Dr. Julia Baedorff

Rübenstahl/Idler (Hrsg.), Tax Compliance

C.F. Müller 2018, 1.501 Seiten, ISBN 978-3-8114-4701-1, 159,99 Euro.

I. Einleitung

Tax Compliance, also die Einhaltung von Steuergesetzen bzw. die Erfüllung steuerlicher Pflichten, hat in den letzten Jahren für Unternehmen und ihre Berater zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Zeiten, in denen das Steuer(straf-)recht in der lebhaften Diskussion um Corporate Compliance eine eher untergeordnete Rolle spielte, gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der verschärften Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Steuerstrafsachen und spätestens seit das Bundesministerium der Finanzen (BMF) in seinem Anwendungserlass zu § 153 AO vom 23. Mai 2016 das Vorliegen eines innerbetrieblichen Kontrollsystems zur Erfüllung steuerlicher Pflichten als mögliches Indiz für einen fehlenden Vorsatz oder eine fehlende Leichtfertigkeit bei Steuerdelikten hervorgehoben hat, ist auch das steuerliche Risikomanagement, also insbesondere der Aufbau eines Tax Compliance Management Systems, verstärkt in den Fokus der Betrachtungen gerückt.

Gleichwohl fehlte bislang ein spezifisches Nachschlagewerk, das Unternehmensverantwortliche, Mitarbeiter von Steuerabteilungen und externe Berater bei allen Fragen rund um die Implementierung und Pflege von Tax Compliance Management Systemen zurate ziehen konnten. Die bis dato erschienenen Handbücher zur Corporate Compliance bzw. zum Steuerstrafrecht enthalten, wenn überhaupt, lediglich einzelne Kapitel zur Tax Compliance und mussten sich daher notgedrungen auf eine auf das Wesentliche reduzierte Darstellung beschränken.

Diese Lücke füllen nun als erste Dr. Markus Rübenstahl, Mag. iur. und Dipl.-Kfm. Jesco Idler als Herausgeber des im März 2018 erschienenen und 1.501 Seiten umfassenden Handbuchs „Tax Compliance – Prävention – Investigation – Remediation – Unternehmensverteidigung“, welches das Thema Tax Compliance umfassend behandelt und auch einen Blick ins Ausland wirft.

Den Umfang des Handbuchs rechtfertigen die Herausgeber schon mit den in der Einleitung aufgeworfenen Fragenstellungen, auf die sie, gemeinsam mit 49 weiteren Autoren aus führenden Rechtsanwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Unternehmen, der Wissenschaft, der Gerichtsbarkeit und den Strafverfolgungsbehörden, Antworten liefern wollen: „Welche regulatorischen Anforderungen sind inzwischen speziell zur Tax Compliance zu beachten? Welche Pflichten lassen sich daraus – auch unter Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung zur Führungs- und Organisationsverantwortung der Unternehmensleitung – für die verantwortlichen Personen ableiten? Welche Risiken sind in diesem Zusammenhang zu beachten? Welche Maßnahmen sind zur Erfüllung der abzuleitenden Pflichten und zur Behandlung der Risiken konkret zu ergreifen? Wie sollte die institutionelle bzw. organisatorische Umsetzung dieser Maßnahmen erfolgen? Und wie lässt sich die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen überprüfen und ihre nachhaltige Befolgung überwachen?“

Eine umfassende und dennoch fokussierte Beantwortung dieser Fragen erscheint gemessen an der Komplexität der Materie zunächst ambitioniert, aber sie gelingt. Das Handbuch liefert dem Leser einen hilfreichen Leitfaden, um, gemäß dem von den Herausgebern gesetzten Ziel, „in den steuerlich, regulatorisch und strafrechtlich haftungsrelevantesten Bereichen die Risiken für das Unternehmen, seine Organe und Mitarbeiter organisatorisch-strukturell zu vermeiden bzw. zu minimieren“. Dabei erreicht es einen bislang einzigartigen Detailgrad, ohne den Leser zu überfordern und ohne den Blick für das Wesentliche zu verlieren. Das liegt nicht zuletzt an der gelungenen Struktur und Untergliederung. Dabei erscheint das Werk sowohl für Compliance Spezialisten als auch für Einsteiger in die Materie gleichermaßen geeignet, weil einerseits umfangreiches Spezialwissen vermittelt wird, andererseits aber auch die relevanten Grundlagen umfassend behandelt werden.

II. Zum Inhalt

Das Werk ist in drei Teile untergliedert und umfasst insgesamt 40 Kapitel: Im (allgemeinen) ersten Teil werden insbesondere die Rechtsgrundlagen zur Tax Compliance erörtert und wird das Thema in die verschiedenen Phasen des Besteuerungsverfahrens, inklusive eines möglichen Steuerstrafverfahrens, eingebettet. Im (besonderen) zweiten Teil werden sodann besonders risikobehaftete steuerliche Themengebiete herausgegriffen und unter Berücksichtigung der Auswirkungen dieser Themen auf die Tax Compliance dargestellt. Im dritten Teil schließt das Handbuch mit einem Überblick über wichtige Tax Compliance Erfordernisse in bedeutenden Nachbarländern und wichtigen Handelspartnern Deutschlands, wobei diese Ausführungen teilweise in englischer Sprache verfasst sind.

1. Teil 1

Teil 1 des Handbuchs umfasst 17 Kapitel und liefert zahlreiche praktische Hinweise zum steuerrechtlichen Compliance Management. Mit insgesamt 699 Seiten nimmt er knapp die Hälfte des Werks ein und darf als dessen Kernstück bezeichnet werden, dem hier daher die meiste Aufmerksamkeit geschenkt werden soll.

Nachdem in den Kapiteln 1 bis 3, teilweise unter Mitwirkung von Idler, die wesentlichen Grundlagen – namentlich Begriffsdefinitionen, Zwecksetzung, allgemeine Rechtgrundlagen und die Verantwortlichen im Unternehmen für die Tax Compliance – abgesteckt wurden, widmen sich die Kapitel 4 und 5 konkret der Einbettung der Tax Compliance in die Management- und Kontrollsysteme von Unternehmen. Erfreulicherweise beschränken sich die Darstellungen dabei nicht auf Allgemeinplätze. In Kapitel 4 werden die bestehenden Best Practice Standards von den generellen hin zu den spezifischen Management- und Kontrollsystemen dargestellt und die Tax Compliance in das Gefüge dieser Systeme eingeordnet. In Kapitel 5 veranschaulichen sodann mit Beisheim und Nicolas zwei Unternehmensvertreter die Umsetzung von Tax Compliance in einem internationalen Konzern anhand eines konkreten Fallbeispiels. Kapitel 6 befasst sich im Anschluss mit dem Komplex Tax Planning und Gestaltungsmissbrauch, wobei hier die Themen wirtschaftliche Substanz von ausländischen Gesellschaften und Ort der Geschäftsleitung im Mittelpunkt stehen. Kapitel 7 behandelt die Durchführung einer Tax Investigation, also einer internen Untersuchung, die mögliche Verstöße gegen steuerliche Regeln aufdecken soll. Nach einer Darstellung der Gründe für die Durchführung einer solchen Untersuchung und einer Erläuterung ihrer Einbettung in das Tax Compliance Management System des Unternehmens, werden dem Leser dabei wertvolle Leitlinien zur richtigen Verfahrensweise – von der Vorbereitung der Untersuchung bis hin zu den zu treffenden Folgemaßnahmen – an die Hand gegeben. In Kapitel 8 stellt der ehemalige Steuerfahnder Herrmann, sozusagen mit „Insiderwissen“ und als Grundlage für die folgenden Kapitel, die Ermittlungsmethoden und -kompetenzen von Steuerfahndung und Betriebsprüfung und die daraus resultierenden Risiken dar. Im Anschluss folgen in den Kapiteln 9 bis 11 die für den hauptsächlich in der Unternehmensvertretung tätigen Rechtsanwalt in Teil 1 des Handbuchs wohl relevantesten Ausführungen zu den folgenden Themen: Unternehmensvertretung im Besteuerungsverfahren und in steuerlichen Prüfungen (Kapitel 9), Unternehmensvertretung und Compliance Risiken im Erhebungs- und Beitreibungsverfahren (Kapitel 10) sowie Unternehmensvertretung und -verteidigung in Steuerstrafverfahren und bei Vermögensabschöpfung (Kapitel 11). Besonders hervorzuheben ist insoweit die in diesen Kapiteln sehr gelungene Mischung aus Darstellungen der relevanten rechtlichen Grundlagen und praxisnahen Ausführungen zu besonderen Risiken und Gefahrenquellen für Unternehmen. Ferner wird in Kapitel 11 dem Anwalt als „Verteidiger“ des Unternehmens besondere Aufmerksamkeit gewidmet – eine instruktive Lektüre nicht nur für Strafrechtsanwälte, sondern auch für Unternehmensverantwortliche. In Kapitel 12 folgt sodann eine Darstellung von Vorsatz und Schuld bei der Steuerhinterziehung vor dem Hintergrund von Tax Compliance Management und internen Kontrollsystemen (Tax IKS). Darin setzen sich die Autoren nach einigen dogmatischen Ausführungen insbesondere auch damit auseinander, welche Mindestanforderungen Tax Compliance und innerbetriebliche Kontrollsysteme erfüllen müssen, um im Sinne des eingangs erwähnten Anwendungserlasses des BMF strafrechtliche Risiken minimieren zu können. Kapitel 13 befasst sich sodann zunächst im Detail mit der Berichtigungspflicht von Erklärungen nach § 153 AO und gibt im Anschluss einen wertvollen Überblick über wesentliche gesetzliche Anzeige- und Anmeldepflichten verschiedener Steuerarten. In Abgrenzung zu der Berichtigungspflicht nach § 153 AO behandelt Rübenstahl im folgenden Kapital 14 ausführlich die strafbefreiende Selbstanzeige (im Unternehmen) – ein Rechtsinstitut, dem der Autor völlig zutreffend auch aus Unternehmenssicht eine große praktische Bedeutung beimisst. Das Kapitel gehört zu den längsten des Handbuchs und bietet Antworten auf alle relevanten Fragen rund um die Selbstanzeige. Kapitel 15 gibt daran anschließend einen komprimierten Überblick über die steuerlichen Haftungsrisiken, bestehend aus einer Darstellung der im Zusammenhang mit Tax Compliance relevanten Haftungsnormen der §§ 69 und 71 AO und der verfahrensrechtlichen Durchsetzung von Haftungsansprüchen. In Kapitel 16 befasst sich unter anderem Idler mit dem wichtigen Thema der „Remediation“, also der (Re-)Organisation innerbetrieblicher Kontrollsysteme für den Fall, dass steuerliches Fehlverhalten im Unternehmen festgestellt wurde. Besonders wertvoll erscheinen insoweit die Ausführungen zum Remediation Prozess, die den Weg zu einem effektiven, präventiv wirkenden und nachhaltigen Compliance System nach einem Compliance Vorfall beschreiben. Teil 1 schließt in Kapitel 17 mit einem Überblick über die Regelungen zur internationalen Amtshilfe in Steuersachen – ein Komplex, der gerade in den letzten Jahren insbesondere durch den Ankauf von Steuer-CDs und die Aufdeckungen durch Recherchenetzwerke rund um zum Beispiel die sogenannten Panama Papers immens an Bedeutung gewonnen hat.

2. Teil 2

Teil 2 des Handbuchs behandelt in ebenfalls 17 Kapiteln besondere Themen- und Pro-blemfelder, die für die Tax Compliance eine herausgehobene Rolle spielen können. Zwar erscheint die Abfolge der Kapitel hier etwas beliebiger als noch im ersten Teil. Das beeinträchtigt das Verständnis und die Orientierung in den einzelnen Kapiteln aber nicht, was daran liegt, dass die Kapitel weitestgehend für sich selbst stehen und voneinander unabhängige Themen behandeln.

Zum einen werden in Teil 2 eher materiell-rechtliche Themen behandelt, die sich häufig auf eine bestimmte Steuerart beziehen. Hierzu gehören die ertragsteuerliche (Nicht-) Abzugsfähigkeit von Betriebsausgaben (Kapitel 18), die Körperschaftsteuer mit einem Fokus auf die verdeckte Gewinnausschüttung (Kapitel 19), die rechtlichen und praktischen Aspekte der „Lohnsteuer Compliance“ und das Arbeitsstrafrecht mit insbesondere den Straftatbeständen der Lohnsteuerverkürzung und dem Vorenthalten und Veruntreuen von Sozialversicherungsbeiträgen (Kapitel 23 und 24), die Umsatzsteuer im Zusammenhang mit innergemeinschaftlichen Lieferungen, Strohmanngeschäften und Umsatzsteuerkarussellen (Kapitel 25), der Steuerabzug nach § 50a EStG bei beschränkt Steuerpflichtigen (Kapitel 28) sowie die Erbschaft- und Schenkungsteuer (Kapitel 29). Zum anderen enthält Teil 2 einige Kapitel zu Themen der Unternehmensorganisation, wie der Funktionsverlagerung (Kapitel 21) und dem Tax Accounting (Kapitel 22), und zur Tax Compliance im Rahmen von bestimmten unternehmerischen Tätigkeiten, namentlich von Unternehmensakquisitionen (Kapitel 31) und Unternehmensumstrukturierungen (Kapitel 32). Ferner befassen sich einzelne Kapitel mit Tax Compliance für bestimmte Arten von Unternehmen, namentlich Anbietern von Sportwetten (Kapitel 26) sowie steuerbegünstigten Körperschaften und juristischen Personen des öffentlichen Rechts (Kapitel 30). Teil 2 schließt in Kapitel 34 mit einem Überblick über typische Begleit- und Folgedelikte der Steuerhinterziehung und zeigt damit Aspekte auf, die insbesondere Rechtsanwälte als Unternehmensvertreter bei der steuerstrafrechtlichen Beratung nicht aus dem Blick verlieren sollten.

Wie auch schon in Teil 1 sind die Kapitel von Teil 2 oft mit hilfreichen Beispielen aus der Praxis versehen, die zum Verständnis beitragen.

3. Teil 3

Teil 3 rundet das Handbuch mit sechs Kapiteln zu Tax Compliance Erfordernissen in den USA, Großbritannien, Frankreich, Italien, der Schweiz und Österreich (Kapitel 35 bis 40) ab, wobei die Kapitel zu den USA, Großbritannien und Italien in englischer Sprache verfasst sind. Diese sechs Kapitel verstehen sich erkennbar nicht als abschließende Darstellungen, sondern als Überblick, und enthalten vor allem Ausführungen zu den jeweiligen Steuersystemen und den daraus resultierenden Risiken für Unternehmen. Damit gewähren sie einen guten Einstieg in die Materie bei Sachverhalten mit Auslandsbezug.

III. Zusammenfassung

Soweit ersichtlich, ist das rezensierte Handbuch von Rübenstahl und Idler die bislang umfassendste Gesamtdarstellung zum Thema Tax Compliance auf dem deutschen Markt. Wer bei Compliance Fragen mit steuerlichem Bezug auf dieses Werk zurückgreift, dürfte kaum etwas vermissen. Der Umfang und der Fokus auf die Praxis machen es zum idealen Hilfsmittel für Verantwortliche in Unternehmen und ihre juristischen Berater, gleich welcher Erfahrungsstufe.

Autorinnen und Autoren

  • Dr. Julia Baedorff
    Dr. Julia Baedorff ist seit 2012 als Rechtsanwältin bei Clifford Chance in Frankfurt tätig. Sie berät nationale und internationale Unternehmen sowie Privatpersonen in allen Fragen des Wirtschaftsstrafrechts, insbesondere im Zusammenhang mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen und unternehmensinternen Untersuchungen. Ein Schwerpunkt ihrer Beratungstätigkeit ist das Steuerstrafrecht.

WiJ

  • Jakob Lehners

    Digitale Akteneinsicht in der Untersuchungshaft

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)

  • Sigrid Mehring-Zier

    Wirtschaftsvölkerstrafrecht in der europäischen Praxis – und Deutschland?

    Internationales Strafrecht, EU, Rechtshilfe, Auslandsbezüge

  • Dr. Mayeul Hièramente

    Svenja Jutta Luise Karl, Die Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen. Kritik und Verbesserungsvorschläge unter besonderer Berücksichtigung des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens.

    Straf- und Bußgeldverfahren (inklusive OWi-Verfahren)