Raimund Weyand

Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht

I. Strafprozessrecht

1. Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft – § 24 StPO

Bei den gesetzlichen Vorschriften, nach denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 24 Abs. 1 und 2, § 31 StPO), handelt es sich nicht um Rechtsnormen, die im Sinne des § 339 StPO lediglich zugunsten des Angeklagten wirken. Die Staatsanwaltschaft kann in Ausübung ihrer Rolle als „Wächterin des Gesetzes“ Rechtsfehler im Zusammenhang mit der Entscheidung über von ihr gestellte Ablehnungsgesuche ungeachtet von deren Angriffsrichtung mit der Revision rügen. Ein Ablehnungsgesuch der Staatsanwaltschaft ist gerechtfertigt, wenn sie bei verständiger Würdigung der ihr bekannten Umstände Grund zu der Besorgnis hat, dass der Richter gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt oder den daran Beteiligten nicht unvoreingenommen und unparteilich ist.

BGH, Urteil vom 25.10.2023 – 2 StR 195/23, NJW 2024, 846.

In der entschiedenen Sache hatte eine Schöffin die lediglich weitläufige persönliche Bekanntschaft mit einem Angeklagten angezeigt, was die Strafkammer aber nicht als Befangenheitsgrund ansah. Nach Auffassung des BGH hat die Kammer die angesichts der konkreten Umstände der Angelegenheit gebotene Gesamtschau des Sachverhalts vernachlässigt: Der Angeklagte hatte zur Tatausführung einen PKW genutzt, welcher einer angeheirateten Verwandten der Schöffin zuzuordnen war. Der Senat bejahte daher den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO (Mitwirkung eines befangenen Richters) und hob die erstinstanzliche Entscheidung auf.

2. Digitale Akteneinsicht – § 147 StPO

In Strafverfahren mit besonders großem Aktenumfang ist auch dem inhaftierten Beschuldigten selbst zur effektiven Vorbereitung auf die Hauptverhandlung Akteneinsicht in Form von elektronischen Dokumenten, die auf einem Laptop eingesehen werden können, zu gewähren. Die Überlassung einer vollständigen Kopie der Akte in Papierform durch den Verteidiger an seinen Mandanten ist in diesen Fällen regelmäßig unpraktikabel. Dem Beschuldigten ist vielmehr ein Computer in einem besonderen Haftraum zur Einsichtnahme in die Akte zur Verfügung zu stellen.

LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 07.11.2023 – 13 Qs 56/23, ZAP 2024, 210.
Zu der Entscheidung s. Beukelmann/Heim, NJW-Spezial 2014, 24, sowie Wegner, PStR 2024, 57.

3. Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung als Verfahrenshindernis – § 206a StPO

Die erhebliche Verzögerung eines Strafverfahrens verletzt den Betroffenen in seinem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) herrührenden Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren und zugleich die in Artikel 6 Abs. 1 MRK niedergelegte Gewährleistung, die eine Sachentscheidung innerhalb angemessener Dauer sichern soll. Dies kann zu einem Verfahrenshindernis führen, es sei denn, der Verfahrensmangel wird durch seine explizite Feststellung und gegebenenfalls durch eine Kompensation in Anwendung der sog. Vollstreckungslösung ausreichend berücksichtigt. Lediglich in außergewöhnlichen Sonderfällen kann eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung daher ein umfassendes Verfahrenshindernis begründen mit der Folge des Abbruchs des Verfahrens, wenn eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt. Eine Kompensationsentscheidung kann je nach den Umständen des Einzelfalles selbst dann genügen, wenn die Verfahrensverzögerung sechs Jahre, elf Monate und zwei Wochen beträgt.

BGH, Beschluss vom 17.01.2024 – 2 StR 100/23, n.v.

Zur Vollstreckungslösung s. ausführlich Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. 2024, Art. 6 EMRK Rn. 9a ff.

4. Reichweite der Mitteilungspflicht beim „Deal“ – § 243 Abs. 4 StPO

Für die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Verständigung im Strafprozess ist die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) zu beachten. Die bloße Mitteilung, dass eine Verständigung herbeigeführt worden sei und welche Strafe der Beschwerdeführer im Falle eines Geständnisses zu erwarten habe, genügt in diesem Zusammenhang nicht. Vielmehr obliegt es dem Strafrichter, darüber hinaus mitzuteilen, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei den anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist.

BVerfG, Beschluss vom 08.11.2023 – 2 BvR 294/22, NJW 2024, 1094.

5. Bindungswirkung einer Verständigung – § 257c StPO

Auch ein verständigungsbasiertes Geständnis ist zwingend durch Beweiserhebung in der Hauptverhandlung auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Dementsprechend ist auch in diesen Fällen die geständige Einlassung eines Beschuldigten in den Urteilsgründen hinreichend zu erläutern und einer durch eine formelle Beweiserhebung oder auf andere Weise zu unterziehen unterzogen. Trotz des Geständnisses besteht die gerichtliche Aufklärungspflicht (§§ 257c Abs. 1 S. 2, § 244 Abs. 2 StPO) fort.

BVerfG, Beschluss vom 20.12.2023 – 2 BvR 2103/20, NJW 2024, 1103.

6. Anforderungen an die richterliche Unterschrift – § 275 StPO

Auch wenn die die nach § 275 Abs. 2 S. 1 StPO für ein Urteil zwingend erforderliche Unterschrift des erkennenden Richters, die aus dem Familiennamen des Unterzeichnenden zu bestehen hat, nicht lesbar sein muss, muss sie ihren Urheber erkennen lassen. Steht die Urheberschaft außer Frage, ist nach der Rechtsprechung des BGH für die Akzeptanz einer unleserlichen Unterschrift ein großzügiger Maßstab anzuwenden und zwar auch wegen der Variationsbreite, die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen.

KG, Beschluss vom 01.09.2023 – 3 ORs 52/23 – 161 Ss 130/22, NStZ 2024, 188.

Zu der Problematik s. bereits BGH, Beschluss vom 26. 04.2012 − VII ZB 36/10, NJW-RR 2012, 1140.

7. Verwerfungsurteil trotz fehlender Unterschrift – § 275 StPO

Der Umstand, dass das erstinstanzliche schriftliche Urteil keine Unterschrift des Tatrichters aufweist, steht einer Verwerfung der Berufung nach § 329 StPO nicht entgegen.

BayObLG, Beschluss vom 29.08.2023 – 203 StRR 331/23, n.v.
Krit. zu der Entscheidung Püschel, FD-StrafR 2024, 800562.

8. Anforderungen an die Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft – § 341 StPO

Im Interesse der Rechtsklarheit muss sich schon aus der Einlegungsschrift der Staatsanwaltschaft eindeutig ergeben, auf welche Verfahrensbeteiligten und auf welche Entscheidungsteile sich das Rechtsmittel bezieht.

BGH, Beschluss vom 28.11.2023 – 1 StR 308/23, n.v.
S. auch BGH, Beschluss vom 10.01.2019 – 5 StR 499/18, wistra 2019, 292 m. Anm. Cordes, sowie BGH, Beschluss vom 07.05.2019 – 1 StR 49/19, BeckRS 2019, 10067.

9. Verbot der Doppelbestrafung auch bei Verwaltungssanktionen – Art. 103 Abs. 2 GG, Art. 50 GRCh

Werden wegen unlauterer Geschäftspraktiken Sanktionen verhängt, die als Verwaltungssanktionen strafrechtlicher Natur einzustufen sind, gilt für diese Folgen gleichfalls der Grundsatz „ne bis in idem“. Derartige Geldbußen stellen eine strafrechtliche Sanktion dar, wenn sie eine repressive Zielsetzung verfolgen und einen hohen Schweregrad aufweisen. Dies gilt auch wenn sie nach dem nationalen Recht keinen Strafrechtscharakter aufweisen.

EuGH, Urteil vom 14.09.2023 – C 27/22, NJW 2024, 33.
Zu der Entscheidung s. Engelhoven/Gardemann, EWiR 2024, 30, sowie Graevenitz, EuZW 2023, 1051.

10. Gerichtliche Überprüfung grenzüberschreitender Ermittlungsmaßnahmen der EUStA – Art. 31, 32 EUStA-VO

Wer von einer grenzüberschreitenden Ermittlungsmaßnahme der EUStA betroffen ist, kann deren materielle Begründetheit nur im Anordnungsstaat überprüfen lassen, nicht aber in dem Staat, in dem die Maßnahme durchgeführt wurde.

EuGH, Urteil vom 21.12.2023 – C-281/22, NJW 2024, 487 m. zust. Anm. Duesberg.
Krit. hierzu Pfister, jurisPR-StrafR 5/2024 Anm. 1, der vor allem eine Einschränkung von Verteidigungsmöglichkeiten und eine „Minimalisierung des Grundrechtsschutzes“ des Beschuldigten befürchtet. S. auch Beukelmann/Heim, NJW-Spezial 2024, 88; Kirsch, WiJ 2024, 33.

Die Entscheidung hat vor allem Bedeutung für Wirtschaftsstrafverfahren, in denen – wie gerade im Zusammenhang mit besonders hohen Schadensbeträgen und/oder zahlreichen Geschädigten – die Täter zur Verschleierung ihrer Tatbeiträge und mit dem Ziel handeln, durch internationale Verflechtungen Ermittlungsmaßnahmen zu verhindern oder zumindest zu erschweren.

II. Materielles Strafrecht

1. Bemessung des Tagesatzes – § 40 StGB

a) Festsetzung der Tagessatzhöhe durch Schätzung – § 40 Abs. 3 StPO

Im Falle der Verhängung einer Geldstrafe durch Schätzung der Tagessatzhöhe (§ 40 Abs. 3 StGB) muss das tatrichterliche Urteil die konkreten Schätzgrundlagen mitteilen.

BayObLG, Beschluss vom 18.10.2023 – 202 StRR 76/23, DAR 2024, 36.
Der Entscheidung zust. Peglau, jurisPR-StrafR 1/2024 Anm. 2.

b) Berechnung des Tagessatzes bei Einkommen in der Nähe des Existenzminimums – § 40 StGB

Bei der Verhängung einer Geldstrafe ist deren möglicherweise entsozialisierende Wirkung zu berücksichtigen. Die Tagessatzhöhe ist in der Weise zu berechnen, dass dem Angeklagten der zur Sicherung seines Lebensbedarfs unerlässliche Betrag in Höhe von 75 % des Regelsatzes der Sozialhilfe (heute des Bürgergeldes) nach Abzug des auf die Geldstrafe zu zahlenden monatlichen Teilbetrages noch verbleibt. Verfügt der Angeklagte lediglich über Einkommen in der Nähe des Existenzminimums, hat das Gericht bei einer hohen Tagessatzanzahl schon bei der Bemessung der Höhe des einzelnen Tagessatzes in einem einheitlich ermessensähnlich ausgestalteten Strafzumessungsakt über Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) zu entscheiden.

BayObLG, Beschluss vom 06.11.2023 – 204 StRR 470/23, StraFo 2024, 66.

2. Falsche Versicherung an Eides Statt und Vermögensauskunft (§ 802c ZPO) – § 156 StGB

Der Schuldner hat im Rahmen der nach §§ 156 und 161 Abs. 1 StGB strafbewehrten Auskunftserteilung nach § 802c ZPO auch solche Konten anzugeben, welche dauerhaft überzogen und mit Schuldzinsen belastet sind (debitorische Bankkonten). Auf die Frage, ob dem Schuldner ein vertraglich vereinbarter Kontokorrentkredit eingeräumt ist oder es sich lediglich um eine geduldete Kontoüberziehung handelt, kommt es nicht an. Geht der Schuldner im Rahmen der Vermögensauskunft irrtümlich davon aus, dass er bei der Frage über vorhandene Konten solche nicht anzugeben braucht, die ständig im Negativsaldo geführt wurden (debitorische Konten), so handelt es sich nicht um einen Irrtum über Tatumstände (§ 16 Abs. 1 StGB), sondern um einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB).

OLG Celle, Beschluss vom 12.10.2023 – 1 ORs 4/23, wistra 2024, 175.

3. Strafbarkeit eines Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe im Zusammenhang mit Coronahilfen – § 264 StGB

Die allgemeinen Berufspflichten eines Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe erfordern, erkennbar fragwürdigen Angaben und Informationen eines Antragsstellers nicht mit der Erklärung, sie auf Plausibilität geprüft zu haben, an eine subventionsgewährende Stelle weiterzuleiten. Ist ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse des Berufsanagehörigen an der unberechtigten Bewilligung von Subventionen erkennbar, ist regelmäßig von mittäterschaftlichem Verhalten auszugehen, welches in derartigen Fällen zudem das Regelbeispiel des § 264 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Handeln aus grobem Eigennutz) indiziert.

LG Hildesheim, Urteil vom 15.06.2023 – 22 KLs 22 Js 1900/22, ZAP 2024, 161.

4. Bemessung des Schadens beim Subventionsbetrug – § 264 StGB

Wer die Voraussetzungen für die Leistung einer Subvention nicht erfüllt, hat auf sie keinen Anspruch. Erhält er sie durch Täuschung über die Fördervoraussetzungen irrtumsbedingt doch, stellt die gesamte Fördersumme den Vermögensschaden der öffentlichen Hand dar.  Der Wert etwaiger tatsächlich erbrachter Beratungsleistungen ist dann nicht gegenzurechnen, wenn der Subventionsgeber Beratungen, bei denen das beratene Unternehmen keinen von den Subventionsrichtlinien vorausgesetzten Eigenanteil trägt, überhaupt nicht fördern wollte.

BGH, Beschluss vom 30.01.2024 – 5 StR 228/23, n.v.

5. Vereitelung der Zwangsvollstreckung – § 288 StGB

Bei der Bestimmung des § 288 StGB handelt es sich um ein Sonderdelikt. Die Annahme einer (mit-)täterschaftlichen Begehung kommt daher nur in Betracht, wenn der Täter als persönlicher Schuldner die Zwangsvollstreckung zu dulden hätte. Dies gilt auch, wenn er einen erheblichen Tatbeitrag leistet.

AG Dinslaken, Urteil vom 21.11.2023 – 3 Cs – 143 Js 181/16 – 785/19, ZInsO 2024, 358.

Im konkreten Fall hatte der Angeklagte, ein mittlerweile in Florida lebender deutscher Sänger, Autoren- und Markenrechte zur Vermeidung der drohenden Zwangsvollstreckung auf eine dritte Person übertragen, welche in Kenntnis der Gesamtsituation ihre Ansprüche sodann als Einlage in eine von den beiden Beteiligten gegründete OHG einbrachte. Das Gericht wertete den Tatbeitrag des Angeklagten wegen des Sonderdeliktscharakters der Norm lediglich als Beihilfe zur Tat der Vertragspartnerin, die sich ihrerseits wegen Vereitelung der Zwangsvollstreckung strafbar gemacht hat.

III. Recht der Ordnungswidrigkeiten

Notwendige Feststellungen im Zusammenhang mit einer Aufsichtspflichtverletzung – § 130 OWiG

Zur Begründung eines fahrlässigen Verstoßes gegen erteilte Auflagen genügt es nicht, dass der abwesende Betroffene die „notwendigen Vorkehrungen“ hätte treffen müssen. Kommt die Aufgabenübertragung auf einen Dritten in Betracht, so muss näher dargelegt werden, inwiefern der Übertragende die Pflicht verletzt hat, einen Beauftragten sorgfältig auszuwählen, zu bestellen oder zu überwachen.

BayObLG, Beschluss vom 08.01.2023 – 201 ObOWi 1303/23, n.v.
Der Entscheidung zustimmend Rathgeber, FD-StrafR 2024, 802112.

IV. Zivilrechtliche Entscheidung mit potentieller strafrechtlicher Relevanz

1. Beginn der Verjährung bei vorsätzlich sittenwidriger Schädigung – § 195 BGB

Die für den Beginn der Verjährung erforderliche Kenntnis (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) ist bei Ansprüchen auf Schadensersatz vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage erfolgversprechend möglich ist. Er muss weder alle Einzelumstände kennen, die für die Beurteilung möglicherweise von Bedeutung sind, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten kann aus der Erstattung einer Strafanzeige zwar nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass der Anzeigeerstatter derartige sichere Informationen hat. Lassen die in einer Anzeige dokumentierten Kenntnisse indes eine Schadenersatzklage zu, ist dies für den Beginn des Verjährungslaufs maßgebend.

BGH, Urteil vom 28.11.2023 – X ZR 83/20, MDR 2024, 426.

Die zehnjährige Verjährungsfrist des § 852 Satz 2 BGB beginnt im Übrigen mit der Entstehung des ursprünglichen Schadensersatzanspruchs, nicht erst mit dessen Verjährung. Zu der Problematik s. BGH, Urteil vom 16.5.2017 – X ZR 85/14, MDR 2017, 1200, sowie BGH, Urteil vom 23.9.2004 – IX ZR 421/00, NJW-RR 2005, 69.

2. Haftungsansprüche aus unerlaubter Handlung – § 823 BGB

a) Vermögensschaden bei fingierten Verordnungen – § 823 BGB

Einem Apotheker entsteht kein Vermögensschaden, wenn eine bei ihm beschäftigte Mitarbeiterin mit fingierten Verordnungen Krankenkassen betrügt. Ihm stehen deshalb keine eigenen deliktischen Ansprüche gegen seine Mitarbeiterin zu. Er kann von den weiteren an dem Betrug Beteiligten als Gesamtschuldner einen Ausgleich im Innenverhältnis verlangen, wenn er an die Geschädigten Schadensersatz leistet. Dabei besteht die in § 840 Abs. 2 BGB normierte Haftungsfreistellung des verantwortlichen Geschäftsherrn nur im Verhältnis zum jeweiligen Mitarbeiter. Bei der Höhe der jeweiligen Haftungsanteile sind die Haftungseinheiten zu berücksichtigen. Der Geschäftsherr hat auch für vorsätzliche unerlaubte Handlungen seiner Gehilfen einzustehen, wenn diese noch im engen objektiven Zusammenhang mit den zugewiesenen Verrichtungen stehen, insbesondere dann, wenn die Gehilfen gerade die übertragenen Pflichten verletzen.

OLG Rostock, Urteil vom 13.10.2023 – 5 U 186/21, ZWH 2024, 21.

b) Haftung eines Organs für unerlaubte Bankgeschäfte – § 823 BGB, § 32 Abs. 1 KWG

Wer entgegen § 32 Abs. 1 KWG ohne entsprechende Erlaubnis Bankgeschäfte erbringt, macht sich bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1, Abs. 2 KWG strafbar. Wirken die Geschäfte berechtigend und verpflichtend für eine juristische Person, trifft die strafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB denjenigen, der in organschaftlicher Stellung für die juristische Person tätig ist. Die objektive Organstellung allein ist nicht hinreichend, um eine Haftung zu begründen. Es bedarf zusätzlich des Verschuldens (§ 276 BGB), das gesondert fest-gestellt werden muss. Interne Zuständigkeitsregelungen in der Geschäftsleitung einer juristischen Person können zwar nicht zu einer Aufhebung, wohl aber zu einer Beschränkung der straf- und haftungsrechtlichen Verantwortlichkeit führen. Es bestehen jedoch in jedem Fall gewisse Überwachungspflichten, die das danach unzuständige Organ zum Eingreifen veranlassen müssen, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Erfüllung der der Gesellschaft obliegenden Aufgaben durch das zuständige Organ nicht mehr gewährleistet ist.

BGH, Urteil vom 09.11.2023 – III ZR 105/22, ZInsO 2024, 362, m. zust. Anm. Heindorf/Schmittmann, NZI 2024, 190.
Die Entscheidung bestätigt die bisherige Rspr. des BGH, vgl. BGH, Urteil vom 15.05.2012 – VI ZR 166/11, NJW 2012, 3177. Zu der Entscheidung Enger, jurisPR-VersR 2/2024 Anm. 3, sowie Kielkowski/Hössl, jurisPR-Compl 1/2024 Anm. 6S. Zur Auswirkung interner Geschäftsverteilungsregelungen auf Überwachungsobliegenheiten überdies grundlegend BGH, Urteil vom 15.10.1996 – VI ZR 319/95, wistra 1997, 102. Zur Frage, inwieweit Pflichtendelegation sich auf den Vorsatz auswirken kann, s. Wild, PStR 2024, 71.

3. Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Willkürverbot – §§ 14, 16 InsO

Voraussetzung für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist ein zulässiger und begründeter Insolvenzantrag. Das Insolvenzgericht hat vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens daher nicht nur zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund gegeben ist, sondern sich zunächst mit der Frage zu befassen, ob ein zulässiger Insolvenzantrag vorliegt.

BVerfG, Beschluss vom 13.12.2023 – 2 BvR 2204/21, ZInsO 2024, 187.
S. hierzu Marquardt, ZInsO 2024, 399, sowie Laroche, EWiR 2024, 149.

Die Verletzung des Willkürverbots ist nach Auffassung des BVerfG im Übrigen auch dann anzunehmen, wenn das Insolvenzgericht eine offensichtlich einschlägige Übergangsvorschrift (wie etwa Art. 103h EGInsO ) nicht anwendet; BVerfG, Beschluss vom 29.07.2022 – 2 BvR 1154/21, ZInsO 2022, 2018. Hierzu Greiner, jurisPR-InsR 20/2022 Anm. 2.

4. Adressaten der Insolvenzantragpflicht – § 15a InsO

Die Insolvenzantragspflicht des § 15a InsO richtet sich auch an faktische Organe einer juristischen Person.

OLG Brandenburg, Urteil vom 02.02.2024 – 7 U 175/19, ZRI 2024, 303.

V. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit möglicher strafrechtlicher Relevanz

1. Gewerberechtliche Unzuverlässigkeit – § 35 GewO

Gewerberechtlich unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamteindruck seines Verhaltens nicht die Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß, d.h. entsprechend der gesetzlichen Vorschriften und unter Berücksichtigung der guten Sitten, ausführt. Dies ist regelmäßig zu bejahen, wenn der Betroffene öffentlich-rechtliche Zahlungsverpflichtungen nicht erfüllt. Liegt kein entsprechendes Urteil vor, rechtfertigen laufende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Annahme gewerberechtlicher Unzuverlässigkeit nicht.

OVG SchlH, Beschluss vom 21.09.2023 – 4 MB 27/23, ZInsO 2024, 216.

2. Presserechtrechtliche Auskunftsansprüche im Zusammenhang mit Strafverfahren – Pressegesetze der Länder, z.B. Art. 4 BayPrG

a) Herausgabe eines rechtskräftigen Strafbefehls an Pressevertreter – § 407 StPO

Der Veröffentlichungswürdigkeit von Strafbefehlen in presserechtlichen Auskunftsverfahren steht nicht entgegen, dass der Strafbefehl ohne Hauptverhandlung ergeht.

VGH München, Beschluss vom 29.06.2023 – 7 CE 23.820, NJW 2024, 372.

b) Auskunftsanspruch zur Einstellung eines Strafverfahrens – § 153a StPO

Pressevertreter können behördliche Auskünfte verlangen, soweit die Informationen bei der Behörde vorhanden sind und berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen. Dies gilt auch für den Beschluss, mit dem das zuständige Gericht ein Strafverfahren gemäß § 153a Abs. 2 StPO endgültig einstellt, nachdem der Beschuldigte die ihm erteilten Auflagen nach deren Erfüllung endgültig einstellt.

VGH München, Beschluss vom 03.08.2023 – 7 ZB 21.181, NJW 2024, 376.

Pressevertreter können regelmäßig die Herausgabe von anonymisierten gerichtlichen Entscheidungen beanspruchen, wenn sie über Strafverfahren und deren Auswirkungen berichten wollen; grundlegend BVerfG, Beschluss vom 14.09.2015 – 1 BvR 857/15, NJW 2015, 3708.

Autorinnen und Autoren

  • Raimund Weyand
    Raimund Weyand war bis zum seinem Eintritt in den Ruhestand am 31.12.2021 stellvertretender Leiter der Staatsanwaltschaft Saarbrücken. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Insolvenz-, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht und hat auf diesen Themengebieten bereits zahlreiche Beiträge publiziert. Weyand ist (Mit-)Verfasser mehrerer insolvenz- und wirtschaftsstrafrechtlicher Buchveröffentlichungen, Mitautor des Kommentars von Graf/Jäger/Wittig zum Steuer- und Wirtschaftsstrafrecht und gehört seit deren Gründung dem Herausgebergremium der Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht (ZInsO) an.

WiJ

  • Dr. Ulrich Leimenstoll

    Umweltstrafrecht – besondere Herausforderungen für die Verteidigung und strafrechtliche Beratung

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions-Compliance

    Außenwirtschaftsrecht, Kriegswaffenkontrollrecht

  • Ronja Pfefferl , Henrik Halfmann

    Außerstrafrechtliche Folgen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

    Individual- und Unternehmenssanktionen