Stellungnahme der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. (WisteV) zum „Referentenentwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“
Als „Wirtschaftsstrafrechtliche Vereinigung e.V.“ nehmen wir lediglich insoweit Stellung, als die Neuregelungen Auswirkungen auf Ermittlungs- und Strafverfahren auf dem Gebiet der Wirtschaftskriminalität zeitigen können. Das trifft auf verschiedene Aspekte aus dem „Entwurf eines Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ zu, nicht aber auf den weiteren „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung“, auf den wir deshalb nicht gesondert eingehen.
Als berufsübergreifender Verband können wir zudem nur entweder allgemeine Leitlinien oder bedenkenswerte Aspekte aufzeigen, ohne bei letzteren durchweg Stellung zu beziehen.
Die Funktionsfähigkeit der Justiz auch bei dauerhaft hoher Belastung zu sichern und das Verfahren effektiv zu gestalten, sind ebenso anerkennenswerte Ziele wie die effiziente Sicherung der Verteidigungsmöglichkeiten von Beschuldigten, Angeschuldigten und Angeklagten. Deren Verkürzung allein aufgrund von personeller oder sächlicher Minderausstattung der Justiz wäre demgemäß nicht legitim.
I. Zu Nummern 1, 2 und 3 (§§ 26, 26a und 29 StPO-E):
Angesichts der Auswirkungen einer Verschiebung des Beginns der Hauptverhandlung auf die Besetzung, zumindest bei den Schöffen, und der damit notwendigerweise verbundenen Berührung des Rechts auf den gesetzlichen Richter, sind Bemühungen verständlich, den Einfluss des Zeitpunkts des Anbringens eines Ablehnungsantrags auf den Beginn der Hauptverhandlung de lege ferenda auszuschließen. Es ist allerdings nicht ersichtlich, wie der Grundsatz der Mündlichkeit und die damit verbundene Transparenz der Hauptverhandlung in diesem frühen Stadium sachgerecht mittels Verweisung auf die Möglichkeit schriftlichen Anbringens des Gesuchs gemäß § 257a S. 1 StPO sachgerecht eingeschränkt werden könnte.
Der Rechtssicherheit würde es dienen, im Gesetz eine Entscheidungsfrist vorzusehen. Diese könnte sich in Anlehnung an § 29 Abs. 2 S. 1 StPO auf 3 Arbeitstage belaufen.
II. Zu Nummern 4 und 20 (§§ 58a und 254 StPO-E):
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes von Beschuldigten und Zeugen, aber auch von sonstigen Beteiligten wie Sachverständigen und Vernehmungsbeamten, muss die Gefahrmissbräuchlicher Verwendung von Aufzeichnungen gebannt werden. Dazu bedarf es (zumindest: auch) einer technischen Lösung: Das Gesetz muss insoweit bestimmen, dass die Justiz Aufzeichnungen nur dann weitergeben darf, wenn sie mit einem wirksamen Kopierschutz versehen sind.
Eine derartige Lösung würde zugleich den Anreiz für Zeugen zu verringern, der Weitergabe an Einsichtsberechtigte zu widersprechen. Das liegt im Interesse aller Verfahrensbeteiligten, da andernfalls die gesamte Aussage verschriftlicht werden müsste. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann dieser Kostenfaktor ersatzfähig ausgestaltet werden wird.
Ob und inwieweit videographierte Vernehmungen tatsächlich zu einer verbesserten Aufklärung beitragen können, ist weiterhin ungeklärt und mag vom Einzelfall abhängen. Da viele Menschen ihr Verhalten ändern, wenn ihnen bewusst ist, dass sie von einer Kamera aufgezeichnet werden, lassen sich Auswirkungen auch auf den Inhalt von Vernehmungen nicht als bloß theoretisch abtun. Allerdings nimmt die Kameraerfahrung technisch bedingt täglich zu und bei den Akteuren in Wirtschaftsstrafsachen handelt es sich vielleicht überproportional häufig auch um bereits medienerfahrene Personen.
Jeder Beweistransfer in die Hauptverhandlung steht in einem Spannungsverhältnis zum Unmittelbarkeitsgrundsatz und kann, sind Zeugen oder Sachverständige betroffen, zu einer Verletzung des Konfrontationsrechts des Angeklagten führen. Demgemäß kann das erleichterte Abspielen der Videoaufzeichnung einer Vernehmung in der Hauptverhandlung bestenfalls einzelfallabhängig zu ihrer Beschleunigung beitragen. Diesem Effekt stehen jedoch zu erwartende Erweiterungen der Beweisaufnahme gegenüber.
Anerkennung verdient der Versuch, die Beweisaufnahme von für die Wahrheitsfindung unnötigen Passagen freizuhalten, soll doch die Videoaufzeichnung als bloße Hilfe für die Aufnahme einer Aussage im Ermittlungsverfahren dienen, während sie die Vernehmung in der Hauptverhandlung nur bei Einvernehmen ersetzen können soll, § 254 StPO-E. Es bestehen aber Zweifel, ob dieses Ziel erreicht werden kann.
Die Auffassung, bei § 58a StPO-E handele es sich lediglich um eine Ordnungsvorschrift (S. 23), überzeugt nicht, denn das Fehlen einer gebotenen Aufzeichnung wäre sehr wohl prozessordnungswidrig: Liegen die Voraussetzungen vor, so „ist“ die Aufnahme nach dem Entwurf zwingend vorgeschrieben. Erfolgte die Aufzeichnung umgekehrt trotz fehlender Voraussetzungen, so würde ihr eine Rechtsgrundlage fehlen. Das Einstufen als bloße Ordnungsvorschrift dürfte der Erwägung geschuldet sein, dass das Aufheben eines Urteils in der Revisionsinstanz allein aufgrund einer Fehlabgrenzung bei der Aufzeichnungsentscheidung als übermäßig erscheinen mag. Suchte man eine praxistaugliche Alternative in der Ausgestaltung als eingeschränkte Ermessensvorschrift („soll“), so wäre zumindest in der Begründung klarzustellen, dass eine willkürliche Handhabung die Revision aus dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das Fairnessgebot begründen könnte.
Auch wenn § 58a StPO als bloße Ordnungsvorschrift verstanden würde, könnten Beweisanträge, die darauf gerichtet sind, weitere Teile einer Aufzeichnung vorzuführen, nur gemäß § 244 Abs. 3 StPO abgelehnt werden. Es hinge vom Geschick des Antragstellers ab, dies zu verhindern. Die mit jedem nicht erhobenen Beweis verbundenen Ungewissheiten würden allerdings vorsichtige Richter geneigt sein lassen, die erbetenen Teile trotz des Zeitaufwands gemäß § 244 Abs. 2 StPO von Amts wegen in die Hauptverhandlung einzuführen. Um einer nicht intendierten und der Wahrheitsfindung nicht dienlichen Ausweitung der Beweisaufnahme entgegenzuwirken erscheint es als sachgerecht, § 244 Abs. 5 S. 1 StPO ausdrücklich für (entsprechend) anwendbar zu erklären, ohne eine dogmatische Entscheidung treffen zu müssen, ob (bzw. unter welchen Umständen) das Einführen einer Videoaufzeichnung den Regeln des Augenscheins- oder des Urkundenbeweises zu folgen hat.
Streitträchtige Abgrenzungsfragen könnten sich auch im Zusammenhang mit Beginn und Ende der Aufzeichnung stellen. Dem zu begegnen, hält der Entwurf eine fakultative Bekräftigung der Vollständigkeit nebst Erwähnung etwaiger Vorgespräche für ausreichend (S. 22). Der Misstrauische wird aber gerade jeden Hinweis auf ein Vorgespräch zum Anlass nehmen, dessen Notwendigkeit und Inhalt zu problematisieren. Es lässt sich allerdings nie gewährleisten, dass sämtliche Kontakte zwischen Verfahrensbeteiligten, insbesondere Polizisten und Staatsanwälten, und einem Zeugen vollständig, quasi 1 : 1, dokumentiert werden. Lässt sich ein verängstigter Zeuge vom verteidigungsseits befürchteten machtversessenen Polizisten oder vom justizseits vermuteten erpresserischen Mittäter einschüchtern, so führt dieser „Erfolg“ konsequenterweise zum Verschweigen oder Verschleiern der vorangegangenen Einflussnahme. Die unvermeidlich bestehenbleibenden Imponderabilien bestärken nicht nur die Zweifel an der Sachgerechtigkeit vermehrter Videoaufzeichnungen, sondern zeigen auch die Notwendigkeit eines gewissen Grundvertrauens in die Redlichkeit des Agierens aller Verfahrensbeteiligter bzw. des Akzeptierens der damit verbundenen Ungewissheiten. Selbst der intensivste Überwachungsstaat könnte die Komplexität eines jeden Geschehens immer nur aus bestimmter Perspektive und damit ausschnittsweise dokumentieren. Bei Einhaltung gebotener Sprachdisziplin, wenn also immer nur einer spricht, das dann aber klar und deutlich, ist die vermehrte Zulassung von Videoaufzeichnungen sicherlich geeignet, den aufgenommenen Ausschnitt umfassender als eine bloße, noch dazu nicht wortgetreue Niederschrift wiederzugeben. Angesichts dessen ist ein Bedarf zusätzlicher Vorsorge gegen theoretisch immer denkbaren Missbrauch nicht zu erkennen.
Rein praktisch bleiben Zweifel an der Realisierbarkeit der Vorstellung, eine Aufzeichnung könne – und das wäre für Wirtschaftsstrafsachen durchaus typisch (Begründung S. 23 und 24) – auch in Verfahren mit hohen Vermögensschäden geboten sein. Sollte damit gemeint sein, dass mit steigender Straferwartung mehr Sorgfalt auf die Beweisaufnahme zu verwenden ist, so wäre dies durchaus plausibel, ohne dass damit leichtherziger Verurteilung in Bagatellsachen das Wort geredet werden soll; dies bedürfte aber wohl kaum einer Regelung. Zur Quantifizierung des Schadens selbst dürften videographierte Aussagen eines Sachverständigen (über § 72 StPO wäre § 58a StPO-E auch insoweit einschlägig) aus dem Ermittlungsverfahren indes eher ungeeignet und jedenfalls kaum ausreichend sein, um im Streitfall eine persönliche Vernehmung in der Hauptverhandlung zu vermeiden.
Näherer Prüfung dürfte es wert sein, ob eine Korrelation besteht zwischen Beweismitteltransfer aus dem Ermittlungs- in das Hauptverfahren und der Gegenwart eines (ggf.: Pflicht-)Verteidigers. Bejahendenfalls könnten sich Überlegungen zur Ausgestaltung dieser Verbindung anschließen.
III. Zu Nummer 5 (§ 73 StPO-E):
Die Überführung einer Bestimmung aus den RiStBV in das Gesetz ist inhaltlich unproblematisch.
Allerdings dürfe naheliegende Auswirkungen auf die Tätigkeit der Wirtschaftsreferenten bei den Staatsanwaltschaften nicht übersehen werden. Sie würden zukünftig ebenfalls § 73 Abs. 3 StPO-E unterfallen. Daher würde (nahezu) jedem Gutachtenauftrag an einen Wirtschaftsreferenten (insbesondere in Verfahren wegen Insolvenzdelikten) das Anhörungsverfahren vorausgehen – und sicherlich auch mit einer Begründung für dessen Auswahl abgeschlossen werden müssen. Entweder erschöpften sich diese Begründungen alsbald in Stereotypen – und wären damit überflüssig – oder die Staatsanwaltschaften entgingen einer streitigen Entscheidung mittels Einigung auf einen externen Gutachter. Das würde im Fall eines Schuldspruchs dem Verurteilten höhere Kosten aufbürden, da die Kostenrechnung eines Wirtschaftsreferenten regelmäßig deutlich niedriger auszufallen pflegt als diejenige eines externen Sachverständigen.
IV. Zu Nummer 9 a (§ 136 Abs. 1 S. 3 StPO-E):
Es erschließt sich nicht, warum es geboten sein soll, zukünftig – im gewissen Gegensatz zu §§ 141 Abs. 2 und 244 StPO – bei der Belehrung vor der ersten Vernehmung auf die Pflicht hinzuweisen, im Verurteilungsfall die Kosten des Verteidigers selbst tragen zu müssen. Zum einen gilt Gleiches bei Einstellung des Verfahrens im Ermittlungsverfahren und zum anderen sollte das Missverständnis vermieden werden, ein solcher Hinweis solle vom Einschalten eines Verteidigers abschrecken.
V. Zu Nummer 11 (§ 148 StPO-E):
Da die Neuregelung (zumindest) weitgehend den Stand der Rechtsprechung rezipiert, und zudem Vorsorge gegen Missbräuche bestünden, erscheint dieser Vorschlag als akzeptabel.
VI. Zu Nummer 14 (§ 163 StPO-E):
Über Sinnhaftigkeit und Nutzen der Einführung einer Pflicht von Zeugen, auf Ladung zur polizeilichen Vernehmung zu erscheinen, wenn die Staatsanwaltschaft einen entsprechenden Auftrag erteilt hat, lässt sich heftig, tiefgründig, staatstheoretisch und in Bezug auf die Rolle der Staatsanwaltschaft diskutieren, sicherlich auch entlang der unterschiedlichen Blickrichtungen des jeweiligen Berufs. Dabei handelt es sich jedoch um kein spezifisch wirtschaftsstrafverfahrensrechtliches Thema.
Bedeutung für Wirtschaftsstrafsachen hätte bei Einführung einer Pflicht zum Erscheinen von Zeugen bei der Polizei allerdings die Frage nach den Anforderungen an die Ausgestaltung der an einen staatsanwaltschaftlichen Auftrag zu stellenden Anforderungen. Soll eine Pauschalermächtigung genügen, so würde das die Filterfunktion der Einschaltung der Staatsanwaltschaft weitgehend mindern. Im Fall der Erforderlichkeit einer Einzelermächtigung müsste sich die Staatsanwaltschaft (ggf. sogar mehrmals) zwischendurch mit demselben Fall beschäftigen. Ein Beschleunigungseffekt wäre damit nicht verbunden, zumal da Zeugen, die nicht bereitwillig aussagen, nicht selten noch einmal von der Staatsanwaltschaft vernommen werden müssten.
Für Wirtschaftsstrafsachen ist daher das Einführen einer Pflicht des Zeugen, nach staatsanwaltschaftlichem Auftrag bei der Polizei aussagen zu müssen, entbehrlich.
VII. Zu Nummern 16 und 22 (§§ 213 und 265 StPO-E):
Die Soll-Pflicht, den Ablauf der Hauptverhandlung mit anderen notwendig Beteiligten in umfänglicheren Verfahren abzustimmen, § 213 Abs. 2 StPO-E, und die Erweiterung der Hinweispflichten, § 265 Abs. 2 StPO-E, erscheinen inhaltlich als sachgerecht. Sie enthalten allerdings terminologische Ungereimtheiten, die geeignet sind, zu erheblichen Differenzen bei der Auslegung zu führen.
Das BVerfG differenzierte in seinem Verständigungsurteil vom 19.3.2013 nicht nur zwischen Verständigung und Erörterung, sondern grenzte letztere noch zusätzlich von Gesprächen über rein organisatorische Fragen ab, welche von vorn herein nicht dem Regime des Verständigungsgesetzes unterfielen. Mit dem Entwurf bedeutet das, dass Organisationsfragen zwar Gegenstand einer Erörterung sein können (Begründung S. 44), aber nicht müssen, während inhaltliche Fragen allein Erörterungen (i.S. des Verständigungsgesetzes) vorbehalten sind (je nach Verfahrensstadium gemäß §§ 160b, 202a, 212 oder 257b StPO). Es ist dieser Unterschiedlichkeit des Inhalts der Fachtermini wegen zu vermeiden, in § 213 Abs. 2 StPO-E (ganz am Ende) von „erörtern“ zu sprechen. Das könnte zu der (wohl nicht intendierten) Auslegung verleiten, damit wären die Dokumentations- (§§ 160b S. 2, 202a S. 2 StPO), Mitteilungs- (§ 243 Abs. 4 StPO) und Protokollierungspflichten (§ 273 Abs. 1 S. 2 StPO) verbunden. Der systematischen Klarheit wegen sollte anstatt von „erörtern“ von z.B. „abstimmen“ die Rede sein.
Aus vergleichbaren Gründen bedarf es einer Klarstellung in § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO-E. Hier wird auf eine gerichtlich „mitgeteilte“ Bewertung der Sach- und Rechtslage abgestellt. Der Wortlaut nimmt damit Bezug auf § 243 Abs. 4 StPO. Abgesehen davon, dass keineswegs zwingend ist, dass die bloße Mitteilung über verständigungsbezogene Erörterungen auch als Mitteilung über deren (nach den spezifischen Vorschriften sowieso zu dokumentierenden) Inhalt interpretiert werden müsste, will der Entwurf zu Recht auch keine Beschränkung auf Fälle des § 243 Abs. 4 StPO vornehmen, nennt er doch ausdrücklich auch § 257b StPO als Anwendungsfall (Begründung S. 44), der von § 243 Abs. 4 StPO nicht erfasst wird. Der Entwurf stellt – ebenfalls zu Recht – überhaupt keine Verbindung zu Regelungen des Verständigungsgesetzes her. Das bedeutet, und nur das ist sachgerecht, dass auch einseitig geäußerte vorläufige Bewertungen seitens des Gerichts unter § 265 Abs. 2 Nr. 2 StPO-E fallen sollen. Demgemäß ist es sachgerecht, das Wort „mitgeteilten“ an dieser Stelle nicht Gesetz werden zu lassen. Zu denken ist als Alternative an „geäußerten“. Damit wären die terminologischen Bedenken ausgeräumt.
Das gilt jedoch nicht für ein weiteres Problem, welches sich als sehr streitträchtig erweisen könnte. Das Gesetz selbst und auch die Begründung befasst sich nämlich nicht mit der Frage, wann denn eine Bewertung „mitgeteilt“ bzw. nach hiesigem Vorschlag: „geäußert“ wurde. Genügt eine Bemerkung des Einzelrichters oder Gerichtsvorsitzenden irgendwann vor der Hauptverhandlung? Reicht eine konkludente Handlung wie etwa das Ablehnen eines Beweisantrags mangels Bedeutung? Wirkt eine „Bewertung“ fort, wenn sich das Gericht (etwa aufgrund neuer Erkenntnisse) später danach in Widerspruch zu ihr setzt, ohne die „Bewertung“ ausdrücklich aufzugeben? Noch weitere konfliktträchtige Konstellationen ließen sich leicht darstellen. Im Ergebnis zeigt sich jedoch der Bedarf nach einer Festlegung dahingehend, dass allein schriftliche (oder eben protokollierte) „Bewertungen“ zu einer allgemeinen Bindung aus Fairnessgesichtspunkten führen und damit die Hinweispflicht auslösen können. Das würde Rechtssicherheit bieten, ohne dass konkret unfaires Verhalten damit unangreifbar würde (z.B. mittels Beweisantrags: Vorsitzender Richter R. hat am … gesagt, er sehe beim Angeklagten A keine Vermögensbetreuungspflicht; Zeuge: Staatsanwalt S).
Demgemäß sollte auf eine „schriftlich dokumentierte“ vorläufige Bewertung abgestellt werden. Aufgrund des Sachzusammenhangs erscheint eine entsprechende Erweiterung des § 265 StPO als sachgerecht.
VIII. Zu Nummer 17 (§ 243 StPO-E):
Wie bei der Frage nach einer Pflicht des Zeugen, bei der Polizei erscheinen zu müssen (oben <6>), so sind auch die Argumente pro und contra eines verteidigungsseitigen „Eröffnungsplädoyers“ ausgetauscht. Angesichts dessen sei hier nur darauf verwiesen, dass der Vorstellung des Entwurfs, etwaigen Missbräuchen mit der Anwendung von § 257a StPO begegnen zu können, dieselben Bedenken wie beim Verweis der Begründung eines Ablehnungsantrag auf die Schriftform (oben <1>) entgegenstehen. Stattdessen könnte über eine (relative oder absolute) zeitliche Begrenzung nachgedacht werden.
IX. Zu Nummer 18 (§ 244 StPO-E):
Die Modifizierung des Beweisantragsrechts greift einen von der Rechtsprechung entwickelten Gedanken auf, fällt allerdings hinter die vom BVerfG gebilligte Rechtsprechung des 1. Strafsenats zur Fristsetzung für Beweisanträge und deren Ablehnbarkeit wegen Prozessverschleppung zurück. Es dürfte sich um eine Regelung handeln, die für alle professionell am Strafprozess Beteiligten akzeptabel ist.
X. Zu Nummer 22 b (§ 265 Abs. 3 StPO-E):
Der Entwurf beschränkt die unflexible Rechtsfolge der Aussetzung auf wie bisher Änderungen der Sachlage. Das erscheint aufgrund des häufig untrennbaren Zusammenhangs von Rechts- und Sachlage als wenig praktikabel und lenkt den Blick auf das Hauptproblem der Vorschrift: Sie ist viel zu unflexibel.
Das gilt in zwei Richtungen, die gegensätzlich sind: Zum einen erscheint die Aussetzung einer ggf. bereits über Monate andauernden Hauptverhandlung als übertrieben und damit unnötig. Zum anderen kann eine Unterbrechung von 3 Wochen nicht ausreichen, damit sich die Verteidigung auf die neue Situation einzustellen vermag. Beiden Erfordernissen könnte dadurch Rechnung getragen werden, dass die von der Verteidigung angemahnte längere Vorbereitungsdauer einem Verhinderungsfall i.S. von § 229 Abs. 3 StPO gleichgestellt werden würde – dann aber gleichlautend sowohl für tatsächliche wie für rechtlich neue Umstände.