Frank Peter Schuster: Das Verhältnis von Strafnormen und Bezugsnormen aus anderen Rechtsgebieten
Eine Untersuchung zum Allgemeinen Teil im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Habil., Berlin (Duncker & Humblot), 2012, 439 Seiten
In seiner von Volker Erb betreuten und 2010 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Mainz angenommenen Habilitationsschrift stellt Schuster „durch eine problemübergreifende Herangehensweise die verschiedenen Abgrenzungsfragen, die sich aus der Abhängigkeit wirtschafts- und steuerstrafrechtlicher Tatbestände von außerstrafrechtlichen Regelungen ergeben, in einen gemeinsamen Kontext“ (S. 400). Und zwar bearbeitet er diese praktisch überaus relevanten und theoretisch komplexen und kontroversen Abgrenzungsfragen in dreierlei Zusammenhang, erstens dem der Irrtumslehre, zweitens dem der zeitlichen Geltung und der Bestimmtheitsanforderungen, drittens im Zusammenhang europäischer und ausländischer Rechtsnormen und -akte.
Im ersten Teil der Arbeit will Schuster „für das deutsche Wirtschafts- und Steuerstrafrecht […] ein berechenbares Modell zur Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs zum Wahndelikt“ erarbeiten, das „zu sachgerechten Ergebnissen“ führt; dabei soll durch „intensive Auseinandersetzung mit der […] Rechtsprechung“ deren „Alltagsplausibilität“ realisiert werden (S. 20 f.). Die hier angedeutete methodische Weichenstellung ist ernst gemeint: Induktiv und unter Berücksichtigung der kriminologischen Dimension will Schuster eine praktisch überzeugend handhabbare und dabei dogmatisch robuste Lösung entwickeln.
Nach kurzen forensischen und kriminologischen Ausführungen, die vor allem die praktische Relevanz des Problems demonstrieren, arbeitet der Autor methodisch konsequent, nämlich im Sinne einer Sichtung des historischen Materials, zunächst die reichsgerichtliche Rechtsprechung heraus: Die Differenzierung zwischen Subsumtionsirrtümern, die sich auf Strafnormelemente beziehen, und solchen, die sich auf außerstrafrechtliche Bezugsnormen beziehen, wird hier bereits realisiert, indem (nur) letztere – tendenziell – den Vorsatz ausschließen bzw., wenn sie „umgekehrt“ sind, – tendenziell – zur Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs führen. Bindings Vorsatztheorie begreift jeden Irrtum als vorsatzausschließend; zu Dohna und von Hippel sehen Rechtsfolgen des Irrtums auf Vorsatz- oder Schuldebene (Schuldtheorie), differenzieren dabei aber nicht nach straf- und außerstrafnormativem Bezug; jeder „umgekehrte“ Irrtum führt nach der Literatur zur Straflosigkeit, da diese neben dem Wahndelikt auch, der objektiven Versuchstheorie folgend, den untauglichen Versuch für straflos erklärt. Schuster hat damit – historisch und dogmatisch – die Grundpositionen umrissen und erläutert sodann, den Einfluss Welzels herausstellend, die Etablierung der aktuellen Normen: §§ 16, 17 sowie §§ 22, 23 Abs. 3 StGB. Es folgt, im Sinne einer Bestandsaufnahme, ein breiter Abschnitt zu den verschiedenen modernen Ansätzen sowohl in der ausländischen Gesetzgebung als auch im deutschen Schrifttum, wie zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtum sowie untauglichem Versuch und Wahndelikt zu differenzieren und wie mit diesen in der Rechtsfolge umzugehen sei.
Im Rahmen der „Entwicklung des eigenen Standpunkts“ gelangen sodann vor allen Dingen die Begriffe des Blankettstrafgesetzes und, in Gegenüberstellung, des rechtsnormativen Tatbestandsmerkmals in den Fokus, wobei Schuster den ersteren für terminologisch problematisch hält, wie überhaupt die betreffende Begriffsbildung unübersichtlich und verwirrend sei (S. 20, 115-118). Auch wenn es vor diesem Hintergrund plausibel ist, an den Erfolgsaussichten eines weiteren terminologisch eigenständigen Lösungsansatzes zu zweifeln, so tritt doch an dieser Stelle die selbstauferlegte methodische Beschränkung klar hervor: Schuster verzichtet darauf, die genannten Begriffe dogmatisch-konstruktiv zu entwickeln, obwohl diese terminologisch ambivalent und zugleich nach eigener Problemdeutung zentral sind.
Der pragmatische, der Plausibilitätscharakter der im Folgenden entwickelten Aussagen ist demnach zu beachten. Das wird kaum augenfällig, wenn der Autor auf induktiv-kriminologischem Weg den ausnahmslosen Gleichlauf der Rechtsfolgen von Irrtum und umgekehrtem Irrtum postuliert: Vorsatzausschließende Irrtümer führten umgekehrt stets zum untauglichen Versuch, Irrtümer auf Schuldebene stets zum Wahndelikt. Denn evidentermaßen ist dies auch ein dogmatisch wünschenswertes Ergebnis. Punktueller, nämlich bezogen etwa auf die Bestimmung des Rechtsirrtums bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen als vorsatzausschließend, zeigt sich der Plausibilitätscharakter aber deutlicher: Dass es „auch wertungsmäßig keinen Unterschied [mache], aus welchem Grund der Täter etwa eine Sache irrig als fremd“ ansieht, nämlich „nichts an der Qualität des Tatentschlusses“ ändere (S. 127), kann man durchaus bestreiten. Auch die Formulierung, dass in bestimmten Fällen die „Bestrafung des Täters wegen untauglichen Versuchs […] kriminalpolitisch sicherlich nicht dermaßen zwingend“ ist wie in anderen (S. 128), lässt exemplarisch durchscheinen, dass nach der gewählten Methode nichts dogmatisch Zwingendes zu gewinnen ist.
Was sind aber die kriminologischen Maßstäbe? Dass sich im Kontext der „Vorwerfbarkeit“ mehrfach der Begriff „verzeihlich“ findet (vgl. etwa S. 148, 156, 209, 389), ist methodisch (etwa naturrechtlich-ethisch) nicht ernst gemeint, daher nicht zielführend; hingegen substantiiert Schuster die „Vorwerfbarkeit“ durch Rekurs auf den „antisozialen Charakter“, nämlich die Rechtsgutsbeeinträchtigung, die er für die verschiedenen Delikte und Irrtumskonstellationen sorgfältig durchdekliniert. Demnach sei entscheidend, wann der Gesetzgeber dem Bürger eine eigenständige Subsumtion abverlange (nämlich grundsätzlich bei Blanketttatbeständen) und wann demgegenüber die Subsumtion seitens einer staatlichen Stelle selbst erfolge (nämlich hinsichtlich blankettausfüllender staatlicher Einzelakte sowie hinsichtlich Bezugsnormen rechtsnormativer Tatbestandsmerkmale). In diesen letzteren Fällen „trägt“, so Schuster in forscher Diktion, „der partiell unmündige Bürger … keine Verantwortung, schuldet im Gegenzug aber Gehorsam“ (S. 390), es sei also die Vorsatztheorie anwendbar, ein betreffender (Rechts-)Irrtum schließe mithin den Vorsatz aus, ein umgekehrter Irrtum bewirke einen untauglichen Versuch. Das flankierend genannte Kriterium, ob die Rechtsverhältnisse gegenüber den Rechtsfolgen einer Bezugsnorm (im Anschluss an den BGH) „in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein“ führen (etwa S. 182, 188, 390), wirkt demgegenüber eher chiffrenhaft.
Im zweiten, selbständig für sich stehenden Teil der Arbeit (S. 212 ff.) untersucht Schuster zunächst, wie im Bereich bezugnehmender Strafnormen das Rückwirkungsge- und -verbot zu konkretisieren ist. Dass die nachträgliche Verschärfung blankettausfüllender oder durch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale in Bezug genommener Normen dem Täter gem. § 2 Abs. 1, 3 StGB nicht angelastet werden kann, lässt sich rasch feststellen. Im umgekehrten Fall, so der Autor, sei aber zu differenzieren, nämlich „größtenteils parallel zur Irrtumslehre“ (S. 251): Ändere sich ein blankettausfüllendes Merkmal nachträglich zugunsten des Täters, so sei dies grundsätzlich zu berücksichtigen, außer es handle sich um das Element eines staatlichen Einzelakts; die Änderung von Normen, die rechtsnormative Straftatbestandsmerkmale bestimmten, sei grundsätzlich unbeachtlich.
Partiell Strukturanaloges sei sodann festzustellen für die Bestimmtheitsanforderungen: Blankett- und sie konkretisierende Normen seien bezogen auf Art. 103 Abs. 2 GG als „Gesamttatbestand“ zu begreifen, wobei für – ebenfalls zu berücksichtigende – konkretisierende nichtförmliche Gesetze die Anforderungen der Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG (bei Rechtsverordnungen) bzw. Art. 20 Abs. 3 GG (bei Satzungen) erfüllt sein müssten, für Einzelakte die allgemeinen Bestimmtheitserfordernisse des Art. 20 Abs. 3 GG, beziehungsweise, spezieller, des § 37 VwVfG. Anders sei dies – korrelierend mit der Privilierung des irrenden Täters – bezogen auf rechtsnormative Straftatbestandsmerkmale und den von diesen in Bezug genommenen Normen: Nur erstere unterlägen dem Bestimmtheitsgebot, letztere, hinsichtlich derer der Gesetzgeber dem Bürger keine selbständige Subsumtion abverlange, hingegen nicht. Auch unterläge die Anwendung der letzteren im Gegensatz zu den blankettausfüllenden Normen nicht dem Analogieverbot.
Auch der dritte Teil der Arbeit (S. 304 ff.) steht selbständig für sich. Er thematisiert zunächst das „europäische Strafrecht“, hier nämlich die Frage, welche Maßstäbe an nationale Strafnormen zu stellen sind, die europäische Richtlinien umsetzen: Die Auslegung sei sowohl durch europäische als auch grundgesetzliche Vorgaben beschränkt; statische und auch dynamische Verweisungen auf europäische Normen, insbesondere mittels Blanketttechnik, seien bedingt zulässig, die Konkretisierung der europäischen Normen durch nichtförmliche Gesetze durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG begrenzt. Bezogen auf Straftaten mit Auslandsbezug stellt Schuster fest, dass deutsche Blankettnormen nicht durch ausländische Bezugsnormen ausgefüllt werden könnten, deutsche rechtsnormative Straftatbestandsmerkmale hingegen grundsätzlich (das heißt insbesondere nach dem Maßstab des Art. 6 EGBGB) schon; auch ausländische staatliche Einzelakte könnten Relevanz entfalten.
Abgesehen von den Ausführungen zum europäischen Strafrecht, die sich, so der Autor, aus dessen praktischer Bedeutung rechtfertigten (S. 388), liegt das Verbindende der drei in sich geschlossenen Teile also in der gleichermaßen belegten Bedeutung der unterschiedlichen Verweisungstechnik. Für den weit überwiegenden Teil der untersuchten Strafnormen gelangt Schuster dabei zu übereinstimmenden Ergebnissen mit der Rechtsprechung. Dass man sich im Einzelfall weiterhin streiten kann, entwertet diesen Gesamtbefund in der Tat nicht; und als Wechselwirkung ergibt sich durchaus eine beachtliche Konsistenzerhöhung, so dass der Autor seinen Anspruch, „dem Vorwurf einer intuitiven Rechtsfindung (mit Blick auf das gewünschte Ergebnis) besser entgegentreten“ zu können, durchaus einlöst (S. 401). Ganz entkräften kann er ihn aber nicht. Denn die gewählte Methode ist ihrerseits nicht gegen zirkuläre Argumentationsstrukturen gefeit. Erst die Implementierung der induktiv-kriminologisch gefundenen Maßstäbe in eine begrifflich geschlossene Dogmatik könnte das, aufs Ganze gesehen, bewerkstelligen – was indes nicht als Kritik verstanden sei, sondern als Desiderat, das gegenüber dem klar formulierten und konsequent und detailgenau durchgeführten methodischen Konzept Schusters eine eigene Themenstellung bildet.
[:en]
Eine Untersuchung zum Allgemeinen Teil im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, Habil., Berlin (Duncker & Humblot), 2012, 439 Seiten
In seiner von Volker Erb betreuten und 2010 vom Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Mainz angenommenen Habilitationsschrift stellt Schuster „durch eine problemübergreifende Herangehensweise die verschiedenen Abgrenzungsfragen, die sich aus der Abhängigkeit wirtschafts- und steuerstrafrechtlicher Tatbestände von außerstrafrechtlichen Regelungen ergeben, in einen gemeinsamen Kontext“ (S. 400). Und zwar bearbeitet er diese praktisch überaus relevanten und theoretisch komplexen und kontroversen Abgrenzungsfragen in dreierlei Zusammenhang, erstens dem der Irrtumslehre, zweitens dem der zeitlichen Geltung und der Bestimmtheitsanforderungen, drittens im Zusammenhang europäischer und ausländischer Rechtsnormen und -akte.
Im ersten Teil der Arbeit will Schuster „für das deutsche Wirtschafts- und Steuerstrafrecht […] ein berechenbares Modell zur Abgrenzung des Tatbestands- vom Verbotsirrtum und des untauglichen Versuchs zum Wahndelikt“ erarbeiten, das „zu sachgerechten Ergebnissen“ führt; dabei soll durch „intensive Auseinandersetzung mit der […] Rechtsprechung“ deren „Alltagsplausibilität“ realisiert werden (S. 20 f.). Die hier angedeutete methodische Weichenstellung ist ernst gemeint: Induktiv und unter Berücksichtigung der kriminologischen Dimension will Schuster eine praktisch überzeugend handhabbare und dabei dogmatisch robuste Lösung entwickeln.
Nach kurzen forensischen und kriminologischen Ausführungen, die vor allem die praktische Relevanz des Problems demonstrieren, arbeitet der Autor methodisch konsequent, nämlich im Sinne einer Sichtung des historischen Materials, zunächst die reichsgerichtliche Rechtsprechung heraus: Die Differenzierung zwischen Subsumtionsirrtümern, die sich auf Strafnormelemente beziehen, und solchen, die sich auf außerstrafrechtliche Bezugsnormen beziehen, wird hier bereits realisiert, indem (nur) letztere – tendenziell – den Vorsatz ausschließen bzw., wenn sie „umgekehrt“ sind, – tendenziell – zur Strafbarkeit wegen untauglichen Versuchs führen. Bindings Vorsatztheorie begreift jeden Irrtum als vorsatzausschließend; zu Dohna und von Hippel sehen Rechtsfolgen des Irrtums auf Vorsatz- oder Schuldebene (Schuldtheorie), differenzieren dabei aber nicht nach straf- und außerstrafnormativem Bezug; jeder „umgekehrte“ Irrtum führt nach der Literatur zur Straflosigkeit, da diese neben dem Wahndelikt auch, der objektiven Versuchstheorie folgend, den untauglichen Versuch für straflos erklärt. Schuster hat damit – historisch und dogmatisch – die Grundpositionen umrissen und erläutert sodann, den Einfluss Welzels herausstellend, die Etablierung der aktuellen Normen: §§ 16, 17 sowie §§ 22, 23 Abs. 3 StGB. Es folgt, im Sinne einer Bestandsaufnahme, ein breiter Abschnitt zu den verschiedenen modernen Ansätzen sowohl in der ausländischen Gesetzgebung als auch im deutschen Schrifttum, wie zwischen Tatsachen- und Rechtsirrtum sowie untauglichem Versuch und Wahndelikt zu differenzieren und wie mit diesen in der Rechtsfolge umzugehen sei.
Im Rahmen der „Entwicklung des eigenen Standpunkts“ gelangen sodann vor allen Dingen die Begriffe des Blankettstrafgesetzes und, in Gegenüberstellung, des rechtsnormativen Tatbestandsmerkmals in den Fokus, wobei Schuster den ersteren für terminologisch problematisch hält, wie überhaupt die betreffende Begriffsbildung unübersichtlich und verwirrend sei (S. 20, 115-118). Auch wenn es vor diesem Hintergrund plausibel ist, an den Erfolgsaussichten eines weiteren terminologisch eigenständigen Lösungsansatzes zu zweifeln, so tritt doch an dieser Stelle die selbstauferlegte methodische Beschränkung klar hervor: Schuster verzichtet darauf, die genannten Begriffe dogmatisch-konstruktiv zu entwickeln, obwohl diese terminologisch ambivalent und zugleich nach eigener Problemdeutung zentral sind.
Der pragmatische, der Plausibilitätscharakter der im Folgenden entwickelten Aussagen ist demnach zu beachten. Das wird kaum augenfällig, wenn der Autor auf induktiv-kriminologischem Weg den ausnahmslosen Gleichlauf der Rechtsfolgen von Irrtum und umgekehrtem Irrtum postuliert: Vorsatzausschließende Irrtümer führten umgekehrt stets zum untauglichen Versuch, Irrtümer auf Schuldebene stets zum Wahndelikt. Denn evidentermaßen ist dies auch ein dogmatisch wünschenswertes Ergebnis. Punktueller, nämlich bezogen etwa auf die Bestimmung des Rechtsirrtums bei rechtsnormativen Tatbestandsmerkmalen als vorsatzausschließend, zeigt sich der Plausibilitätscharakter aber deutlicher: Dass es „auch wertungsmäßig keinen Unterschied [mache], aus welchem Grund der Täter etwa eine Sache irrig als fremd“ ansieht, nämlich „nichts an der Qualität des Tatentschlusses“ ändere (S. 127), kann man durchaus bestreiten. Auch die Formulierung, dass in bestimmten Fällen die „Bestrafung des Täters wegen untauglichen Versuchs […] kriminalpolitisch sicherlich nicht dermaßen zwingend“ ist wie in anderen (S. 128), lässt exemplarisch durchscheinen, dass nach der gewählten Methode nichts dogmatisch Zwingendes zu gewinnen ist.
Was sind aber die kriminologischen Maßstäbe? Dass sich im Kontext der „Vorwerfbarkeit“ mehrfach der Begriff „verzeihlich“ findet (vgl. etwa S. 148, 156, 209, 389), ist methodisch (etwa naturrechtlich-ethisch) nicht ernst gemeint, daher nicht zielführend; hingegen substantiiert Schuster die „Vorwerfbarkeit“ durch Rekurs auf den „antisozialen Charakter“, nämlich die Rechtsgutsbeeinträchtigung, die er für die verschiedenen Delikte und Irrtumskonstellationen sorgfältig durchdekliniert. Demnach sei entscheidend, wann der Gesetzgeber dem Bürger eine eigenständige Subsumtion abverlange (nämlich grundsätzlich bei Blanketttatbeständen) und wann demgegenüber die Subsumtion seitens einer staatlichen Stelle selbst erfolge (nämlich hinsichtlich blankettausfüllender staatlicher Einzelakte sowie hinsichtlich Bezugsnormen rechtsnormativer Tatbestandsmerkmale). In diesen letzteren Fällen „trägt“, so Schuster in forscher Diktion, „der partiell unmündige Bürger … keine Verantwortung, schuldet im Gegenzug aber Gehorsam“ (S. 390), es sei also die Vorsatztheorie anwendbar, ein betreffender (Rechts-)Irrtum schließe mithin den Vorsatz aus, ein umgekehrter Irrtum bewirke einen untauglichen Versuch. Das flankierend genannte Kriterium, ob die Rechtsverhältnisse gegenüber den Rechtsfolgen einer Bezugsnorm (im Anschluss an den BGH) „in der sozialen Wirklichkeit ein eigenständiges Dasein“ führen (etwa S. 182, 188, 390), wirkt demgegenüber eher chiffrenhaft.
Im zweiten, selbständig für sich stehenden Teil der Arbeit (S. 212 ff.) untersucht Schuster zunächst, wie im Bereich bezugnehmender Strafnormen das Rückwirkungsge- und -verbot zu konkretisieren ist. Dass die nachträgliche Verschärfung blankettausfüllender oder durch rechtsnormative Tatbestandsmerkmale in Bezug genommener Normen dem Täter gem. § 2 Abs. 1, 3 StGB nicht angelastet werden kann, lässt sich rasch feststellen. Im umgekehrten Fall, so der Autor, sei aber zu differenzieren, nämlich „größtenteils parallel zur Irrtumslehre“ (S. 251): Ändere sich ein blankettausfüllendes Merkmal nachträglich zugunsten des Täters, so sei dies grundsätzlich zu berücksichtigen, außer es handle sich um das Element eines staatlichen Einzelakts; die Änderung von Normen, die rechtsnormative Straftatbestandsmerkmale bestimmten, sei grundsätzlich unbeachtlich.
Partiell Strukturanaloges sei sodann festzustellen für die Bestimmtheitsanforderungen: Blankett- und sie konkretisierende Normen seien bezogen auf Art. 103 Abs. 2 GG als „Gesamttatbestand“ zu begreifen, wobei für – ebenfalls zu berücksichtigende – konkretisierende nichtförmliche Gesetze die Anforderungen der Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG (bei Rechtsverordnungen) bzw. Art. 20 Abs. 3 GG (bei Satzungen) erfüllt sein müssten, für Einzelakte die allgemeinen Bestimmtheitserfordernisse des Art. 20 Abs. 3 GG, beziehungsweise, spezieller, des § 37 VwVfG. Anders sei dies – korrelierend mit der Privilierung des irrenden Täters – bezogen auf rechtsnormative Straftatbestandsmerkmale und den von diesen in Bezug genommenen Normen: Nur erstere unterlägen dem Bestimmtheitsgebot, letztere, hinsichtlich derer der Gesetzgeber dem Bürger keine selbständige Subsumtion abverlange, hingegen nicht. Auch unterläge die Anwendung der letzteren im Gegensatz zu den blankettausfüllenden Normen nicht dem Analogieverbot.
Auch der dritte Teil der Arbeit (S. 304 ff.) steht selbständig für sich. Er thematisiert zunächst das „europäische Strafrecht“, hier nämlich die Frage, welche Maßstäbe an nationale Strafnormen zu stellen sind, die europäische Richtlinien umsetzen: Die Auslegung sei sowohl durch europäische als auch grundgesetzliche Vorgaben beschränkt; statische und auch dynamische Verweisungen auf europäische Normen, insbesondere mittels Blanketttechnik, seien bedingt zulässig, die Konkretisierung der europäischen Normen durch nichtförmliche Gesetze durch Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG begrenzt. Bezogen auf Straftaten mit Auslandsbezug stellt Schuster fest, dass deutsche Blankettnormen nicht durch ausländische Bezugsnormen ausgefüllt werden könnten, deutsche rechtsnormative Straftatbestandsmerkmale hingegen grundsätzlich (das heißt insbesondere nach dem Maßstab des Art. 6 EGBGB) schon; auch ausländische staatliche Einzelakte könnten Relevanz entfalten.
Abgesehen von den Ausführungen zum europäischen Strafrecht, die sich, so der Autor, aus dessen praktischer Bedeutung rechtfertigten (S. 388), liegt das Verbindende der drei in sich geschlossenen Teile also in der gleichermaßen belegten Bedeutung der unterschiedlichen Verweisungstechnik. Für den weit überwiegenden Teil der untersuchten Strafnormen gelangt Schuster dabei zu übereinstimmenden Ergebnissen mit der Rechtsprechung. Dass man sich im Einzelfall weiterhin streiten kann, entwertet diesen Gesamtbefund in der Tat nicht; und als Wechselwirkung ergibt sich durchaus eine beachtliche Konsistenzerhöhung, so dass der Autor seinen Anspruch, „dem Vorwurf einer intuitiven Rechtsfindung (mit Blick auf das gewünschte Ergebnis) besser entgegentreten“ zu können, durchaus einlöst (S. 401). Ganz entkräften kann er ihn aber nicht. Denn die gewählte Methode ist ihrerseits nicht gegen zirkuläre Argumentationsstrukturen gefeit. Erst die Implementierung der induktiv-kriminologisch gefundenen Maßstäbe in eine begrifflich geschlossene Dogmatik könnte das, aufs Ganze gesehen, bewerkstelligen – was indes nicht als Kritik verstanden sei, sondern als Desiderat, das gegenüber dem klar formulierten und konsequent und detailgenau durchgeführten methodischen Konzept Schusters eine eigene Themenstellung bildet.