Kathie Schröder

Rücktritt vom beendeten Versuch nach „error in persona“

Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 17.04.2024 (1 StR 403/23)

Der beendete Versuch ist nicht schon dann fehlgeschlagen, wenn der Täter seinen „error in persona“ erkennt, da die Identität des Opfers ein außertatbestandliches Motiv darstellt.

  1. Der Rücktritt von einem error in persona bei einem beendeten Versuch ist möglich, wenn der Täter seine Verwechslung erst nach Vornahme der Tathandlung erkennt und sich dann erfolgreich um die Rettung des verletzten Opfers bemüht.
  2. Zur Prüfung der Freiwilligkeit des Rücktritts ist nicht die Tatplantheorie, sondern der Rücktrittshorizont nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung heranzuziehen.
    (Leitsätze der Red.)

I. Sachverhalt

Der Angeklagte ist Facharzt für Allgemeinchirurgie. Seine Patienten P. und G. litten an einem beidseitigen Leistenbruch, wobei bei G. zeitgleich zur Behandlung des Leistenbruchs eine Sterilisation durchgeführt werden sollte. Aufgrund einer Personenverwechslung ging der Angeklagte in der Operation davon aus, G. zu operieren, so dass er den an Autismus leidenden P. fälschlicherweise sterilisierte. Unmittelbar im Anschluss an den Eingriff erkannte der Angeklagte seinen Irrtum. Er legte die Personenverwechslung noch am selben Tag gegenüber der Mutter des Geschädigten P. offen und vermittelte ihn am Folgetag an einen Spezialisten für Refertilisation. Zwei Wochen später konnte die Zeugungsfähigkeit des Geschädigten P. (nicht ausschließbar) wiederhergestellt werden.

Bei dem Eingriff des (einwilligungsunfähigen) Patienten G. nahm der Angeklagte eine Sterilisation mit Einwilligung von dessen Eltern vor. Diese waren u.a. für den Aufgabenkreis „Gesundheitsfürsorge“ als Betreuer ihres Sohnes bestellt. Ein Sterilisationsbetreuer war nicht bestellt worden; die erforderliche Genehmigung des Betreuungsgerichts für die Sterilisation lag ebenfalls nicht vor.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung (Patient P.) in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung (Patient G.) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat.

Zu Gunsten des Angeklagten wurde im Fall des Patienten P. von einem Versuch der schweren Körperverletzung ausgegangen, da die schwere Folge – hier der Verlust der Fortpflanzungsfähigkeit – nicht ausschließbar nicht eingetreten sei. Von dem beendeten Versuch der absichtlichen schweren Körperverletzung sei der Angeklagte nicht strafbefreiend zurückgetreten. Seine Bemühungen, den Eintritt der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit des Geschädigten P. zu verhindern, seien nicht als freiwilliges Abstandnehmen vom Tatplan im Sinne des § 24 StGB anzusehen, da sich dieser auf den Patienten G. bezogen und der Angeklagte seine Bemühungen entfaltet habe, nachdem er erkannt habe, dass er einem „error in persona“ unterlegen gewesen sei. Von seinem Entschluss, bei dem Geschädigten G. eine dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit herbeizuführen, sei er damit nicht freiwillig abgerückt.

II. Entscheidungsgründe

Die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 223 Abs. 1, §§ 22, 23 StGB) zum Nachteil des P. hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. Das Landgericht ist bei der Beurteilung der Freiwilligkeit des Rücktritts von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Im Übrigen bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg, da keine wirksame Einwilligung für die Sterilisation des Patienten G. vorlag.

1. Versuchte schwere Körperverletzung, §§ 223 Abs. 1, 226 Abs. 1 Nr. 1, 22, 23 StGB

Die Verurteilung wird aus rechtlichen Gründen nicht getragen. Zwar ist das Landgericht zutreffend von einem beendeten Versuch einer schweren Körperverletzung des P. ausgegangen. Jedoch hat es bei der Prüfung des Rücktritts einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt. Das Landgericht orientierte sich bei der Bestimmung des Merkmals der Freiwilligkeit am Tatplan des Angeklagten und nicht am Tatbegriff des § 24 StGB.

a) Die Tat wurde nicht vollendet. Die in § 226 Abs. 1 StGB genannten schweren Folgen müssen von längerer Dauer und eine Verbesserung des Zustands nicht absehbar sein. Diese „Langwierigkeit“ der schweren Folge ist Teil des tatbestandlichen Erfolgs. Daran fehlt es hier, so dass der Tatbestand nicht vollendet wurde. Zu Gunsten des Täters wurde berücksichtigt, dass zumindest eine teilweise Wiederherstellung konkret wahrscheinlich ist. Nach diesen Maßstäben kann hier eine schwere Folge nicht hinreichend festgestellt werden.

b) Die Tat ist auch nicht fehlgeschlagen, da der Angeklagte die Vollendung der Tat weiterhin für möglich hielt. Nach der Rechtsprechung des BGH ist mit dem Tatbegriff des § 24 Abs. 1 StGB die Tat im sachlich-rechtlichen Sinne gemeint, also die tatbestandsmäßige Handlung und der tatbestandsmäßige Erfolg. Dementsprechend setzt die Norm nur ein Abstandnehmen von bzw. eine Verhinderung der Vollendung dieses gesetzlichen Tatbestands voraus. Dies gilt ebenso in den Fällen des „sinnlos gewordenen Tatplan“ als auch in denen der vorherigen Erreichung außertatbestandlicher Ziele. Hier ist die gegenständliche Tat (entgegen der Auffassung des Landgerichts) nicht die beabsichtigte Sterilisierung des konkreten Patienten, sondern allgemeiner die vom Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 4, Abs. 2 StGB umschriebene Verursachung der Zeugungsunfähigkeit einer Person. Diese Tat war nicht fehlgeschlagen, sondern wäre ohne die Bemühungen des Angeklagten zur Vollendung gelangt. Die Identität des Patienten betraf lediglich außertatbestandliche Motive des Angeklagten, weswegen der Irrtum nicht von Bedeutung für die Annahme eines Fehlschlags war. Ob der Angeklagte von seinem Entschluss, den Patienten G. zu sterilisieren, (endgültig) abgerückt ist, ist somit unerheblich.

c) Es liegt ein beendeter Versuch vor, weil der Angeklagte mit dem Durchtrennen der Samenleiter nach seinen Vorstellungen bereits alles Erforderliche getan hatte, um die Zeugungsunfähigkeit des P. herbeizuführen. Unbeachtlich ist, dass der Angeklagte nach der letzten Ausführungshandlung nicht an einen Rücktritt dachte, weil er davon ausging, G. zu sterilisieren und er dessen Zeugungsunfähigkeit auch herbeiführen wollte. Die Rücktrittsperspektive ergibt sich für ihn mit dem Erkennen des „error in persona“, weil so die durchgeführte Sterilisation nachträglich unerwünscht wurde und der Angeklagte vor der Entscheidung stand, die Zeugungsunfähigkeit des P. durch aktive Gegenmaßnahmen zu verhindern bzw. sich darum zu bemühen oder den Dingen ihren Lauf zu lassen.

d) Der Angeklagte ergriff die am besten geeignete Rettungsmaßnahme. Dem steht nicht entgegen, dass er unmittelbar nach der Tatentdeckung zunächst versuchte, seine Tat gegenüber einer Zeugin zu verschleiern, ehe er die Tat dann doch umfassend zugab und an einen auf diese Operation spezialisierten Arzt vermittelte. Solche Verschleierungshandlungen schließen einen Rücktritt nur dann aus, wenn die Verschleierung der alleinige Zweck und die Vollendungsverhinderung lediglich eine unbeabsichtigte und zufällige Folge dieser Bemühungen ist.

e) Jedoch hat das Landgericht bei der Beurteilung der Freiwilligkeit des Rücktritts einen unzutreffenden Maßstab angelegt und deshalb weitere notwendige Feststellungen zur rechtlichen Beurteilung der Freiwilligkeit unterlassen.

Freiwillig ist der Rücktritt, wenn er nicht durch zwingende Hinderungsgründe veranlasst wird, sondern der eigenen autonomen Entscheidung des Täters entspringt, der Täter also „Herr seiner Entschlüsse“ geblieben ist. Dabei stellt die Tatsache, dass der Anstoß zum Umdenken von außen kommt, für sich genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters nicht in Frage. Anders kann es sein, wenn unvorhergesehene äußere Umstände dazu geführt haben, dass bei weiterem Handeln das Risiko, angezeigt oder bestraft zu werden, unvertretbar ansteigen würde. Nicht maßgeblich für die Bewertung der Freiwilligkeit ist dagegen der bei Beginn der Tat bestehende Tatplan. Es gilt nicht die Tatplanperspektive, sondern der Rücktrittshorizont nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung. Das Landgericht knüpft demgegenüber rechtsfehlerhaft an den Tatplan an, indem es ausführt, die Bemühungen des Angeklagten, den Eintritt der dauerhaften Fortpflanzungsunfähigkeit des Geschädigten P. zu verhindern, seien nicht als freiwilliges Abstandnehmen vom Tatplan anzusehen, weil sich dieser auf den Patienten G. bezogen und der Angeklagte die Bemühungen entfaltet habe, als er erkannt habe, dass er einem „error in persona“ unterlegen sei; damit aber sei er von seinem Entschluss, bei dem Geschädigten G. eine dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit herbeizuführen, nicht freiwillig abgerückt.

f) Da das Landgericht (nach seinem rechtlichen Ansatz folgerichtig) keine Feststellungen zur Freiwilligkeit des Rücktritts im Hinblick auf den Versuch der schweren Körperverletzung zulasten des Geschädigten P. getroffen hat, ist dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Freiwilligkeitserfordernisses nicht möglich. In diesem Zusammenhang wird das neue Tatgericht insbesondere zu erörtern haben, ob der Angeklagte nach dem Hinweis einer Mitarbeiterin auf die Personenverwechslung noch eine eigene autonome Entscheidung treffen konnte, eine operative Wiederherstellung der Fortpflanzungsfähigkeit zu veranlassen, oder sich durch die Aufdeckung der Tat dazu gezwungen sah. Infolgedessen hat es keine Feststellungen zur Freiwilligkeit des Rücktritts getroffen.

2. Vorsätzliche Körperverletzung, § 223 Abs. 1 StGB

Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchter schwerer Körperverletzung lässt zugleich die – von diesem Rechtsfehler nicht betroffene – Verurteilung wegen der tateinheitlich begangenen vorsätzlichen Körperverletzung entfallen. Der Wegfall der für diese Tat verhängten Einzelstrafe entzieht auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.

III. Praxishinweis

Dieser fast schon lehrbuchmäßige Sachverhalt enthält neben den aus den Urteilsgründen ersichtlichen Rechtsfragen zusätzlich noch eine Irrtumsproblematik.

Irrtumsthema 1 (Personenverwechslung): Der Arzt war offensichtlich während der Sterilisation von P. davon überzeugt, dass der vorgenommene Eingriff mit einer entsprechenden rechtswirksamen Einwilligung durchgeführt werde und damit sein Handeln gerechtfertigt sei, da er diese ansonsten nicht vorgenommen hätte. Insofern könnte er sich grundsätzlich bei dem Eingriff in einem Erlaubnistatbestandsirrtum befunden haben.

Irrtumsthema 2 (Wirksamkeit der Einwilligung): Tatsächlich war die (alleinige) Einwilligung der Eltern des G. auch für dessen Sterilisation rechtsunwirksam gewesen sein, da weder ein Sterilisationsbetreuer noch ein Betreuungsgericht involviert gewesen wäre. Insoweit irrte der Arzt über die Rechtswirksamkeit einer tatsächlich vorliegenden Einwilligung während des Eingriffs bei G.

Aus den Urteilsgründen ergibt sich allerdings nicht, ob der Arzt während des Eingriffs davon ausging, dass eine Bestellung eines Sterilisationsbetreuers und Entscheidung eines Betreuungsgerichts vorlag (ggf. Erlaubnistatbestandsirrtum) oder er keine Kenntnis von zu beachtenden Sonderregelungen bei der Sterilisation hatte, sondern ggf. der Auffassung unterlag, dass die Einwilligung der Eltern rechtswirksam erteilt werden konnte (ggf. Tatsachenirrtum, s. ausführlich zu diesen Irrtumsfragen den Praxiskommentar der Entscheidungsanmerkung Prof. Kudlich NStZ 2024, 611).

Grundsätzlich hätte der 1. Strafsenat des BGH diese Irrtumsproblematiken zunächst in den Entscheidungsgründen erörtern müssen, bevor er sich mit der weiteren Frage befasst, ob ein Rücktritt nach Erkennen eines „error in persona“ noch möglich oder die Tat bereits fehlgeschlagen war.

Fehlgeschlagen ist ein Versuch, wenn der Täter entweder tatsächlich erkennt oder nur irrig annimmt, dass eine Vollendung mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und ohne zeitliche Zäsur nicht mehr möglich ist. Einige Literaturstimmen bejahen in derartigen Sachverhalten einen fehlgeschlagenen Versuch mit der Begründung, dass die Tat auf eine bestimmte Person individualisiert sei. Dem Täter wäre zwar grundsätzlich noch die Tatbestandsverwirklichung möglich, die Fortsetzung der Handlung jedoch sinnlos, da das von ihm geplante Ziel der Tat nicht mehr erreicht werden kann. Eine differenzierende Ansicht nimmt bei unbeendeten Versuchen einen Fehlschlag an, nicht hingegen bei beendeten Versuchen. Andere Literaturstimmen schließen bei einem erkannten Irrtum über den Handlungssinn die Freiwilligkeit aus.

Mit der hiesigen Entscheidung hat der 1. Strafsenat des BGH das Vorliegen eines Fehlschlags abgelehnt und einen freiwilligen Rücktritt zugelassen. Dies wurde in erster Linie damit begründet, dass die Identität einer Person nicht vom Begriff der Tat nach § 24 Abs. 1 StGB umfasst sei. Dementsprechend ist es – auch bei einem beendeten Versuch – ausreichend, dass der Täter den Erfolg nur deswegen verhindert, weil er erkannt hat, dass er das falsche Opfer vor sich hat.

Zudem wurde auch der Gedanken des Opferschutzes in die Wertung mit aufgenommen; dem Täter soll nämlich ein Anreiz geben werden, die Tatvollendung nach Bemerken des „error in persona“ aktiv zu verhindern.

Autorinnen und Autoren

  • Kathie Schröder
    Rechtsanwältin Kathie Schröder, Fachanwältin für Strafrecht und Fachanwältin für Medizinrecht, ist Partnerin der Kanzlei Schröder | Racky Kanzlei für Wirtschaftsstrafrecht in Frankfurt am Main. Sie ist Sprecherin des WisteV-Arbeitskreises Medizinstrafrecht und Mitglied der WiJ-Redaktion.

WiJ

  • Dr. Ulrich Leimenstoll

    Umweltstrafrecht – besondere Herausforderungen für die Verteidigung und strafrechtliche Beratung

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions-Compliance

    Außenwirtschaftsrecht, Kriegswaffenkontrollrecht

  • Ronja Pfefferl , Henrik Halfmann

    Außerstrafrechtliche Folgen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

    Individual- und Unternehmenssanktionen