dr. Merve Yolacan halten zu dürfen.
Frau Yolacan erhält den Preis für die Arbeit:
„Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft“
Den Fans des Jungen Wirtschaftsstrafrechts ist Frau Yolacan bereits bekannt, weil sie im Jahr 2022 hier in diesem Raum einen viel beachteten Vortrag zu „Die BaFin als Superstaatsanwaltschaft? Ermittlungsmöglichkeiten über das strafprozessual Erlaubte hinaus?“ gehalten hat.
Die Arbeit von Frau Yolacan wurde von Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Walter Perron an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg betreut und hat das Leben von Frau Yolacan über drei Jahre hinweg neben ihrer Tätigkeit zunächst als Strafverteidigerin und sodann als Finanzaufseherin bei der BaFin begleitet – sogar auch im Traum, wie Frau Yolacan in ihrer Bewerbung schreibt.
Frau Yolacan hat in Freiburg Rechtswissenschaften studiert und dort auch an einer Außenstelle des Oberlandesgerichts Karlsruhe ihr Referendariat absolviert. Anschließend war sie zunächst als Strafverteidigerin in Mainz tätig und ist nun bei der BaFin als Referentin für bankaufsichtliche Sonderprüfungen zuständig. Das Studium ihrer Veröffentlichungen u.a. in der wistra, die die Aspekte ihrer Tätigkeit bei der BaFin darstellen, ist wärmstens zu empfehlen.
Die Dissertation von Frau Yolacan behandelt ein brandaktuelles Thema, zu dem es bisher nur wenig Rechtsprechung und Literatur gibt – die Europäische Staatsanwaltschaft. Das besondere Augenmerk der Dissertation gilt der Frage, wie die Grundrechte des Beschuldigten in einem Strafverfahren der Europäischen Staatsanwaltschaft geschützt werden können und müssen.
Im ersten Kapitel legt Frau Yolacan dar, für welche Delikte die Europäische Staatsanwaltschaft zuständig und wie sie organisiert ist.
Das zweite Kapitel befasst sich dann mit der grenzüberschreitenden Ermittlungstätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft und wie Beschuldigte bei solchen grenzüberschreitenden Ermittlungen gegen Zwangsmaßnahmen Rechtsschutz suchen können, wobei Frau Yolacan sich auch mit dem inzwischen von dem EuGH entschiedenen Vorlageverfahren des Oberlandesgerichts Wien befasst, zu dem ich gleich noch einmal zurückkommen werde.
Im dritten Kapitel – dem Schwerpunkt der Arbeit – untersucht Frau Yolacan dann, ob in Verfahren der Europäischen Staatsanwaltschaft die wesentlichen Verteidigungsrechte des Beschuldigten gewährleistet werden. Hierbei vertritt sie unter anderem, dass das Recht auf Information und Akteneinsicht in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft es erfordert, dass sich das Recht auf Akteneinsicht nicht auf den Staat des betrauten Delegierten Europäischen Staatsanwalts beschränkt, sondern auch Einsicht in die Verfahrensakte der Zentrale der Europäischen Staatsanwaltschaft in Luxemburg erforderlich ist. Weil ein derartiges Recht auf Akteneinsicht noch nicht kodifiziert ist, schlägt sie der Verteidigung vor, einen datenschutzrechtlichen Antrag auf Information zu stellen. Ein Formular hierfür findet sich auch schon in der Arbeit.
Abschließend sollten wir noch einen Blick auf das noch junge Urteil des EuGH zum Rechtsschutz bei grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft werfen, das auf Vorlage des Oberlandesgerichts Wien ergangen ist. Wer es nachlesen will: Es handelt sich um EuGH, Urteil vom 21.12.2023 – C-281/22.
Hier ging es um ein Strafverfahren, das von einem Deutschen Delegierten Europäischen Staatsanwalt geführt wurde, der einen Österreichischen Delegierten Europäischen Staatsanwalt angewiesen hat, Wohn- und Geschäftsräume zu durchsuchen und Vermögenswerte in Österreich sicherzustellen. Einen gerichtlichen Antrag hierzu hatte der Deutsche Delegierte Europäische Staatsanwalt entsprechend der gesetzlichen Vorgaben zuvor nicht gestellt, sondern dies tat allein der Österreichische Staatsanwalt.
Die Beschuldigten haben gegen die gerichtliche Anordnung der Durchsuchung und Sicherstellung von Vermögenswerten in Österreich Beschwerde erhoben. Auf die Vorlage des Oberlandesgerichts Wien zum Prüfungsumfang in einem solchen Beschwerdeverfahren hat der EuGH im Dezember letzten Jahres erklärt, dass das Oberlandesgericht Wien nur Gesichtspunkte der Vollstreckung dieser Maßnahme prüfen dürfe, nicht aber auch Gesichtspunkte der Begründung und der Anordnung der Maßnahme.
Hierdurch entsteht eine massive Rechtsschutzlücke, da so weder ein Deutsches noch ein Österreichisches Gericht geprüft haben, ob die Durchsuchung und die Sicherstellung des Vermögens überhaupt zulässig war – es also in einem besonders grundrechtssensiblen Fall keinerlei präventive Kontrolle gab.
Auf diese Gefahr hat Frau Yolacan in ihrer Arbeit bereits instruktiv hingewiesen, gehört hat es der EuGH aber leider nicht. Daher stellt sich nun mit Recht die Frage, ob die bei den Maßnahmen in Österreich sichergestellten Beweismittel in einem deutschen Strafverfahren denn überhaupt verwertet werden dürfen.
Der Promotionspreis der wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung würdigt die aus der Perspektive der Praxis beste Promotion im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts. Dies ist im Jahr 2023 die Arbeit von Frau Yolacan, da sie den Leserinnen und Lesern nicht nur einen umfassenden Überblick über die Struktur und Funktionsweisen der EuStA verschafft, sondern der Verteidigung auch Ideen und Argumente liefert, wie sie bei Verfahren der EuStA sich für die Einhaltung der Rechte der Beschuldigten einsetzen kann.