Abrechnungsbetrug zum Nachteil von Kranken- und Pflegekassen
Entscheidungsanmerkung zu BGH, Beschl. v. 07.08.2025 – 6 StR 239/24 = BeckRS 2025, 23802
Abrechnungsbetrug zum Nachteil von Kranken- und Pflegekassen (Fehlen einer verantwortlichen Pflegefachkraft) – Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 7. August 2025 – 6 StR 239/24 = BeckRS 2025, 23802
- Bei der Abrechnung von Pflegeleistungen nach dem SGB V oder SGB XI durch einen Pflegedienst ohne Einsatz einer vertraglich notwendigen verantwortlichen Pflegefachkraft (Pflegedienstleitung – PDL) tritt nach der für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltenden streng formalen Betrachtungsweise ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB in voller Höhe ein.
- Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB gegen den Inhaber eines Pflegedienstes setzt Feststellungen zu einer nachgelagerten rechtsgrundlosen Vermögensweiterleitung durch die Gesellschaft voraus, der die Rechnungsbeträge zugeflossen sind.
(Leitsätze des Verfassers)
I. Einleitung
Die formalen Anforderungen an die Leistungserbringung sind zwischen Pflegediensten und Kranken- bzw. Pflegekassen vertraglich geregelt. Betreffend die Erbringung von Haushaltshilfe sowie häuslicher Krankenpflege werden Rahmenverträge gemäß §§ 132, 132a SGB V zwischen den Spitzenorganisationen der freien Wohlfahrtspflege und den Krankenkassen abgeschlossen, denen die Träger zugelassener ambulanter Pflegedienste beitreten. Hinsichtlich der gegenüber den Pflegekassen abzurechnenden Leistungen existieren Versorgungsverträge nach § 72 Abs. 2 Satz 1 SGB XI und Vergütungsvereinbarungen nach § 89 Abs. 1 Satz 1 SGB XI.
Der vorliegende Beschluss des BGH vom 7. August 2025 – 6 StR 239/24 – setzt sich in diesem Kontext mit der überaus praxisrelevanten Frage auseinander, ob und inwieweit sich Verantwortliche von Pflegediensten wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB strafbar machen, wenn sie gegenüber Kranken- und Pflegekassen vertraglich gebundene Leistungen nach dem SGB V und SGB XI unrichtig abrechnen.
Dabei bestätigte der 6. Strafsenat die ständige Rechtsprechung zur Höhe des Vermögensschadens im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB. Bei der Bemessung des Schadensumfanges entspreche der den Kranken- und Pflegekassen entstandene Schaden dem Gesamtbetrag der an den Pflegedienst geleisteten Zahlungen. Dieser Würdigung stehe nicht entgegen, dass Pflegeleistungen in gewissem Umfang erbracht worden seien. Denn maßgeblich sei die für den Bereich des Sozialversicherungsrechts geltende sog. streng formale Betrachtungsweise, der zufolge eine Leistung insgesamt nicht erstattungsfähig sei, wenn sie in Teilbereichen nicht den gesetzlichen oder vertraglichen Anforderungen genüge (vgl. BGH, NStZ 1995, 85, 86; NStZ 2014, 640, 642 m. Anm. Piel; SRa 2016, 17, 18; NStZ-RR 2022, 115 f.; vgl. auch BGH, NStZ 2003, 313, 315 m. Anm. Beckemper/Wegner; NJW 2012, 1377, 1383; Beschluss vom 23. September 2020 – 4 StR 668/19, BeckRS 2020, 30917 [Rn. 6]; NJW 2021, 90, 95 m. Anm. Gaede).
Soweit mit Urteil des LG Rostock vom 18. Dezember 2023 – 13 KLs 1/22 (1) – in der Vorinstanz die Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB angeordnet worden war, problematisierte der BGH zudem die erforderlichen Feststellungen zu den im Tatzeitraum erlangten Vermögenswerten: Unter welchen Voraussetzungen kann nicht nur auf das Gesellschafts- sondern auch auf das Tätervermögen zugegriffen werden?
II. Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Angeklagte gründete im Jahr 2011 einen Pflegedienst in der Rechtsform einer UG (haftungsbeschränkt), die später in eine GmbH umgewandelt wurde. Als Alleingeschäftsführerin war sie für den Betrieb eines ambulanten Pflegedienstes sowie ab 2013 auch dreier stationärer Pflegeeinrichtungen verantwortlich.
Mit mehreren Kranken- und Pflegekassen, darunter der AOK und der BKK, schloss die Angeklagte Verträge nach dem SGB V und SGB XI und eine Zusatzvereinbarung über die Versorgung von Intensivpflegepatienten nach dem SGB V. Die Verträge sahen vor, dass die Pflegeleistungen im Sinne der Qualitätssicherung unter ständiger Verantwortung einer „verantwortlichen Pflegefachkraft“ (Pflegedienstleitung – PDL) erbracht werden müssen, die in dieser Funktion in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen soll.
Zwar beschäftigte die Angeklagte ab März 2012 – auf dem Papier – die Zeugin D. als PDL, jedoch wurde diese ausschließlich im normalen Schichtdienst tätig. Die Parteien einigten sich sogar ausdrücklich darauf, dass die Zeugin „nicht mehr PDL sein sollte“. Als die Zeugin D. aus dem Unternehmen ausgeschieden war, gab die Angeklagte gegenüber den Kranken- und Pflegekassen im Mai 2013 der Wahrheit zuwider an, die Zeugin M. werde nunmehr als PDL eingesetzt. Die Aufgaben der PDL wurden indes weder durch die dafür nicht qualifizierte Angeklagte noch durch die Zeugin oder sonstige Dritte wahrgenommen.
In der Zeit von Mai 2013 bis August 2015 rechnete die Angeklagte gegenüber den Kranken- und Pflegekassen sodann in 76 Fällen Pflegeleistungen in Kenntnis ihrer unrichtigen Angaben ab. Mit Geltendmachung der Ansprüche versicherte sie zugleich, die Leistungen seien vertragsgemäß erbracht worden. Daraufhin zahlten die zuständigen Sachbearbeiter auf Seiten der Kranken- und Pflegekassen einen Gesamtbetrag in Höhe von 1.283.413,39 EUR aus. Auf Aufforderung der AOK erstattete der Pflegedienst im weiteren Verlauf einen Teilbetrag in Höhe von 1.627,78 EUR.
Bereits im Jahr 2013 hatte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) aufgrund erster Beschwerden moniert, dass wesentliche Aufgaben nicht durch ausgebildete Pflegefachkräfte, sondern lediglich durch Pflegehelfer erfüllt worden waren. Deshalb wurden die getroffenen Vereinbarungen durch die Kranken- und Pflegekassen zum 15. Mai 2014 gekündigt. Da die Angeklagte vor dem SG Rostock aber erfolgreich Eilrechtsschutz erlangte, liefen die Verträge zunächst weiter. Am 15. Juni 2015 sprachen die Kranken- und Pflegekassen wegen der nicht vorhandenen PDL erneut Kündigungen aus. Hierauf ersuchte die Angeklagte wiederum einstweiligen Rechtsschutz. Unter dem 15. September 2015 schlossen die Parteien am Ende einen Vergleich, wonach die Verträge zum 15. Oktober 2015 auslaufen sollten; etwaige Rückforderungs- oder Schadenersatzansprüche waren nicht Vergleichsgegenstand.
Das Landgericht verurteilte die Angeklagte wegen „gewerbsmäßigen Betruges“ in 76 Fällen unter Einbeziehung einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren, von der fünf Monate wegen überlanger Verfahrensdauer als vollstreckt gelten. Außerdem wurden das in dem älteren Urteil angeordnete Berufsverbot sowie die damalige Verurteilung zur Zahlung von Schmerzensgeld aufrechterhalten. Daneben wurde – unter Berücksichtigung der Einziehung aus dem rechtskräftigen Urteil – die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.282.814,17 EUR angeordnet.
III. Entscheidungsgründe
Auf die Revision der Angeklagten wurde das erstinstanzliche Urteil mit den zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Umfang der Aufhebung wurde die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die weitergehende Revision wurde verworfen (§ 349 Abs. 1 StPO).
Die Gründe der Entscheidung des 6. Strafsenates lassen sich – verkürzt – wie folgt zusammenfassen:
1. Verfahrensrügen
Die Rüge der Verletzung formellen Rechts hatte (entsprechend den Ausführungen des Generalbundesanwaltes in seiner Antragsschrift) keinen Erfolg.
2. Sachrüge
Auch der Schuldspruch wegen Betruges in 76 Fällen (§§ 263 Abs. 1, 53 StGB) hielt sachlich-rechtlicher Überprüfung stand.
a) Betrug gemäß § 263 Abs. 1 StGB
Die Angeklagte habe konkludent über das Vorliegen der Voraussetzungen abrechenbarer Pflegeleistungen getäuscht. Denn welcher Inhalt einer Erklärung zukomme, bestimme sich ganz wesentlich durch den Empfängerhorizont und die Erwartungen der Beteiligten. Diese würden regelmäßig durch den normativen Gesamtzusammenhang geprägt, in dem die Erklärung stehe. Dabei erwarte der Verkehr im Zusammenhang mit der Geltendmachung eines Anspruches v. a. eine wahrheitsgemäße Darstellung, soweit die Tatsache wesentlich für die Beurteilung des Anspruches sei und der Adressat sie aus seiner Situation nicht ohne Weiteres überprüfen könne. Vorliegend habe jede Rechnung die objektiv unrichtige Behauptung enthalten, die Leistungen seien unter ständiger Verantwortung einer examinierten Pflegefachkraft erbracht worden. Allerdings müsse die PDL die Versorgung nach § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB XI zumindest in den Grundzügen selbst festlegen, ihre Durchführung organisieren und ihre Umsetzung angemessen kontrollieren. Das Pflegegeschehen müsse grundsätzlich in seiner Gesamtheit von verantwortlichen Pflegekräften angeleitet und überwacht werden. Diese „pflegerische Gesamtverantwortung“ sei durch hinreichend qualifiziertes Personal wahrzunehmen. Der verantwortlichen Pflegefachkraft komme zudem nicht zuletzt die Aufgabe zu, im „Dreiecksverhältnis“ zwischen Pflegekasse, Einrichtung und Versicherten für eine den gesetzlichen und vertraglichen Anforderungen genügende Umsetzung der Pflegeansprüche und damit für die Erfüllung der im Rahmen des Sicherstellungsauftrages nach § 69 SGB XI übernommenen Pflichten Sorge zu tragen. Das erfordere zum einen ausreichende zeitliche Kapazitäten, die entsprechenden Planungs-, Koordinations- und Kontrollaufgaben angemessen erfüllen zu können, zum anderen besondere Qualifikationen. Die Pflegequalität hänge nicht nur von der Qualifikation im unmittelbaren Betreuungsverhältnis zwischen Pflegekräften und Bewohnern ab. Essenziell sei vielmehr auch eine entsprechende, am individuellen Bedarf der Betroffenen ausgerichtete und seine kontinuierliche Berücksichtigung gewährleistende Steuerung der Pflegeprozesse. Das gelte sowohl für stationäre Pflegeeinrichtungen als auch ambulante Pflegedienste im Sinne des § 71 Abs. 1 SGB XI.
Die Kranken- und Pflegekassen hätten irrtümlich auf entsprechende Mitteilungen der Angeklagten vertraut – auch nach Juni 2015, da die zuständigen Sachbearbeiter erst später von dem Hintergrund der Kündigung der Verträge erfahren hätten. Bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen, Körperschaften oder Personenmehrheiten sei das Vorstellungsbild derjenigen natürlichen Person maßgeblich, welche die Vermögensverfügung getroffen habe.
Durch die Bezahlung der monatlich eingereichten Rechnungen sei den Kranken- und Pflegekassen ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB in voller Höhe entstanden. Festgehalten werde insoweit an der Rechtsprechung, wonach die unter Verstoß gegen gesetzliche und (normen-)vertragliche Vorschriften erbrachten Leistungen nach dem SGB V und SGB XI auch dann nicht zu vergüten seien, wenn sie den Versicherten nützlich seien. Es werde ein allgemeines Prinzip darin gesehen, dass Leistungserbringer auch bereicherungsrechtlich die Abgeltung von Leistungen, die unter Verstoß gegen Vorschriften erbracht worden seien, die bestimmte formale oder inhaltliche Voraussetzungen aufstellten, selbst dann nicht beanspruchen könnten, wenn die Leistungen im Übrigen ordnungsgemäß erbracht worden seien (sog. „streng formale Betrachtungsweise“).
Schließlich habe die Angeklagte auch vorsätzlich und in der Absicht gehandelt, ihrem Pflegedienst einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen.
b) Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB
Dagegen wurde die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 1.282.814,17 EUR aufgehoben. Denn nach ständiger Rechtsprechung bedürfe es zur Begründung einer Einziehungsanordnung gegen den für eine Gesellschaft handelnden Täter einer über die faktische Verfügungsgewalt hinausgehenden Feststellung, ob dieser selbst etwas erlangt habe, was zu einer Änderung seiner Vermögensbilanz geführt habe. Es müssten besondere, den Zugriff auf das Vermögen des Täters rechtfertigende Umstände dargelegt werden. Sie könnten etwa darin liegen, dass der Täter die Gesellschaft lediglich als formalen Mantel seiner Tat nutzte, eine Trennung zwischen dem eigenen Vermögen und demjenigen der Gesellschaft nicht vornahm, oder dass jeder aus der Tat folgende Vermögenszufluss an die Gesellschaft sogleich an den Täter weitergeleitet wurde.
Vorliegend habe das Landgericht indes lediglich pauschale Angaben zu einer Auszahlung von „über 700.000 Euro“ gemacht und einige Einzeltransaktionen aufgeführt, ohne näher zu prüfen, ob diese rechtsgrundlos und tatbezogen gewesen seien. Außerdem mangelten Feststellungen zu der Frage, ob die GmbH tatsächlich ein schlichtes Mantelkonstrukt war. Ob und in welchem Umfang eine persönliche Bereicherung der Angeklagten vorlag, lasse sich den Urteilsgründen nicht entnehmen.
3. Segelanweisungen
Schließlich erteilte der 6. Strafsenat dem Landgericht nachfolgende zwei Hinweise für die neue Hauptverhandlung:
Falls die Angeklagte den Pflegedienst nicht lediglich als Mantelgesellschaft genutzt habe, sei zu prüfen, ob und inwieweit einzelne Taterträge jeweils unmittelbar nach Eingang auf dem Geschäftskonto an die Angeklagte weitergeleitet worden seien. Hierfür seien gesicherte Feststellungen zu Zahlungswegen, -beträgen und -zeitpunkten zu treffen.
Die Einziehung könne ggf. auch als Tatlohn gemäß § 73 StGB („für die Tat“) erfolgen, wenn z. B. überhöhte Geschäftsführergehälter an die Angeklagte ausgezahlt worden seien. Auch eine zurückhaltende Schätzung von Mindestbeträgen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ sei zulässig.
Die Doppelrolle der Angeklagten als Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin schließe nämlich eine strafrechtlich relevante Unrechtsvereinbarung zwischen ihr und der durch sie vertretenen Gesellschaft nicht aus.
IV. Kritische Würdigung
Der vorliegende Beschluss des BGH vom 7. August 2025 – 6 StR 239/24 – reiht sich in die mittlerweile durchaus gefestigte Linie der Rechtsprechung ein, von der in Bezug auf das Gesundheitswesen maßgebliche Kriterien für die strafrechtliche Beurteilung abrechnungsrelevanter Pflichtverstöße entwickelt wurden.
1. Strafbarkeit wegen Betruges gemäß § 263 Abs. 1 StGB
Bereits der 4. Strafsenat erklärte mit Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 21/14 – zum Abrechnungsbetrug der Betreiberin eines ambulanten Pflegedienstes, deren Mitarbeiter nicht über die mit der Kranken- und Pflegekasse vertraglich vereinbarte Qualifikation verfügten: Zwar fordere das SGB V bezüglich der häuslichen Krankenpflege keine besondere Qualifikation der von den Leistungserbringern eingesetzten Personen. Die Krankenkassen seien jedoch berechtigt, den Abschluss eines Vertrages über die Leistung häuslicher Krankenpflege von einer bestimmten formalen Qualifikation des Pflegepersonals abhängig zu machen (BSG, RDG 2007, 105, 106; RDG 2007, 209). Werde eine solche Vereinbarung getroffen, bilde sie neben den gesetzlichen Bestimmungen die Grundlage der Leistungsbeziehung und solle sicherstellen, dass sich die Pflege nach den gesetzlichen und vertraglichen Bestimmungen vollziehe (BGH, NStZ 2014, 640, 641 m. Anm. Piel). Die Auslegung der zugrunde liegenden Verträge obliege dem Tatrichter (BGH, NStZ 2014, 640, 642 m. Anm. Piel); die revisionsrichterliche Kontrolle erstrecke sich daher allein auf die Prüfung, ob ein Verstoß gegen Sprach- und Denkgesetze, Erfahrungssätze oder allgemeine Auslegungsregeln vorliege (BGH, NJW 2004, 2248, 2250).
Ähnlich äußerten sich der 1. Strafsenat mit Beschluss vom 20. Oktober 2021 – 1 StR 375/21 (BGH, NStZ-RR 2022, 115) sowie jüngst auch der 6. Strafsenat unter dem 27. Mai 2025 – 6 StR 294/24 (BGH, RDG 2025, 275, 276 f.).
a) (Konkludente) Täuschung
Die Leistungserbringer bringen nach der zitierten Rechtsprechung mit ihren Rechnungen zumindest konkludent zum Ausdruck, zur Abrechnung der vorgenommenen Leistungen berechtigt zu sein (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2017 – 1 StR 535/16, BeckRS 2017, 121422 [Rn. 4]).
b) Irrtum
Ebenso nachvollziehbar ist das Argument, dass Rechnungsprüfungen und Zahlungsfreigaben in rechtsfähigen Körperschaften des öffentlichen Rechts grundsätzlich auf der üblicherweise dafür vorgesehenen Sachbearbeiterebene getroffen werden (BGH, NJW 2003, 1198, 1199). Da Personenmehrheiten als solche nicht Subjekt eines auf einer Täuschung im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB hervorgerufenen Irrtums sein können (BGH, NStZ 2012, 699), muss im Hinblick auf die irrtumsbedingte Vermögensverfügung auf das tatsächliche Handeln einer natürlichen Person abgestellt werden, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung im wirtschaftlichen Sinn führt.
Auch ist richtig, dass die bloße Möglichkeit der Prüfung für die Verneinung eines Irrtumes nicht ausreicht (Welke, GuP 2011, 139, 148, der zugleich den Einwand zurückweist, eine Täuschung scheide aus, weil durch die Einreichung der Rechnungen offengelegt werde, welche Mitarbeiter die Leistungen erbringen). Bei einfach gelagerten Fällen standardisierter, auf massenhafte Erledigung ausgerichteter Abrechnungsverfahren muss sich der Sachbearbeiter nicht im Hinblick auf jede einzelne geltend gemachte Abrechnungsposition eine positive Vorstellung von der Richtigkeit gemacht haben; vielmehr genügt die Annahme, die vorlegte Abrechnung sei insgesamt in Ordnung (sog. sachgedankliches Mitbewusstsein) (Fischer, StGB, 72. Aufl. 2025, § 263 Rn. 62a unter Hinweis auf BGH, NStZ 2007, 213, 214; Welke, GuP 2011, 139, 148).
c) Vermögensverfügung
Ferner trifft zu, dass die Zahlung der Kranken- und Pflegekassen an den Pflegedienst eine Vermögensverfügung darstellt (Rettke, medstra 2018, 278, 280).
d) Vermögensschaden
Die Ausführungen zum Vermögensschaden im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB sind dagegen nicht frei von Bedenken.
aa) Fallgruppen
Bislang wurden – soweit ersichtlich – höchstrichterlich drei Konstellationen entschieden:
- die Abrechnung tatsächlich nicht (vollständig) erbrachter Leistungen (BGH, NJW 1990, 1549 ff.),
- die Abrechnung mit unzutreffendem Versorgungsschlüssel („1:2-Versorgung“ statt „1:1-Versorgung“, BGH, NStZ-RR 2021, 343 f.) und
- die Abrechnung trotz Einsatz von Personal ohne vertraglich vereinbarte Qualifikation (BGH, NStZ 2014, 640 ff. m. Anm. Piel; NStZ-RR 2022, 115 f.; RDG 2025, 275 ff.).
bb) Diskussion
Der einfachste Fall des Abrechnungsbetruges sind – in der Tat – „Luftleistungen“, etwa das „Aufblähen“ der Pflegedokumentation durch die Erfindung zusätzlicher Pflegeeinsätze oder überhöhter Stundenzahlen sowie Doppel- bzw. Parallelabrechnungen. Denn wer nicht erbrachte Leistungen als erbracht behauptet und abrechnet, täuscht über anspruchsbegründende Tatsachen (Schuhr, NJW 2014, 3170, 3173: dagegen Werturteil, wenn lediglich ein Anspruch behauptet wird; ebenso OLG Stuttgart, NZWiSt 2020, 83, 84 m. Anm. Sinn).
Beim zweiten Fall war der Vergütungssatz der „1:2-Versorgung“ pro Patient um 25 % niedriger als derjenige für die ganztägige Versorgung ausschließlich eines Patienten. Sofern über die tatsächliche, für den abrechnungsrelevanten Versorgungsschlüssel maßgebliche Versorgungssituation getäuscht und der Versicherer zu Vermögensverfügungen entgegen der zuvor getroffenen Vergütungsvereinbarung für eine „1:1-Versorgung“ veranlasst wird, entsteht mithin ein Vermögensschaden in Höhe des zu viel abgerechneten Betrages (Magnus, in: Tsambikakis/Rostalski, Medizinstrafrecht, § 263 Rn. 84).
Insbesondere gegen die dritte Fallgruppe (z. B. Intensivpflege, spezielle Demenzversorgung) werden indes – zu Recht – gewichtige Einwände geltend gemacht:
Dabei ist zunächst richtig, dass auch die sozialgerichtliche Rechtsprechung und Kommentarliteratur die Entstehung eines Vergütungsanspruches von der Beachtung der Anforderungen an die Qualifikation des Personals abhängig macht (Rixen, in: Becker/Kingreen, SGB V, 9. Aufl. 2024, § 132a Rn. 8).
Die rechtliche Befugnis der Kranken- und Pflegekassen, die Zusammenarbeit mit einem Pflegedienst von der Erfüllung gewisser Qualitätsstandards in Bezug auf die angestellten Pflegefachkräfte abhängig zu machen, leite sich aus der gesetzlichen Verpflichtung der Krankenkassen und Leistungserbringer ab, eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden (§ 70 Abs. 1 SGB V). Ob es sich im Einzelfall um eine vertragliche oder gesetzliche Vorgabe handele, sei unerheblich. Denn der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und die für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgeblichen Spitzenorganisationen auf Bundesebene hätten unter Berücksichtigung der Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V gemeinsam Rahmenempfehlungen über die einheitliche und flächendeckende Versorgung mit häuslicher Krankenpflege abzugeben (§ 132a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V). In den Rahmenempfehlungen sind nach § 132a Abs. 1 Satz 4 SGB V u. a. zu regeln: Eignung der Leistungserbringer einschließlich Anforderungen an die Eignung zur Versorgung nach § 37 Abs. 7 SGB V (Nr. 1) und Maßnahmen zur Qualitätssicherung und Fortbildung (Nr. 2). Betreffend die Erbringung von häuslicher Krankenpflege würden Rahmenverträge gemäß §§ 132, 132a SGB V zwischen den Spitzenorganisationen der freien Wohlfahrtspflege und den Krankenkassen abgeschlossen, denen die Träger zugelassener ambulanter Pflegedienste beiträten (LSG Hamburg, Urteil vom 22. Juni 2017 – L 1 KR 39/15, BeckRS 2017, 141117 [Rn. 34]; ähnlich LSG Sachsen, Urteil vom 23. Oktober 2018 – L 9 KR 105/15, BeckRS 2018, 28621 [Rn. 22]).
Bei der Berechnung des Vermögensschadens sollte indes, wie Kritiker der strengen strafrechtlichen Rechtsprechung monieren, entscheidend sein, ob die tatsächlich erbrachte Leistung „ihr Geld wert“ war (Volk, NJW 2000, 3385, 3386 f.). Denn eine lege artis durchgeführte Versorgung durch einen Pflegenden, der lediglich auf dem Papier nicht über die vertraglich geforderte Qualifikation verfüge, erreiche ihren Zweck. Sie dürfe im Hinblick auf die Bestimmung der Schadenshöhe und den Unrechtsgehalt der Tat nicht mit einer gar nicht erbrachten Leistung gleichgesetzt werden. Sofern der Mangel in den Anspruchsvoraussetzungen sich nicht auf Art, Inhalt oder Qualität der erbrachten Leistungen erstrecke, sei nicht ersichtlich, warum durch eine streng formale Betrachtungsweise die gesamte Leistung „infiziert“ sein solle (Lange, NZWiSt 2015, 275, 280; Volk, NJW 2000, 3385, 3388; Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 215; vgl. auch Dann, NJW 2012, 2001, 2002, f.; Satzger, in: SSW-StGB, 6. Aufl. 2024, § 263 Rn. 272).
Eingewandt wird des Weiteren, dass aus der – wenn auch nicht vertragsgemäß – erbrachten Leistung eine Entlastung der Kasse resultiere, da eine Zweitvergütung entfalle. Sie solle entgegen dem BGH, der eine Unmittelbarkeit verneint (BGH, NStZ 2014, 640, 643 m. Anm. Piel; vgl. auch BGH, NStZ 1995, 85, 86; Hellmann, NStZ 1995, 232, 233), daher als Vermögenszuwachs angerechnet und nicht lediglich im Rahmen der Strafzumessung in angemessener Weise zugunsten des Betroffenen berücksichtigt werden. Dementsprechend merkte das SG Aachen in seinem Urteil vom 6. Februar 2018 – S 13 KR 262/17 – an, dass nach dem Inhalt, Sinn und Zweck der Beziehungen zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Leistungserbringern sowie dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden nicht oder nur schwer in Einklang zu bringen sei, wenn eine Krankenkasse aufgrund durchgeführter Behandlungen von der gegenüber ihren Versicherten bestehenden Sachleistungsverpflichtung frei werde, ohne dass sie dies etwas koste (SG Aachen, Urteil vom 6. Februar 2018 – S 13 KR 262/17, BeckRS 2018, 1247 [Rn. 24]; vgl. dazu Gercke/Leimenstoll/Stirner, Handbuch Medizinstrafrecht, 2020, Rn. 854).
Auch das BVerfG unterstrich mehrfach, dass die wirtschaftliche Schadensfeststellung nicht durch normative Erwägungen überlagert werden darf (zur Untreue BVerfG, NJW 2010, 3209, 3215; zum Betrug Beschluss vom 5. Mai 2021 – 2 BvR 2023/20, BeckRS 2021, 12702 [Rn. 15]; vgl. auch Piel, NStZ 2014, 640, 644). Bezugspunkt für die Feststellung eines Vermögensschadens im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB dürfe damit, wie die Kritiker der strafrechtlichen Rechtsprechung weiter argumentieren, nicht das Normengebilde des Sozialrechts sein. Vielmehr sei in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise zu prüfen, ob überhaupt ein Schaden eingetreten sei. Das sei allein der Fall, wenn die erbrachte Pflegeleistung ihr Geld nicht wert sei. Die Merkmale „Täuschung“ und „Schaden“ dürften nicht unzulässig miteinander verschliffen werden (Saliger, medstra 2019, 258, 261; andererseits BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021 – 2 BvR 2023/20, BeckRS 2021, 12702 [Rn. 17], wonach als wesentlicher Zwischenschritt für die Entstehung des Vermögensschadens noch die irrtumsbedingte Auszahlung durch die Mitarbeiter der Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen erforderlich sei).
Hiergegen wird wiederum vorgebracht, dass der Leistungserbringer, der seine Leistung unter Verstoß gegen sozialrechtliche Vorgaben erbringe, weder einen vertraglichen noch einen gesetzlichen (GoA/Bereicherungsrecht) Vergütungsanspruch erwerbe. Insbesondere der Ausschluss gesetzlicher Ansprüche demonstriere, dass das Sozialrecht der sozialrechtswidrig erbrachten Leistung jeglichen wirtschaftlichen Wert abspreche. Anders gewendet wäre eine Fiktion, wolle man der lege artis erbrachten Leistung im Kontext des § 263 StGB plötzlich einen wirtschaftlichen Wert zubilligen, der dieser Leistung im Wirtschaftsverkehr nicht zukomme. Eine Kompensation des Nachteiles, den die Krankenkasse durch die Befriedigung einer inexistenten Forderung des Leistungserbringers erleide, trete nicht ein. Die der Kranken- und Pflegekasse unabhängig von der Bezahlung des Leistungserbringers zufließende sozialrechtswidrig erbrachte Leistung stehe nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Vermögensverfügung (Brand, ZWH 2014, 423, 427; vgl. auch Rettke, medstra 2019, 262, 265).
Jedoch ist Schutzgut des § 263 StGB das Vermögen, wozu die Durch- und Umsetzung sozial- und ordnungspolitischer Ziele nicht gehört (Magnus, NStZ 2017, 249, 253; Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 217; ebenso Volk, NJW 2000, 3385, 3388: ansonsten würde praeter und contra legem der Sozialversicherungsbetrug als Straftatbestand eingeführt, der neben Vermögensinteressen andere Interessen schützt, wie z. B. die „Funktion“ und die „Leistungsfähigkeit“ der Sozialversicherung). Folglich würden mit der Bejahung einer Betrugsstrafbarkeit sozialversicherungsrechtliche Vertragsbeziehungen pönalisiert und sollen teilweise lapidare Formalverstöße einen Betrugsvorwurf stützen, obgleich dem Strafrecht nach langläufigem Verständnis lediglich ultima ratio-Charakter zukommt (Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 214).
Mit den Vorgaben des Bestimmtheitsgebotes aus Art. 103 Abs. 2 GG erscheint nach alledem unvereinbar, wenn die im Strafrecht verfassungsrechtlich gebotene wirtschaftliche Betrachtung durch eine Akzessorietät zu den sozialversicherungsrechtlichen Abrechnungsvorschriften ersetzt wird (Lange, NZWiSt 2015, 275, 279 f.). Die erbrachten Leistungen sind unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht völlig wertlos (Streenbreker, in: Saliger/Tsambikakis, Strafrecht der Medizin 2022, § 12 Rn. 21). Abgesehen davon sind auch Grauzonen in der Vertragsauslegung denkbar, in denen die Sozialgerichte und nicht die Strafgerichte zuständig sein sollten (Schuhr, NJW 2014, 3170, 3173).
Auch dogmatisch erscheint nicht zwingend, auf die streng formale Betrachtungsweise zurückzugreifen, wenn Leistungen nach der wirtschaftlichen Sichtweise des Strafrechtes ein eigenständiger Wert nicht zuzumessen ist (Lange, NZWiSt 2015, 275, 280: Unmöglichkeit von Notfallintubationen ohne Zusatzqualifikation; ebenso Piel, NStZ 2014, 640, 644; Schuhr, NJW 2014, 3170, 3173; ders., in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Aufl. 2022, § 263 Rn. 44, wonach die Abrechnung einer tatsächlich nicht erfolgten Überwachung der Abrechnung von „Luftleistungen“ gleichstehe). Faktisch darf auch nicht übersehen werden, dass die Anforderungen an die Pflege regelmäßig geringer sein dürften als an eine ärztliche Behandlung: „Es steht … vollkommen außer Frage, dass die meisten Menschen nach entsprechender Übung, Einarbeitung und Gewöhnung die Fähigkeit besitzen, einem alten und hilfebedürftigen Menschen beispielsweise Medikamente zu richten und zu reichen, ihm bei der Nahrungsaufnahme zu helfen, seine Windeln zu wechseln, ihn zu waschen und zu baden“ (Wischnewski/Jahn, GuP 2011, 212, 217). Die Versorgung von Pflegebedürftigen kann daher auch suffizient sein, wenn Zusatzqualifikationen ohne jedwede praktische Bedeutung sind.
cc) Ausblick
Angesichts der strengen sozialgerichtlichen Rechtsprechung (BSG-Entscheidung vom 27. August 2025 – B 6 KA 9/24 R, becklink 2035437 zur Rückzahlungspflicht eines Arztes in Höhe von 490.000 EUR, weil dieser Rezepte in 14 aufeinanderfolgenden Quartalen nicht selbst unterschrieb, sondern lediglich seinen Unterschriftenstempel auf das Papier drückte) steht zu erwarten, dass das Verfassungsgericht demnächst erneut angerufen werden wird.
Überdies sind auch Sachverhaltskonstellationen denkbar, die sich unter die oben geschilderten Fallgruppen nicht subsumieren lassen: etwa in Zeiten des Personalnotstandes im Pflegesektor der Einsatz von Beschäftigten aus Mutter- oder Tochtergesellschaften zur Überbrückung von Ausfällen wegen Krankheit oder Urlaub, ohne dass der Pflegeauftrag über einen unzulässigen „Kooperationsvertrag“ an einen Dritten weitergegeben wird (vgl. dazu LSG Berlin-Brandenburg Urt. v. 14.12.2016 – L 9 KR 9/14, BeckRS 2016, 126027 [Rn. 26], das ein „Personalleasing“ oder „eine andere [rechtlich zulässige] Beschäftigung“ ebenfalls nicht auszuschließen scheint).
Hier sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die tatsächlich erbrachten Pflegeleistungen in ihrer Qualität derart gemindert sein könnten, dass sie – im Wege wirtschaftlicher Betrachtung – für die Kranken- und Pflegekassen wertlos und daher einer Nichtleistung gleichzustellen sind (vgl. für den Privatbereich BGH, SRa 2016, 17, 20). Bei der Frage der Anstellungsgesellschaft handelt es sich nämlich allein um eine Art „Statusfrage“ (vgl. das obiter dictum in BGH, NJW 2003, 1198, 1200). Eine „leistungsgerechte“ Versorgung der Pflegebedürftigen durch personell vergleichbar qualifiziertes Personal von Mutter- oder Tochtergesellschaften tangiert nicht den Vermögensschutzgedanken des § 263 StGB. Somit muss eine Strafbarkeit ausscheiden, da wirtschaftliche Überlegungen ansonsten vollständig verdrängt würden.
2. Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen nach §§ 73 Abs. 1, 73c Satz 1 StGB
Hinsichtlich der Einziehung ist der BGH – zu Recht – zurückhaltend geblieben. Denn nicht jede wirtschaftliche Nähe zwischen Täter und juristischer Person rechtfertigt eine persönliche Abschöpfung.
Bei inhabergeführten Unternehmen ist ein strukturelles Spannungsfeld zu verzeichnen: Einerseits soll der wirtschaftliche Vorteil, den der Täter über die Gesellschaft realisiert, nicht außer Acht gelassen werden; andererseits darf die Trennung zwischen natürlicher und juristischer Person nicht vorschnell durchbrochen werden. Hier wählt der BGH einen differenzierten Mittelweg: Bei Ablehnung einer generellen Durchgriffshaftung wird die Möglichkeit anerkannt, unter gewissen Voraussetzungen dennoch auf die natürliche Person zuzugreifen, etwa im Falle rechtsgrundloser Zahlungen oder mangels echter Unternehmensstruktur.
Die Entscheidung schärft zugleich die Anforderungen an die richterliche Begründungspflicht. Wer gegen eine natürliche Person die Einziehung anordnet, muss lückenlos darlegen, woher das Geld stammt und warum es sich um einen Ertrag „durch die Tat“ handelt. Hierdurch werden willkürliche Eingriffe in das Vermögen Dritter vermieden.
V. Praxisrelevanz
Der Beschluss des BGH vom 7. August 2025 – 6 StR 239/24 – ist in mehrfacher Hinsicht von erheblicher praktischer Bedeutung:
- Die Inhaber von Pflegediensten müssen sicherstellen, dass alle personellen und sachlichen Anforderungen aus den mit den Kranken- und Pflegekassen geschlossenen Verträgen vollständig erfüllt werden. Bereits die Geltendmachung von Ansprüchen kann eine konkludente Täuschung darstellen, wenn einzelne Voraussetzungen der Leistungsabrechnung nicht gegeben sind.
- Außerdem ist das strafprozessuale Aufgriffsrisiko nicht zu unterschätzen. Denn die Krankenkassen und die weiteren in § 197a Abs. 1 SGB V genannten Organisationen sollen die Staatsanwaltschaft unverzüglich unterrichten, wenn die Prüfung ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung bestehen könnte (§ 197a Abs. 4 SGB V). Beim Unterlassen einer Unterrichtung soll nach der Gesetzesbegründung sogar eine Strafvereitelung gemäß § 258 StGB in Betracht zu ziehen sein (BT-Drs. 15/1525, S. 99, 138; Kaempfe, in: Becker/Kingreen, SGB V, 9. Aufl. 2024, § 197a Rn. 5).
- Soweit Kranken- und Pflegekassen durch Gutachten oder Prüfberichte des MDK Kenntnis von Unregelmäßigkeiten erlangen, soll ein Irrtum im Sinne des § 263 Abs. 1 StGB wegen der im Wirtschaftsleben üblichen Arbeitsteilung nicht ausscheiden. Allerdings dürften sich die informierten Adressaten (nicht die unwissenden Sachbearbeiter) im Falle pflichtwidrigen Nichteinschreitens einem Strafbarkeitsrisiko wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB ausgesetzt sehen. Ferner könnte ein zivilrechtlicher Rückforderungsanspruch wegen Kenntnis der Nichtschuld nach § 814 BGB entfallen.
- Bei wirtschaftlich unübersichtlichen Verhältnissen kann die Anordnung der Einziehung eine Herausforderung darstellen. Zwar lässt der BGH eine Schätzung von Mindestbeträgen zu, jedoch verlangt er zugleich ein Mindestmaß an tatbezogener Feststellung. Umgekehrt sollten Unternehmen und deren Organe nachweisen können, wofür Gelder im Einzelnen vereinnahmt oder ausgegeben wurden, um eine solche strafprozessuale Einziehung abwehren zu können.
