Dr. Beatrix Elsner

Kurzbeitrag zum Steuerstrafrecht

Dem deutschen Gesetzgeber ist es ernst mit der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Das hat er nicht zuletzt mit dem am 14.12.2010 in Kraft getretenen Steuerjahresgesetz 2010 bewiesen. Durch dieses kam es mit der Streichung des sogenannten Gegenseitigkeitskriteriums in § 370 Abs. 6 S. 3 AO auch zu einer Änderung im Hinblick auf die Verfolgungsmöglichkeit deutscher Finanz- und Strafverfolgungsbehörden in Steuerstrafsachen.

Die Maßnahme dient der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen durch Umsatzsteuerbetrug und der Verbesserung der grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung. Nach der Gesetzbegründung (BT-Drs. 17/2249) können Unternehmen, die sich über Umsatzsteuerbetrug finanzielle Vorteile erwirtschaften, ihre Produkte am Markt wesentlich günstiger anbieten als steuerehrliche Unternehmer. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen insbesondere im mittelständischen Unternehmenssektor.

Diese Thematik hatte insbesondere durch die Schaffung des Binnenmarktes zum 01.01.1993 an Relevanz gewonnen, mit der auch die Steuergrenzen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten weggefallen waren. Dadurch entstanden vollkommen neue Möglichkeiten der Steuerhinterziehung, so insbesondere des grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugs.

Dies soll kurz anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden:

Der deutsche Unternehmer U liefert – zumindest nach Papierlage, aber nicht immer tatsächlich – ins europäische Gemeinschaftsgebiet. Diese innergemeinschaftliche Lieferung ist gemäß § 6a UStG grundsätzlich steuerfrei. Bei rechtstreuem Verhalten aller Beteiligten ist dies möglich, da im Gegenzug der innergemeinschaftliche Erwerb im Empfängerland besteuert wird (§§ 1a, 3d UStG) und somit keine Schäden am Steueraufkommen in den Mitgliedstaaten entstehen. Die Lieferkette bleibt damit nachvollziehbar.

In der hier problematisierten Praxis jedoch kommt der Abnehmer in seinem Registrierungsland seinen steuerlichen Pflichten häufig nicht nach, etwa durch „Scheinfirmen”, die mit falschen Anschriften – bzw. als reine Briefkastenfirmen –, falschen oder nicht existierenden Steuer- oder Umsatzsteuer-Identifikations-Nummern (USt-IDNr.) auftreten und – zumindest für die Finanzverwaltung – nicht erkennen lassen, wer tatsächlich die gelieferte Ware erwirbt. Dies führte, bei um diese Umstände wissentlicher Mitwirkung von U, grundsätzlich zu einer Beteiligungshandlung an einer Straftat gegen das ausländische Umsatz- bzw. Verbrauchssteueraufkommen, die bis Ende 1992 straflos war.

Dieser Problematik sollte durch Ergänzung des § 370 AO (Absatz 6 Sätze 2-4) im Rahmen des Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 01.01.1993 Einhalt geboten werden, wonach auch Taten in Deutschland unter Strafe gestellt wurden, die sich gegen ausländische Umsatz- bzw. Verbrauchssteueraufkommen richten.

Allerdings wurde eine mögliche Strafbarkeit durch den Gesetzgeber insoweit eingeschränkt, als die Straftaten gegen ausländische Umsatz- bzw. Verbrauchssteueraufkommen in Deutschland nur dann strafbar waren, soweit die Gegenseitigkeit der Strafverfolgung verbürgt war (§ 370 Abs. 6 S. 3 AO a.F.).

Die Gegenseitigkeit galt grundsätzlich dann als verbürgt (vgl. auch § 104a StGB), wenn in dem von der Tat betroffenen Mitgliedstaat die Beeinträchtigung deutscher Umsatz- und Verbrauchsteuern unter Strafe gestellt ist, d.h. also, wenn Deutschland im jeweiligen Auslandsstaat einen entsprechenden Strafschutz genießt und dieser Schutz auf einer bindenden Rechtsvorschrift beruht, deren Durchsetzung in dem anderen Staat tatsächlich gewährleistet ist.[1] Ferner verlangte das Gesetz zudem die Niederlegung der Gegenseitigkeitsverbürgung in einer vom Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen Rechtsverordnung (§ 370 Abs. 4 AO). Eine entsprechende Rechtsverordnung wurde jedoch niemals erlassen.

Dies hatte zur Folge, dass der an sich strafbare Umsatzsteuerbetrug zu Lasten der Haushalte anderer EU-Mitgliedstaaten in Deutschland gar nicht geahndet wurde und die zur grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung eingeführte Regelung des § 370 AO Abs. 6 S. 2-4 AO faktisch ins Leere lief.

Nach der Gesetzesbegründung schloss die Bundesregierung mit der Streichung des Gegenseitigkeitskriteriums in § 370 Abs. 6 S. 3 AO diese Strafbarkeitslücke und schützt damit im Ergebnis die steuerehrlichen Unternehmer, indem zumindest ein Auslöser für Wettbewerbsverzerrungen beseitigt wird.

Auch heute, drei Jahre nach Inkrafttreten des Steuerjahresgesetz 2010, ist nicht ersichtlich, ob und inwieweit die deutschen Strafverfolgungsbehörden bislang von dieser Regelung tatsächlich Gebrauch gemacht haben und zukünftig auch machen werden. Vor dem Hintergrund, dass die Strafverfolgungsbehörden in vielen Fällen gegen den Beteiligten an einer Steuerhinterziehung in einem europäischen Mitgliedstaat vermutlich auch schon wegen Täterschaft einer eigenen Steuerhinterziehung zu Lasten des deutschen Fiskus ermitteln dürften, steht zu vermuten, dass von der Regelung eher zurückhaltend Gebrauch gemacht wird.

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Dem deutschen Gesetzgeber ist es ernst mit der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs. Das hat er nicht zuletzt mit dem am 14.12.2010 in Kraft getretenen Steuerjahresgesetz 2010 bewiesen. Durch dieses kam es mit der Streichung des sogenannten Gegenseitigkeitskriteriums in § 370 Abs. 6 S. 3 AO auch zu einer Änderung im Hinblick auf die Verfolgungsmöglichkeit deutscher Finanz- und Strafverfolgungsbehörden in Steuerstrafsachen.

Die Maßnahme dient der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen durch Umsatzsteuerbetrug und der Verbesserung der grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung. Nach der Gesetzbegründung (BT-Drs. 17/2249) können Unternehmen, die sich über Umsatzsteuerbetrug finanzielle Vorteile erwirtschaften, ihre Produkte am Markt wesentlich günstiger anbieten als steuerehrliche Unternehmer. Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen insbesondere im mittelständischen Unternehmenssektor.

Diese Thematik hatte insbesondere durch die Schaffung des Binnenmarktes zum 01.01.1993 an Relevanz gewonnen, mit der auch die Steuergrenzen zwischen den EU-Mitgliedsstaaten weggefallen waren. Dadurch entstanden vollkommen neue Möglichkeiten der Steuerhinterziehung, so insbesondere des grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugs.

Dies soll kurz anhand des folgenden Beispiels verdeutlicht werden:

Der deutsche Unternehmer U liefert – zumindest nach Papierlage, aber nicht immer tatsächlich – ins europäische Gemeinschaftsgebiet. Diese innergemeinschaftliche Lieferung ist gemäß § 6a UStG grundsätzlich steuerfrei. Bei rechtstreuem Verhalten aller Beteiligten ist dies möglich, da im Gegenzug der innergemeinschaftliche Erwerb im Empfängerland besteuert wird (§§ 1a, 3d UStG) und somit keine Schäden am Steueraufkommen in den Mitgliedstaaten entstehen. Die Lieferkette bleibt damit nachvollziehbar.

In der hier problematisierten Praxis jedoch kommt der Abnehmer in seinem Registrierungsland seinen steuerlichen Pflichten häufig nicht nach, etwa durch „Scheinfirmen”, die mit falschen Anschriften – bzw. als reine Briefkastenfirmen –, falschen oder nicht existierenden Steuer- oder Umsatzsteuer-Identifikations-Nummern (USt-IDNr.) auftreten und – zumindest für die Finanzverwaltung – nicht erkennen lassen, wer tatsächlich die gelieferte Ware erwirbt. Dies führte, bei um diese Umstände wissentlicher Mitwirkung von U, grundsätzlich zu einer Beteiligungshandlung an einer Straftat gegen das ausländische Umsatz- bzw. Verbrauchssteueraufkommen, die bis Ende 1992 straflos war.

Dieser Problematik sollte durch Ergänzung des § 370 AO (Absatz 6 Sätze 2-4) im Rahmen des Umsatzsteuer-Binnenmarktgesetzes vom 01.01.1993 Einhalt geboten werden, wonach auch Taten in Deutschland unter Strafe gestellt wurden, die sich gegen ausländische Umsatz- bzw. Verbrauchssteueraufkommen richten.

Allerdings wurde eine mögliche Strafbarkeit durch den Gesetzgeber insoweit eingeschränkt, als die Straftaten gegen ausländische Umsatz- bzw. Verbrauchssteueraufkommen in Deutschland nur dann strafbar waren, soweit die Gegenseitigkeit der Strafverfolgung verbürgt war (§ 370 Abs. 6 S. 3 AO a.F.).

Die Gegenseitigkeit galt grundsätzlich dann als verbürgt (vgl. auch § 104a StGB), wenn in dem von der Tat betroffenen Mitgliedstaat die Beeinträchtigung deutscher Umsatz- und Verbrauchsteuern unter Strafe gestellt ist, d.h. also, wenn Deutschland im jeweiligen Auslandsstaat einen entsprechenden Strafschutz genießt und dieser Schutz auf einer bindenden Rechtsvorschrift beruht, deren Durchsetzung in dem anderen Staat tatsächlich gewährleistet ist.[1] Ferner verlangte das Gesetz zudem die Niederlegung der Gegenseitigkeitsverbürgung in einer vom Bundesministerium der Finanzen mit Zustimmung des Bundesrates erlassenen Rechtsverordnung (§ 370 Abs. 4 AO). Eine entsprechende Rechtsverordnung wurde jedoch niemals erlassen.

Dies hatte zur Folge, dass der an sich strafbare Umsatzsteuerbetrug zu Lasten der Haushalte anderer EU-Mitgliedstaaten in Deutschland gar nicht geahndet wurde und die zur grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrugsbekämpfung eingeführte Regelung des § 370 AO Abs. 6 S. 2-4 AO faktisch ins Leere lief.

Nach der Gesetzesbegründung schloss die Bundesregierung mit der Streichung des Gegenseitigkeitskriteriums in § 370 Abs. 6 S. 3 AO diese Strafbarkeitslücke und schützt damit im Ergebnis die steuerehrlichen Unternehmer, indem zumindest ein Auslöser für Wettbewerbsverzerrungen beseitigt wird.

Auch heute, drei Jahre nach Inkrafttreten des Steuerjahresgesetz 2010, ist nicht ersichtlich, ob und inwieweit die deutschen Strafverfolgungsbehörden bislang von dieser Regelung tatsächlich Gebrauch gemacht haben und zukünftig auch machen werden. Vor dem Hintergrund, dass die Strafverfolgungsbehörden in vielen Fällen gegen den Beteiligten an einer Steuerhinterziehung in einem europäischen Mitgliedstaat vermutlich auch schon wegen Täterschaft einer eigenen Steuerhinterziehung zu Lasten des deutschen Fiskus ermitteln dürften, steht zu vermuten, dass von der Regelung eher zurückhaltend Gebrauch gemacht wird.

[1] Weyand, INF 1993, 461; Joecks, in: Franzen/Gast/Joecks, Steuerstrafrecht, § 370 StGB Rn. 30.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Beatrix Elsner
    Beatrix Elsner ist Senior Associate im Frankfurter Büro von Clifford Chance. Sie berät Unternehmen auf dem Gebiet des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts und des Ordnungswidrigkeitenrechts.

WiJ

  • Dr. Kathrin Klose

    Die Reichweite des ne bis in idem-Grundsatzes im Unionsrecht

    Internationales Strafrecht, EU, Rechtshilfe, Auslandsbezüge

  • Raimund Weyand

    Wichtige Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

    Insolvenz, Bankrott, Bilanz

  • Sebastian Wolf

    Tagungsbericht: WisteV-wistra-Neujahrstagung 2025

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)