Philipp Rhein

Tagungsbericht „Junges Wirtschaftsstrafrecht 6.0 – die Klimakrise und das Wirtschaftsstrafrecht”

am 11.10.2024 in Frankfurt am Main

Die Tagung „Junges Wirtschaftsstrafrecht 6.0 – die Klimakrise und das Wirtschaftsstrafrecht ” fand am 11. Oktober 2024 in Frankfurt am Main (sowie online) als Gemeinschaftsveranstaltung des WisteV sowie des Junges Strafrecht e.V. unter der Organisation und Leitung von Prof.’in Dr. Charlotte Schmitt-Leonardy (Universität Bielefeld) und RAin Dr. Ricarda Schelzke statt. Thematischer Ausgangspunkt war das Verhältnis „Wirtschaft vs. Natur“ aus der wirtschaftsstrafrechtlichen Perspektive. Schon in der Begrüßung von Prof. Dr. Matthias Jahn (Goethe-Universität Frankfurt a.M.), dem Schirmherr der Tagung, wurde jedoch deutlich, dass hierbei nicht von einem bloßen dichotomen Gegenüber ausgegangen werden dürfe. Vielmehr müssen die Wechselwirkungen der Entwicklungen von Wirtschaft und Natur als multipolares Spannungsfeld begriffen werden, welches die Tagung unter strafrechtlichen Gesichtspunkten aufzufächern versuchte.

Im Zentrum stand dabei der Schutz der Natur – auch und insbesondere im Angesicht der Klimakrise – durch das (Wirtschafts-)Strafrecht. Diese Perspektivierung ist keineswegs selbsterklärend. So hätte etwa auch das Strafrecht als Mittel zum Schutz des Menschen vor den Folgen der Klimakrise oder zumindest der Schutz der Menschen als Ausgangspunkt für die strafrechtliche Bewältigung der Klimakrise beleuchtet werden können. Durch die Zentrierung gerade der Natur als Schutzobjekt ist es der Tagung ist gelungen, die wissenschaftliche Diskussion auch über die noch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 157, 30 – Klimabeschluss) eingenommene anthropozentrische Perspektive hinaus zu öffnen. Dass dies geglückt ist, zeigte sich nicht zuletzt in der Vielzahl innovativer Vorträge.

I. Erstes Panel: Der Schutz der Umwelt vor den Menschen?

Das erste Panel widmete sich – moderiert von Fynn Wenglarczyk – den Individualpersonen als Adressaten des Strafrechts zum Schutz der Umwelt. Insofern einte alle Beiträge nicht nur die Frage nach der Rolle des Einzelnen bei der Bewältigung der Klimakrise, sondern insbesondere auch die Suche nach einem Ausgleich zwischen  staatlicher und privater Verantwortung.

Im ersten Vortrag (Titel: „Klimaschutzstrafrecht und Zurechnungsfragen“) wendet sich Dr. Nicolai von Maltitz (Ludwig-Maximilians-Universität München) den Grundlagen eines Klimaschutzstrafrechts zu, indem er zunächst die globale Dimension der Klimakrise in den Fokus nimmt. Bei der Umwelt bestehe – wie bei jedem sog. Allmendegut – die Gefahr, dass die Ressourcen aufgrund ihrer freien, aber begrenzten Verfügbarkeit nicht effizient genutzt und so schließlich durch übermäßigen Verbrauch bedroht sind (sog. tragedy of the commons). Diese Bedrohung resultiert dabei jedoch aus einer Summe von Inanspruchnahmen, die jede für sich genommen völlig sozialadäquat sind. Aus diesem Grund sei es einerseits kaum möglich, die letztliche Verschlechterung des Klimas als Gesamtfolge aller Umweltbeanspruchungen einem Einzelnen als dessen Werk (strafrechtlich) zuzurechnen, und andererseits wenig nützlich, bloß die Handlungen Einzelner zu verbieten. Vorschriften wie etwa §§ 30, 32 Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz griffen daher zu kurz. Stattdessen entwickelte Dr. von Maltitz den Gedanken, dass dem Ziel der Klimaneutralität bereit das Verbot nicht kompensierter Emissionen immanent sei und hieran anknüpfend nicht an die Folgeschäden der Einzelemissionen auf das Klima, sondern an die Emission selbst als möglicher Taterfolg angeknüpft werden müsse. Angesichts dessen solle die weitere Diskussion sich auf die Verdichtung emissionsbezogener Sanktionsnormen konzentrieren, wobei diese rechtliche „Transitionsphase“ aktuell noch keine konkreten Vorschläge hervorbringen könne, um den notwendigen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess offenzuhalten. Hierbei müsse insbesondere berücksichtigt werden, dass nicht jegliche – unerhebliche oder auch völlig natürliche – Immission sanktioniert werden darf. Vielmehr müssten diesbezüglich Kompensationsmechanismen geschaffen werden, bei denen wiederum auszuhandeln sei, wer diese übernehmen wird.

Anschließend erläuterte RA Dr. Philipp Kleiner in seinem Vortrag mit dem Titel „Nachhaltigkeitsregulierung an den Finanzmärkten“ die Mechanismen dieser Regulierung. Zentraler Baustein der Regulierungsbemühungen ist die Allokation von privatem Kapital zugunsten nachhaltigkeitsfördernder Unternehmen. Da deren Wirtschaftstätigkeit durch Finanzprodukte finanziert würden, dienten die kapitalmarktrechtlichen Regelungen dazu, Anreize für Marktteilnehmer durch die Bereitstellung von Informationen über Nachhaltigkeitsaspekte zu schaffen. Die hierfür einschlägigen europäische Rechtsvorschriften seien vielgestaltig; Herzstück sei jedoch die Taxonomie-VO, welche ein umfassendes Klassifikationssystem wirtschaftlicher Tätigkeiten als nachhaltig oder nicht-nachhaltig bereitstellt. Das Wirtschaftsstrafrecht spielt in diesem Bereich bislang jedoch nur eine untergeordnete Rolle: Die Einhaltung der europäischen Vorschriften ist nämlich lediglich aufsichtsrechtlich und nicht unmittelbar strafrechtlich abgesichert. Auch die neue EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt hat hier keine Abhilfe geschaffen. Allerdings könnten falsche Marktinformationen zumindest mittelbar durch § 263 StGB und § 264a StGB geahndet werden. Dies sei indes nicht unproblematisch. Zum einen werfe die Frage, ob die Nachhaltigkeit einen wertbildenden Faktor darstelle, Zweifel hinsichtlich des Vermögensschadens nach § 263 StGB auf. Zum anderen verlange § 264a StGB einen konkreten Vermögensbezug, was bei Nachhaltigkeitsaspekten wiederum zweifelhaft sei. Perspektivisch müsse daher überlegt werden, ob die nachhaltige Finanzmarktregulierung vom Umweltstrafrecht aufgegriffen werden solle oder könne.

Schließlich hielt RAin Elisabeth Baier, LL.M. ihren Vortrag „Völkerstrafrechtliche Ansätze zur Verfolgung von Umweltstraftaten“. Schwierigkeiten ergäben sich vor allem daraus, dass das bisherige völkerrechtliche Instrumentarium zum einen vor allem Taten wie Völkermord oder Kriegsverbrechen in den Blick nähme und daher die Umwelt als Verletzungsobjekt allenfalls mittelbar als Teil der zivilen Infrastruktur geschützt sei. De lege lata gäbe es daher kaum Möglichkeiten genuine Schäden an der Umwelt völkerstrafrechtlich zu ahnden. Gerade deshalb werde de lege ferenda die Diskussion um die Strafbarkeit eines Ökozides geführt. Überzeugende Konzepte, denen es gelänge, den Ökozid als konkrete Handlung eines völkerstrafrechtlichen Tatbestandes zu skizzieren, fehlten aber bislang. Insgesamt seien die Ansatzpunkte einer völkerstrafrechtlichen Ahndung von Umweltkriminalität daher – trotz intensiver Diskussion hierzu – ausbaubedürftig.

Diesbezüglich wurde eingewandt, dass auch die allgemeinen Durchsetzbarkeitsprobleme des Völkerrechts und insbesondere die bereits von Dr. von Maltitz angesprochenen Zurechnungsschwierigkeiten einem weiteren Ausbau und vor allem einer effektiven Nutzung des Völkerstrafrechts entgegenstünden. Überdies wurde in der anschließenden Diskussion hinsichtlich einer strafrechtlichen Sanktionierung von Umweltstraftaten die Befürchtung geäußert, dass die vornehmliche Adressierung von Individualpersonen anstatt staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen zur mangelnden Akzeptanz der Verbote einerseits und einer Marginalisierung der globalen Zusammenhänge andererseits führen könnte. Insofern sei auch (neben oder anstatt) des Strafrechts die Erweiterung des Staatshaftungsrechts zu erwägen. Ausgehend von dieser Betonung staatlicher Verantwortung seine auch die von RA Dr. Kleiner beschriebenen Regulierungsmechanismen kritisch zu würdigen: Wie RA Dr. Kleiner selbst einwarf, könne man durchaus argumentieren, dass hierdurch die Regulierungsverantwortung letztlich auf marktwirtschaftliche Anreizmechanismen verlagert wäre, deren Wirksamkeit indes schwer nachzuvollziehen seien. Dementsprechend sei auch der Immissionshandel zwar grundsätzlich geeignet, eine Emissionskompensation zu ermöglichen, ohne unmittelbar Einbußen des industriellen Handlungspotentials hinnehmen zu müssen. Gleichwohl läge hierin nicht die einzige Lösung des Emissionsproblems. Einerseits reichten derartige Kompensationen für eine Klimaneutralität nicht aus Und andererseits hinge die Handlungsfähigkeit durch die ausschließliche Allokation von Ausgleichsmaßnahmen entlang marktwirtschaftlicher Grundsätze letztendlich von der Marktkraft ab, was zulasten der Klimaneutralität ginge. Insofern müsse auch hier der Staat seiner Aufgabe der Daseinsvorsoge gerecht werden und dürfe die Erreichung der Klimaneutralität nicht allein in private Hände geben.

II. Vergabe des WisteV-Preises

Wie üblich im Rahmen der Tagung wurde auch dieses Jahr der Preis für die beste wirtschaftsstrafrechtliche Dissertation aus der Perspektive der Praxis verliehen. Gekürt wurde die Dissertation von Dr. Merve Yolaçan mit dem Titel „Verteidigung in grenzüberschreitenden Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft“.

RAin Dr. Ricarda Schelzke würdigte in ihrer Laudatio nicht nur die umfassende und detaillierte Aufarbeitung des Vorgehens der Europäischen Staatsanwaltschaft bei grenzüberschreitenden Ermittlungen. Im Vordergrund stand vor allem der gleichsam innovative und höchst praktische Beitrag der Arbeit zur Herausstellung des Grundrechtsschutzes der Beschuldigten in solchen Ermittlungsverfahren. So hatte sich Dr. Yolaçan insbesondere mit dem Recht der Beschuldigten auf Akteneinsicht über die Zentrale der Europäischen Staatsanwaltschaft beschäftigt und ihre Überlegungen in einem Vorschlag für ein Formular zur Anfrage dieser Akten destilliert. Hierdurch gelingt es der Dissertation, ihre rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse für die strafverteidigende Praxis unmittelbar zugänglich und nutzbar zu machen. Weitere Schwerpunkte liegen auf dem Zugang zu einem Rechtsbeistand und der Prozesskostenhilfe.

Insgesamt ist es der Arbeit – wie RAin Dr. Schelzke zurecht betonte – daher in ganz besonders herausragender Weise gelungen, Wissenschaft und Praxis des Wirtschaftsstrafrecht zu vereinen und füreinander fruchtbar zu machen.

III. Zweites Panel: Der Schutz der Umwelt vor den Unternehmen?

Das sich anschließende zweite Panel wandte seinen Fokus unter Moderation von Prof.’in Dr. Schmitt-Leonardy ab von Privatpersonen und hin zu Unternehmen als Adressaten des Strafrechts zum Schutz der Umwelt.

Die wohl aktuellste rechtspolitische Entwicklung in diesem Bereich, die EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, griff RAin Margarete Weiß in ihrem Vortrag „EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt“ auf. Nach wie vor sei Umweltkriminalität höchst profitabel und das Aufdeckungsrisiko gering. Als Teil des „Green Deal“ der EU solle die Richtlinie daher harmonisierende Mindeststandards zu Ahndung dieses Kriminalitätsfeldes schaffen. Zentrales Element des neuen Regelungsgefüges stelle der erweiterte Katalog an Umweltstraftaten dar, für welche die Rechtlinie effektive strafrechtliche Sanktionen vorsehe. Neu sei auch die Aufnahme einer Qualifikation bei besonders schweren (laut Erwägungsgrund: „ökozid-ähnlichen“) Folgen. Hierbei seien auch für Unternehmen Sanktionen vorgesehen, die von umsatzabhängigen Geldbußen bis hin zur Auflösung des Unternehmens gingen. Hieraus ergäbe sich profunder Änderungsbedarf im deutschen Strafrecht: Einerseits müssten neue Straftatbestände geschaffen und andererseits bestehende Strafrahmen verschärft werden. Für Unternehmen sei insbesondere abzuwarten, ob der deutsche Gesetzgeber die umsatzabhängige Bestimmung von Geldbußen übernehmen oder an seiner Praxis von (nunmehr aber wohl erhöhten) Höchstgrenzen festhalten werde. Auch die Implementierung von Unternehmensauflösungen als Sanktionsmöglichkeit stelle das deutsche (Straf-)Recht vor Schwierigkeiten. Schließlich fordere die Richtline auch die Aufstockung der Ermittlungsressourcen, sodass sich durch die Richtline insgesamt der Strafverfolgungsdruck auf Unternehmen erhöhen dürfte. Unternehmensseitig sei eine Anpassung der Compliance-Management-Systeme zu empfehlen. Zweifelhaft sei aber, inwieweit die hohen Strafdrohungen tatsächlich Wirkung hätten. So wurde in der Diskussion überlegt, ob die so aufgebaute „Strafdrohkulisse“ nicht praktisch vor allem zu einer Attraktivität konsensualer Verfahrensbeendigungen, etwa über §§ 153 f. StGB, führen werde. Dem wurde indes entgegengehalten, dass die bisherigen praktischen Erfahrungen eher gegen eine Bereitschaft der Ermittlungsbehörden hierzu spreche. Die weitere Entwicklung bleibe daher spannend.

Ein Spezialfall unternehmensbezogener Kriminalität stellen Verstöße gegen das Tierschutzstrafrecht dar. Diesen erörterte Dr. Johanna Hahn, LL.M. (Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) in ihrem Vortrag „Das Wirtschaften mit Tieren“, der maßgeblich auf ihrer rechtsempirischen Forschung beruhte. Im Umgang mit Nutztieren fänden auf allen Ebenen (Haltung, Transport, Schlachtung) strafbare Handlungen statt. Die Ahndung dieser Taten gestalte sich jedoch schwierig. Einerseits seien nahezu alle Tatbestandsmerkmale des § 17 TierSchG als zentralen Straftatbestandes problembehaftet. Andererseits bestünden – laut einer von Dr. Hahn (mit-)durchgeführten Strafaktenanalyse – Defizite in der Strafverfolgung. Aufgrund sehr weniger Routinekontrollen würden kaum Erkenntnisse über den Umgang mit den Tieren in geschlossenen Betrieben erlangt. Auch seien die konkret betroffenen Tiere oft nicht untersuchbar, da diese zum Zeitpunkt der Ermittlungen oft bereits geschlachtet wären. In größeren Betrieben sei es zudem oftmals schwer möglich, die konkrete Misshandlung einem einzelnen Mitarbeiter zuzuordnen. Angesichts dieser prekären Lage stelle sich die Frage, welchen Beitrag das Tierschutzstrafrecht entsprechend zur Bewältigung der Klimakrise leisten kann. Zwar würde eine Reduktion des Tierbestandes Emissionen reduzieren. Der § 17 TierSchG betrifft aber gar nicht Größe des Tierbestands. Im Gegenteil ließe sich sogar argumentieren, dass die Misshandlung von Tieren aus ökonomischen Gründen sogar unter dem Gesichtspunkt der Ressourcenschonung seinerseits für das Klima positiv sei. Insofern könne das Tierschutzstrafrecht für sich genommen den Klimaschutz kaum voranbringen. Wichtiger sei eher bewussterer Umgang mit Tieren als Teil der Umwelt und Lebensgrundlage. Dem Strafrecht könne hierbei allerdings eine Funktion als „Diskursstrategie“ zukommen, indem es die bestehenden Probleme aufzeigt und so die Diskussion hierüber katalysiert.

Abschließend widmete sich RA Dominik Hotz, LL.M. dem Thema „Vermögensabschöpfung bei unternehmensbezogener Umweltkriminalität“. Wie praxisrelevant dieser Aspekt sei, zeigten die Statistiken: Seit der Reform der Vermögensabschöpfung in den Jahren 2017 und 2021 habe die Einziehung auch im Kontext von Umweltstraftaten deutlich zugenommen. Hierbei müsste indes unterschieden werden zwischen der strafrechtlichen Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB und der Abschöpfung im Ordnungswidrigkeitenrecht nach § 30 OWiG, wobei die reformierten §§ 73 ff. StGB den Strafverfolgungsbehörden eine deutlich weitergehende Abschöpfung ermögliche. Gleichwohl werfen die §§ 73 ff. StGB bei der Anwendung im umweltstrafrechtlichen Kontext eine Vielzahl von Einzelfallfragen auf. Diese illustrierte RA Hotz eingehend an mehreren Fällen und zeigte so auf, dass trotz des Bruttoprinzips bei der strafrechtlichen Einziehung nach den §§ 73 ff. StGB diverse Verteidigungsansätze bestehen, um zu hinterfragen, was „für“ bzw. „durch“ die Tat erlangt wurde und was ggf. nach § 73d StGB hiervon wieder abzuziehen ist.

IV. Drittes Panel: Strafprozessuale Fragen

Im abschließenden Panel – moderiert von RAin Dr. Christina Brosthaus – wurden die strafprozessualen Fragen der Bewältigung der Klimakrise durch das Strafrecht angesprochen.

Zunächst eruierte Dr. Jonas Divjak (Universität Liechtenstein) „Die unionsweite Verfolgung von Umweltkriminalität“. Durch den grenzüberschreitenden Charakter von Umweltstraftaten stießen nationale Strafverfolgungen regelmäßig an ihre Grenzen. Auch sei die Sanktionspraxis in einzelnen Staaten unterschiedlich, was vor allem wegen des grenzüberschreitenden Strafklageverbrauches zu Ahndungslücken führen könne. Ausweg biete eine unionsweite Verfolgung. Trotzdem die Strafverfolgungskompetenz den Einzelstaaten obliege, gebe es bereits de lege lata unionsübergreifende Institutionen, die hierzu dienen können. Zunächst erfassten Europol und Eurojust zumindest grundsätzlich auch Umweltkriminalität als verfolgbares Kriminalitätsfeld; allerdings beschränkt sich die Kompetenzen nur auf Koordinierung und Datenaustausch. Insofern könnten die beiden Institutionen lediglich einen beschränkten Beitrag zur unionsweiten Ahndung leisten. Hingegen hat OLAF die Kompetenz zur Durchführung eigener Untersuchungen; dies jedoch nur bezüglich Straftaten zum finanziellen Nachteil der EU und nur subsidiär zur Europäischen Staatsanwaltschaft. Dennoch könne OLAF zumindest einen mittelbaren Beitrag in der unionsweiten Verfolgung von Umweltkriminalität leisten, wenn verfolgte Handeln auch Nachteile für die Umwelt birgt, z.B. Missbrauch von Fördergeldern und Subventionen. Schließlich liege der Fokus auf den Kompetenzen der Europäischen Staatsanwaltschaft, der als Verfolgungs- und Anklagebehörde weitreichende Befugnisse zukämen. Auch diese sei indes für originäre Umweltstraftaten nicht zuständig, sondern könne – ähnlich wie OLAF – de lege lata bloß einen mittelbaren Beitrag leisten. De lege ferenda sei jedoch zu überlegen, ob nicht von der in Art. 86 Abs. 4 AEUV angelegten Erweiterungsmöglichkeit der Zuständigkeiten der Europäischen Staatsanwaltschaft Gebrauch gemacht werden sollte. Dies erscheine vor allem deshalb sinnvoll, weil grenzüberschreitende Umweltkriminalität nicht nur – wie etwa internationaler Drogenhandel – aus einer Verknüpfung grenzüberschreitend-koordinierter Einzelhandlungen resultiere, sondern vor allem in ihren Auswirkungen stets global gedacht werden müsse. Angesichts dessen wurde in der Diskussion überlegt, ob diese globale Perspektive nicht sogar eine Ansiedelung der Ahndungskompetenz oberhalb der EU rechtfertige. Dem wurde indes entgegengehalten, dass mit zunehmender Entfernung von der Kompetenz der Einzelstaaten einerseits die Legitimation der strafrechtlichen Ahndung und andererseits ihre Durchsetzbarkeit leiden würde.

Die EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt betrifft nicht nur das materielle Umweltstrafrecht, sondern enthält auch prozessuale Regelungen. Weil Umweltverletzungen Jedermann betreffen, warf StA Sebastian Knell in seinem Vortrag „Schutz der Umwelt durch

‚Jedermann‘?“ die Frage auf, wie diesem Interesse an einer Beteiligung, insbesondere seitens NGOs, im deutschen Strafprozess Rechnung getragen wird bzw. werden kann. In der bisherigen Praxis der Ermittlungsbehörden würden NGOs regelmäßig inhaltlich höchst qualifizierte Strafanzeigen stellen und so Umweltstrafverfahren anstoßen. Auch die dem regelmäßig vorangehende Aufklärungsarbeit der NGOs fördere regelmäßig Ermittlungsverfahren und diene der frühzeitigen Konkretisierung der Vorwürfe. Schließlich seien die NGOs oftmals auch fachlich qualifizierte Ansprechpartner. Im Verfahren im Vorfeld der EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt war daher umfassend diskutiert worden, ob Privatpersonen und NGOs sogar Beteiligte in Strafverfahren seien sollten. Im finalen Art. 15 der Richtline war dies aber – auch aufgrund der teils heftigen Kritik – nicht mehr vorgesehen. Die hierbei geäußerten Bedenken teilte StA Knell und verwies darauf, dass nach dem deutschen Strafrecht die Staatsanwaltschaft alleinige Anklagebehörde sei und NGOs nach dem geltenden Recht kein Status als Privat-, Adhäsions- oder Nebenkläger zukommen könne. Eine Änderung an diesem Zustand sei auch gar nicht nötig. Zwar bringe die Beteiligung von NGOs Sachverstand ins Verfahren und könne zu produktiveren Gestaltung des Verfahrens beitragen. Jedoch bestehe die Gefahr, dass die Prozesse hierdurch ausufern oder zur Bühne politischer Agenden würden. Schließlich könne auch dem praktischen Bedürfnis nach mehr Sachstand durch Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Sonderdezernate sowie die Einbindung von Fachbehörden und Sachverständigengutachten entsprochen werden. Rechtsvergleichend müsse gleichwohl festgestellt werden, dass die Idee einer „Natur als Rechtspersönlichkeit“, deren Rechte von Jedermann durchgesetzt werden könne, zunehmend an Anhängern gewinne. Die weitere Entwicklung bleibe daher offen.

Die Beteiligung von NGOs im Strafverfahren griff auch RAin Amelie Winkler in ihrem Vortrag „Im Kreuzfeuer der Umwelt: Strategien für die Strafverteidigung“ aus der strafverteidigenden Perspektive auf. Die praktischen Erfahrungen würden zunehmend zeigen, dass Unternehmen durch NGOs medial sowie durch die Stellung von Strafanzeigen unter Druck gesetzt würden. Insgesamt zeichne sich ein Trend hin zu einer verstärkten Ahnung von Umweltstraftaten ab, was den Strafverfolgungsdruck auf die Unternehmen erhöhe. Die Verteidigung müsse daher von Beginn an als Ansprechpartner der Ermittlungs- und Verwaltungsbehörden agieren und proaktiv zur Sachverhaltsaufklärung beitragen. Gleichzeitig steige die Bedeutung der Medien. Weil die NGOs regelmäßig Medienkanäle nutzen würden, sei auch hier Reaktionsschnelligkeit und Transparenz oftmals empfehlenswert. Hinsichtlich der noch weitergehenden Beteiligung von NGOs an Strafverfahren trat RAin Winkler der Kritik von StA Knell bei und sprach sich dagegen aus. Gleichwohl wies auch sie auf die diesbezüglichen Entwicklungen in anderen europäischen Ländern hin und mahnte, die weitere Diskussion hierzu abzuwarten.

In der anschließenden Diskussion zur Beteiligung von NGOs im Strafverfahren wurde angemerkt, dass eine Überprüfbarkeit von Umweltverstößen auch durch Private nicht erst in der EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt, sondern bereits in der „Protect-Rechtsprechung“ des EuGHs diskutiert wird, sodass die Wechselwirkungen dieser Rechtsprechung mit der neuen Richtline zu untersuchen wären. Angesichts der klaren Grenzen des deutschen Strafprozessrechts sahen StA Knell und RAin Winkler indes keinen Anlass, die bisherige Strafprozessrechtsdogmatik in Frage zu stellen. Eingeräumt wird aber die Möglichkeit einer weiteren Formalisierung der Beteiligung von NGOs, etwa über ein Anhörungserfordernis wie in Nr. 90 RiStBV. Schließlich wird auch darauf hingewiesen, dass der Begriff der NGO bei weiterer Formalisierung der Beteiligung einer Konkretisierung bedürfe, um unseriöse Akteure auszusondern.

V. Fazit und Ausblick

Die vielfältigen Vorträge konnten das Spannungsfeld „Wirtschaft vs. Natur“ umfassend ausleuchten und eine ganze Reihe blinder Flecken aufdecken. Gleichzeitig gelang es sowohl den Referent*innen als auch der anschließenden Diskussion wichtige Anregungen für die weitere Aufarbeitung aktueller Probleme zu entwickeln. Deutlich wurde aber auch, dass weiterhin Diskussionsbedarf de lege lata et de lege ferenda besteht. Es bleibt daher abzuwarten, welche Impulse der Gesetzgeber und die Rechtswissenschaft zur Bewältigung der sich in der Praxis stellenden Fragen setzen können.

In jedem Fall hat die diesjährige Tagung wieder einmal gezeigt, dass sich das Format „Junges Wirtschaftsstrafrecht“ inzwischen etabliert hat: Aktuelle Themen – hochkarätige Redner*innen – innovative Vorträge. Prof.’in Dr. Schmitt-Leonardy gelang erneut eine hervorragende Veranstaltung, die alle Teilnehmenden zur Diskussion, mindestens aber zum Mit- und Nachdenken, anregte und eine Brücke schlug zwischen der Praxis und der Strafrechtswissenschaft.

Autorinnen und Autoren

  • Philipp Rhein
    Philipp Rhein ist Rechtsreferendar am Hanseatischen Oberlandesgericht.

WiJ

  • Dr. Ulrich Leimenstoll

    Umweltstrafrecht – besondere Herausforderungen für die Verteidigung und strafrechtliche Beratung

    Produkthaftung, Umwelt, Fahrlässigkeit und Zurechnung

  • Dr. Carolin Raspé , Dr. Roland Stein

    Strafrechtliche Risiken bei der Sanktions-Compliance

    Außenwirtschaftsrecht, Kriegswaffenkontrollrecht

  • Ronja Pfefferl , Henrik Halfmann

    Außerstrafrechtliche Folgen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

    Individual- und Unternehmenssanktionen