Wichtige Entscheidungen zum Insolvenzstrafrecht
I. Strafprozessrecht
1. Durchsuchung und Beschlagnahme bei einem Rechtsanwalt – § 102 StPO
Strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme, die sich gegen einen Berufsgeheimnisträger in dessen Räumlichkeiten richten, bergen regelmäßig die Gefahr, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, insbesondere den Mandanten des Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen. Dadurch werden nicht nur die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme. Hierzu erforderlich ist eine Auseinandersetzung mit der Stärke des Tatverdachts, sondern auch mit der Schwere der im Raume stehenden Straftat und der zu erwartenden Strafe, des Weiteren eine Prüfung, ob nach dem Stand der Ermittlungen im konkreten Fall die Verurteilung zu einer mehr als nur geringfügigen Sanktion in Betracht zu ziehen ist. Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind.
LG Saarbrücken, Beschl. v. 3.12.2024 – 5 Qs 41/24, StV 2025, 175. S. schon BVerfG, Beschl. v. 6.5.2008 – 2 BvR 384/07, StV 2008, 393. Aktuell in gleicher Weise BVerfG, Beschl. v. 21.7.2025 – 1 BvR 398/24, StraFo 2025, 408. S. zudem ausführlich Schröder, WiJ 2025, 69.
2. Durchsuchung beim Beschuldigten in einem Verfahren wegen Geldwäsche – § 102 StPO
Voraussetzung der Durchsuchung einer Wohnung ist ein auf konkreten Umständen beruhender über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausgehender Verdacht einer Straftat. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle eines Durchsuchungsbeschlusses beschränkt sich auf die Frage, ob die Annahme eines Verdachts und seine Bewertung auf objektiv willkürlich ist oder der zu beachtende Grundrechtsschutz einer betroffenen Person verkannt worden ist. Durchsuchungen einer Wohnung wegen des Verdachts der Geldwäsche (§ 261 StGB) setzen den Verdacht einer Geldwäschehandlung und den Verdacht voraus, dass die „gewaschenen“ Geldmittel aus einer rechtswidrigen Vortat herrühren. Die Einstellung eines Ermittlungsverfahrens einer ausländischen Staatsanwaltschaft (hier: der Staatsanwaltschaft Liechtenstein) mangels hinreichenden Tatverdachts führt nicht zu einem von deutschen Strafverfolgungsbehörden zu beachtenden Verfahrenshindernis, das einen Durchsuchungsbeschluss verfassungswidrig machen würde.
VerfGH Saarland, Beschl. v. 15.6.2025 – LV 5/24, n.v.; abzurufen unter https://www.verfassungsgerichtshof-saarland.de/entscheidungen/. Zu dem Erfordernis eines „doppelten Anfangsverdachts“ in derartigen Fällen vgl. bereits LG Saarbrücken, Beschl. v. 18.7.2024 – 13 Qs 19/24, NStZ 2025, 127
3. Anforderungen an einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung – § 172 StPO
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO so auszulegen, dass der Klageerzwingungsantrag in groben Zügen den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für ihre Unrichtigkeit wiedergeben und eine aus sich selbst heraus verständliche Schilderung des Sachverhalts enthalten muss, der bei Unterstellung des hinreichenden Tatverdachts die Erhebung der öffentlichen Klage in materieller und formeller Hinsicht rechtfertigt. Denn diese Darlegungsanforderungen sollen die Oberlandesgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäße und unsubstantiierte Anträge bewahren und in die Lage versetzen, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine qualifizierte Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Die Darlegungsanforderungen dürfen allerdings nicht überspannt werden. Ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung erfordert zwar die Mitteilung des wesentlichen Inhalts der angegriffenen Bescheide sowie der Einlassung des Beschuldigten. Die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen ist aber dann überschritten, wenn sich der Antragsteller mit rechtlich Irrelevantem auseinandersetzen oder die staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen beziehungsweise Einlassungen des Beschuldigten auch in ihren irrelevanten Abschnitten oder gar zur Gänze wiedergeben soll, obwohl sich deren wesentlicher Inhalt aus der Antragsschrift ergibt.
Die Entscheidung entspricht der st. Rspr., s. zuletzt BVerfG, Beschl. v. 22.12.2022 – 2 BvR 378/20, NJW 2023, 1277. S. auch BVerfG, Beschl. v. 19.9.2024 – 2 BvR 350/21, NJW 2024, 3644.
4. Ausschluss von Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen – § 5 StrEG
Eine Entschädigung ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat (§ 5 Abs. 2 StrEG). Legt ein Steuerpflichtiger im Rahmen einer Außenprüfung entgegen § 200 Abs. 1 AO nicht alle erforderlichen Urkunden vor, so verursacht er nach Auffassung des LG Nürnberg damit nicht ohne weiteres in grob fahrlässiger Weise seine spätere Strafverfolgung. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Beschuldigter Anlass zu Strafverfolgungsmaßnahmen – im Streitfall: Durchsuchungsanordnungen und Arrestbeschlüsse – gegeben hat, ist ein strenger Maßstab anzulegen. Der Entschädigungsanspruch entfällt, wenn der Beschuldigte die Eingriffsmaßnahme durch die Tat oder durch sein sonstiges Verhalten herausgefordert hat; er muss in ungewöhnlichem Maße die Sorgfalt außer Acht gelassen haben, die ein verständiger Mensch in gleicher Lage anwenden würde, um sich vor Schaden durch die Strafverfolgungsmaßnahme zu schützen. Ein Verstoß gegen von § 200 Abs. 1 AO postulierte Mitwirkungspflicht rechtfertigt indes nicht schon die Qualifikation dieses Verstoßes als grob. Er kann ebenso auf einem schlichten einfach fahrlässigen Versehen beruhen. Maßgeblich sind für die Beurteilung alle Umstände des Einzelfalls.
LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 13.3.2025 – 12 Qs 62/24, wistra 2025, 263. Der Entscheidung zust. Stark-Lütke Schwienhorst, jurisPR-StrafR 10/2025 Anm. 3. S. auch BGH, Beschl. v. 28.6.2022 – 2 StR 229/21, NStZ-RR 2023, 56.
5. „Insolvenzgeheimnis“ und Verwendungsverbot – § 97 InsO
Das Verwendungsverbot gemäß § 97 Abs. 1 S. 3 InsO steht der Durchführung von Ermittlungen entgegen, wenn der Anfangsverdacht lediglich auf Auskünften des Schuldners gründet, die aufgrund des in § 97 Abs. 1 S. 1 und 2 InsO geregelten Offenbarungszwangs erlangt wurden. Es gilt auch für Angaben gegenüber einem Sachverständigen, wenn das Insolvenzgericht dem Schuldner unter Androhung von Zwangsmaßnahmen aufgibt, diesem Auskunft zu erteilen. Das Verwendungsverbot kommt nur demjenigen Schuldner zugute, der seinen Pflichten im Insolvenzverfahren ohne Einschränkung nachkommt; falsche oder unvollständige Auskünfte sind vom Anwendungsbereich des § 97 Abs. 1 S. 3 InsO nicht erfasst. Es gilt auch nicht für Straftaten, die der Schuldner nach (korrekter) Erfüllung seiner Auskunftspflicht begeht.
LG Göttingen, Beschl. v. 26.2.2025 – 5 Qs 1/25, ZRI 2025, 421. Zu der Problematik s. bereits Weyand, ZInsO 2015, 1948 einerseits, Püschel, ZInsO 2016, 262 andererseits, ferner Haarmeyer, ZInsO 2016, 545.
6. Rechtsmittelbefugnis des Insolvenzverwalters bei Einziehungsentscheidungen – §§ 424, 427 StPO, § 80 InsO
Ein Insolvenzverwalter kann gegen eine Einziehungsentscheidung nur dann Rechtsmittel einlegen, wenn er durch eine förmliche gerichtliche Beteiligungsanordnung die Stellung eines Einziehungsbeteiligten erlangt hat. Es ist auch unter Berücksichtigung der ihm übertragenen Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht Aufgabe des Verwalters, kraft Amtes als Nebenbetroffener oder als Partei am Strafverfahren teilzunehmen.
BGH, Beschl. v. 23.4.2025 – 5 StR 422/24, ZInsO 2025, 1996 m. zust. Anm. Laroche. Krit. indes Otto, FD-InsR 2025, 812875.
II. Materielles Strafrecht
1. Faktische Geschäftsführung bei Firmenbestattungen – § 14 StGB
Nur die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person können Täter einer Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO sein und nur diesen wird die für einen täterschaftlichen Bankrott notwendige Schuldnereigenschaft der Gesellschaft nach § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB zugerechnet. Mitglied des Vertretungsorgans im Sinne dieser Vorschriften ist nicht nur der hierzu förmlich Bestellte, sondern auch derjenige, der diese Stellung faktisch übernommen hat. Maßgeblich für die Beurteilung sind die konkreten Umstände des Einzelfalles, die in einer Gesamtschau zu werten sind. Es genügt demgegenüber nicht, die teilweise in der Rspr. als maßgeblich für eine entsprechende Beurteilung angesehenen „klassischen Merkmale“ schematisch abzuarbeiten. Ob ein Beschuldigter die Unternehmensleitung faktisch übernommen hatte, ist durch die Prüfung zu entscheiden, in welchem Umfang er im Unternehmen tatsächlich zu erledigende organtypische Aufgaben übernommen hat. Ein Auftreten nach außen ist bei „Firmenbestattungen“ – anders als bei dem Tätigwerden bei (noch) werbenden Unternehmen – keine Voraussetzung für eine faktische Organstellung. Wenn die Gesellschaft überhaupt nur noch in geringem Maße oder gar nicht mehr am Rechtsverkehr teilnimmt, hat das Fehlen einer Vertretung nach außen nur sehr begrenzte Aussagekraft. Demgegenüber kann die Aneignung anderer Zuständigkeiten, welche dem Vertretungsorgan zugewiesen sind – etwa Buchführungs- und Bilanzierungspflichten (§ 41 GmbHG, § 264 HGB) oder die Pflicht zur Insolvenzantragstellung (§ 15a InsO) – einen Rückschluss auf die faktische Organstellung zulassen.
BGH, Urt. v. 27.2.2025 – 5 StR 287/24, ZInsO 2025, 1038 m. zust. Anm. Weyand.
Zust. gleichfalls Merschmöller, FD-StrafR 2025, 807349. S. zudem Beukelmann, NJW-Spezial 2025, 312, sowie Leinekugel, ZIP 2025, 1326. Krit. hingegen Kraft/Krasteva, jurisPR-StrafR 10/2025, Anm. 1.
Zur faktischen Geschäftsführung vgl. etwa BGH, Beschl. v. 23.3.2022 – 1 StR 511/21, wistra 2023, 29. Zu den „klassischen Merkmalen“ s. BayObLG, Urt. v. 20.2.1997 – 5St RR 159/96, NJW 1997, 1936. Krit. hierzu bereits Weyand, ZInsO 2015, 1773.
Ein Scheingeschäftsführer, also eine Person, die ihre Bestellung zum Gesellschaftsorgan nur zum Schein angemeldet hat, kommt im Übrigen – anders als ein Strohgeschäftsführer, der formell wirksam bestellt worden ist – mangels Schuldnereigenschaft nicht als Täter eines Bankrotts und mangels Organstellung nicht mehr als Täter einer Insolvenzverschleppung in Betracht.
BGH, Beschl. v. 27.2.2025 – 5 StR 287/24, ZInsO 2025, 1036.
2. Beihilfe eines Rechtsanwalts durch Erstellen von Rechtsgutachten – § 27 StGB
Alltagshandlungen und berufstypische Handlungen sind nicht in jedem Fall neutral; nahezu jedes Geschehen kann in einen strafbaren Kontext gestellt werden. Nicht jede Handlung, die sich im Ergebnis tatfördernd auswirkt, ist aber als strafbare Beihilfe einzustufen. Vielmehr bedarf es in Fällen berufsneutraler Handlungen einer wertenden Betrachtung im Einzelfall. Auch wenn das Bewusstsein und der Wille eines Rechtsanwalts in der Regel darauf gerichtet, pflichtgemäß Rechtsrat zu erteilen, kann er indes auch durch unrichtige (Gefälligkeits-)Gutachten Beihilfe leisten. Nicht jede derartige Tätigkeit erfüllt die Voraussetzungen des § 27 StGB. Die in Rechtsgutachten geäußerten Auffassungen können wegen ihres normativen Charakters grundsätzlich nicht ohne Weiteres nach den Kategorien „richtig“ oder „falsch“ bewertet werden. Vielmehr steht es einem beratenden Rechtsanwalt frei, in einer streitigen Rechtsfrage zu einer von der überwiegenden oder sogar herrschenden Meinung abweichenden Rechtsauffassung zu gelangen, soweit diese rechtlich vertretbar ist; Rechtsauskünfte lege artis bewegen sich daher innerhalb des erlaubten Risikos. Verschweigt ein Rechtsanwalt in seinem Gutachten demgegenüber bewusst, dass es zu der von ihm beurteilenden Rechtsfrage eine (beachtliche) Gegenauffassung oder gute Gegenargumente gibt, so kann hierin eine „falsche“ Rechtsauskunft liegen. Daneben kann eine solche Auskunft auch dann unrichtig sein, wenn der Begutachtung bewusst ein falscher oder unvollständiger Sachverhalt zugrunde gelegt wird, um zu dem gewünschten rechtlichen Ergebnis zu gelangen.
BGH, Beschl. v. 7.7.2025 – 1 StR 484/24, n.v. m. zust. Anm Gehm, AO-StB 2025, 324; differenzierend indes Held, jurisPR-StrafR 20/2025, Anm. 1. So auch die bisherige Rspr.; vgl. grundlegend bereits BGH, Urt. v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, wistra 2000, 340 m. Anm. Jäger; s. ferner BGH, Urt. v. 19.12.2017 – 1 StR 56/17, ZInsO 2018, 1956 m. Anm. Weyand; BGH, Urt. v. 15.5.2018 – 1 StR 159/17, wistra 2019, 63 m. Anm. Grosse-Wilde. S. zudem Krell, wistra 2020, 177 sowie Kudlich, NStZ 2017, 339.
3. Auflage zur Schadenswiedergutmachung und Einziehung – §§ 56b, 73c StGB
Die Anordnung von Einziehung von Wertersatz (§ 73c StGB) schließt die Verhängung einer Schadenswiedergutmachungsauflage (§ 56b Abs. 2 Nr. 1 StGB) gerichtet auf denselben Betrag mit dem Ziel, Tatbeute einzuziehen, aus. Die bei paralleler Anordnung beider Instrumente entstehenden systematischen Friktionen können nur durch einen Vorrang der Einziehung aufgelöst werden. Jedenfalls ist eine Schadenswiedergutmachungsauflage neben einer Einziehungsanordnung ausgeschlossen, wenn Insolvenzreife vorliegt. Zahlungsanordnungen, die der Insolvenzanfechtung unterliegen, sind rechtswidrig.
AG Singen, Beschl. v. 9.1.2025 – 60 BRs 4/24, ZInsO 2025, 1600. S. zu der Problematik bereits LG Essen, Beschl. v. 16.7.2018 – 32 KLs 3/17 BEW, ZInsO 2018, 2809.
4. Beitragsvorenthaltung durch unrichtige Angaben gegenüber der Einzugsstelle – § 266a Abs. 2 StGB
266a Abs. 2 StGB erfordert keine irrtumsbedingte Verfügung der zuständigen Einzugsstelle über fällige Sozialversicherungsbeiträge. Vielmehr bewirken die Tathandlungen des § 266a Abs. 2 StGB regelmäßig gerade eine durch das Machen falscher Angaben gegenüber der Einzugsstelle erhöhte Gefahr einer Beitragsvorenthaltung. Erklärt der Arbeitgeber gemäß gegenüber der Einzugsstelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtig oder unvollständig oder lässt er die Einzugsstelle über solche Tatsachen in Unkenntnis und zahlt er trotz Fälligkeit (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB IV) den Gesamtsozialversicherungsbeitrag nicht (§§ 28d, 28e SGB IV), liegt regelmäßig zugleich der erforderliche funktionale Zusammenhang zwischen Täuschungshandlung und Beitragsvorenthaltung vor. In der Nichtzahlung der Beiträge realisiert sich eine den Tathandlungen des § 266a Abs. 2 StGB typischerweise anhaftende Gefahr für das Beitragsaufkommen.
BGH, Beschl. v. 28.11.2024 – 1 StR 376/24, NStZ 2025, 556.
5. Urkundenfälschung bei Unterzeichnung mit dem Namen einer in Wahrheit nicht existierenden Person – § 267 StGB
Eine Urkunde ist unecht, wenn sie nicht von demjenigen stammt, der aus ihr als Aussteller hervorgeht, d.h. wenn der Anschein erweckt wird, ihr Aussteller sei eine andere Person als diejenige, von der sie herrührt. Anders als bei Fällen offener oder versteckter Anonymität reicht es für die Tatbestandsverwirklichung deshalb aus, wenn die Urkunde den Anschein erweckt, dass eine individualisierbare Person als Aussteller für die Erklärung einsteht, was nicht voraussetzt, dass diese Person auch tatsächlich existiert.
BayObLG, Beschl. v. 13.6.2024 – 202 StRR 15/24, StraFo 2024, 478.
6. Abgrenzung Bankrott – Verletzung der Buchführungspflicht – §§ 283 Abs.1 Nr. 7, 283b Abs. 1 Nr. 3b StGB
Werden Bilanzen außerhalb der Unternehmenskrise nicht erstellt, kommt lediglich eine Strafbarkeit wegen Verletzung der Buchführungsfrist in Frage, nicht aber wegen Bankrotts. Wer bereits mehrfach als Geschäftsführer einer GmbH tätig war, kann sich nicht auf die rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit einer Bilanzerstellung berufen, weil er infolge dieser Tätigkeit in der Lage ist, die Bilanzen selbst anzufertigen.
BayObLG, Beschl. v. 20.11.2024 -206 StRR 394/24, ZInsO 2025, 39 m. krit. Anm. Bittmann. Abl. hierzu Knierim, FD-StrafR 2024, 826562.
III. Zivilrechtliche Entscheidung mit potentieller strafrechtlicher Relevanz
1. Obliegenheiten eines Scheingeschäftsführers – § 15a InsO
Die in § 15a InsO verankerte Insolvenzantragspflicht nach Eintritt der Insolvenzreife ist eine Kardinalpflicht. Zum Elementarwissen eines Geschäftsführers gehört die Vergewisserung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft sowie die eingehende Prüfung der Insolvenzreife. Der Unternehmensleiter ist zur beständigen wirtschaftlichen Selbstkontrolle verpflichtet. Tritt der Geschäftsführer lediglich als Strohmann auf, kann ihn dies insoweit nicht entlasten, da ihm dann die wissentliche Verletzung kardinaler Organisations- und Kontrollpflichten anzulasten ist. Will ein eingetragener Geschäftsführer, der seine Organtätigkeit faktisch nicht ausübt und keine Kontrollmöglichkeiten in Bezug auf die Geschäfte der Gesellschaft hat, sich haftungsbefreiend von der Gesellschaft trennen, muss er sein Amt niederlegen.
OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 16.1.2025 – 7 W 20/24, ZRI 2025, 143. Vgl. bereits BGH, Beschl. v. 21.5.2019 – II ZR 337/17, ZInsO 2019, 1529.
2. Kontrollpflichten eines GmbH-Geschäftsführers – § 1 Abs. 1 StaRUG
Von dem Geschäftsführer einer GmbH wird erwartet, dass er sich über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft stets vergewissert. Wenn der Geschäftsführer erkennt, dass die GmbH zu einem bestimmten Stichtag nicht in der Lage ist, ihre fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten vollständig zu bedienen, hat er die Zahlungsfähigkeit der GmbH anhand einer Liquiditätsbilanz zu überprüfen. Organmitgliedern, die „blind in die Krise segeln“ ist die Verletzung einer Kardinalpflicht vorzuwerfen. Das OLG Frankfurt hat die Eintrittspflicht einer D&O-Versicherung wegen lnsolvenzverschleppung versagt, weil das Unternehmensorgan diese Kriterien nicht beachtet hat.
OLG Frankfurt, Urt. v. 5.3.2025 – 7 U 134/23, ZIP 2025, 1105.
3. Insolvenzanfechtung gezahlter Geldauflagen – § 129 InsO, § 153a StPO
Auch von der Strafjustiz beschlossene Geldauflagen können insolvenzrechtlich angefochten und zurückgefordert werden. Das Land ist dabei gleichfalls für Zahlungen, die nicht der Landeskasse, sondern gemeinnützigen Einrichtungen zugutekommen, richtiger Anfechtungsgegner. Das Land ist nach Meinung des Gerichts weiter hinsichtlich der von seiner Strafjustiz beschlossenen Geldauflage einem Insolvenzgläubiger (§ 131 InsO) gleichgestellt. Den in § 39 Abs. 1 Nr. 3 InsO genannten Geldzahlungsverpflichtungen sind – jedenfalls im Rahmen des § 131 InsO – die von der Strafjustiz beschlossenen Geldauflagen gleichrangig. Solche Geldauflagen sind als unvollkommene Verbindlichkeiten zu qualifizieren, welche das Land als Insolvenzgläubiger „nicht zu beanspruchen“ hat (§ 131 Abs. 1 Alt. 1 InsO).
OLG Frankfurt/Main, Urt. v. 15.1.2025 – 4 U 137/23, ZInsO 2025, 416 m. krit. Anm. Brzoza. Krit. hierzu ebenfalls Klinck, ZRI 2025, 221, sowie Greier, jurisPR-StrafR 6/2025, Anm. 1. Zust. indes Dahl/Taras, NJW-Spezial 2025, 245, Egerlandt, ZIP 2025, 1077, sowie Harrsen, FD-InsR 2025, 807828. S. weiter Wilhelm/Lissner, ZInsO 2025, 1166 sowie erschöpfend Cranshaw, ZInsO 2025, 1269. Zu der Problematik vgl. bereits Cranshaw, jurisPR-InsR 17/2008, Anm. 1.
4. Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts – §§ 270b, 270c InsO
Im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren sieht § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO die Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes betreffend schuldnerseitiger Zahlungen zugunsten des vorläufigen Sachwalters nur im Falle mangelhafter aber binnen 20 Tagen nachbesserungsfähiger Antragstellung (§ 270b Abs. 1 Satz 2 InsO) vor. Zustimmungsvorbehalte können nicht betreffend Zahlungen des Schuldners im Eröffnungsverfahren auf Forderungen aus Steuerverhältnissen und Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung angeordnet werden.
AG Hamburg, Beschl. v. 27.9.2024 – 67h IN 276/24, ZInsO 2025, 747 m. krit. Anm. Henkel. Zu der Problematik s. auch Laroche/Wollenweber, ZInsO 2016, 2225, sowie Richter, ZInsO 2021, 2011, 2014.
5. Indizwirkung eines Geständnisses im Strafverfahren – § 286 ZPO
Ein im Strafverfahren nach 42 Verhandlungstagen abgelegtes Geständnis ist ein starkes Indiz für die Wahrheit zugestandener Tatsachen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die zuständige Strafkammer in ihrer Entscheidung ausdrücklich hervorgehoben hat, dass das Geständnis durch das Ergebnis der sonstigen Beweisaufnahme bestätigt und ergänzt worden ist.
BGH, Urt. v. 12.12.2024 – III ZR 421/23, ZInsO 2025, 585. Zur Bindungswirkung von Strafurteilen für Zivilverfahren ausführlich Weyand, ZInsO 2022, 281.
IV. Verwaltungsgerichtliche Entscheidungen mit potentieller strafrechtlicher Relevanz
1. Gewerberechtliche Unzuverlässigkeit bei Nichtabgabe der Vermögensauskunft – § 35 GewO
Die Nichtabgabe der Vermögensauskunft rechtfertigt die Annahme, dass der GmbH-Geschäftsführer nicht nur leistungsunfähig, sondern auch leistungsunwillig und damit gewerberechtlich unzuverlässig ist. Denn aus einer solchen Verhaltensweise wird die Weigerung des Geschäftsführers deutlich, seinen Gläubigern und denen der von ihm vertretenen Gesellschaft den notwendigen Überblick über die jeweiligen Vermögensverhältnisse zu verschaffen. Dies ist mit der Annahme einer ordnungsgemäßen Gewerbeausübung nicht zu vereinbaren.
VGH München, Beschl. v. 11.6.2024 – 22 ZB 23.2014, ZInsO 2024, 2633.
2. Gewerberechtliche Unzuverlässigkeit bei strafrechtlicher Verurteilung – § 35 GewO
Strafrechtlich geahndetes Fehlverhalten rechtfertigt für sich genommen bereits die Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit. Durch die hierdurch dokumentierte Nichtbeachtung der Pflichten eines Gesellschaftsorgans wird belegt, dass der Betroffene seine eigenen Belange bzw. diejenigen der von ihm vertretenen Gesellschaft über die geltenden Vorschriften, die dem Schutz des Vermögens anderer dienen, stellt. Dies gilt umso mehr, wenn mehrere Eintragungen im Schuldnerverzeichnis ungeordnete Vermögensverhältnisse dokumentieren.
VGH München, Beschl. v. 19.11.2024 – 22 ZB 23.2298, ZRI 2025, 263.
V. Finanzgerichtliche Entscheidungen mit potentieller strafrechtlicher Relevanz
Keine Verwertung von Festplatten im Besteuerungsverfahren, die von der Staatsanwaltschaft in einem Ermittlungsverfahren sichergestellt worden sind – § 393 AO
Erkenntnisse aus der Auswertung einer Festplatte durch einen Außenprüfer (hier: E-Mail-Verkehr) können im Besteuerungsverfahren einem qualifizierten Verwertungsverbot unterliegen, wenn die Festplatte im Rahmen eines gegen eine andere Person wegen einer Nichtsteuerstraftat durchgeführten Ermittlungsverfahrens sichergestellt und dem Außenprüfer von der Staatsanwaltschaft ohne vorherige Durchsicht nach § 110 der Strafprozessordnung zur vollständigen Auswertung überlassen worden ist.
BFH, Beschl. v. 23.4.2025 – I B 51/22, NZWiSt 2025, 351. Zust. Bick, AO-StB 2025, 183. Meinert, DStRK 2025, 181, Gehm, NZWiSt 2025, 354, Roth, PStR 2025, 172 sowie Geuenich, BB 2025, 1887. Differenzierend Wulf, wistra 2025, 438. Erschöpfend zu der Thematik Bleschick, jurisPR-SteuerR 31/2025, Anm. 2.
