Zulässigkeit der Fixierung von untergebrachten Patienten: BVerfG, Urteil vom 24. Juli 2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16
Das Urteil des zweiten Senates des Bundesverfassungsgerichts befasst sich mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Fixierungen von untergebrachten Patienten. Dabei betont und stärkt der Senat das hohe Gut des Grundrechts auf Freiheit einer Person, indem eine 5-Punkt bzw. 7-Punkt Fixierung als eigenständige freiheitsentziehende Maßnahme qualifiziert wird, welche den Richtervorbehalt erneut auslöst. Da dies in den hier relevanten gesetzlichen Bestimmungen nicht hinreichend vorgesehen ist, hat der Senat auch einen Regelungsauftrag an den Gesetzgeber des jeweiligen Landes ausgesprochen, eine entsprechende gesetzliche Grundlage zur Anordnung der Fixierungen von Patienten zu schaffen.
Leitsätze:
- a. Die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG) dar.
- Sowohl bei einer 5-Punkt- als auch bei einer 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzfristiger Dauer handelt es sich um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG, die von einer richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist. Von einer kurzfristigen Maßnahme ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet.
- Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG folgt ein Regelungsauftrag, der den Gesetzgeber verpflichtet, den Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten, um den Besonderheiten der unterschiedlichen Anwendungszusammenhänge gerecht zu werden.
- Um den Schutz des von einer freiheitsentziehenden Fixierung Betroffenen sicherzustellen, bedarf es eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt.
Sachverhalt:
Dem Urteil liegen zwei Verfassungsbeschwerden zu Grunde, die zur gemeinsamen Entscheidung verbunden wurden.
- Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 502/16 betrifft eine auf ärztliche Anordnung vorgenommene, acht Stunden andauernde 7-Punkt-Fixierung des Beschwerdeführers. Dieser leidet an einer schizoaffektiven Störung, aufgrund derer er in erheblichem Maße sein Leben, seine Gesundheit und Rechtsgüter anderer gefährdet. Daher wurde er vorläufig in einer Psychiatrie untergebracht und war während seines insgesamt gut zwölfstündigen Aufenthalts an beiden Armen, beiden Beinen sowie um Bauch, Brust und Stirn in seinem Krankenbett fixiert. Als Rechtsgrundlage für die vorläufige Unterbringung wurde das Bayerische Unterbringungsgesetz (BayUnterbrG) herangezogen, das allerdings keine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung von Fixierungen vorsieht. Der Beschwerdeführer nahm den Freistaat Bayern erfolglos auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für die aufgrund der Fixierung erlittenen Verletzungen in Anspruch. Seine Verfassungsbeschwerde ist gegen die in dem Amtshaftungsverfahren ergangenen Entscheidungen gerichtet.
- Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 309/15 betrifft die 5-Punkt-Fixierung eines Suizidgefährdeten, der in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebracht war. Die Fixierung beider Arme, beider Beine und am Bauch wurde über mehrere Tage wiederholt ärztlich angeordnet. Der Verfahrenspfleger des Untergebrachten wendet sich u.a. mittelbar gegen § 25 Abs. 3 des baden-württembergischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKHG BW), auf dessen Grundlage der gerichtliche Unterbringungsbeschluss für den Betroffenen erging.
Entscheidungsgründe:
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Der baden-württembergische und der bayerische Gesetzgeber sind verpflichtet, einen verfassungsgemäßen Zustand herbeizuführen.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Betroffenen zu I. und den Beschwerdeführer zu II. in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 und 2 GG. In dem Verfahren 2 BvR 309/15 entspricht § 25 PsychKHG BW insoweit nicht den Anforderungen des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG, als er keine Hinweispflicht auf die Möglichkeit einer nachträglichen gerichtlichen Überprüfung der Fixierung vorsieht. In dem Verfahren 2 BvR 502/16 fehlt es insgesamt an einer erforderlichen gesetzlichen Grundlage für Fixierungen und funktionsäquivalente Maßnahmen.
Die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Sowohl bei einer 5-Punkt- als auch bei einer 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzfristiger Dauer handelt es sich um eine Freiheitsentziehung; das gilt auch dann, wenn dem Betroffenen im Rahmen der Unterbringung die Freiheit bereits entzogen worden ist.
1.
Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG bezeichnet die Freiheit der Person als „unverletzlich“. Diese verfassungsrechtliche Grundentscheidung kennzeichnet das Freiheitsrecht als ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf. Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor staatlichen Eingriffen. Ob ein Eingriff in die persönliche (körperliche) Freiheit vorliegt, hängt lediglich vom tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen ab, wobei eine fehlende Einsichtsfähigkeit den Schutz des Art. 2 Abs. 2 GG nicht entfallen lässt; er ist auch dem psychisch Kranken und nicht voll Geschäftsfähigen garantiert.
2.
Der Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG umfasst sowohl freiheitsbeschränkende (Art. 104 Abs. 1 GG) als auch freiheitsentziehende Maßnahmen (Art. 104 Abs. 2 GG), die das Bundesverfassungsgericht nach der Intensität des Eingriffs voneinander abgrenzt. Sowohl eine 5-Punkt- als auch eine 7-Punkt-Fixierung stellt eine Freiheitsentziehung dar, es sei denn, es handelt sich um eine lediglich kurzfristige, bis ungefähr eine halbe Stunde andauernde Maßnahme. Denn die vollständige Aufhebung der Bewegungsfreiheit durch eine 5-Punkt- oder die 7-Punkt-Fixierung, nimmt dem Betroffenen jegliche ihm bei der Unterbringung auf einer geschlossenen psychiatrischen Station noch verbliebene Freiheit, sich innerhalb dieser Station – oder zumindest innerhalb des Krankenzimmers – zu bewegen. Diese Form der Fixierung ist darauf angelegt, den Betroffenen auf seinem Krankenbett vollständig bewegungsunfähig zu halten. Daher ist aufgrund ihrer besonderen Eingriffsintensität eine Fixierung sämtlicher Gliedmaßen auch im Rahmen eines bereits bestehenden Freiheitsentziehungsverhältnisses als eigenständige Freiheitsentziehung zu qualifizieren, die den Richtervorbehalt abermals auslöst. Zwar sind im Rahmen des Vollzugs der Unterbringung von der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung grundsätzlich auch etwaige Disziplinarmaßnahmen wie etwa der Arrest oder besondere Sicherungsmaßnahmen wie der Einschluss in einem enger begrenzten Teil der Unterbringungseinrichtung erfasst, durch die sich lediglich – verschärfend – die Art und Weise des Vollzugs der einmal verhängten Freiheitsentziehung ändert. Doch sowohl eine 5-Punkt- als auch eine 7-Punkt-Fixierung weisen im Verhältnis zu diesen Maßnahmen eine Eingriffsqualität auf, die von der richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist. Eine besondere Intensität folgt zudem daraus, dass dieser gezielte Eingriff in die Bewegungsfreiheit als umso bedrohlicher erlebt wird, je mehr der Betroffene sich dem Geschehen hilflos und ohnmächtig ausgeliefert sieht. Hinzu kommt, dass der Eingriff in der Unterbringung häufig Menschen treffen wird, die aufgrund ihrer psychischen Verfassung die Nichtbeachtung ihres Willens besonders intensiv empfinden. Des Weiteren sind die Betroffenen für die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse völlig von der rechtzeitigen Hilfe durch das Pflegepersonal abhängig. Im Verhältnis zu anderen Zwangsmaßnahmen wird die Fixierung von ihnen daher regelmäßig als besonders belastend wahrgenommen. Darüber hinaus besteht auch bei sachgemäßer Durchführung einer Fixierung die Gefahr, dass der Betroffene durch die längerdauernde Immobilisation Gesundheitsschäden wie eine Venenthrombose oder eine Lungenembolie erleidet.
3.
Dennoch kann der Gesetzgeber schwerwiegende Grundrechtseingriffe wie Fixierungen prinzipiell zulassen. Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich jedoch strenge Anforderungen an die Rechtfertigung eines solchen Eingriffs. Dies gilt in besonderem Maße für präventive Eingriffe, die nicht dem Schuldausgleich dienen. Sie sind im Allgemeinen nur zulässig, wenn der Schutz anderer oder der Allgemeinheit dies erfordert. Allerdings kann eine Einschränkung der Freiheit der Person auch mit dem Schutz des Betroffenen selbst gerechtfertigt werden. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gewährt nicht nur ein subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in diese Rechtsgüter, es stellt zugleich eine objektive Wertentscheidung der Verfassung dar, die staatliche Schutzpflichten begründet. Danach hat der Staat die Pflicht, sich schützend und fördernd vor das Leben des Einzelnen zu stellen. Die Fürsorge der staatlichen Gemeinschaft kann die Befugnis einschließen, den psychisch Kranken, der infolge seines Krankheitszustands und der damit verbundenen fehlenden Einsichtsfähigkeit die Schwere seiner Erkrankung und die Notwendigkeit von Behandlungsmaßnahmen nicht zu beurteilen vermag oder trotz einer solchen Erkenntnis sich infolge der Krankheit nicht zu einer Behandlung entschließen kann, zwangsweise in einer geschlossenen Einrichtung unterzubringen und auch zu fixieren, wenn sich dies als unumgänglich erweist, um eine drohende gewichtige gesundheitliche Schädigung von dem Kranken abzuwenden. Die Fixierung eines Untergebrachten kann nach diesen Maßstäben zur Abwendung einer drohenden gewichtigen Gesundheitsschädigung sowohl des Betroffenen selbst als auch anderer Personen wie des Pflegepersonals oder der Ärzte gerechtfertigt sein.
4.
Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die Freiheit der Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang.
a. Schon nach dem allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip gründenden Gebot hinreichender Bestimmtheit der Gesetze ist der Gesetzgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Grundsätzlich fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit nicht schon deshalb, weil eine Norm auslegungsbedürftig ist.
b. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG konkretisiert die Bestimmtheitsanforderungen, verstärkt den Vorbehalt des Gesetzes und verpflichtet den Gesetzgeber, insbesondere die Fälle, in denen eine Freiheitsentziehung zulässig sein soll, hinreichend klar zu bestimmen und in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln.
c. Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben sich materielle Anforderungen an die Ausgestaltung der Ermächtigungsgrundlage. Eine Fixierung darf nur als letztes Mittel vorgesehen sein, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen.
d. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine in einer geschlossenen Einrichtung untergebrachte Person, die einer Fixierung unterzogen werden soll, auf verfahrensmäßige Sicherungen ihres Freiheitsrechts in besonderer Weise angewiesen ist. Die Geschlossenheit der Einrichtung und die dadurch für alle Beteiligten eingeschränkte Möglichkeit der Unterstützung und Begleitung durch Außenstehende, versetzen die untergebrachte Person in eine Situation außerordentlicher Abhängigkeit, in der sie eines besonderen Schutzes bedarf. Sie muss vor allem davor geschützt werden, dass ihre Grundrechte etwa aufgrund von Eigeninteressen der Einrichtung oder ihrer Mitarbeiter – insbesondere bei Überforderungen, die im Umgang mit oft schwierigen Patienten auftreten können –, bei nicht aufgabengerechter Personalausstattung oder aufgrund von Betriebsroutinen unzureichend gewürdigt werden. Daher ist die Anordnung und Überwachung der Fixierung von in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebrachten Personen durch einen Arzt unabdingbar. Nur dies entspricht auch den völkerrechtlichen Maßgaben, den internationalen Menschenrechtsstandards und den fachlichen Standards der Psychiatrie. Zudem ist während der Durchführung der Maßnahme jedenfalls bei einer 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung aufgrund der Schwere des Eingriffs und der damit verbundenen Gesundheitsgefahren grundsätzlich eine Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal zu gewährleisten. Als besondere Sicherungsmaßnahme zur Abwehr einer etwaigen Selbst- oder Fremdgefährdung muss die Fixierung mit der in der Unterbringung stattfindenden psychiatrischen Behandlung der Grunderkrankung in engem Zusammenhang stehen. Ihre Erforderlichkeit ist auch unter Berücksichtigung der psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen – etwa der Erfolgsaussichten eines Gesprächs oder einer Medikation – zu beurteilen sowie in jeweils kurzen Abständen neu einzuschätzen.
e. Zur Garantie eines effektiven Rechtsschutzes ist es notwendig, die Anordnung einer Fixierung, die maßgeblichen Gründe hierfür, ihre Durchsetzung, Dauer und die Art der Überwachung zu dokumentieren. Die Dokumentation dient zum einen der Effektivität des Rechtsschutzes, den der Betroffene gegebenenfalls erst später sucht. Zum anderen dient sie auch der Sicherung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Nur auf Grundlage einer detaillierten Dokumentation bleibt fachgerechtes und verhältnismäßiges Handeln auch unter der für Kliniken typischen Bedingung sichergestellt, dass die zuständigen Akteure wechseln. Erst recht gilt dies für Maßnahmen, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und dabei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur unter der Voraussetzung wahren, dass deren Auswirkungen im Zeitverlauf beobachtet und die hieraus notwendigen Konsequenzen gezogen werden. Hinzu kommt schließlich, dass die Dokumentation auch ein unentbehrliches Mittel der systematischen verbesserungsorientierten Qualitätskontrolle und Evaluation ist. Zusätzlich folgt aus dem Freiheitsgrundrecht die Verpflichtung, den Betroffenen nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen. Nur so kann gewährleistet werden, dass sich der Betroffene bewusst ist, dass er auch noch nach Erledigung der Maßnahme ihre gerichtliche Überprüfung herbeiführen kann.
5.
Art. 104 Abs. 2 GG fügt für die Freiheitsentziehung dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes, dem das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Freiheit unterworfen ist, den weiteren, verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu, der nicht zur Disposition des Gesetzgebers steht. Es ergibt sich vielmehr ein Regelungsauftrag, der den Gesetzgeber verpflichtet, den Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten. Dieser zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz ab. Das Grundgesetz geht davon aus, dass Richter (aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz) die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten wahren können. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam ist. Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters – jedenfalls zur Tageszeit – zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen.
Ein Richter soll über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung entscheiden, wobei zu dem Begriff „Entscheidung“ gehört, dass der Richter in vollem Umfang die Verantwortung für die Maßnahme übernimmt. Er muss diese eigenverantwortlich prüfen und dafür Sorge tragen, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Freiheitsentziehung genau beachtet werden. Als neutrale Kontrollinstanz hat er die Pflicht, im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte etwa hinsichtlich der Dauer und Intensität messbar und kontrollierbar bleibt. Das gilt auch dann, wenn die Freiheitsentziehung – wie im vorliegenden Zusammenhang – von Privaten angeordnet wird.
6.
Nach diesen Maßstäben sind beide Verfassungsbeschwerden begründet. Die auf der Grundlage von § 25 PsychKHG BW getroffene Entscheidung des Amtsgerichts sowie die auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 BayUnterbrG getroffene Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzen die Betroffenen jeweils in ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG.
a. § 25 PsychKHG BW genügt zwar weitgehend den verfassungsgemäßen Anforderungen. Allerdings enthält die Norm keine Regelung dahingehend, dass der Betroffene nach Beendigung einer Fixierung oder funktionsäquivalenten Maßnahme auf die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit hinzuweisen ist. Außerdem ist der Gesetzgeber dem Regelungsauftrag nicht nachgekommen, soweit § 25 Abs. 3 PsychKHG BW auch für eine 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung nur eine ärztliche Anordnung, aber keine richterliche Entscheidung vorsieht. Daher verletzt der Beschluss des Amtsgerichts, mit dem der Antrag, die ärztliche Anordnung einer 5-Punkt-Fixierung für rechtswidrig zu erklären, zurückgewiesen worden ist, den Betroffenen zu I. in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG, weil es für die an ihm vorgenommene 5-Punkt-Fixierung an einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt.
b. Die auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 BayUnterbrG getroffene Entscheidung des Oberlandesgerichts München verletzt den Beschwerdeführer zu II. in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 i.V.m. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts stellt Art. 12 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 BayUnterbrG keine ausreichende gesetzliche Grundlage für die Fixierung des Beschwerdeführers zu II. dar, weil die Vorschriften dafür weder den Bestimmtheitsanforderungen von Art. 104 Abs. 1 GG genügen noch gemäß Art. 104 Abs. 2 GG eine richterliche Anordnung für die Freiheitsentziehung durch die erfolgte 7-Punkt-Fixierung verlangen.
Anmerkung:
Mit dem jüngsten Urteil zur Verfassungsmäßigkeit von Fixierungsmaßnahmen hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes einen Bogen über alle Institutionen und Berufsgruppen geschlagen und dabei die Hochwertigkeit des verfassungsgemäßen Guts der persönlichen Freiheit sowie die daraus resultierende Verantwortung eines jeden Einzelnen für besonders schutzbedürftige Personen vor Augen geführt. Untergebrachte kranke und ältere Menschen in Gesundheitseinrichten unterliegen – gerade weil sie sich ggf. in einer Situation befinden, in der sie die Notwendigkeit bestimmter Maßnahmen nicht selbst umreißen – eines besonderen Schutzes. Spiegelbildlich benötigen allerdings auch die sie pflegenden und behandelnden Personen und Institutionen eindeutige Regelungen, damit diese sich sicher in den rechtlich zulässigen Grenzen bewegen können.
1. Verantwortung der Gesetzgeber
In erster Linie hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgebungsorganen der Bundesländer einen Regelungsauftrag erteilt, die rechtlichen Voraussetzungen für zulässige Fixierungen untergebrachter Personen mit hinreichender Bestimmtheit zu normieren, wozu auch Regelungen und Hinweise für eine nachträgliche Überprüfung der freiheitsentziehenden Maßnahme gehören müssen. Die Verantwortung der Gesetzgeber wird mit dem zentralen Argument der hiesigen Entscheidung begründet, dass die mit einer 5-Punkt- bzw. 7-Punkt-Fixierung einhergehende massive Freiheitsentziehung einer gesonderten richterlichen Anordnung bedarf und nicht bereits in einer Unterbringungsentscheidung intendiert sein kann. Diese Feststellung klingt zwar profan, insbesondere vor der Kontrollüberlegung, dass nicht jeder untergebrachte Patient auch zu seinem bzw. zum Schutz Dritter fixiert werden muss. Doch diese Hervorhebung diente wohl offenbar der Klarstellung, dass insbesondere den behandelnden Ärzten nicht allein die Entscheidung und Verantwortung für einen derartigen Freiheitsentzug untergebrachter Personen auferlegt werden soll.
Für die Umsetzung des Regelungsauftrags hat das Bundesverfassungsgericht auch schon konkrete Vorgaben gemacht. Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage muss nicht nur hinreichend bestimmt sein, sondern auch als materielle Voraussetzung vorsehen, dass eine Fixierung nur als letztes Mittel angewandt werden darf, wenn mildere Mittel nicht (mehr) in Betracht kommen. Zudem muss die gesetzliche Grundlage auch Verfahrensanforderungen zum Grundrechtsschutz der betroffenen Person vorsehen. Hierzu zählen die Anordnung und Überwachung der Fixierungsmaßnahme durch einen Arzt, die in Fällen der 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung grundsätzlich von einer Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal begleitet sein muss, Anforderungen an die Dokumentation der maßgeblichen Gründe hierfür, ihrer Durchsetzung, Dauer sowie der Art der Überwachung. Hinzu kommt die Verpflichtung, die Betroffenen nach Beendigung der Maßnahme auf die Möglichkeit hinzuweisen, die Zulässigkeit der durchgeführten Fixierung gerichtlich überprüfen zu lassen.
Nimmt ein Gesetzgeber den Regelungsauftrag nicht wahr, so führt dies zur Verfassungswidrigkeit der zu der Freiheitsentziehung ermächtigenden Norm.
2. Verantwortung des Staates und der Justizbehörden
Auch der Staat und die Justizbehörden werden in Verantwortung genommen. Es muss nach der Urteilsbegründung ebenso dafür Sorge getragen werden, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch umsetzbar ist. Hieraus folgt die verfassungsgemäße Pflicht, entsprechende Kapazitäten bei den Justizbehörden vorzuhalten, um eine vorherige oder unverzügliche nachträgliche richterliche Entscheidung einholen zu können. Insofern ist ein täglicher richterlicher Bereitschaftsdienst vorzuhalten, der – in Orientierung an § 758a Abs. 4 Satz 2 ZPO – den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abzudecken hat. Ferner müssen auch hinreichende sachliche Mittel zur Ausübung der richterlichen Aufgaben bereitgestellt werden.
3. Verantwortung der Richter
Die Kontrolle der Maßnahmen muss durch eine unabhängige und neutrale Instanz gewährleistet sein. Insofern sind Richter nach der Argumentation der Verfassungsrichter aufgrund ihrer persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit und ihrer strikten Unterwerfung unter das Gesetz in besonderem Maße dazu geeignet, die Rechte der Betroffenen im Einzelfall am besten und sichersten zu wahren. Durch den Richtervorbehalt zur verstärkten Sicherung und Kontrolle des Freiheitsgrundrechts werden sie in eine besondere Pflicht genommen. Der Senat weist ausdrücklich darauf hin, dass in geschlossenen Einrichtungen untergebrachte Personen einem besonderen Schutz unterliegen und bei der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Fixierung auch der mögliche Arbeitsalltag in den Gesundheitseinrichtungen kritisch zu hinterfragen ist. Daher haben Richter auch eine dahingehende Verantwortung, sich – im Rahmen des Zumutbaren – ein eigenes Bild davon zu machen, ob eine 5-Punkt- bzw. 7-Punkt-Fixierung in dem konkreten Einzelfall notwendig ist, das mildeste Mittel darstellt oder ob noch andere verhältnisgemäße Mittel in Betracht gezogen werden können.
4. Verantwortung der Gesundheitseinrichtungen, Ärzte und Pflegekräfte
Der Zweite Senat stellt in der Urteilsbegründung auch darauf ab, dass es zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unabdingbar ist, dass die Anordnung und Überwachung der Fixierung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung untergebrachter Personen durch einen Arzt erfolgt. Während der Durchführung der Maßnahme ist aufgrund der Schwere des Eingriffs und der damit verbundenen Gesundheitsgefahren jedenfalls bei einer 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung in der Unterbringung grundsätzlich eine Eins-zu-eins-Betreuung durch therapeutisches oder pflegerisches Personal zu gewährleisten. Ferner muss in kurzen Abständen unter Berücksichtigung der psychiatrischen Behandlungsmaßnahmen stets neu beurteilt werden, ob die Freiheitsentziehende Maßnahme noch erforderlich oder verhältnisgemäß ist.
Die maßgeblichen Gründe für die Anordnung, Durchsetzung und Dauer der Fixierung sowie die Art der Überwachung sind zu dokumentieren. Nur auf Grundlage einer hinreichend detaillierten Dokumentation kann fachgerechtes und verhältnismäßiges Handeln belegt werden, was insbesondere für sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Maßnahmen gilt.
Mit diesen Anforderungen an die Verhältnisgemäßheit einer 5-Punkt und 7-Punkt-Fixierung untergebrachter Patienten werden Gesundheitseinrichtungen (mittelbar) in die Verantwortung genommen, klare Handlungsanweisungen den Mitarbeitern an die Hand zu geben, wann welche freiheitsentziehende Maßnahme wie angeordnet und umgesetzt werden darf, die Mitarbeiter selbst müssen entsprechend sensibilisiert und geschult sein, eine engmaschige Überwachung muss sichergestellt und kapazitätsmäßig möglich sein und auch die Dokumentation der Anordnung, der weiterhin bestehenden Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung und ihre Überwachung darf nicht vernachlässigt werden.
5. Fazit
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die in dieser Entscheidung von dem Bundesverfassungsgericht dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Fixierung von Patienten in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung eine Herausforderung für alle beteiligte Organe, Institutionen und Personen sein wird. Ferner ist damit zu rechnen, dass diese Anforderungen auf sämtliche Patienten (unabhängig von einer Unterbringung) in Kliniken, Pflegeheimen und sonstigen Gesundheitseinrichtungen übertragen und als Maßstab herangezogen werden, ob eine Fixierung pflichtgemäß angeordnet, umgesetzt und kontrolliert worden ist.