Notare sind vor „Jones Day“-Durchsuchungen sicher
Anmerkung zu LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 22.11.2024 (18 Qs 17/24)
- Das für die geschützten Berufe geltende Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 StPO erfasst nur das Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Mandanten, wenn dieser der Beschuldigte ist. (Rn. 44)
- Wird dem Beschuldigten eine Straftat im Zusammenhang mit der Vertretung einer juristischen Person vorgeworfen, dann unterliegen Beweismittel beim Berufsgeheimnisträger, der (nur) die juristische Person berät oder vertritt, nicht dem Beschlagnahmeverbot. (Rn. 48)
- Zeichnet sich aufgrund tatsachenbasierter Anhaltspunkte objektiv ab, dass die juristische Person als Adressatin einer Geldbuße nach § 30 OWiG oder als Einziehungsbeteiligte gemäß § 424 StPO zu beteiligen wäre, befindet sich die juristische Person in einer beschuldigtenähnlichen Verfahrensstellung und Verteidigungsunterlagen, die auf Veranlassung der und für die juristische Person vom Berufsgeheimnisträger angefertigt wurden, sind beschlagnahmefrei. (Rn. 50)
- Täuscht ein Urkundsbeteiligter den Notar anlässlich einer Beurkundung über Tatsachen und bewirkt er dadurch eine falsche Beurkundung im Sinne des § 271 StGB sind die Urschrift sowie Abschriften und Ausfertigungen der Urkunden gemäß § 97 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht beschlagnahmefrei. Gleiches gilt für durch den Notar gefertigte Kopien gefälschter und bei der Beurkundung vorgelegter Personaldokumente. (Rn. 43)
- § 97 StPO stellt nach § 160a Abs. 5 StPO eine Spezialregelung für Beschlagnahmen dar, die § 160a StPO grundsätzlich verdrängt. Die Zulässigkeit von Beschlagnahmen bei Berufsgeheimnisträgern ist danach allein an § 97 StPO zu messen. (Rn. 63)
- Nichtverdächtigen Betroffenen, insbesondere Berufsgeheimnisträgern, ist zumindest vor der Vollstreckung der Durchsuchung in der Regel Gelegenheit zur freiwilligen Herausgabe des sicherzustellenden Gegenstandes zu geben. (Rn. 61)
Das LG Nürnberg-Fürth verwarf eine Beschwerde gegen eine Durchsuchungsanordnung und Beschlagnahme des Amtsgerichts Nürnberg, mit der Beweismittel in den Räumen eines unverdächtigen Notars gesichert wurden, als unbegründet. Die Kammer zog damit die rechtlichen Konsequenzen aus undurchsichtigen Strukturen einer womöglich in Steuerhinterziehung verwickelten GmbH und ihrer (rechtlichen und tatsächlichen) Geschäftsführer im Verhältnis zum nicht umfassend mandatierten Notar. Die Fallgestaltung (I.) und die Entscheidungsgründe (II.) erinnern an und nehmen Bezug auf die „Jones Day“-Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts (III.). Der Beschluss des LG Nürnberg-Fürth zeigt gesetzgeberischen Handlungsbedarf auf, die Beziehung zwischen privatrechtlichen Gesellschaften, ihren Organen und Rechtsdienstleistern auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen (IV.).
I. Die Fallgestaltung
Den Geschäftsführern der D GmbH wurde vorgeworfen, Umsatzsteuervoranmeldungen für die GmbH nicht rechtzeitig abgegeben und so Umsatzsteuer verkürzt zu haben. Der faktische Geschäftsführer der GmbH soll darüber hinaus unter dem Namen des im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführers unter Vorlage eines gefälschten Reisepasses ein Konto für die GmbH eröffnet haben, weshalb der Verdacht bestand, auch bei notariellen Beurkundungen im Hinblick auf die GmbH seien die gefälschten Papiere zum Einsatz gekommen. Einem staatsanwaltlichen Herausgabeersuchen (gem. § 95 Abs. 1 StPO) kamen die beauftragten Notare unter Berufung auf die amtliche Schweigepflicht gem. § 18 Abs. 1 S. 1 BNotO nicht nach. Hierauf beantragte die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth (wohl mangels Erzwingbarkeit des Herausgabeersuchens gem. § 95 Abs. 2 S. 2 StPO) eine auf Unterlagen und Personaldokumente von an der Eintragung der D GmbH und einer weiteren GmbH involvierten Personen beschränkte Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung gem. § 103 StPO gegen die Notare und hiesigen Beschwerdeführer, den das Amtsgericht Nürnberg am 06.12.2023 erließ.
Den Beschwerdeführern wurde angeboten, die Durchsuchung durch Herausgabe der gesuchten Beweismittel abzuwenden. Stattdessen erhoben sie am 14.03.2024 Beschwerde (nur) gegen die Durchsuchungsanordnung, der das Amtsgericht Nürnberg noch am selben Tag nicht abhalf. Daraufhin gaben sie die geforderten Beweismittel in einem verschlossenen Umschlag zur Durchsicht (§ 110 Abs. 1 StPO) nach Bescheidung der Beschwerde heraus.
II. Die Entscheidungsgründe
Zunächst bejahte die Kammer das Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführer. Zwar sei gegen sie keine Durchsuchung vollzogen worden, weil sie selbige durch Herausgabe der Beweismittel abwendeten. Nachdem der verschlossene Umschlag noch nicht gesichtet worden sei, könne eine zukünftige Durchsuchung (aufgrund neuen Durchsuchungsbeschlusses) zum Zwecke des Auffindens der gesuchten Beweismittel nicht ausgeschlossen werden. Jedenfalls dauere die Durchsuchung schon deshalb noch an, weil die Durchsicht des Umschlags nach § 110 Abs. 1 StPO auf die Durchsuchungsanordnung des AG Nürnberg gestützt werden solle.
Die Kammer verwarf die Beschwerde als unbegründet. Es habe ein auf Tatsachen gegründeter Anfangsverdacht hinsichtlich weiterer Urkundendelikte des faktischen Geschäftsführers bestanden, nachdem bei diesem vor Anordnung der Durchsuchung eine Vielzahl gefälschter Papiere sichergestellt werden konnte, die jedenfalls teilweise im Rechtsverkehr verwendet worden waren. Es sei mit dem Auffinden von (weiteren) gefälschten Papieren (in Kopie) bei den Beschwerdeführern zu rechnen gewesen, weil jene nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 10 a) ee), 8 Abs. 2 S. 2 GwG zur Anfertigung von Kopien zu Identifikationszwecken vorgelegter Ausweisdokumente verpflichtet gewesen waren. Es habe der begründete Verdacht bestanden, der faktische Geschäftsführer habe die Eintragungen mit gefälschten Papieren veranlasst und sei auch ansonsten für die D GmbH unter Verschleierung seiner wahren Identität aufgetreten.
Die gesuchten Beweismittel hätten auch keinem aus § 97 StPO oder verfassungsunmittelbar folgenden Beschlagnahmeverbot unterlegen, was auch der Durchsuchungsanordnung entgegengestanden hätte.
Die gesuchten Gegenstände seien schon keine Mitteilungen zwischen einem gem. §§ 52, 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 3b StPO Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem Beschuldigten, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstrecke. Die Klientin der Beschwerdeführer, für die (allein) sie tätig geworden wären und derbezüglich allein eine Schweigepflicht bestanden habe, sei die D GmbH gewesen. Die Kammer schließt sich der herrschenden Rechtsprechung an, die den Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 1 Nr. 1-3 StPO auf Dokumente begrenzt, die in diesem geschützten Verhältnis entstanden sind, und lehnt eine Erstreckung des Schutzes etwa auf Organe der Gesellschaft ab. Dies folge schon aus dem zwingenden Wortlaut der § 97 Abs. 1 Nr. 1 StPO („Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen“) und § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO („ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen“). Zwar fehle eine solche grammatikalische Bezugnahme in § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, doch folge die Beschränkung auf das Verhältnis Schweigeverpflichteter – Klient aus dem Regelungszusammenhang, also der Normsystematik, weil sonst § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO (ein Auffangtatbestand) § 97 Abs. 1 Nr. 1, 2 StPO absorbiere und obsolet mache. Dies werde von der Gesetzgebungsgeschichte bestätigt: Der Gesetzgeber habe mit § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO allein eine gegenständliche Erweiterung des Beschlagnahmeschutzes auf „sonstige Gegenstände“ erwirken wollen, ohne einen strikten Gleichlauf zwischen Zeugnisverweigerungsrecht und Beschlagnahmeverbot zu erzielen, weil hierdurch der Erfolg rechtsförmiger Strafverfahren gefährdet und ein erheblichen Missbrauchspotential geschaffen würde. Die Begründung der Kammer verweist hierzu ausdrücklich auf die „Jones Day“-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
Im Falle einer Klientenbeziehung mit einer juristischen Person unterlägen Aufzeichnungen der Beschlagnahme, wenn Beschuldigter nicht die Gesellschaft, sondern (nur) ihr (gesetzlicher) Vertreter oder ein Organ der Gesellschaft ist, sind diese doch rechtlich nicht personenidentisch. Das gelte nicht nur für Straftaten gegen die, sondern auch für Straftaten im Interesse der Gesellschaft (im Anwendungsbereich des § 14 StGB). Angewandt auf den vorliegenden Fall kam das LG Nürnberg-Fürth zum Ergebnis, die gesuchten Mitteilungen und sonstige Gegenstände i.S.d. § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO stammten ausschließlich aus einer (geschützten) Beziehung zwischen den Beschwerdeführern und der D GmbH. Dem stünde weder die Hoheitlichkeit der notariellen Tätigkeit noch der Entstehungszeitpunkt der GmbH (§ 11 Abs. 1 GmbHG) – erst nach Eintragung – entgegen, nachdem jedenfalls insoweit die Vorgründungsgesellschaft in Beziehung zu den Beschwerdeführern gestanden habe.
Allerdings sei (schon angesichts drohender Drittbeteiligung zur Einziehung oder Verbandsbebußung nach § 30 OWiG) zu prüfen, ob der Gesellschaft eine beschuldigtenähnliche Verfahrensstellung zukomme. Wann dies der Fall ist, ist umstritten. Die Kammer setzt sich mit verschiedenen Literaturstimmen auseinander und verlangt – im Anschluss an das Bundesverfassungsgericht – konkrete Anhaltspunkte, deretwegen sich eine Nebenbeteiligung der Gesellschaft objektiv abzeichne. Sie nimmt zwar jedenfalls im Hinblick auf die D GmbH angesichts der drohenden Einziehung von hinterzogenen Steuern an, beschränkt die Wirkung dann allerdings ausschließlich auf Verteidigungsunterlagen i.S.d. § 148 StPO bzw. zur Verteidigung vorbereitete Unterlagen, die § 97 Abs. 1 Nr. 1-3 StPO unterfielen, welche vorliegend nicht gesucht würden. Allein mit der Begründung, das Strafverfolgungsinteresse überwiegende Geheimhaltungsinteressen lägen nicht vor, verneint die Kammer eine verfassungskonforme Extension des § 97 StPO.
Jedenfalls – was die Kammer inkonsequent teils vorweg prüft – sei hinsichtlich der Unterlagen zur Gründung von Scheinfirmen zur unzulässigen Gewinnverlagerung ins Ausland § 97 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 StPO eröffnet, seien diese doch nach dem Tatplan zur Begehung zukünftiger Steuerstraftaten bestimmt. Notariell beurkundete Dokumente seien im Übrigen selbst durch Straftaten hervorgebrachte Beweismittel, belegten sie etwa eine mittelbare Falschbeurkundung nach § 271 StGB, wurden die Notare über dem öffentlichen Glauben unterliegende Tatsachen – wie dem Namen des Vertreters einer Gesellschaft – getäuscht. Selbiges gelte für Fotokopien von vorgelegten Ausweisfälschungen, rührten diese aus § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB her.
Schließlich führt die Kammer im Einklang mit herrschender Rechtsprechung und Literatur aus, auch § 160a StPO stünde der verhältnismäßigen Durchsuchungsanordnung nicht entgegen. Die Norm würde durch den gem. § 160a Abs. 5 StPO spezielleren § 97 StPO verdrängt, auch soweit dieser weniger weit reiche.
III. Die Übertragbarkeit der „Jones Day“-Rechtsprechung: Zum Unterschied zwischen anwaltlicher und notarieller Tätigkeit
Die im Ausgangspunkt in sich schlüssigen Ausführungen des LG Nürnberg-Fürth stützen sich zentral auf die durch den EGMR kürzlich bestätigte[1] Rechtsprechung der dritten Kammer des zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in Sachen „Jones Day“. Am 27.06.2018 wies diese drei Verfassungsbeschwerden gegen Durchsuchungsbeschlüsse und jene bestätigende Beschwerdeentscheidungen zur Durchsuchung von Kanzleiräumlichkeiten der Großkanzlei „Jones Day“, die internal investigations für die VW AG im Diesel-Skandal durchführte, zurück.[2] Die von der Staatsanwaltschaft Braunschweig untersuchten Vorwürfe richteten sich nicht gegen die VW AG, sondern gegen ihre Tochtergesellschaft Audi AG. Das Bundesverfassungsgericht beanstandete – aus verfassungsrechtlicher Perspektive – die Auslegung der §§ 97 Abs. 1 Nr. 3, 160a StPO der Fachgerichte nicht. Es bestätigte insbesondere das durch das LG Nürnberg-Fürth rezipierte Normverhältnis mit Vorrang des spezielleren § 97 StPO.[3] Eine Ausdehnung des Beschlagnahmeschutzes auf „sonstige anwaltliche Tätigkeiten“ über die durch die Menschenwürdegarantie geschützte Beziehung zwischen dem Beschuldigten und dessen Anwalt hinaus sei nicht geboten.[4] Fände die Durchsuchung nicht bei dem Rechtsanwalt des im konkreten Verfahren Beschuldigten statt, müsse nach methodengerechter – durch das LG Nürnberg-Fürth wiedergegebener – Auslegung ein Schutz nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO ausscheiden.[5] Das Bundesverfassungsgericht betont, andernfalls könnten Beweismittel gezielt in die Hände von Rechtsanwälten gegeben werden, sodass diese zum „Safehouse“ für noch nicht entdeckte Spuren würden.[6]
Doch lässt sich dieser Gedanke auf die notarielle Tätigkeit übertragen? Das LG Nürnberg-Fürth spricht die Besonderheit der Beziehung zwischen Notar und rechtssuchendem Bürger bereits an, nur um sie ohne Begründung zu negieren: Notare werden nicht (allein oder vorrangig) im Interesse der Aufsuchenden tätig. Sie schließen auch keinen Dienst- oder Geschäftsbesorgungsvertrag,[7] sondern werden durch eine öffentlich-rechtliche Rechtsbeziehung verbunden,[8] die der amtlichen Aufsicht unterworfen ist.[9] Gehen Notare (zu enge) Bindungen ein, die Zweifel an der Unparteilichkeit erwecken können, werden sie gerügt.[10] Auch die Gebühren für ihre Tätigkeit erheben sie allein aufgrund Gesetzes.[11] Dementsprechend droht das durch die dritte Kammer des zweiten Senats für die Rechtsanwaltstätigkeit zutreffend beschriebene Risiko nicht: Die Verwahrung von Dokumenten und Gegenständen – mit Ausnahme handschriftlicher Testamente und solcher, die im Zusammenhang mit ihrer Beurkundungstätigkeit stehen – ist Notaren mangels Amtsbezugs untersagt. Böten sie sich als „safehouse“ an, müssten sie nicht nur dienstrechtliche Konsequenzen befürchten, sondern könnten damit auf keinen Beschlagnahmeschutz nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO erreichen, erstreckte sich die Schweigepflicht nach § 18 Abs. 1 BNotO nicht auf diese außerhalb der Amtsausübung (§ 18 Abs. 1 S. 2 BNotO) erhaltenen Informationen.[12] Das teleologische Argument zur restriktiven Interpretation des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO ist auf Notare mithin nicht übertragbar.
Allerdings sprechen die weiteren Auslegungsmethoden dafür, eine Vertrauensbeziehung zwischen dem Geheimnisträger und dem Beschuldigten zu verlangen.[13] Systematik und Gesetzeshistorie legen auch nicht nahe, dass dieselbe Vorschrift für Rechtsanwälte und Notare gespalten ausgelegt werden sollte. Ein dahingehender Gesetzgeberwille ist nicht erkennbar. Fraglich bleibt, ob eine gespaltene Auslegung erforderlich ist, um den aufgezeigten Unterschieden der Rechtsbeziehungen von Rechtssuchenden mit Anwälten einerseits und Notaren andererseits Rechnung zu tragen. Hier offenbart sich die größte Schwäche des Beschlusses des LG Nürnberg-Fürth: Wie selbstverständlich unterstellt es, dass der beschuldigte faktische Geschäftsführer der D GmbH nicht dem Schutz der notariellen Rechtsbeziehung unterfällt, sondern diese allein zur D GmbH besteht. Eine Begründung lässt der Beschluss vermissen. Dabei hält das Gesetz jedenfalls für notarielle Beurkundungstätigkeiten eine ausdrückliche Regelung bereit: Der Schutz des § 18 BNotO besteht bezüglich aller Beteiligter, was sich aus § 18 Abs. 2 BNotO ergibt.[14] Die Pflicht zur Verschwiegenheit besteht nicht nur gegenüber den unmittelbar am Gegenstand der Amtshandlung formell beteiligten Personen, also den Urkundsbeteiligten, sondern gegenüber allen, deren persönliche oder wirtschaftlichen Verhältnisse dem Notar bei seiner Amtsausübung bekannt geworden sind.[15] Nach § 6 Abs. 2 BeurkG sind am Beurkundungsverfahren die Erschienenen beteiligt. Dass diese Vorschrift die Schutzreichweite der notariellen Rechtsbeziehung konstitutiv mitbestimmt, zeigt sich schon daran, dass die Befangenheit eines Notars an der Beziehung zu allen Beteiligten i.S.d. § 6 Abs. 2 BeurkG bemessen wird. Darüber hinaus haftet neben dem Auftraggeber einer Beurkundung gem. § 29 Nr. 1 GNotKG – also regelmäßig diejenige Person, deren Unterschrift beglaubigt wird,[16] es sei denn, sie wird in fremdem Namen (z.B. eine GmbH) abgegeben[17] – auch der Erklärende gem. § 30 Abs. 1 GNotKG für die Notarkosten. Wegen dieser rein formalen Betrachtungsweise der Rechtsbeziehung wählt das Beurkundungsgesetz auch nicht die durch das LG Nürnberg-Fürth verwendete Terminologie des Mandanten oder Klienten, sondern zieht sich auf die „Beteiligung“ zurück. Der faktische Geschäftsführer war als Erklärender mithin als Beteiligter anzusehen. Jedenfalls erfuhren die Beschwerdeführer etwas über seine persönlichen Verhältnisse (die Identität), weshalb sie im Verhältnis nicht nur zur D GmbH, sondern auch zu ihrem faktischen Geschäftsführer schweigeverpflichtet waren. Dementsprechend bestand hinsichtlich der Beurkundung seiner Unterschrift als Vertreter der D GmbH ein schweigepflichtbegründendes Verhältnis zwischen dem Beschuldigten und den Beschwerdeführern, sodass § 97 Abs. 1 StPO Anwendung fand.
Soweit das LG Nürnberg-Fürth § 97 StPO trotz der beschuldigtenähnlichen Verfahrensstellung der D GmbH nicht zur Anwendung brachte, kann der Beschluss ebenfalls nicht überzeugen. Hier setzt sich die Kammer in Widerspruch zur bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die ausdrücklich § 97 StPO – und nicht nur von § 148 StPO – auf Gesellschaften in beschuldigtenähnlicher Verfahrensstellung erstreckt.[18] Eine Beschränkung nur auf Verteidigungsunterlagen ist dem verfassungsgerichtlichen Beschluss überzeugenderweise nicht zu entnehmen,[19] differenziert doch § 97 StPO gerade nicht zwischen den Schweigeberechtigten in §§ 52, 53 Abs. 1 Nr. 1-3b StPO, weshalb sich eine Ungleichbehandlung von Verteidigungsvorbereitungen (üblicherweise bei Rechtsanwälten und Steuerberatern zu finden) und Mitteilungen sowie anderen Gegenständen sonstige Schweigeberechtigter – etwa Rechtsanwälten in ihrer beratenden Funktion (und nicht nur als Versteck von Beweismitteln)[20] – begründen lässt. Der zusätzliche Schutz des § 148 StPO ist allein Verteidigungsdokumenten vorbehalten, schließt aber andere Dokumente aus dem (verfassungskonform erstreckten) Anwendungsbereich des § 97 StPO auch nicht aus.
IV. Gesetzgeberischer Handlungsbedarf
Die vorliegende Entscheidung des LG Nürnberg-Fürth ruft den Regelungsbedarf in Erinnerung, der bereits durch die „Jones Day“-Entscheidungen zu Tage getreten ist: Globale Konzernstrukturen mit teils für sie selbst undurchsichtigen Verantwortlichkeiten haben ein (berechtigtes) Bedürfnis nach eigener Aufklärung von Fehlverhalten ihrer Organe, Vertreter und Beschäftigten, dem die geltende Rechtslage diametral zuwiderläuft.[21] Dieses Bedürfnis darf jedoch keinen Freischein für reine Selbstjustiz[22] unter strafprozessual geschützter Exklusion rechtsstaatlicher Verfahren ausstellen. Den Interessenswiderstreit kann nur durch den Gesetzgeber aufgelöst werden.[23] Etwa die Einführung eines Verbandssanktionengesetzes hätte einige der Probleme ausgeräumt, würden doch die beteiligten Gesellschaften nicht nur in einer beschuldigtenähnliche Verfahrensstellung, sondern vielmehr in eine Beschuldigtenstellung an Strafverfahren beteiligt.[24]
Der Schutz der notariellen Schweigepflicht kann nach hiesiger Auffassung auch ohne Tätigwerden des Gesetzgebers sichergestellt werden, erfasst man mittels § 97 StPO alle Beteiligten der notariellen Tätigkeit. Für die mehraktige Gründung eines wirtschaftlichen Vereines ist die Beteiligtenstellung jedoch nicht einfach zu entwirren, handeln etwa bei Abschluss des (gem. § 2 Abs. 1 GmbHG bzw. §§ 2, 23 Abs. 1 AktG formbedürftigen) Gesellschaftsvertrags nur die Gesellschafter bzw. Gründer, während die Vertreter der Gesellschaft erst bei der Eintragung ins Handelsregister zum Zuge kommen. Damit hängt die notarielle Schweigepflicht von zeitlichen Zufällen ab. Hier könnte der Gesetzgeber zur Schaffung von Rechtssicherheit die einheitliche Behandlung des gesamten Gründungsakts in strafprozessualer Hinsicht anordnen und die Schweigepflicht von Anfang an auf alle (sukzessive) Beteiligten der GmbH-Gründung erstrecken.
[1] EGMR, Beschluss vom 22.10.2024, Kock ua vs. Germany, 1022/19, 1125/19, https://hudoc.echr.coe.int/#%7B%22itemid%22:%5B%22001-238295%22%5D%7D.
[2] BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 = NJW 2018, 2385; BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17 = NJW 2018, 2392 (befasst sich mit der Grundrechtsberechtigung der ausländischen Sozietät „Jones Day“); BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1562/17 = NJW 2018, 2395 (befasst sich mit der Beschwerdebefugnis der Partner von „Jones Day“; noch offen gelassen in BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 25.7.2017 – 2 BvR 1562/17 = BeckRS 2017, 118600.
[3] BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 = NJW 2018, 2385, 2387 Rn. 74 f.
[4] BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 = NJW 2018, 2385, 2388 Rn. 78; vgl. auch schon BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.10.2003 – 2 BvR 2211/00 = NStZ-RR 2004, 83, 84; a.A. LG Braunschweig, Beschluss vom 21.7.2015 − 6 Qs 116/15 = NStZ 2016, 308, 309.
[5] BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 = NJW 2018, 2385, 2388 f. Rn. 81 ff.
[6] BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 = NJW 2018, 2385, 2389 Rn. 91; vgl. treffend auch Köllner, Das Jones Day-Debakel – Kein rechtsfreier Raum für externe „interne“ Ermittler aus Großkanzleien?, NZI 2018, 833, 836.
[7] KG (Senat für Notarsachen), Beschluss vom 21.2.2017 – Not 4/16 = BeckRS 2017, 104788 Rn. 33; vgl. auch Borgmann/Jungk/Schwaiger/Jungk § 10 Rn. 25.
[8] BeckOK BNotO/Eschwey § 1 Rn. 9.
[9] Heinemann/Trautrims/Kobitzsch § 1 Rn. 9.
[10] KG (Senat für Notarsachen), Beschluss vom 21.2.2017 – Not 4/16 = BeckRS 2017, 104788 Rn. 32.
[11] KG (Senat für Notarsachen), Beschluss vom 21.2.2017 – Not 4/16 = BeckRS 2017, 104788 Rn. 37.
[12] Vgl. BGH, Urteil vom 7.4.2005 – 1 StR 326/04 = NJW 2005, 2406.
[13] Zur Gegenargumentation siehe etwa BeckOK StPO/Gerhold § 97 Rn. 26 ff.
[14] BeckOK BNotO/Sander § 18 Rn. 2 mwN.
[15] BGH, Beschluss vom 31.1.2013 – V ZB 168/12 = DNotZ 2013, 711, 715 Rn. 22 mwN.
[16] KG (Senat für Notarsachen), Beschluss vom 21.2.2017 – Not 4/16 = BeckRS 2017, 104788 Rn. 57 mwN.
[17] BeckOK Kostenrecht/Touissant § 29 GNotKG Rn. 9 ff.
[18] BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 27.6.2018 – 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 = NJW 2018, 2385, 2389 Rn. 93.
[19] So auch Baur, Neues zum strafprozessualen Schutz interner Ermittlungen?, NZG 2018, 1092.
[20]Pelz, Die Beschlagnahmefähigkeit von Unterlagen aus Internal Investigations – zugleich eine Besprechung von BVerfG, Beschluss vom 27.6.2018, Az. 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17, CCZ 2018, 211, 214.
[21]Lilie-Hutz/Ihwas, Ein Ausblick auf Internal Investigations nach den VW/Jones Day-Entscheidungen, NZWiSt 2018, 349, 355;
Beukelmann, Durchsuchung bei Anwälten, NJW-Spezial 2018, 504; Rieder/Menne, Internal Investigations – Rechtslage, Gestaltungsmöglichkeiten und rechtspolitischer Handlungsbedarf, CCZ 2018, 203, 210 f.; vgl. angesichts der Fremdheit des Instruments der internen Untersuchung für die kontinentale Rechtsordnung auch Trüg/Ulrich, Speicherung mandatsbezogener Unterlagen aus internal investigations auf im Ausland belegenen Servern, NZWiSt 2021, 1.
[22] KK-StPO/Greven § 97 Rn. 14d; Köllner, Das Jones Day-Debakel – Kein rechtsfreier Raum für externe „interne“ Ermittler aus Großkanzleien?, NZI 2018, 833, 836.
[23]Momsen, Volkswagen, Jones Day und interne Ermittlungen, NJW 2018, 2362, 2366.
[24] Vgl. auch Baur/Holle, Verbandssanktionierung – Zurück auf Los?, ZRP 2022, 18, 20; krit. zum Entwurf des Verbandssanktionengesetzes aufgrund der vorgesehenen weiteren Einschränkung des § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO deshalb Kainer/Feinauer, Interne Ermittlungen im Referentenentwurf zum Verbandssanktionengesetz, NZA 2020, 363, 366.